Legitimationswirkung eines Erbscheins, dessen Rückgabe im Wege einstweiliger Anordnung verfügt wurde
letzte Aktualisierung: 11.12.2023
OLG München, Beschl. v. 27.9.2023 – 34 Wx 240/23 e
Legitimationswirkung eines Erbscheins, dessen Rückgabe im Wege einstweiliger
Anordnung verfügt wurde
Allein eine die Rückgabe des Erbscheins an das Nachlassgericht verfügende einstweilige Anordnung
reicht nicht aus, um die auch für das Grundbuchamt geltende Vermutung der Rechtsinhaberschaft
des im Grundbuch als Eigentümer eingetragenen Erbscheinserben zu entkräften.
Gründe
I.
Die Beteiligten begehren die Eintragung einer Auflassungsvormerkung an einem Grundstück.
Als Eigentümerin des verfahrensgegenständlichen Grundstücks war im Grundbuch C. P. eingetragen. Diese
verstarb am ....2022. Am 12.12.2022 erteilte das Nachlassgericht R. H. einen Erbschein, in dem er als
Alleinerbe der C. P. ausgewiesen war, und der Beteiligten zu 1 ein Testamentsvollstreckerzeugnis.
Mit notariellem Vertrag vom 5.6.2023 übertrug R. H. das Grundstück der Beteiligten zu 1 in Erfüllung
erbrechtlicher Anordnungen zu Alleineigentum. Die entsprechende Eintragung im Grundbuch erfolgte am
5.7.2023.
Am 4.8.2023 erließ das Nachlassgericht eine einstweilige Anordnung nach § 49 FamFG, in der es R. H. und
die Beteiligte zu 1 zur Rückgabe der erteilten Ausfertigungen des Erbscheins bzw. des
Testamentsvollstreckerzeugnisses aufforderte, da Zweifel an der Richtigkeit des Erbscheins bestünden.
Mit notariellem Vertrag vom 17.8.2023 verkaufte die Beteiligte zu 1 das Grundstück an die Beteiligten zu 2
und 3 zu je hälftigem Miteigentum. Zugleich bewilligte die Beteiligte zu 1 und beantragten die Beteiligten zu 2
und 3 zur Sicherung des Anspruchs die Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch.
Mit Zwischenverfügung vom 23.8.2023 forderte das Grundbuchamt den Urkundsnotar auf, einen neuen
Erbschein beizubringen, der R. H. als Erben ausweise, da das Grundbuchamt nicht zum gutgläubigen
Erwerb verhelfen dürfe. Aufgrund der Anordnung der Rückgabe des Erbscheins bestünden Zweifel an der
Verfügungsbefugnis des R. H.
Gegen diese Zwischenverfügung hat die Beteiligte zu 1 mit Schreiben vom 24.8.2023 Beschwerde eingelegt.
Die Vermutung, dass demjenigen, für den im Grundbuch ein Recht eingetragen sei, das Recht auch zustehe,
gelte auch für das Grundbuchamt. Ein eingetragenes Recht sei deshalb als bestehend und der eingetragene
Berechtigte als der verfügungsberechtigte Inhaber des Rechts anzusehen, solange diese Vermutung nicht
durch den vollen Beweis ihres Gegenteils widerlegt sei.
Der Urkundsnotar hat mit Schreiben vom 31.8.2023 ergänzend Stellung genommen. Bereits im Grundsatz
werde bestritten, dass das Grundbuchamt einen Rechtserwerb nicht herbeiführen dürfe, von dem es wisse,
dass er nur aufgrund guten Glaubens erfolge. Selbst wenn man dieser überkommenen Auffassung folgen
wollte, lägen die Voraussetzungen für die Einschränkung des Gutglaubensschutzes hier aber schlicht nicht
vor. Die gesetzliche Vermutung für das Bestehen des im Grundbuch eingetragenen Rechts gelte auch für
das Grundbuchamt selbst; sie werde erst durch den vollen Beweis des Gegenteils widerlegt. Es sei lediglich
eine einstweilige Anordnung in der Nachlasssache ergangen, die im Übrigen zweifelhaft erscheine. Er gehe
davon aus, dass die jetzige Bucheigentümerin jedenfalls ihrerseits gutgläubig erworben habe.
Das Grundbuchamt hat mit Beschluss vom 7.9.2023 nicht abgeholfen. Durch die Anordnung der
Testamentsvollstreckung habe der Erbe nicht über das Grundstück verfügen können. Deshalb hätte die
Testamentsvollstreckerin eigentlich die Übertragung an sich selbst samt entsprechender Auflassung erklären
müssen. Dies würde kein unzulässiges Insichgeschäft darstellen, da die Testamentsvollstreckerin in Erfüllung
einer Verbindlichkeit, nämlich des Vermächtnisanspruchs handle. Gehandelt habe jedoch nicht die
Testamentsvollstreckerin, sondern der Erbe selbst und somit ein Nichtberechtigter, allerdings mit
Zustimmung der Testamentsvollstreckerin. Dadurch sei ein gutgläubiger Erwerb der Beteiligten zu 1
ausgeschlossen, da dann sie auf beiden Seiten des Geschäfts stehe, damit kein Verkehrsgeschäft vorliege
und sie nicht schutzwürdig sei. Aufgrund der einstweiligen Anordnung sei ein neuer Erbschein bzw. ein
Nachweis über die Aufhebung der einstweiligen Anordnung zu verlangen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
a) Insbesondere ist sie gemäß
Sinne dieser Bestimmung sind auch Zwischenverfügungen nach § 18 Abs. 1 Satz 1 GBO (OLG Frankfurt
a.M.
§ 71 Rn. 1; BeckOK GBO/Kramer 50. Ed. § 71 Rn. 68; Meikel/Schmidt-Räntsch GBO 12. Aufl. § 71 Rn. 35).
b) Die Beteiligte zu 1 ist auch zur Einlegung der Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrags
berechtigt, obwohl sie diesen nicht gestellt hatte. Denn in einem Antragsverfahren i.S. von § 13 Abs. 1 Satz 1
GBO ist beschwerdeberechtigt, wer kraft eigenen Rechts einen Antrag stellen durfte (BayObLGZ 1980,
37/40; Demharter § 71 Rn. 63; BeckOK GBO/Kramer § 71 Rn. 181; Meikel/Schmidt-Räntsch § 71 Rn. 122).
Dies war bei der Beteiligten zu 1 als zumindest Buchberechtigter gemäß
2. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg, da es der Vorlage eines neuen Erbscheins nicht bedarf.
Gemäß
Ist allerdings im Grundbuch für jemand ein Recht eingetragen, so wird nach
dass ihm das Recht zustehe. Diese Vermutung gilt auch im Grundbuchverfahren. Widerlegt ist sie erst, wenn
dem Grundbuchamt Tatsachen sicher bekanntgeworden sind, die die Unrichtigkeit ergeben; bloße Zweifel
genügen nicht (OLG Köln
445/446; OLG Zweibrücken
21/22; BeckOK GBO/Reetz § 13 Rn. 29; Demharter Anh zu § 13 Rn. 16; Grüneberg/Herrler BGB 82. Aufl. §
891 Rn. 10; Meikel/Böttcher § 20 Rn. 128; NK-BGB/Krause 5. Aufl. § 891 Rn. 33).
Vorliegend ist die Beteiligte zu 1 im Grundbuch als Eigentümerin des verfahrensgegenständlichen
Grundstücks eingetragen, was die entsprechende Vermutung nach
nicht widerlegt. Das wäre nur dann der Fall, wenn feststünde, dass der Eigentumserwerb durch die Beteiligte
zu 1 unwirksam gewesen wäre. Davon kann indes nicht ausgegangen werden.
a) Zwar mögen angesichts der Aufforderung zur Rückgabe des Erbscheins im Wege der einstweiligen
Anordnung durch das Nachlassgericht nach § 49 FamFG mittlerweile Zweifel an der Erbenstellung des R. H.
und damit auch an seiner Verfügungsberechtigung bei der Veräußerung des Grundstücks an die Beteiligte zu
1 bestehen. Gemäß
von dessen Unrichtigkeit überzeugt wäre, hat weder das Nachlassgericht noch das Grundbuchamt angeführt;
vielmehr ist sowohl im Beschluss vom 4.8.2023 als auch in der Zwischenverfügung vom 23.8.2023 lediglich
von Zweifeln die Rede. Diese reichen aber, wie oben ausgeführt, gerade nicht aus, um die Vermutung des §
891 Abs. 1 BGB zu entkräften.
b) Dass R. H. auch unter Zugrundelegung seiner Erbenstellung infolge der Anordnung von
Testamentsvollstreckung gemäß § 2211 Abs. 1 BGB nicht verfügungsbefugt war, ist unschädlich, weil diese
Befugnis nach § 2205 Satz 2 BGB der Beteiligten zu 1 zustand und letztere in die Übereignung gemäß § 185
Abs. 1 BGB eingewilligt hatte; das Selbstkontraktionsverbot des
die Beteiligte zu 1 insofern in Erfüllung einer Verbindlichkeit handelte. Überlegungen zum Vorliegen eines
Verkehrsgeschäfts im Hinblick auf einen gutgläubigen Erwerb durch die Beteiligte zu 1, wie sie das
Grundbuchamt – von seinem Standpunkt aus folgerichtig – angestellt hat, erübrigen sich hier, weil, wie unter
a) ausgeführt, von einer Erbenstellung des R. H. auszugehen ist und sich die Frage des gutgläubigen
Erwerbs somit nicht stellt.
c) Dass das Grundbuchamt aufgrund des Legalitätsprinzips eine Eintragung nicht vornehmen darf, wenn
feststeht, dass sich der Rechtserwerb nur kraft guten Glaubens des Erwerbers vollziehen kann, entspricht
der herrschenden Meinung (OLG Hamburg
35 Rn. 65; Demharter § 13 Rn. 12; a.A. Meikel//Böttcher Einl D Rn. 81; offengelassen von OLG Zweibrücken
dieser Grundsatz allerdings nicht ein. Denn angesichts der bereits unter a) dargestellten Vermutungswirkung
der Eintragung der Beteiligten zu 1 nach
und 3 die Vormerkung lediglich kraft guten Glaubens erwerben könnten. Die Vermutung ist, wie ebenfalls
ausgeführt, nicht widerlegt, da insofern bloße Zweifel an der Richtigkeit der Eintragung nicht ausreichen.
d) Zwar wird – worauf sich auch das Grundbuchamt berufen hat – in der Literatur vertreten, dass im Falle
einer Verfügung durch den bereits eingetragenen Erbscheinserben das Grundbuchamt die Anordnung der
Rückgabe des Erbscheins nach § 49 FamFG zum Anlass nehmen müsse, aufgrund deshalb bestehender
Zweifel an der Verfügungsberechtigung eine Zwischenverfügung zu erlassen mit der Aufforderung, einen
neuen Erbschein beizubringen oder die Aufhebung der einstweiligen Anordnung nachzuweisen (BeckOK
GBO/Wilsch § 35 Rn. 65; Horn/Krätzschel
der unmittelbarer Gegenstand der Prüfung nicht eine Verfügung des Erbscheinserben ist, sondern eine
solche desjenigen, der das Grundstück vom Erbscheinserben erworben hat, übertragbar wäre, kann
offenbleiben. Denn der geschilderten Auffassung kann von vornherein nicht gefolgt werden. Sie lässt bloße
Zweifel an der Verfügungsberechtigung ausreichen, was im klaren Widerspruch zur Regelung des § 891 Abs.
1 BGB steht, der die bereits unter a) erläuterte Vermutungswirkung der Grundbucheintragung statuiert, die
nur durch die Überzeugung von deren Unrichtigkeit entkräftet werden kann. Mit
Gesetzgeber eine bewusste Grundsatzentscheidung zur Erleichterung des Rechtsverkehrs (NK-BGB/Krause
§ 891 Rn. 1) getroffen, die gegebenenfalls zu Lasten des Legalitätsprinzips geht.
3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da die grundsätzliche Haftung der Beteiligten zu 1 für die
gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens aus
Rechtsmittels gemäß
Geschäftswertfestsetzung.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG München
Erscheinungsdatum:27.09.2023
Aktenzeichen:34 Wx 240/23 e
Rechtsgebiete:
Testamentsvollstreckung
Sachenrecht allgemein
Vollmacht, Genehmigung, Ermächtigung
In-sich-Geschäft
Grundbuchrecht
Kostenrecht
Nachlaßabwicklung (insbes. Erbschein, Nachlaßinventar)
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
BGB § 891; FamFG § 49; GBO § 19