BGH 23. Juli 2019
II ZB 20/18
AktG § 98 Abs. 1; SEBG §§ 34 Abs. 1 Nr. 1, 35 Abs. 1

Anwendbare Vorschriften zur Zusammensetzung des Aufsichtsorgans im Statusverfahren vor Eintragung eines Formwechsels

letzte Aktualisierung: 4.10.2019
BGH, Beschl. v. 23.7.2019 – II ZB 20/18

AktG § 98 Abs. 1; SEBG §§ 34 Abs. 1 Nr. 1, 35 Abs. 1
Anwendbare Vorschriften zur Zusammensetzung des Aufsichtsorgans im Statusverfahren vor Eintragung eines Formwechsels

Wenn vor der Eintragung einer durch formwechselnde Umwandlung gegründeten, dualistisch
aufgebauten Europäischen Gesellschaft (SE) in das Handelsregister ein Statusverfahren eingeleitet
worden ist, richtet sich die in diesem Verfahren festzulegende Zusammensetzung des
Aufsichtsorgans der SE bei Anwendbarkeit der Auffangregelung über die Mitbestimmung kraft
Gesetzes (§§ 34 ff. SEBG) danach, wie der Aufsichtsrat vor der Umwandlung nach den
einschlägigen gesetzlichen Vorschriften richtigerweise zusammenzusetzen war.

Gründe:

I.
Die Beteiligten streiten über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats der
Antragsgegnerin nach deren Umwandlung in eine Societas Europaea (SE).
Die Antragsgegnerin bestand ursprünglich in der Rechtsform einer
Aktiengesellschaft deutschen Rechts. Ihre formwechselnde Umwandlung in
eine SE wurde am 2. Juni 2017 von der Hauptversammlung beschlossen und
am 31. Juli 2017 im Handelsregister eingetragen. Eine Vereinbarung über die
Arbeitnehmerbeteiligung gemäß § 21 des Gesetzes über die Beteiligung der
Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SEBG) wurde nicht geschlossen.

Das bei der Antragsgegnerin bestehende Aufsichtsorgan setzt sich,
ebenso wie der Aufsichtsrat vor der Umwandlung, ausschließlich aus Vertretern
der Anteilseigner zusammen.

Die Antragsgegnerin beschäftigte vor der Umwandlung 205 Arbeitnehmer.
Unter Einbeziehung weiterer zu dem Konzern der Antragsgegnerin gehörender
Gesellschaften betrug die Gesamtzahl der Beschäftigten 1.046. Ein Beherrschungsvertrag
bestand nur mit höchstens zwei dieser Gesellschaften. Außerdem
hielt die Antragsgegnerin eine Beteiligung von 49 % an der
K. Seniorenwohn- und Pflegeanlage Betriebs-GmbH, die etwa
1.300 Arbeitnehmer beschäftigte. Die konzernrechtliche Zurechnung dieser Gesellschaft
ist streitig.

Der Antragsteller ist Aktionär der Antragsgegnerin. Mit am 27. Juli 2017
beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz hat er eine gerichtliche Entscheidung
über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats der Antragsgegnerin gemäß
§ 98 Abs. 1 AktG beantragt. Er ist der Ansicht, dass der Aufsichtsrat der
Antragsgegnerin nicht nach den hier maßgebenden gesetzlichen Vorschriften
zusammengesetzt sei und richtigerweise zur Hälfte oder jedenfalls zu einem
Drittel aus Arbeitnehmervertretern bestehen müsse. Die Antragsgegnerin tritt
dem entgegen.

Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen (LG Frankfurt a.M.,
ZIP 2018, 932). Auf die Beschwerden des Antragstellers und der Rechtsbeschwerdegegnerin
zu 2, einer Gewerkschaft, hat das Beschwerdegericht den
Beschluss des Landgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung
und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Hiergegen wendet
sich die Antragsgegnerin mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen
Rechtsbeschwerde.

II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 99 Abs. 1 AktG, § 70 Abs. 1
FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Antragsgegnerin
beschwerdebefugt.

Ob und unter welchen Voraussetzungen in einem Statusverfahren nach
§ 98 f. AktG die betroffene Aktiengesellschaft beschwerdebefugt ist, ist dem
Gesetz nicht eindeutig zu entnehmen und in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
Einerseits wird die Gesellschaft in der Aufzählung der Antragsberechtigten
(§ 98 Abs. 2 AktG), die nach § 99 Abs. 4 Satz 3 AktG zugleich beschwerdeberechtigt
sind, nicht ausdrücklich genannt. Andererseits enthält § 99 Abs. 4
Satz 4 AktG eine Regelung zum Beginn der für die Gesellschaft geltenden Beschwerdefrist,
was dafür spricht, dass das Gesetz von einer Beschwerdeberechtigung
der Gesellschaft ausgeht.

Die mittlerweile überwiegende Meinung bejaht eine Beschwerdeberechtigung
der Gesellschaft jedenfalls dann, wenn der Antrag in der vorherigen Instanz
Erfolg hatte, wobei teilweise auf die allgemeine Regelung der Beschwerdebefugnis
in § 59 Abs. 1 FamFG abgestellt wird, die neben der besonderen
Regelung in § 99 Abs. 4 Satz 3 AktG anwendbar bleibe (KG, ZIP 2016, 369 f.;
MünchKommAktG/Habersack, 5. Aufl., § 99 Rn. 19; Hopt/Roth in Großkomm.
AktG, 5. Aufl., § 99 Rn. 29; Koch in Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl., § 99 Rn. 8;
Hölters/Simons, AktG, 3. Aufl., § 99 Rn. 13; Grigoleit/Tomasic, AktG, § 99
Rn. 9; Henssler in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., § 99 AktG
Rn. 5). Die Gegenansicht hält die besondere Regelung der Beschwerdebefugnis
in § 99 Abs. 4 Satz 3 AktG hingegen für abschließend und meint, danach sei
zwar unter anderem der Vorstand im eigenen Namen (§ 98 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
i.V.m. § 99 Abs. 4 Satz 3 AktG), nicht aber die Gesellschaft beschwerdebefugt
(Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl., § 99 Rn. 11; Israel in Bürgers/Körber,
Aktiengesetz, 4. Aufl., § 99 Rn. 5).

Zuzustimmen ist im Ergebnis der Auffassung, die die Beschwerdebefugnis
der Gesellschaft bejaht. Ihre Beschwerdeberechtigung folgt daraus, dass die
Antrags- und Beschwerdeberechtigung des Vorstands (§ 98 Abs. 2 Satz 1
Nr. 1, § 99 Abs. 4 Satz 3 AktG) diesem nicht oder jedenfalls nicht allein als einem
aus eigenem Recht selbständig Beteiligten zusteht, sondern ihm
- zumindest auch - als dem Vertretungsorgan der Gesellschaft eingeräumt ist
(Mertens/Cahn in KK-AktG, 3. Aufl., §§ 97-99 Rn. 23; a.A. Hopt/Roth in
Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 98 Rn. 30). Mithin kann der Vorstand aufgrund der
ihm zugewiesenen Organkompetenz für die Gesellschaft Beschwerde einlegen.

Da es sich in diesem Fall um eine Beschwerde der Gesellschaft handelt, fügt
sich auch die Regelung zu dem Beginn der für die Gesellschaft geltenden Beschwerdefrist
(§ 99 Abs. 4 Satz 4 AktG) widerspruchsfrei in den normativen Gesamtzusammenhang
ein.

2. Die Rechtsbeschwerde ist aber nicht begründet.

a) Das Beschwerdegericht (OLG Frankfurt, ZIP 2018, 1874) hat zur Begründung
seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Die Beschwerden seien zulässig. Die Beschwerdeberechtigung der beteiligten
Gewerkschaft ergebe sich daraus, dass ihr bei Anwendung der Mitbestimmungsregeln
ein Vorschlagsrecht nach § 16 Abs. 2 MitbestG zustünde
(§ 99 Abs. 4 Satz 3, § 98 Abs. 2 Satz 1 Nr. 10 AktG). Hierfür genüge, dass die
beteiligte Gewerkschaft bei einem Unternehmen im Konzern der Antragsgegnerin
vertreten sei. Die Erfüllung dieser Voraussetzung habe die Beteiligte durch
Vorlage einer öffentlichen Urkunde nachgewiesen, aus der sich ergebe, dass
ein Mitglied der Gewerkschaft bei der F. GmbH, einer zum Konzern
der Antragsgegnerin gehörenden Gesellschaft, beschäftigt sei.

Die Beschwerden seien auch begründet. Entgegen der Auffassung des
Landgerichts richte sich die Zusammensetzung des Aufsichtsrats der Antragsgegnerin
gemäß § 35 Abs. 1 SEBG nicht nach der vor Eintragung der SE in das
Handelsregister tatsächlich praktizierten Mitbestimmung (Ist-Zustand), sondern
nach der rechtlich gebotenen Mitbestimmung (Soll-Zustand). Das aus § 96
Abs. 4 AktG folgende Kontinuitätsprinzip stehe dem nicht entgegen. Ihm werde
hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass auch in der SE die geänderte
Zusammensetzung des Aufsichtsrats erst mit dem Abschluss eines Statusverfahrens
zum Tragen komme. Ein vor der Umwandlung bestehendes, noch nicht
durchgesetztes Recht darauf, die rechtswidrige Zusammensetzung des Aufsichtsrats
im Wege eines Statusverfahrens dem rechtmäßigen Zustand anzugleichen,
dürfe den Arbeitnehmern durch die Umwandlung nicht genommen
werden. Andernfalls könnten sich zudem schwierige Abgrenzungsprobleme im
Hinblick auf vor der Umwandlung eingeleitete aber noch nicht rechtskräftig beendete
und umgesetzte Statusverfahren ergeben. Der Abschluss eines nach
Bekanntgabe der Umwandlungsabsicht sogleich eingeleiteten Statusverfahrens
noch vor Eintragung der SE, könne vom Zufall abhängen oder sogar durch eine
bewusste Verzögerung des Statusverfahrens vereitelt werden.

Entscheidend sei danach, ob die Antragsgegnerin vor der Umwandlung
nach dem Mitbestimmungsgesetz oder dem Drittelbeteiligungsgesetz mitbestimmungspflichtig
gewesen sei. Da das Landgericht keine Feststellungen zur
Frage einer etwaigen konzernrechtlichen Zuordnung der K.
Seniorenwohn- und Pflegeanlage Betriebs-GmbH zur Antragsgegnerin und damit
der für die Beurteilung der anzuwendenden Mitbestimmungsregeln maßgeblichen
Verhältnisse getroffen habe, sei die Sache an das Landgericht zur erneuten
Behandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

b) Diese Ausführungen halten den Angriffen der Rechtsbeschwerde jedenfalls
im Ergebnis stand.

aa) Ohne Erfolg rügt die Antragsgegnerin, das Beschwerdegericht habe
die Beschwerdebefugnis der beteiligten Gewerkschaft zu Unrecht angenommen,
da die vorgelegte Urkunde eine Beschäftigung des nicht namentlich genannten
Gewerkschaftsmitglieds bei der F. GmbH erst ab April 2018
belege, nicht aber für die Zeitpunkte der Umwandlung und des Ablaufs der Beschwerdefrist.
Das Beschwerdegericht ist ersichtlich davon ausgegangen, dass das Arbeitsverhältnis
des Gewerkschaftsmitglieds bei der F. GmbH in dem
für die Beurteilung der Beschwerdebefugnis rechtlich maßgebenden Zeitraum
vorlag, der nach vorherrschender Auffassung in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit
mit dem Erlass der angefochtenen Entscheidung beginnt (vgl.
BGH, Beschluss vom 18. Januar 1989 - IVb ZB 208/87, NJW 1989, 1858;
KGR Berlin 1999, 259 f.; Müther in Bork/Jacoby/Schwab, FamFG, 3. Aufl., § 59
Rn. 13; Zöller/Feskorn, ZPO, 32. Aufl., § 59 FamFG Rn. 6; a.A. Abramenko in
Prütting/Helms, FamFG, 4. Aufl., § 59 Rn. 10).

Die Rechtsbeschwerde weist zwar zutreffend darauf hin, dass die zu den
Akten gereichte Urkunde die Vorlage einer Gehaltsbescheinigung lediglich für
April 2018 bestätigt. Das Beschwerdegericht war aber nicht gehindert, hieraus
den Schluss zu ziehen, dass das Arbeitsverhältnis schon in der Zeit davor bestanden
habe, zumal die Antragsgegnerin nach Vorlage der Urkunde im Beschwerdeverfahren
nicht mehr auf ihren Einwand zurückgekommen ist, dass
die Gewerkschaft schon nicht beschwerdebefugt sei. Der Senat teilt diese Einschätzung
des Beschwerdegerichts.

Im Übrigen hätte selbst eine fehlende Beschwerdebefugnis der Gewerkschaft
für das vom Antragsteller eingeleitete Statusverfahren keine weitergehenden
Auswirkungen. Die Endentscheidung wirkt für und gegen alle (§ 99
Abs. 5 Satz 2 AktG). Die gerichtlichen Kosten des Verfahrens sind von der Gesellschaft
zu tragen, soweit sie nicht dem Antragsteller auferlegt werden; im
Übrigen findet keine Kostenerstattung statt (§ 23 Nr. 10 GNotKG, § 99 Abs. 6
AktG). Ferner war die Gewerkschaft unabhängig von der Zulässigkeit ihrer Beschwerde
jedenfalls ab April 2018 berechtigt, sich an dem vom Antragsteller
betriebenen Verfahren zu beteiligen.

bb) Die angefochtene Entscheidung hält auch in der Sache rechtlicher
Nachprüfung stand. Das Beschwerdegericht hat jedenfalls im Ergebnis zutreffend
angenommen, dass der Antrag auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen
nicht zurückgewiesen werden kann und es einer weiteren Aufklärung
des Sachverhalts im Hinblick auf die vor der Eintragung der SE anzuwendenden
Mitbestimmungsregelungen bedarf.

(1) Die Zulässigkeit des Antrags hat das Beschwerdegericht zu Recht bejaht.
Hiergegen erinnert die Rechtsbeschwerde auch nichts.

(2) Die im Statusverfahren festzulegende Zusammensetzung des Aufsichtsrats
der Antragsgegnerin bestimmt sich aufgrund der Umstände des
Streitfalls danach, wie der Aufsichtsrat vor der Umwandlung nach den einschlägigen
gesetzlichen Vorschriften zusammenzusetzen war.

(a) Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Organen einer SE richtet
sich gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 1 SEBG allein nach diesem Gesetz. Durch das
SEBG ist die zeitgleich mit der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom
8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (SE-VO)
erlassene Richtlinie 2001/86/EG des Rates zur Ergänzung des Statuts der
Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer (SEErgänzungsrichtlinie)
in deutsches Recht umgesetzt worden. Nach Art. 13
Abs. 2 der SE-Ergänzungsrichtlinie finden einzelstaatliche Rechtsvorschriften in
Bezug auf die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Gesellschaftsorganen,
die nicht zur Umsetzung der Richtlinie dienen, keine Anwendung auf Gesellschaften
in der Rechtsform der SE. Die Bestimmungen des Mitbestimmungsund
des Drittelbeteiligungsgesetzes sind auf die SE zudem deshalb nicht unmittelbar
anwendbar, weil sie nicht zu den in § 1 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG und § 1
DrittelbG abschließend aufgelisteten Gesellschaftsformen zählt.

Nach dem SEBG besteht eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer durch
eine Beteiligung in Organen der SE nur dann, wenn zwischen den Leitungen
der Gründungsgesellschaften und dem gemäß § 5 SEBG zusammengesetzten
besonderen Verhandlungsgremium eine Vereinbarung getroffen wurde, die die
Mitbestimmung vorsieht (§ 21 Abs. 3 bis 6 SEBG), oder wenn die Voraussetzungen
der Mitbestimmung kraft Gesetzes gemäß §§ 34 ff. SEBG vorliegen.

(b) Das Beschwerdegericht hat auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen
zu Recht angenommen, dass im Streitfall die Anwendung der Auffangregelungen
nach §§ 34 ff. SEBG in Betracht kommt. Eine Vereinbarung
nach § 21 SEBG ist nicht getroffen worden. Die Anwendung der §§ 34 ff. SEBG
schiede zwar auch dann aus, wenn das besondere Verhandlungsgremium gemäß
§ 16 SEBG wirksam beschlossen hätte, keine Verhandlungen aufzunehmen
oder bereits aufgenommene Verhandlungen abzubrechen (§ 34 Abs. 1,
§ 22 Abs. 1 Nr. 2 SEBG). Einen solchen Beschluss hat das Landgericht aber
nicht festgestellt und das Beschwerdegericht ist auf dieser Grundlage im Rahmen
der ihm obliegenden Rechtsprüfung (§ 99 Abs. 3 Satz 3 AktG) rechts- und
verfahrensfehlerfrei davon ausgegangen, dass eine Beschlussfassung nach
§ 16 SEBG unterblieben ist.

Die erstmals im Rechtsbeschwerdeverfahren vorgebrachte Behauptung
der Antragsgegnerin, das besondere Verhandlungsgremium habe beschlossen,
keine Verhandlungen aufzunehmen, wie sich aus der Kürze der bis zur Eintragung
der SE im Handelsregister verstrichenen Zeit ergebe, ist nicht mehr zu
berücksichtigen (§ 99 Abs. 1 AktG, § 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG, § 559 Abs. 1
ZPO). Die Rechtsbeschwerde erhebt insoweit schon deshalb keine durchgreifende
Verfahrensrüge, weil ihr Vorbringen nicht erkennen lässt, dass die tatsächlichen
Voraussetzungen für eine wirksame Beschlussfassung nach § 16
SEBG erfüllt gewesen seien. Eine auf äußere Abläufe gestützte Vermutung genügt
nicht. Das Beschwerdegericht war zudem - auch in Anbetracht des Zeitablaufs
bis zur Eintragung der SE - nicht gehalten, von Amts wegen der Frage
nachzugehen, ob ein Beschluss nach § 16 SEBG gefasst worden ist. Es durfte
vielmehr davon ausgehen, dass die im Beschwerdeverfahren anwaltlich vertretene
Antragsgegnerin für sie vorteilhafte Umstände, die von dem Sachverhalt,
den das Landgericht zugrunde gelegt hatte, in einem wesentlichen Punkt ab-
weichen, von sich aus geltend machen und ihre Nichtberücksichtigung gegebenenfalls
rügen werde (vgl. OLG Zweibrücken, ZIP 2005, 1966 f.; OLG
Düsseldorf, ZIP 1997, 546, 547).

(c) In dem hier gegebenen Fall einer durch formwechselnde Umwandlung
gegründeten SE finden die §§ 35 bis 38 SEBG nur Anwendung, wenn in
der Gesellschaft vor der Umwandlung Bestimmungen über die Mitbestimmung
der Arbeitnehmer im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan galten (§ 34 Abs. 1
Nr. 1 SEBG). Ist diese Voraussetzung erfüllt, bleibt die Regelung zur Mitbestimmung
erhalten, die in der Gesellschaft vor der Umwandlung bestanden hat
(§ 35 Abs. 1 SEBG).

Die Auslegung dieser Vorschriften ist insbesondere hinsichtlich der Frage
umstritten, worauf für die Beurteilung des vor der Umwandlung gegebenen Anknüpfungstatbestandes
abzustellen ist. Teilweise wird die Auffassung vertreten,
dass es für das Mitbestimmungsstatut der SE auf die in der Gründungsgesellschaft
tatsächlich praktizierte Mitbestimmung, mithin den "Ist-Zustand", ankomme
(LG München I, ZIP 2018, 1546, 1548; LG Frankfurt a.M., Beschluss
vom 21. Dezember 2017 - 3-05 O 81/17, juris Rn. 17 f.; Oetker in Lutter/
Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, 2. Aufl., § 34 SEBG Rn. 15; Münch-
KommAktG/Jacobs, 4. Aufl., § 34 SEBG Rn. 5 und § 35 SEBG Rn. 2;
Hohenstatt/Müller-Bonanni in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2. Aufl., § 34
SEBG Rn. 6 und § 35 SEBG Rn. 2; Habersack, AG 2018, 823, 828 f.; Seibt,
ZIP 2010, 1057, 1064; Mückl, BB 2018, 2868 ff.; Schapers, EWiR 2018, 615 f.).
Andere wollen auf die in der Gründungsgesellschaft gesetzlich gebotene
Mitbestimmung, den "Soll-Zustand", abstellen (Sagan in Boecken/Düwell/Diller/
Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, § 34 SEBG Rn. 3; Rudolph in Annuß/Kühn/
Rudolph/Rupp, EBRG, § 34 SEBG Rn. 6; Forst in Gaul/Ludwig/Forst,
Europäisches Mitbestimmungsrecht, § 2 Rn. 464; Cannistra, Das Verhandlungsverfahren
zur Regelung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei Gründung
einer Societas Europaea und bei Durchführung einer grenzüberschreitenden
Verschmelzung, 2014, S. 199 f.; Grambow, BB 2012, 902; Kienast,
DB 2018, 2487 f.; Ziegler/Gey, BB 2009, 1750, 1756), wobei einige annehmen,
dass das tatsächlich praktizierte Mitbestimmungsstatut zwar zunächst fortgelte,
aber im Wege des Statusverfahrens auch nach Gründung der SE noch an den
vor Gründung geltenden Sollzustand angepasst werden könne (Rieble in
Rieble/Junker, Vereinbarte Mitbestimmung in der SE, 2008, § 3 Rn. 128 ff.,
Rn. 140; Düwell/Sick, BetrVG, 5. Aufl., Europäische Aktiengesellschaft (SE) pp.
Rn. 14; Behme, EWiR 2018, 333, 334; Kurzböck/Weinbeck, DB 2019, 244, 246;
Gesell/Berjasevic, DB 2018, 1716, 1717).

(d) Welcher dieser Meinungen zu folgen ist, bedarf in der vorliegenden
Sache keiner abschließenden Entscheidung; insbesondere kann offenbleiben,
ob grundsätzlich auf den "Ist-Zustand" oder den "Soll-Zustand" abzustellen ist.
(aa) Allerdings bedarf die mögliche Anknüpfung an einen in der Gründungsgesellschaft
noch nicht praktizierten "Soll-Zustand" stets eines geregelten
Verfahrens, um rechtlich wirksam zu werden. Sofern vor der Umwandlung keine
Vereinbarung über die Mitbestimmung geschlossen wurde, erfordert eine Änderung
der Zusammensetzung des Aufsichtsorgans zur Umsetzung der vor der
Umwandlung rechtlich gebotenen Mitbestimmung die Durchführung eines Statusverfahrens
nach den §§ 97 ff. AktG. Das Statusverfahren ist, wie sich aus
§ 17 Abs. 4 Satz 1 SEAG erschließt, auch auf die SE anwendbar (Habersack in
Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl., § 34 SEBG Rn. 30;
Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 98 Rn. 5; Seibt, ZIP 2010, 1057,
1064). Damit gilt das in § 96 Abs. 4 AktG normierte Kontinuitätsprinzip auch für
die SE. Hieraus hat das Beschwerdegericht zu Recht gefolgert, dass auch in
einer SE die Änderung der Zusammensetzung des Aufsichtsrats erst mit dem
Abschluss des Statusverfahrens wirksam wird und der gewählte Aufsichtsrat bis
dahin in seiner konkreten Zusammensetzung rechtmäßig bestehen bleibt.
Hiermit ist indes nicht die Frage beantwortet, ob es für die gesetzlich gebotene,
gegebenenfalls im Wege eines Statusverfahrens durchsetzbare, Zusammensetzung
des Aufsichtsrats auf den vor der Umwandlung bestehenden
"Ist-Zustand" oder den "Soll-Zustand" ankommt.

(bb) Im Streitfall kann diese Frage jedoch offenbleiben, weil das hier anhängige
Statusverfahren bereits vor der Eintragung der SE in das Handelsregister
und damit vor dem für den Vollzug der formwechselnden Umwandlung
maßgebenden Zeitpunkt (§ 202 UmwG) eingeleitet worden ist. Infolge dieses
Umstandes käme es auch unter der Prämisse, dass grundsätzlich auf den "Ist-
Zustand" abzustellen sei, entscheidend darauf an, wie der Aufsichtsrat vor der
Umwandlung nach den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften richtigerweise
zusammenzusetzen war.

Ist ein Statusverfahren vor der Eintragung der SE in das Handelsregister
eingeleitet worden, prägt dieser tatsächliche Umstand den vor der Umwandlung
bestehenden "Ist-Zustand" mit. Das anhängige Statusverfahren nimmt der bis
dahin praktizierten Regelung ihre Verbindlichkeit für den Mitbestimmungsstatus
der SE und öffnet die bisherige Handhabung für eine Korrektur nach Maßgabe
der einschlägigen Mitbestimmungsregeln (vgl. Habersack, AG 2018, 823, 829;
a.A. wohl Mückl, BB 2018, 2868, 2871).

Dafür, dass diese Korrekturmöglichkeit mit der Eintragung der SE in das
Handelsregister nicht entfällt, sondern auch im Hinblick auf das Aufsichtsorgan
der SE erhalten bleibt, sprechen entscheidend Ziel und Zweck des SEBG und
der ihm zugrunde liegenden Ergänzungsrichtlinie.

Fundamentaler Grundsatz und erklärtes Ziel der Richtlinie ist gemäß Erwägungsgrund
18 die Sicherung erworbener Rechte der Arbeitnehmer über ihre
Beteiligung an Unternehmensentscheidungen. Die vor der Gründung einer SE
bestehenden Rechte der Arbeitnehmer sollten deshalb Ausgangspunkt auch für
die Gestaltung ihrer Beteiligungsrechte in der SE sein (Vorher-Nachher-
Prinzip). § 1 SEBG greift diese Zielvorgabe auf und sieht in Abs. 3 vor, die Vorschriften
des SEBG so auszulegen, dass die Ziele der Europäischen Union, die
Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE sicherzustellen, gefördert werden. Für
den Fall der SE-Gründung durch formwechselnde Umwandlung gilt das Vorher-
Nachher-Prinzip besonders streng (vgl. § 15 Abs. 5, § 21 Abs. 6 SEBG). Der
Gesetzgeber hat in Übereinstimmung mit dem Unionsrecht die Gefahr, dass die
Mitbestimmung der Arbeitnehmer beeinträchtigt wird, bei der SE-Gründung
durch formwechselnde Umwandlung als besonders hoch eingeschätzt. Eine
„Flucht aus der Mitbestimmung“ durch Umwandlung in eine SE sollte nach Möglichkeit
unterbunden werden.

Einer solchen "Flucht aus der Mitbestimmung" könnte aber, wie das Beschwerdegericht
zutreffend aufgezeigt hat, Vorschub geleistet werden, wenn
ein Mitbestimmungsstatut dauerhaft festgeschrieben würde, obwohl dessen
Übereinstimmung mit den anwendbaren Mitbestimmungsvorschriften durch die
Einleitung eines Statusverfahrens bereits auf den Prüfstand gestellt wurde. Da
die Einleitung eines Statusverfahrens die Gründung der SE durch Eintragung in
das Handelsregister nicht hindert (Habersack, AG 2018, 823, 828 mwN), könnte
mit der Eintragung der SE einem bis dahin noch nicht rechtskräftig beendeten
Statusverfahren der Prüfungsgegenstand entzogen und die weitere gerichtliche
Überprüfung vereitelt werden. In diesem Zusammenhang hat das Beschwerdegericht
zu Recht darauf hingewiesen, dass die Dauer eines Statusverfahrens
von Umständen außerhalb der Einwirkungsmöglichkeiten der Antragsteller abhängen
und gegebenenfalls durch ein auf Verfahrensverzögerung ausgerichtetes
Prozessverhalten der Antragsgegnerseite beeinflusst werden kann.

3. Die Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat die Antragsgegnerin
kraft Gesetzes zu tragen (§ 23 Nr. 10 GNotKG). Es besteht kein
Anlass, die Kosten ganz oder teilweise dem Antragsteller aufzuerlegen (§ 99
Abs. 6 Satz 1 AktG). Kosten der Beteiligten werden nicht erstattet (§ 99 Abs. 6
Satz 2 AktG).

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

23.07.2019

Aktenzeichen:

II ZB 20/18

Rechtsgebiete:

Umwandlungsrecht
Kostenrecht
Aktiengesellschaft (AG)
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
SE (Europäische Aktiengesellschaft)

Erschienen in:

NJW-RR 2019, 1254-1257

Normen in Titel:

AktG § 98 Abs. 1; SEBG §§ 34 Abs. 1 Nr. 1, 35 Abs. 1