BGH 27. November 2020
V ZR 121/19
BGB §§ 823 Abs. 2, 906 Abs. 1 S. 2 u. 3, 1004 Abs. 1 S. 1; BauGB §§ 34 Abs. 1, 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 3

Unterlassungsanspruch des Nachbarn bei Verletzung nachbarschützender Vorschriften

letzte Aktualisierung: 26.5.2021
BGH, Urt. v. 27.11.2020 – V ZR 121/19

BGB §§ 823 Abs. 2, 906 Abs. 1 S. 2 u. 3, 1004 Abs. 1 S. 1; BauGB §§ 34 Abs. 1, 35 Abs. 3 S. 1
Nr. 3
Unterlassungsanspruch des Nachbarn bei Verletzung nachbarschützender Vorschriften

a) Das Gebot der Rücksichtnahme zählt zu den nachbarschützenden Normen des öffentlichen
Baurechts, deren Verletzung einen (quasinegatorischen) verschuldensunabhängigen
Unterlassungsanspruch des Nachbarn gemäß § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB analog i. V. m § 823 Abs. 2
BGB begründen kann.
b) Weist das Verwaltungsgericht die auf die Verpflichtung der Behörde zur Erteilung einer
Baugenehmigung gerichtete Klage mit der tragenden Begründung ab, dass das Bauvorhaben
materiell baurechtswidrig ist, weil es gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt, steht dieser
Verstoß für einen nachfolgenden Zivilprozess unter denselben Beteiligten bzw. Parteien bindend
fest.

Entscheidungsgründe:

I.
Das Berufungsgericht meint, die Klägerin habe aus § 1004 Abs. 1 Satz 2
i.V.m. § 906 BGB einen Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte zu 1. Das
Grundstück der Klägerin werde durch die Lärmimmissionen, die von den in dem
Offenstall gehaltenen Pferden ausgingen, nicht nur unwesentlich beeinträchtigt.
Die Klägerin habe ausführlich vorgetragen, dass die Pferde nachts durch Klopfen
gegen die Wände und im Rahmen der Fütterung am frühen Morgen und abends
aus Ungeduld ebenfalls mit Klopfen und Geräuschen reagieren und dass Gleiches
beim Tausch von Pferden in den Boxen gelte, was zu Rangkämpfen und
damit verbundenem Wiehern und Klopfen führe. Die Nutzung des Stalls könne
auch nicht als ortsüblich angesehen werden, da es an der notwendigen behördlichen
Genehmigung fehle. Auch wenn die Beklagte zu 1 den Stall seit dem Jahre
2016 nicht mehr zum Einstellen von Pferden nutze, folge die Wiederholungsgefahr
aus der Haltung von Pferden in dem Offenstall in der Vergangenheit, für die
zu keinem Zeitpunkt eine Genehmigung bestanden habe.

Der Anspruch sei aber sachlich dahingehend einzuschränken, dass die
Klägerin von der Beklagten zu 1 nicht verlangen könne, die Pferdehaltung in dem
Offenstall zu unterlassen, sondern nur, die von den Pferden ausgehende Lärmbelästigung
zu vermeiden. Der Beklagten zu 1 sei zu überlassen, wie sie die Beeinträchtigung
der Klägerin auf ein zumutbares Maß senke, etwa durch das Polstern
der Boxenwände, den Einbau eines dämpfenden Belages oder durch andere
Maßnahmen. Dass sie den Stall nach öffentlichem Recht ohnehin nicht mehr zum
Einstellen von Pferden nutzen dürfe, sei ohne Belang. Um einen objektivierbaren
Maßstab zu erhalten, sei auf die Unterlassung von Beeinträchtigungen zu erkennen,
die die Immissionsrichtwerte nach Ziffer 6 der derzeit geltenden TA Lärm
überschreiten.

Ein uneingeschränkter Anspruch auf Unterlassung der Pferdehaltung in
dem Offenstall folge auch nicht aus § 1004 i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB und öffentlich-
rechtlichen Vorschriften. Durch den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts
stehe nicht mit Bindungswirkung für den Zivilprozess fest, dass die öffentlichrechtliche
Schutznorm des Rücksichtnahmegebots zu Lasten der Klägerin verletzt
worden sei. In Rechtskraft sei vielmehr allein die Feststellung erwachsen,
dass die hiesige Beklagte für den Offenstall keine Baugenehmigung erlangen
könne, nicht aber, dass von dem Stall ausgehende Lärmimmissionen auf das
Grundstück der Klägerin einwirkten.

Gegen die Beklagte zu 2 habe die Klägerin keinen Unterlassungsanspruch,
da nicht feststehe, dass diese Störerin sei. Es fehle schon an schlüssigem
Vortrag der Klägerin dazu, dass die Beklagte zu 2 den Offenstall mit ihren
Pferden nutze. Die von der Klägerin vorgelegten Fotos und angebotenen Zeugen
belegten nur, dass weiterhin Pferde in dem Offenstall gehalten würden, nicht
aber, dass diese der Beklagten zu 2 zuzuordnen seien. Selbst wenn es für Außenstehende
nicht möglich sein sollte, die Pferde der Beklagten zu 1 oder der
Beklagten zu 2 zuzuordnen, und dieser Umstand eine sekundäre Darlegungslast
begründe, sei die Beklagte zu 2 dieser nachgekommen. Sie habe vorgetragen,
dass sie den Innenhof des Grundstücks gemietet und daher keinen Bedarf an der
Nutzung des Offenstalls habe.

II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Rechtsfehlerhaft ist zunächst die Verurteilung der Beklagten zu 1 (nur)
zur Einhaltung der Richtwerte der TA Lärm. Da das Berufungsgericht davon ausgeht,
dass ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 1 aus § 1004 Abs. 1
Satz 2 i.V.m. § 906 BGB bereits aufgrund der Art der von den Pferden in dem
Offenstall ausgehenden Geräusche besteht, also unabhängig davon, ob diese
die Immissionsrichtwerte nach der TA Lärm überschreiten, durfte es die Beklagte
zu 1 nicht (nur) zur Einhaltung dieser Richtwerte verurteilen.

a) Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus,
dass die Einhaltung der einschlägigen Richtwerte der TA Lärm nach § 906 Abs. 1
Sätze 2 und 3 BGB die Unwesentlichkeit einer Lärmbeeinträchtigung indiziert
(vgl. Senat, Urteil vom 6. Juli 2001 - V ZR 246/00, BGHZ 148, 261, 264 f.), während
die Überschreitung der Richtwerte die Wesentlichkeit der Beeinträchtigung
indiziert (vgl. Senat, Urteil vom 13. Dezember 2019 - V ZR 152/18, ZfIR 2020,
338 Rn. 34). Die Grenze der im Einzelfall zumutbaren Geräuschbelästigung kann
aber nicht mathematisch exakt, sondern nur aufgrund wertender Beurteilung festgesetzt
werden. Wann eine wesentliche Beeinträchtigung vorliegt, beurteilt sich
nach dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen und dem, was
diesem unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange zuzumuten
ist. Von der indiziellen Bedeutung der Richtwertüberschreitung nach § 906 Abs. 1
Satz 2 und 3 BGB ist deshalb abzuweichen, wenn besondere Umstände des Einzelfalls
dies gebieten (vgl. Senat, Urteil vom 6. Juli 2001 - V ZR 246/00, aaO;
Urteil vom 13. Dezember 2019 - V ZR 152/18, aaO, jeweils mwN). Deshalb kann
eine von dem Nachbarn nicht hinzunehmende wesentliche Beeinträchtigung
auch bei Einhaltung der einschlägigen Richtwerte vorliegen. Denn die Lästigkeit
eines Geräuschs, die rechtlich für das Immissionsrecht entscheidend ist, hängt
nicht allein von Messwerten (zumal von Mittelungspegeln), sondern von einer
Reihe anderer Umstände ab, für die es auf das eigene Empfinden des Tatrichters
ankommt (vgl. Senat, Urteil vom 29. Juni 1966 - V ZR 91/65, BGHZ 46, 35, 38;
Urteil vom 8. Mai 1992 - V ZR 89/91, NJW 1992, 2019).

Mit diesen Grundsätzen ist die Würdigung des Berufungsgerichts prinzipiell
vereinbar, die von den Pferden in dem Offenstall auf das Grundstück der Klägerin
einwirkenden Lärmimmissionen seien als wesentliche Beeinträchtigung
i.S.v. § 906 Abs. 1 BGB anzusehen. Wenn es sich bei dem Klopfen an die Wände
der Boxen und beim Wiehern der Pferde, wie das Berufungsgericht annimmt,
nicht um gleichmäßige Hintergrundgeräusche, sondern um Lärm mit unterschiedlicher
Frequenz handelt, der Spitzen von solcher Intensität erreicht, dass ein
Hochschrecken aus dem Schlaf die notwendige Folge ist, verbunden mit der Erschwernis,
wieder in den Schlaf zu finden, dann kann dies gebieten, nicht allein
auf die Richtwerte der TA Lärm abzustellen.

b) Das Berufungsgericht durfte im Hinblick auf diese Würdigung den Unterlassungsanspruch
der Klägerin aber nicht wie geschehen beschränken. Der
Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 906 BGB ist darauf gerichtet,
die konkrete Lärmbeeinträchtigung zu unterlassen bzw. auf ein Maß zurückzuführen,
das nicht mehr als wesentliche Beeinträchtigung anzusehen ist. Nimmt
der Tatrichter die Wesentlichkeit der Beeinträchtigung unabhängig von der Einhaltung
oder Überschreitung der Richtwerte der TA Lärm im Hinblick auf die Eigenart
der Geräusche an, kann die Verurteilung folglich nicht auf die Einhaltung
dieser Richtwerte beschränkt werden, sondern muss in dem Tenor zum Ausdruck
kommen, welche konkreten Lärmbelästigungen zu vermeiden sind. Denn selbst
bei Einhaltung der Richtwerte kann eine wesentliche Beeinträchtigung vorliegen,
die der Nachbar nicht hinnehmen muss (vgl. zu einer Ausnahme bei herangerückter
Bebauung Senat, Urteil vom 6. Juli 2001 - V ZR 246/00, BGHZ 148, 261,
269).

c) Daraus folgt allerdings noch nicht, dass die Klägerin gegen die Beklagte
zu 1 einen auf § 1004 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 906 BGB gestützten Anspruch auf
Unterlassung der Pferdehaltung in dem Offenstall hat. Das wäre nur der Fall,
wenn feststünde, dass die Beklagte zu 1 die durch das Wiehern der Pferde und
das Klopfen an die Wände der Boxen verursachte Lärmbelästigung der Klägerin
nicht anders abstellen oder auf ein zumutbares und von ihr zu duldendes Maß
zurückführen kann (vgl. Senat, Urteil vom 20. September 2019 - V ZR 218/18,
BGHZ 223, 155 Rn. 6 mwN). Hiervon ist nicht auszugehen, denn das Berufungs-
gericht hält es nicht für von vornherein ausgeschlossen, dass die Beeinträchtigungen
durch bestimmte Maßnahmen, wie etwa ein Polstern der Boxenwände,
auf ein der Klägerin zumutbares Maß zurückgeführt werden können. Allerdings
beruht diese Annahme auf der fehlerhaften Prämisse, dass mit der Einhaltung
der Richtwerte der TA Lärm ein zumutbares Maß der Beeinträchtigungen erreicht
sei. Weiterer Feststellungen hierzu bedarf es aber nicht, denn die Klägerin hat
aus einem anderem Rechtsgrund einen Anspruch gegen die Beklagte auf Unterlassung
der Pferdehaltung in dem Offenstall.

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat die Klägerin aus
§ 1004 Abs. 1 Satz 1 analog i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB und dem öffentlich-rechtlichen
Gebot der Rücksichtnahme einen Anspruch darauf, dass die Beklagte zu 1
die Haltung von Pferden in dem Offenstall auf ihrem Grundstück unterlässt.

a) Im Ausgangspunkt noch zutreffend geht das Berufungsgericht davon
aus, dass die Klägerin gegen die Beklagte zu 1 einen uneingeschränkten Anspruch
auf Unterlassung hat, wenn die Pferdehaltung in dem Offenstall gegen
das Gebot der Rücksichtnahme verstößt.

aa) Nach der Rechtsprechung des Senats kann die Verletzung nachbarschützender
Vorschriften des öffentlichen Baurechts einen (quasinegatorischen)
verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch des Nachbarn gemäß
§ 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB begründen (vgl. Senat,
Urteil vom 26. Februar 1993 - V ZR 74/92, BGHZ 122, 1, 6 ff.; zum quasinegatorischen
Beseitigungs- und Schadensersatzanspruch Senat, Urteil vom
29. April 2011 - V ZR 174/10, NZM 2013, 244 Rn. 17; Urteil vom 13. Dezember
2019 - V ZR 152/18, ZfIR 2020, 338 Rn. 21 mwN). Zu den nachbarschützenden
Normen des öffentlichen Baurechts zählt das Gebot der Rücksichtnahme
(vgl. Senat, Urteil vom 26. Februar 1993 - V ZR 74/92, aaO S. 4), das in verschiedenen
baurechtlichen Vorschriften eine gesetzliche Ausprägung gefunden hat,
26. Februar 1993 - V ZR 74/92, aaO) oder i
Rn. 11).

bb) Liegt ein solcher Verstoß gegen eine nachbarschützende Norm vor,
bedarf es für den quasinegatorischen Unterlassungsanspruch keiner über die
Verletzung des Schutzgesetzes hinausgehenden Beeinträchtigung des Nachbarn.
Denn Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB verlagern den Schutz
des Nachbarn vor und knüpfen gerade nicht an einen Verletzungserfolg an (vgl.
Senat, Urteil vom 26. Februar 1993 - V ZR 74/92, BGHZ 122, 1, 6; Urteil vom
13. Dezember 2019 - V ZR 152/18, ZfIR 2020, 338 Rn. 28). Insbesondere ist die
Rechtswidrigkeit der Schutzgesetzverletzung im Fall von Immissionen nicht am
Maßstab des § 906 BGB zu messen, weil dadurch die spezifische und abstrakte
Regelungsfunktion der Schutznorm leerliefe (vgl. Senat, Urteil vom 26. Februar
1993 - V ZR 74/92, aaO S. 7). Der quasinegatorische Unterlassungsanspruch
setzt somit nicht voraus, dass eine wesentliche Beeinträchtigung i.S.v.
§ 906 Abs. 1 BGB gegeben ist.

b) Unzutreffend ist aber die Annahme des Berufungsgerichts, ein Verstoß
der Beklagten zu 1 gegen das Rücksichtnahmegebot des öffentlichen Baurechts
liege nicht vor.

aa) Entgegen seiner Auffassung steht durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts
über die auf Erteilung einer Baugenehmigung für den Offenstall
gerichtete Klage der hiesigen Beklagten zu 1 mit Bindungswirkung für den vorliegenden
Rechtsstreit fest, dass die Errichtung und die zweckgemäße Nutzung des
Offenstalls im Verhältnis zu der Klägerin gegen das Gebot der Rücksichtnahme
verstoßen.

(1) Wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt richtig sieht, binden
rechtskräftige Urteile der Verwaltungsgerichte nach § 121 Nr. 1 VwGO die Beteiligten,
soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Zu den Beteiligten
zählen nach § 63 Nr. 3 VwGO die Beigeladenen, hier also die Klägerin, die
in dem Verfahren der Beklagten zu 1 beigeladen war. Die materielle Rechtskraft
des verwaltungsgerichtlichen Urteils bindet auch andere Gerichte, einschließlich
der Zivilgerichte in einem nachfolgenden Zivilprozess (vgl. Senat, Urteil vom
7. Februar 1992 - V ZR 246/90, BGHZ 117, 159, 166; Urteil vom 17. Juni 1994
- V ZR 34/92, NJW-RR 1994, 1272, 1274; BVerwGE 100, 262, 273 f. mwN).

(2) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts beschränkt sich die
Bindungswirkung eines Urteils, mit dem - wie hier - die auf die Verpflichtung der
Behörde zum Erlass einer Baugenehmigung gerichtete Klage abgewiesen wird,
aber nicht auf die Feststellung, dass der Kläger den Erlass der Baugenehmigung
nicht verlangen kann. Vielmehr erwachsen bei einem klageabweisenden Urteil
auch die tragenden Gründe in materielle Rechtskraft, da nur sie Aufschluss darüber
geben, weshalb ein geltend gemachter Anspruch verneint (oder bejaht)
wurde (BVerwGE 131, 346 Rn. 17 f. zu einer Anfechtungsklage; BVerwG, VIZ
1999, 413 zu einer Verpflichtungsklage; vgl. auch Senat, Urteil vom 7. Februar
1992 - V ZR 246/90, BGHZ 117, 159, 166). Die Rechtskraft eines Urteils,
durch das die Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung abgewiesen wurde,
erstreckt sich daher auch auf die Feststellung der materiellen Baurechtswidrigkeit
des Bauwerks (BVerwG, Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 33). Weist das Verwaltungsgericht
die auf die Verpflichtung der Behörde zur Erteilung einer Baugenehmigung
gerichtete Klage mit der - wie hier - tragenden Begründung ab, dass das
Bauvorhaben materiell baurechtswidrig ist, weil es gegen das Gebot der Rücksichtnahme
verstößt, steht folglich dieser Verstoß für einen nachfolgenden Zivilprozess
unter denselben Beteiligten bzw. Parteien bindend fest. Die Nutzung eines
solchen Bauwerks stellt gegenüber dem von dem öffentlich-rechtlichen Gebot
der Rücksichtnahme geschützten Nachbarn zivilrechtlich einen Verstoß gegen
ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB dar, sodass der Nachbar einen
Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog auf Unterlassung der entsprechenden
Nutzung - hier auf Unterlassung der Nutzung des Offenstalls durch das
Einstellen von Pferden - hat.

bb) Im Übrigen gibt die angefochtene Entscheidung Anlass darauf hinzuweisen,
dass das Berufungsgericht bei fehlender Bindungswirkung der verwaltungsgerichtlichen
Entscheidung selbst hätte prüfen müssen, ob die Errichtung
des Offenstalls und das Einstellen von Pferden darin gegenüber der Klägerin gegen
das öffentlich-rechtliche Gebot der Rücksichtnahme verstößt. Hiervon war
es nicht deshalb befreit, weil es sich um eine öffentlich-rechtliche Frage handelt
(vgl. Senat, Urteil vom 7. Februar 1992 - V ZR 246/90, BGHZ 117, 159, 166;
Urteil vom 20. November 1992 - V ZR 82/91, BGHZ 120, 239, 246).

3. Das angefochtene Urteil kann auch insoweit keinen Bestand haben, als
das Berufungsgericht den Unterlassungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte
zu 2 verneint hat. Es wendet hierbei die Grundsätze über die sekundäre
Darlegungs- und Beweislast fehlerhaft an.

a) Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus,
dass die Klägerin den geltend gemachten Unterlassungsanspruch im Verhältnis
zur Beklagten zu 2 allein auf § 1004 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 906 BGB stützen kann,
nicht aber auf § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB, weil
die Beklagte zu 2 weder den Offenstall errichtet hat noch Eigentümerin des
Grundstücks ist, auf dem sich dieser befindet. Richtig ist auch, dass die Klägerin
die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass die Beklagte zu 2 in der Vergangenheit
Pferde in den Offenstall eingestellt hat. Denn nur dann wäre diese
unmittelbare Handlungsstörerin (vgl. zu diesem Begriff Senat, Urteil vom
5. Juli 2019 - V ZR 96/18, ZfIR 2019, 798 Rn. 25), was - da eine Zustandsstörerhaftung
nicht in Betracht kommt - Voraussetzung für den gegen die Beklagte zu 2
geltend gemachten Anspruch ist.

b) Richtigerweise trifft - was das Berufungsgericht offengelassen hat - die
Beklagte zu 2 eine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Behauptung der
Klägerin, sie (die Beklagte zu 2) habe Pferde in den Offenstall eingestellt.

aa) Den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei trifft in der
Regel eine sekundäre Darlegungslast, wenn die primär darlegungsbelastete Partei
keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit
zur weiteren Sachverhaltsaufklärung hat, während dem Prozessgegner nähere
Angaben dazu ohne weiteres möglich und zumutbar sind (Senat, Urteil vom
19. Juli 2019 - V ZR 255/17, NJW 2019, 3147 Rn. 49 mwN).

bb) Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Klägerin kann lediglich
beschreiben und ggf. durch Lichtbilder belegen, welche Pferde zu welchem Zeit-
punkt in dem Offenstall eingestellt waren. Ob diese Pferde im Eigentum der Beklagten
zu 1 oder der Beklagten zu 2 stehen bzw. standen, lässt sich auf diese
Weise nicht darlegen oder gar beweisen.

Diese Zuordnung kann auch nicht anhand der äußeren Abläufe erfolgen.
. D. als
Inhaberin des Reiterhofs T. . UG,
deren alleinige Geschäftsführerin A. D. ist. Es besteht also Personenidentität
hinsichtlich der einzig beteiligten natürlichen Person. Daher lässt sich aus
dem Umstand, wer die Pferde in den Stall hinein und aus dem Stall heraus führt,
wer sie füttert, putzt usw. nicht darauf schließen, ob das jeweilige Pferd im Eigentum
der Beklagten zu 1 oder zu 2 steht. Die Beklagte zu 2 hingegen kann ohne
weiteres angeben, welches ihre Pferde sind und wo diese in dem fraglichen Zeitraum
eingestellt waren.

c) Unzutreffend ist die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte zu 2
habe ihrer sekundären Darlegungslast mit der Angabe genügt, sie habe keinen
Bedarf an der Nutzung des Offenstalls, weil sie den Innenhof des Grundstücks
angemietet habe; in den Offenstall seien lediglich die von der Beklagten zu 1
betreuten Pensionspferde eingestellt worden. Hiermit verkennt das Berufungsgericht
die Anforderungen, die nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast
an den von der Beklagten zu 2 zur Unterbringung ihrer Pferde zu haltenden
Vortrag zu stellen sind. Denn mit ihrer Angabe, sie habe keine Pferde in den
Offenstall eingestellt, bestreitet die Beklagte zu 2 der Sache nach nur das Eigentum
an den dort eingestellten Pferden, zu dem die Klägerin aber gerade nicht
weiter vortragen und Beweis anbieten kann, die Beklagte zu 2 hingegen schon.
Die Beklagte zu 2 wäre daher gehalten - und von dem Berufungsgericht dazu
anzuhalten - gewesen, konkret dazu vorzutragen, sei es durch detaillierte Beschreibung
oder Vorlage von Lichtbildern, welche Pferde in dem in von der Klägerin
behaupteten Zeitraum der Nutzung des Offenstalls in ihrem Eigentum standen
und wo diese untergestellt waren.

III.
1. Nach alledem ist das angefochtene Urteil aufzuheben (§ 562 Abs. 1
ZPO).

2. Hinsichtlich der Berufung der Beklagten zu 1 kann der Senat in der Sache
selbst entscheiden, weil die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3
ZPO).

a) Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 1 aus § 1004 Abs. 1 Satz 1
analog i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB den von dem Landgericht tenorierten Anspruch,
die Haltung von Pferden in dem Offenstall zu unterlassen, da diese Nutzung des
Stalls nach dem oben Gesagten gegen das öffentlich-rechtliche Gebot der Rücksichtnahme
und damit gegen ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB verstößt.
Rechtsfehlerfrei bejaht das Berufungsgericht die für einen Unterlassungsanspruch
nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB erforderliche Wiederholungsgefahr. Die
tatrichterliche Würdigung, ob eine Wiederholungsgefahr besteht, ist im Revisionsverfahren
nur auf Rechtsfehler zu überprüfen (vgl. Senat, Urteil vom 14. Oktober
1994 - V ZR 76/93, NJW 1995, 132, 134; Urteil vom 30. Oktober 1998
- V ZR 64/98, BGHZ 140, 1, 10). Solche liegen nicht vor.

aa) Zwar folgt die Wiederholungsgefahr, anders als bei einem Bauwerk,
das als solches - unabhängig von seiner Nutzung - baurechtswidrig ist, nicht
schon daraus, dass der Offenstall bislang nicht abgerissen wurde. Angesichts
des mit der Nutzung des Offenstalls bereits erfolgten rechtswidrigen Eingriffs besteht
nach ständiger Rechtsprechung des Senats aber eine tatsächliche Vermutung
dafür, dass sich die Beeinträchtigung wiederholt (vgl. Senat, Urteil vom
30. Oktober 1998 - V ZR 64/98, aaO; Urteil vom 12. Dezember 2003 - V ZR 98/03,
NJW 2004, 1035, 1036; Urteil vom 17. Dezember 2010 - V ZR 46/10, ZUM 2011,
333 Rn. 28; Urteil vom 21. September 2012 - V ZR 230/11, NJW 2012, 3781
Rn. 12; Urteil vom 18. Dezember 2015 - V ZR 160/14, NJW 2016, 863 Rn. 25).
bb) Rechtsfehlerfrei sieht das Berufungsgericht darin, dass die Beklagte
zu 1, nachdem ihr die Nutzung des Stalls durch gesonderten Bescheid behördlich
untersagt und die Baurechtswidrigkeit gerichtlich festgestellt worden war, - nach
ihrem Vortrag - seit dem Jahr 2016 keine Pferde mehr in dem Offenstall eingestellt
hat, keinen Umstand, der es rechtfertigen würde, einen Wegfall der Wiederholungsgefahr
anzunehmen. Selbst wenn die Beklagte zu 1 - wie sie im Revisionsverfahren
geltend macht - zunächst von der Genehmigungsfreiheit des Stalls
ausgegangen sein sollte, steht hierdurch nicht fest, dass sie den Stall aufgrund
der zwischenzeitlich erlangten Kenntnis der Baurechtswidrigkeit künftig nicht
mehr nutzen wird. Das Berufungsgericht stellt insoweit darauf ab, dass die Beklagte
zu 1 den Stall zunächst weiter genutzt hat, obwohl sie jedenfalls mit Versagung
der Baugenehmigung im Jahre 2013 davon ausgehen musste, dass sie
hierzu nicht befugt ist. Diese tatrichterliche Würdigung ist revisionsrechtlich nicht
zu beanstanden.

b) Die Berufung der Beklagten zu 1 gegen das Urteil des Landgerichts,
das der Klage stattgegeben hat, war daher zurückzuweisen, allerdings mit der
Maßgabe, dass die Beklagte zu 1 weder in der Hauptsache noch hinsichtlich der
Kosten als Gesamtschuldnerin neben der Beklagten zu 2 verurteilt wird. Der Unterlassungsanspruch
aus § 1004 i.V.m. § 906 oder § 823 Abs. 2 BGB richtet sich
gegen jeden einzelnen Störer; diese schulden die Unterlassung nicht nur insgesamt
einmal (vgl. § 421 Satz 1 BGB), sondern jeder für sich.

3. Hinsichtlich der Berufung der Beklagten zu 2 war die Sache an das Berufungsgericht
zurückzuverweisen, weil noch weitere Feststellungen zu treffen
sind (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Beklagte zu 2 wird im Rahmen ihrer sekundären
Darlegungslast zunächst dazu vorzutragen haben, welche Pferde in dem
von der Klägerin behaupteten Zeitraum der Nutzung des Offenstalls in ihrem Eigentum
standen und wo diese untergestellt waren. Sollte sie dem nicht nachkommen,
wäre als zugestanden anzusehen, dass sie eigene Pferde in den Offenstall
eingestellt hat (vgl. Senat, Urteil vom 19. Juli 2019 - V ZR 255/17, NJW 2019,
3147 Rn. 56), sodass die Klage auch ihr gegenüber begründet wäre, wenn - was
unter Berücksichtigung der Ausführungen des Senats hierzu (siehe oben 1.) zu
prüfen wäre - die weiteren Voraussetzungen des auf § 1004 Abs. 1 Satz 1 i.V.m.
§ 906 BGB gestützten Unterlassungsanspruchs vorliegen. Trägt sie hingegen
entsprechend vor, ist es wiederum Sache der Klägerin, dem entgegenzutreten
und das Einstellen von Pferden der Beklagten zu 2 in den Offenstall darzulegen
und zu beweisen.

IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

27.11.2020

Aktenzeichen:

V ZR 121/19

Rechtsgebiete:

Sachenrecht allgemein
Allgemeines Schuldrecht
Öffentliches Baurecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)

Normen in Titel:

BGB §§ 823 Abs. 2, 906 Abs. 1 S. 2 u. 3, 1004 Abs. 1 S. 1; BauGB §§ 34 Abs. 1, 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 3