Reichweite der Wechselbezüglichkeit bei durch Anwachsung vergrößertem Erbteil
letzte Aktualisierung: 5.6.2023
OLG Frankfurt, Beschl. v. 6.4.2023 – 21 W 3/23
BGB §§ 2094, 2270
Reichweite der Wechselbezüglichkeit bei durch Anwachsung vergrößertem Erbteil
Ein bei Eintritt der Anwachsung sich vergrößernder Erbteil kann insgesamt eine auf einer
wechselbezüglichen Verfügung beruhende Erbeinsetzung darstellen.
Gründe
I.
Der Beteiligte zu 1) ist der Sohn der Erblasserin, der Beteiligte zu 2) der Sohn des Beteiligten
zu 1). Der weitere Sohn des Beteiligten zu 1), X, ist im Jahr 2016 kinderlos vorverstorben
und wurde von den Beteiligten zu 1) und 2) beerbt (Bl. 48 d. Testamentsakte). Die Erblasserin
war seit dem XX.XX.2015 verwitwet.
Die Erblasserin hatte mit ihrem Ehemann mit notarieller Urkunde vom 12.01.2004 ein gemeinschaftliches
Testament errichtet. Darin hatten die Ehegatten unter § 1 und § 2 jeweils
identische Erbeinsetzungen vorgenommen, in dem sie den anderen Ehegatten, den Beteiligten
zu 1), sowie beide Enkel anteilig zu ihren Erben einsetzten und Teilungsanordnungen trafen.
Dabei hatte der vorverstorbene Ehemann in § 1 folgende Anordnungen getroffen:
„1. Ich, …, setze
a) meinen Sohn (…) zu 40 %,
b) dessen Kinder (…) zu je 15 % und
c) meine Ehefrau (…) zu 30 %
als meine Erben ein.
2. Ich treffe folgende Teilungsanordnung:
a) Für die 40 % erhält mein Sohn (…) das mir zur Hälfte gehörende Firmengrundstück (…)
und die dort betriebene Einzelfirma (…).
b) Meine Ehefrau erhält für ihre 30 % die ideelle Hälfte des mir gehörenden Hausgrundstücks
(…) sowie die Hälfte meiner Eigentumswohnung (…).
c) Meine Enkelkinder (…) erhalten für ihre je 15 % alles übrige Vermögen, insbesondere das
noch vorhanden Land je zur Hälfte.“
Die Erblasserin hatte in § 2 wie folgt verfügt:
„1. Ich, …, setze
a) meinen Sohn (…) zu 40 %
b) dessen Kinder (…) zu je 15 % und
c) meinen Ehemann (…) zu 30 %
als meine Erben ein.
2. Ich treffe folgende Teilungsanordnung:
a) Für die 40 % erhält mein Sohn (…) meine ideelle Hälfte an dem Firmengrundstück (…)
sowie das mir allein gehöhrende Hausgrundstück (…).
b) Mein Ehemann erhält für die 30 % meine ideelle Hälfte an dem Hausgrundstück (…)
und meine ideelle Hälfte an der Eigentumswohnung (…).
c) Meine Enkelkinder (…) erhalten für ihre je 15 % alles übrige Vermögen, insbesondere
das noch vorhanden Land je zur Hälfte.“
In § 3 wurde Testamentsvollstreckung angeordnet und der Beteiligte zu 1) zum Testamentsvollstrecker
ernannt. Diesem wurde zur Auflage gemacht, dass der aufgebaute Betrieb und
das Betriebsgrundstück im Familienbesitz bleiben solle. In § 4 wurden für den Fall des gleichzeitigen
Versterbens der Beteiligte zu 1) als Erbe zu ½ und der Beteiligte zu 2) sowie dessen
Bruder als Erben zu jeweils ¼ bestimmt. Wegen des Inhalts des Testaments im Einzelnen
wird auf die notarielle Urkunde (Bl. 8 ff der Testamentsakte Bezug genommen).
Nach dem Tod des Ehemannes errichtete die Erblasserin am 15.09.2015 ein handschriftliches
Testament, in dem sie den Beteiligten zu 1) zu ihrem Alleinerben einsetzte (Bl. 2 d.A.).
Der Beteiligte zu 1) beantragte am 19.05.2022 die Erteilung eines Erbscheins, der ihn als Alleinerbe
ausweist (Bl. 8 d.A.). Dabei hat er u.a ausgeführt, das Verhältnis der Erblasserin zu
ihren Enkelkindern sei schwierig gewesen.
Mit Verfügung vom 10.08.2022 (Bl 18 d.A.) hat das Nachlassgericht auf Bedenken an dem
Erbscheinsantrag hingewiesen, weil eine Bindung an das gemeinschaftliche Testament vorliegen
würde.
Sodann hat das Nachlassgericht mit dem angefochtenen Beschluss den Erbscheinsantrag zurückgewiesen.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Erbeinsetzungen in
dem gemeinschaftlichen Testament seien wechselbezüglich, so dass die Erblasserin an dieses
gebunden wäre und nicht abweichend hätte testieren können. Wegen der Begründung im
Einzelnen wird auf den Beschluss vom 29.11.2022 (Bl. 23 ff d.A.) Bezug genommen.
Gegen diesen Beschluss, der dem Beteiligten zu 1) durch Aufgabe zur Post zugestellt worden
ist (Bl. 27 d.A.), hat dieser mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom
13.12.2022 (Bl. 29 d.A.) Beschwerde eingelegt. Er macht geltend, das gemeinschaftliche
Testament stehe der Wirksamkeit des Testaments vom 15.09.2015 nicht entgegen, da dieses
keine Schlusserbeneinsetzung enthalte sondern lediglich wechselbezügliche Verfügungen für
den ersten Erbfall. Da es sich um ein notarielles Testament gehandelt habe, sei eine Schlusserbenregelung
bewusst unterblieben.
Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 30.12.2022 (Bl. 33 d.A.) nicht
abgeholfen sondern das Verfahren dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Nach einem Hinweis der Berichterstatterin zur Erfolgsaussicht der Beschwerde vom
08.02.2023 (Bl. 44 ff d.A.) hat der Beteiligte zu 1) seine Auffassung vertiefend dargelegt.
Wegen des weiteren Vorbringens im Beschwerdeverfahren wird auf die eingereichten Schriftsätze
verwiesen.
II.
Der zulässigen Beschwerde bleibt der Erfolg versagt. Der Beteiligte zu 1) ist nicht aufgrund
des Testaments vom 15.09.2015 Alleinerbe nach der Erblasserin geworden. Denn der Beteiligte
zu 2) ist aufgrund des gemeinschaftlichen Testament vom 21.01.2004 jedenfalls Miterbe
nach der Erblasserin geworden.
1. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht innerhalb eines Monats
nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses bei dem Nachlassgericht eingegangen (§ 63
FamFG). Dies unabhängig von der fehlerbehafteten, auf eine sofortige Beschwerde gerichteten
Rechtsmittelbelehrung in dem angefochtenen Beschluss, da das Rechtsmittel jedenfalls
rechtzeitig eingelegt worden ist. Zudem ist der Beteiligte zu 1) wegen der Zurückweisung
seines Erbscheinsantrags beschwerdebefugt.
2. In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.
Der Beteiligte zu 1) ist nicht Alleinerbe nach der Erblasserin geworden. Die Erblasserin hat
den Beteiligten zu 2) in dem gemeinschaftlichen Testament vom 12.01.2004 in § 2b) als Miterben
eingesetzt. An diese Miterbeneinsetzung war die Erblasserin gemäß § 2271 Abs. 2 S.1
BGB gebunden, so dass ihre Verfügung in dem späteren Testament, soweit sie die Miterbeneinsetzung
des Beteiligten zu 2) aufheben würde, entsprechend
a) Entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 1) enthält das gemeinschaftliche Testament
vom 12.01.2004 eine abschließende Regelung der Erbfolge nach den testierenden Ehegatten
für deren beider Todesfälle und nicht lediglich eine Regelung für den Fall des Erstversterbens.
Dies ergibt die Auslegung des Testaments.
Die Testamentsauslegung hat zum Ziel, den wirklichen Willen des Erblassers zu erforschen.
Dabei ist vom Wortlaut auszugehen. Dieser ist jedoch nicht bindend. Vielmehr sind der Wortsinn
und die vom Erblasser benutzten Ausdrücke zu hinterfragen, um festzustellen, was er
mit seinen Worten hat sagen wollen und ob er mit ihnen genau das wiedergegeben hat, was
er zum Ausdruck bringen wollte (BGH, Urteil v. 07.10.1992 - IV ZR 160/91,
m.w.N.). Maßgeblich ist insoweit allein sein subjektives Verständnis der von ihm verwendeten
Begriffe (BGH, Urteil v. 28.01.1987 - IVa ZR 191/85,
Weidlich, BGB, 2022, § 2084 Rn. 1). Zur Ermittlung des Inhalts der testamentarischen
Verfügungen ist der gesamte Inhalt der Testamentsurkunde einschließlich aller Nebenumstände,
auch solcher außerhalb des Testaments, heranzuziehen und zu würdigen (BGH, Urteil
v. 07.10.1992 - IV ZR 160/91,
auch nach der Errichtung des Testamentes liegen. Dazu gehört das gesamte Verhalten des
Erblassers, seine Äußerungen und Handlungen (Grüneberg/Weidlich, a.a.O.,
2 m.w.N.), jedoch müssen sich mit Blick auf die Formerfordernisse des
entsprechenden Willen des Erblassers in der letztwilligen Verfügung - wenn auch nur andeutungsweise
- Anhaltspunkte finden lassen (vgl. BGH, Beschluss v. 09.04.1981 - IVa ZB 4/80,
Grüneberg/Weidlich, a.a.O., § 2084 Rn. 4). Da es sich um eine gemeinschaftliche letztwillige
Verfügung handelt ist zudem auf den übereinstimmenden Willen der Ehegatten abzustellen.
Dabei ist gemäß
Verfügung Erfolg haben kann, wenn der Inhalt einer letztwilligen Verfügung verschiedene
Auslegungen zulässt. Der Umstand, dass es sich bei dem gemeinschaftlichen Testament um
eine notarielle Urkunde handelt, steht der Auslegung nicht entgegen (Grüneberg/Weidlich,
BGB, § 2023, § 2084 Rn. 2).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist das gemeinschaftliche Testament dahingehend
auszulegen, dass die Ehegatten mit den jeweiligen Erbeinsetzungen gemäß der §§ 1 und 2
ihre Erbfolge abschließend regeln wollten und dies unabhängig davon, wer von ihnen als erster
und wer als zweiter versterben sollte. Dabei war die Erbfolge darauf gerichtet, dass das
überwiegend gemeinschaftliche Vermögen nach dem Tod des Letztversterbenden auf den
Sohn und die Enkel übergehen sollte.
Es handelt sich bei der Gestaltung der Erbfolge allerdings nicht um den häufig anzutreffenden
Fall eines sog. „Berliner Testaments“, in dem sich die Ehegatten gegenseitig als Alleinerben
und sodann als Schlusserben ihre Kinder - oder wie vorliegend auch Enkel - einsetzen. Vielmehr
haben die Ehegatten bereits beim ersten Erbfall eine anteilige Berücksichtigung ihrer
gesetzlichen Erben vorgesehen. Es geht daher auch nicht um die Frage, ob die Ehegatten in
dem Testament etwa stillschweigend Schlusserben eingesetzt hätten.
Ausgehend von den Teilungsanordnungen einerseits und der Regelung in § 3 andererseits
kam es den Ehegatten allerdings darauf an, dass das Betriebsgrundstück in einer Hand vereinigt
wird und der Betrieb in Familienbesitz verbleiben solle, wobei ab Vollendung des 25. Lebensjahres
beider Enkel gemeinsame Entscheidungen getroffen werden sollten. Daher war
der gemeinsame Wille erkennbar darauf gerichtet, dass mit dem Testament die Zusammenführung
des jeweiligen, insbesondere des überwiegend in hälftigem Miteigentum stehenden
Grundbesitzes nach dem Tod des Letztversterbenden auf den Sohn aber auch auf die Enkel
als Erbengemeinschaft übergeht. Hierfür spricht auch die Regelung in § 4 des gemeinschaftlichen
Testaments, der dieses Ergebnis auch für den Fall des gleichzeitigen Versterbens vorsieht.
Dieses Ergebnis wird bei Anwendung der Erbfolgeregelung nach dem notariellen Testament
herbeigeführt, unabhängig davon, welcher der Ehegatten zuerst verstirbt. Bei Tod des Erstversterbenden
findet die entsprechende Erbeinsetzung Anwendung mit der Folge, dass eine
Erbengemeinschaft bestehend aus dem überlebenden Ehegatten, dem Sohn und der Enkel
entstanden ist. Nach dem Tod des Zweitversterbenden richtet sich die Erbfolge nach dessen
Erbeinsetzung. Da der - denknotwendig - vorverstorbene Ehegatte dann nicht mehr Erbe
werden kann, weil dieser weggefallen ist, wird dem jeweiligen Erblasserwillen dadurch Rechnung
getragen, dass der Erbteil den übrigen Miterben anwächst.
Ausgehend von diesem Verständnis kann die Erbfolge nach der Erblasserin unmittelbar auf
ihre Verfügungen in § 2 gestützt werden. Diese entsprechen dem gemeinschaftlichen Willen,
dass das Vermögen nach dem Tod des Längstlebenden auf die in dem gemeinschaftlichen
Testament bereits als Erben vorgesehene Abkömmlinge, den gemeinschaftlichen Sohn und
die Enkelkinder, übergeht. Der Eintritt der Anwachsung entsprach daher auch dem in dem
Testament zum Ausdruck gekommenen gemeinschaftlichen Willen der testierenden Ehegatten,
da durch diese die testamentarischen Verfügungen auch für den Fall des Letztversterbens
Erfolg haben (
Entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 1) in dem Schriftsatz vom 06.03.2023 handelt es
sich bei diesem Ergebnis nicht um eine Auslegung entgegen des ausdrücklichen Wortlauts.
Der Wortlaut deckt die Erbeinsetzung aufgrund Anwachsung vielmehr ab. Die Erbeinsetzung
der Erblasserin in § 2 enthält nach dem Wortlaut schon keine Begrenzung auf einen etwaigen
„ersten“ Erbfall. § 2 regelt die Erbfolge nach der Erblasserin, ohne dass sich eine Einschränkung
ergibt. Der Wortlaut des Testaments spricht nicht gegen die Auslegung des Senats, sondern
deckt diese ab.
Dass die Ehegatten, die ausweislich der Regelung in § 3 konkrete Vorstellungen für eine Zusammenführung
ihres Vermögens für den Sohn und die Enkel entwickelt hatten, mit dem
ausführlichen notariellen Testament lediglich den ersten Erbfall hätten regeln wollen, bleibt
fernliegend. Insbesondere enthält § 3 entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 1) eine
erbrechtliche Bindung insoweit, als dieser die Auflage enthält, den Betrieb und das Betriebsgrundstück
im Familienbesitz zu erhalten. Diese Auflage endet auch nicht etwa mit der Vollendung
des 25. Lebensjahres der Enkel. Vielmehr ergibt sich aus § 3, dass sodann mit den
Enkeln eine einvernehmliche Regelung zu erzielen ist. Die Regelung in § 3 enthält somit einen
deutlichen Anknüpfungspunkt für die Willensrichtung der Ehegatten bei Testamentserrichtung,
die nur dann zu verwirklichen ist, wenn das gemeinschaftliche Testament die Erbfolge
nach ihrem jeweiligen Tod abschließend regelt.
b) In § 2 b) hat die Erblasserin den Beteiligten zu 2) als Miterben zu 15 % eingesetzt. An
diese Erbeinsetzung war die Erblasserin nach dem Tod des Ehemannes gemäß § 2271 Abs. 2
S.1 BGB gebunden, da diese ausgehend von dem Regelungskonzept des gemeinschaftlichen
Testaments bereits aufgrund individueller Auslegung als wechselbezüglich i.S.d. § 2270
Abs. 1 BGB anzusehen ist.
Nach
wechselbezüglich, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen Ehegatten
nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden wäre, oder anders ausgedrückt,
wenn jede der beiden Verfügungen mit Rücksicht auf die andere getroffen ist und nach dem
Willen der Erblasser mit ihr stehen und fallen soll (vgl. OLG Frankfurt,
1575; OLG München, Beschluss vom 07.12.2017 - 31 Wx 337/17; Grüneberg/Weidlich, BGB,
82. Aufl. 2023, § 2270 Rn. 1). Dabei muss die Wechselbezüglichkeit für jede einzelne Verfügung
des gemeinschaftlichen Testaments gesondert geprüft werden (vgl. BGH NJW-RR 1987,
1410; BayObLG
Ob zwischen Verfügungen von Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament der in
nach dem durch Auslegung zu ermittelnden übereinstimmenden Willen der Ehegatten zum
Zeitpunkt der Testamentserrichtung (vgl. OLG Frankfurt,
Weidlich, aaO, § 2270 Rn 2). Die in
greift erst bei einem nicht eindeutigen Auslegungsergebnis.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist ausgehend von dem dargelegten gemeinschaftlichen
Willen der testierenden Ehegatten, dass das gemeinschaftliche Vermögen letztlich in
der Hand des Sohnes und der Enkel zusammengeführt werden soll, die jeweils gegenseitige -
anteilige - Erbeinsetzung auch im Verhältnis zu der jeweiligen - anteiligen - Erbeinsetzung
des Sohnes und der Enkel als wechselbezüglich anzusehen. Dies gilt insbesondere für die Erbeinsetzung
des Sohnes verbunden mit der entsprechenden Teilungsanordnung, dass diesem
der jeweils im hälftigen Miteigentum stehende Anteil am Betriebsgrundstück zugewiesen
wurde. Nichts anderes kann dann aber bei verständiger Würdigung für den Enkeln zugewiesenen
Erbteil angenommen werden, der ebenfalls Grundbesitz umfasst hat. Bei diesem Verständnis
erfolgt auch gerade keine Zersplitterung der Eigentumsverhältnisse, wie von dem
Beteiligten zu 1) in dem Schriftsatz vom 06.03.2023 auf Seite 7 angeführt. Vielmehr wäre -
wenn man der Auffassung des Beteiligten zu 1) folgen würde - eine Zersplitterung hinsichtlich
des Firmengrundstücks dann möglich gewesen, wenn die Erblasserin zuerst verstorben
wäre und der Ehemann anderweitig hätte verfügen können.
Dass das Testament - wenn auch seiner Auffassung nach nur teilweise - wechselbezügliche
Verfügungen enthält, war von dem Beteiligten zu 1) mit der Beschwerde nicht in Zweifel gezogen
worden. Er hat vielmehr in der Beschwerdeschrift auf Seite 1 und 2 ausdrücklich ausgeführt,
dass solche für den ersten Erbfall - jedenfalls im Verhältnis der Ehegatten zueinander
- anzunehmen seien. Nichts anderes wurde in dem Hinweis der Berichterstatterin vom
08.02.2023 zum Ausdruck gebracht, so dass die Ausführungen auf Seite 6 oben des Schriftsatzes
vom 06.03.2023 nicht nachvollzogen werden konnten. Soweit im folgenden wieder mit
der Erforderlichkeit einer unterschiedlichen Beurteilung des „ersten“ und „zweiten“ Erbfalles
argumentiert wird, so greift dieser Einwand ausgehend von der gewählten Konstruktion des
Testaments, die für den jeweiligen Erbfall bis auf den denknotwendig erfolgenden Eintritt der
Anwachsung keine Differenzierung enthält, nicht durch.
Dass die Ehegatten eine Wechselbezüglichkeit hinsichtlich der Einsetzung der Enkel zum Zeitpunkt
der Testamentserrichtung nicht gewollt hätten, kann hingegen auch unter Berücksichtigung
der von dem Beteiligten als schwierig dargestellten Persönlichkeiten beider Enkel nicht
festgestellt werden. Der Beteiligte zu 1) hat erstinstanzlich vorgetragen, dass er hinsichtlich
des im Jahr 1990 geborenen Beteiligten zu 2) schon seit dessen 8. Lebensjahr um eine Diagnose
bemüht war. Schwierigkeiten waren daher bei der Testamentserrichtung im Jahr 2004
bekannt, auch wenn eine Diagnose erst im Jahr 2005 erfolgt sein soll. Hinsichtlich des vorverstorbenen
Bruders X hat der Beteiligte zu 1) dargelegt, dass dieser zeitweise bei seinen
Eltern gelebt hätte und es zu Problemen gekommen sei. Obwohl nach den Angaben des Beteiligten
zu 1) in dem Erbscheinsantrag vom 19.05.2022 seine Eltern in diesen Situationen
Angst vor ihrem Enkel gehabt hatten, haben sie dieses - unabhängig von der konkreten zeitlichen
Einordnung der Vorfälle - nicht zum Anlass genommen, X nicht bzw. nicht mehr als Erben
zu berücksichtigen.
Jedenfalls würde sich die Wechselbezüglichkeit der Erbeinsetzung in § 2b) aus § 2270 Abs. 2
BGB ergeben.
Daher ist der Beteiligte zu 2) gemäß § 2 b) des gemeinschaftlichen Testaments mindestens
Miterbe nach der Erblasserin zu 15 % geworden, so dass die Beschwerde bereits aus diesem
Grund zurückzuweisen war.
c) Nach Auffassung des Senats ist der Beteiligte zu 2) zudem Miterbe zu 43 % geworden.
Denn dieser nimmt an der Anwachsung der Erbteile seines verstorbenen Bruders und Großvaters
teil. An die sich aus der Anwachsung ergebende Vergrößerung des Erbteils war die
Erblasserin auch gebunden.
Ob und in welchen Fällen ein bei Eintritt der Anwachsung sich vergrößernder Erbteil als eine
auf einer wechselbezüglichen Verfügung beruhende Erbeinsetzung anzusehen ist, welche für
den überlebenden Ehegatten bei einem gemeinschaftlichen Testament bindend wird, ist in
der Literatur und Rechtsprechung umstritten. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob in diesem
Fall die Wechselbezüglichkeit auch aufgrund der Regelung in
werden kann.
aa) Hinsichtlich der für den Erbteil des vorverstorbenen Ehegatten im Testament angelegten
Erhöhung des Erbteils durch Anwachsung ist die Wechselbezüglichkeit bereits aufgrund individueller
Auslegung anzunehmen.
Ausgehend von der herrschenden Meinung, der sich der Senat anschließt, wird der durch Anwachsung
vergrößerte Erbteil jedenfalls dann von der Wechselbezüglichkeit erfasst, wenn
diese nicht ausschließlich aufgrund des
24.04.2017 - 1 W 642/17, juris Rn. 20-22; OLG Hamm, Beschluss vom 28.01.2015 - 15 W
503/14, juris Rn. 27,30; Burandt/Rojahn/ Czubayko, 4. Aufl. 2022, BGB, § 2094, Rn. 8;
BeckOGK/Gierl, Stand 01.12.2022, 3 2094 Rn. 43; Keim ZEV 2019,683,684, Litzenburger,
FD-
Dass die Ehegatten für den Fall ihres Nachversterbens die Erbeinsetzungen in den §§ 1 und 2
jeweils dahingehend verstanden wissen wollten, dass der Erbteil des vorverstorbenen Ehegatten
den übrigen Miterben anwachsen sollte, ist bereits dargelegt worden. In diesem Fall
beruht die Zuweisung des Erbteils des vorverstorbenen Ehegatten schon nicht allein auf der
gesetzlichen Regelung in
Ausdruck gebrachten Willen der Ehegatten. Hiervon ausgehend ergibt bereits die individuelle
Auslegung, dass die Ehegatten für diesen Fall auch die Wechselbezüglichkeit dieser sich mit
einer erhöhten Erbquote ergebenden Erbeinsetzung gewollt haben, wofür wiederum die Regelung
in § 3 herangezogen werden kann. Den Ehegatten kam es erkennbar darauf an, ihr
gemeinschaftliches Vermögen zusammenzuführen und im Ergebnis dem Sohn und den Enkeln
zukommen zu lassen. Eine wesentliche Besserstellung sollte dabei dem Sohn nach den
Regelungen in §§ 1,2 - aber auch etwa unter Berücksichtigung des § 4 - schon nicht zukommen.
Dass bei einem entsprechenden, feststellbaren Willen der Erblasser auch der sich durch
Anwachsung vergrößernde Erbteil an der Wechselbezüglichkeit der Erbeinsetzung teilnehmen
kann, wird von der überwiegenden Auffassung in Literatur und Rechtsprechung nicht ernsthaft
in Zweifel gezogen (OLG Nürnberg, Beschluss vom 24.04.2017 - 1 W 642/17, juris Rn.
20-22; Burandt/Rojahn/ Czubayko, 4. Aufl. 2022, BGB, § 2094, Rn. 8; BeckOGK/Gierl, Stand
01.12.2022, 3 2094 Rn. 43; Keim ZEV 2019,683,684, Litzenburger, FD-
Etwas anderes lässt sich auch der - insoweit bereits nicht tragenden - Begründung der Entscheidung
des OLG München vom 05.11.2020 (31 Wx 415/17) nicht entnehmen, da diese
sich mit der - ausschließlich - auf
bb) Aber auch hinsichtlich der aufgrund des Vorversterbens des Enkels X eingetretenen Anwachsung,
die gemäß § 2094 Abs. 1 S.2 BGB allein dem Beteiligten zu 2) zufällt, ist eine
Wechselbezüglichkeit gemäß
betreffend dieser 15 % nicht mehr - durch Zuweisung an den Beteiligten zu 1) - abweichend
verfügen konnte.
Für den Fall, dass die Anwachsung nicht aufgrund einer entsprechenden Verfügung in dem
Testament, etwa im Falle der Verwirklichung einer Pflichtteilsstrafklausel, beruht, hat das OLG
München allerdings in Frage gestellt, ob die infolge Wegfalls eines Bedachten nach § 2094
BGB eintretende Anwachsung sich als vertragsmäßige Verfügung i.S.d.
und insoweit einer Bindungswirkung unterliegen kann (OLG München, Beschluss vom
05.11.2020 - 31 Wx 415/17, juris Rn. 12,13 für einen Erbvertrag).
Der Senat teilt diese Bedenken nicht, sondern schließt sich der Auffassung des Oberlandesgericht
Nürnberg (aaO) an, dass die Wirkungen der Anwachsung grundsätzlich von der Wechselbezüglichkeit
umfasst sind.
Zwar ist dem OLG München im Ausgangspunkt zuzugeben, dass es sich bei dem Eintritt der
Anwachsung gemäß § 2094 nicht um eine Verfügung i.S.d
die Anwachsung als solche damit auch nicht wechselbezüglich im Sinne des § 2270 Abs. 1
BGB sein kann. Zutreffend ist ebenfalls, dass die Anwachsung als solche nicht angeordnet,
sondern gemäß
nicht an, da maßgeblich die Erbeinsetzung des bzw. der verbleibenden Miterben ist, hinsichtlich
der die Wechselbezüglichkeit festzustellen ist. Die Anwachsung betrifft die Erhöhung
des bereist zugewiesenen Erbteils, die kraft Gesetz eintritt. Sie setzt die Einsetzung mehrerer
Erben voraus und beruht damit auf einer gewillkürten Erbeinsetzung (OLG Nürnberg, aaO,
Keim, aaO). Dabei ist der anwachsende Erbteil als solcher rechtlich nicht selbständig. Er kann
gemäß
(BeckOGK/Gierl, aaO, Rn. 43; Burandt/Rojahn, aaO, Rn. 7). Der vergrößerte Erbteil wird lediglich
in Ausnahmefällen als selbständiger Teil fingiert. Hieraus kann aber nicht der Umkehrschluss
gezogen werden, dass der Erbteil hinsichtlich der Frage der Wechselbezüglichkeit der
Erbeinsetzung in einen unmittelbar zugewiesenen sowie in einen durch Anwachsung erhöhten
Erbteil getrennt werden könnte (vgl. hierzu Keim, aaO).
Soweit das Oberlandesgericht München den Einwand der Einheitlichkeit des Erbteils unter
Hinweis auf die begrenzte Wirkung der Unwirksamkeit i.S.d. § 2289 Abs. 1 S.2 BGB, die nur
Teile einer letztwilligen Verfügung erfassen kann („soweit“), als nicht durchgreifend erachtet
(in diesem Sinne auch Braun,
Denn auch der Umfang der Beeinträchtigung lässt sich nur ausgehend von dem als Erbeinsetzung
zu beurteilenden erhöhten Erbteil einschließlich des rechtlich gerade nicht selbständig
zu beurteilenden, angewachsenen Anteils feststellen. Macht der Erblasser nicht von der Möglichkeit
Gebrauch, die Anwachsung auszuschließen oder einen Ersatzerben einzusetzen, liegt
eine Erbeinsetzung vor, wie sie sich nach den gesetzlichen Regelungen, mithin unter Einbeziehung
des durch Gesetz erhöhten Erbteils, ergibt (OLG Nürnberg, aaO, juris Rn. 25). Es
handelt sich daher auch nicht um zwei teilbare Erbeinsetzungen, die zu unterschiedlich zu
beurteilenden Beeinträchtigungen führen.
Dann bestehen aber keine durchgreifenden Bedenken, die Bindungswirkung auch dann anzunehmen,
wenn die Wechselbezüglichkeit nicht bereits aufgrund individueller Auslegung des
Testaments sondern aufgrund der Auslegungsregelung in
kommt. Zutreffend weist das Oberlandesgericht Nürnberg darauf hin, dass eine Vergleichbarkeit
mit der vom Bundesgerichtshof in dem Beschluss vom 16.01.2002 (IV ZB 20/01) entschiedenen
Frage zur Nichtanwendbarkeit von
auf
Anwachsung haben die Testierenden eine die gesetzliche Erbfolge ausschließende gewillkürte
Erbfolge für bestimmte Personen bereits vorgesehen. Anders als im Fall der auf
gestützten Ersatzerbeneinsetzung der gesetzlichen Erben wird in diesem Fall nicht eine möglicherweise
andere Person sondern die im Testament bereits als begünstigt vorgesehene Person
geschützt. Auch der Bundesgerichtshof stützt seine Entscheidung maßgeblich darauf,
dass
Personen als Erben im gemeinschaftlichen Testament anknüpfe (BGH aaO, juris Rn.
17).
Entgegen der Auffassung von Braun (aaO) führt dies auch nicht zu Wertungswidersprüchen
für den Fall, dass der vorversterbende Miterbe Abkömmlinge hat. Zwar kann dies für den Fall,
dass eine Ersatzerbeneinsetzung der Abkömmlinge sich nicht im Wege der individuellen Auslegung
sondern nur gestützt auf § 2069 ergeben würde, dazu führen, dass hinsichtlich dieser
Erbeinsetzung dann keine Wechselbezüglichkeit mehr vorliegen würde. Dann würde wegen
des Vorranges der Ersatzerbeneinsetzung die Anwachsung nicht eingreifen und der überlebende
Ehegatte wäre insoweit nicht mehr gebunden. Dieses Argument führt jedoch nicht zu
einer anderen Betrachtungsweise. So hängt es bereits von den jeweils im konkreten Fall zu
beachtenden Umständen ab, ob überhaupt ein Wertungswiderspruch vorliegen würde. Etwaige
- theoretisch denkbare - Widersprüche dürften sich zudem in der Regel bereits im Rahmen
der gebotenen Auslegung auflösen lassen (vgl. hierzu Keim,
Für die Entscheidung dieses Verfahrens kommt es hierauf jedoch schon nicht an. Insoweit
war ein weiterer Hinweis bzw. die Gelegenheit zur ergänzenden Stellungnahme zu dieser Frage,
wie auf Seite 9 des Schriftsatzes vom 06.03.2023 erbeten, nicht veranlasst.
cc) Hieraus ergibt sich eine Erbquote für den Beteiligten zu 1) in Höhe von 57 % und für den
Beteiligten zu 2) in Höhe von 43 %.
d) Ergänzend wird für ein weiteres Erbscheinsverfahren noch darauf hingewiesen, dass die in
§ 3 angeordnete Testamentsvollstreckung hinfällig geworden ist, nachdem der Beteiligte zu
2) das 25. Lebensjahr vollendet hat. Die Anordnung ist bei verständiger Würdigung dahingehend
auszulegen, dass diese nur bis zum Erreichen des 25. Lebensjahres gelten sollte. Da
der Beteiligte zu 2) mittlerweile unter rechtlicher Betreuung steht, würde sich auch im Rahmen
einer etwaigen ergänzenden Auslegung kein anderes Ergebnis ergeben.
Auf die in dem Schriftsatz vom 06.03.2023 geäußerte Auffassung des Beteiligten zu 1), es
habe schon keine Anordnung einer Testamentsvollstreckung vorgelegen, kommt es daher
ebenfalls nicht mehr an. Im Übrigen bestehen ausgehend von der ausdrücklichen Anordnung
in § 3 unter Benennung des Beteiligten zu 1) als Testamentsvollstrecker keine ernsthaften
Zweifel an dem Willen der Erblasser, Testamentsvollstreckung anzuordnen. Entsprechend hat
der Beteiligte zu 1) die Anordnung auch nach dem Tod des Ehemannes der Erblasserin verstanden,
als er das Amt des Testamentsvollstreckers angenommen und die Erteilung einer
entsprechenden Bescheinigung beantragt und erhalten hat.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf
abzuweichen sind weder ersichtlich noch dargetan.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach
nicht vor. Die Frage, ob, in welchen Fällen und ggf. in welchem Umfang ein durch Anwachsung
erhöhter Erbteil als wechselbezüglich anzusehen ist, war für die Entscheidung des Verfahrens
nicht erheblich. Folglich ist kein ordentliches Rechtsmittel gegen die Entscheidung
des Senats gegeben.
Die Festsetzung des Geschäftswerts folgt aus
Abs. 1 GNotKG nach dem Wert der Interessen, denen das Rechtsmittel ausweislich des Antrags
des Beschwerdeführers dient. Mit der Beschwerde verfolgt der Beteiligte zu 1) sein Ziel,
einen Alleinerbschein zu erhalten, weiter. Damit ist für den Geschäftswert auch des Beschwerdeverfahrens
die spezielle Regelung betreffend der Verfahren zur Erteilung eines Erbscheins
in
im Zeitpunkt des Erbfalls ist, von dem nur die vom Erblasser herrührenden Verbindlichkeiten
abgezogen werden. Den Wert des Nachlasses schätzt der Senat, wie in dem Hinweis
vom 08.02.2023 ausgeführt, auf ca. 300.000,- €. Weitere Darlegungen zum Wert des
Nachlasses sind auf den Hinweis nicht erfolgt. Hieraus ergibt sich die Festsetzung bis zur
nächsten Wertstufe gemäß der Anlage 2 zum GNotKG.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Frankfurt a. Main
Erscheinungsdatum:06.04.2023
Aktenzeichen:21 W 3/23
Rechtsgebiete:
Erbvertrag
Gemeinschaftliches Testament
Annahme und Ausschlagung der Erbschaft
Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Kostenrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Testamentsform
BGB §§ 2094, 2270