BGH 08. Juli 2022
V ZR 207/21
WEG a. F. § 14 Nr. 4; BGB § 249

Eigentümergemeinschaft und Wiederherstellung des Sondereigentums

letzte Aktualisierung: 19.10.2022
BGH, Beschl. v. 8.7.2022 – V ZR 207/21

WEG a. F. § 14 Nr. 4; BGB § 249
Eigentümergemeinschaft und Wiederherstellung des Sondereigentums

Die Eigentümergemeinschaft, die unter Geltung des Wohnungseigentumsgesetzes in der bis zum
30. November 2020 geltenden Fassung Instandsetzungsmaßnahmen am gemeinschaftlichen
Eigentum beschließt, die notwendig Substanzeingriffe auch am Sondereigentum erfordern, ist
befugt, zugleich diejenigen Maßnahmen zu beschließen, die zur Wiederherstellung des
Sondereigentums erforderlich sind.

Entscheidungsgründe:

I.
Das Berufungsgericht meint, es fehle der Eigentümerversammlung hinsichtlich
der Beschlüsse zu TOP 4 a) und 4 b) die Beschlusskompetenz, soweit
die beschlossenen Sanierungsmaßnahmen die Wiederherstellung des Sondereigentums
beträfen. Die Beschlusskompetenz ergebe sich nicht aus § 14 Nr. 4
Halbsatz 2 WEG aF i.V.m. § 249 BGB. Danach bestehe zwar die Verpflichtung
der Wohnungseigentümer, die bei Durchführung von Sanierungsmaßnahmen am
Gemeinschaftseigentum entstehenden Schäden am Sondereigentum zu ersetzen
und gemäß § 249 Abs. 1 BGB den früheren Zustand herzustellen. Den in
ihrem Sondereigentum betroffenen Wohnungseigentümern stehe es aber gemäß
§ 249 Abs. 2 Satz 1 BGB frei, stattdessen eine Entschädigung in Geld zu verlangen.
Dieses Wahlrecht komme nicht dem Schuldner zu. Die Gemeinschaft der
Wohnungseigentümer sei nur befugt, über Maßnahmen am Sondereigentum einen
Beschluss zu fassen, wenn die betroffenen Wohnungseigentümer mit der
Durchführung der Naturalrestitution einverstanden seien und den Maßnahmen
zustimmten. Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung habe jedoch nicht festgestanden,
welche Wahl die Sondereigentümer treffen würden, so dass mangels Zustimmung
keine Beschlusskompetenz der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer
bestanden habe. Mangels Teilbarkeit seien die Beschlüsse zu TOP 4 a) und

b) insgesamt und in der Folge auch der Beschluss zu TOP 4 c) über die Finanzierung
der Maßnahmen für ungültig zu erklären.

II.
Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Das Berufungsgericht hat die Zulassung der Revision wirksam auf die
Frage der Beschlusskompetenz der Eigentümergemeinschaft hinsichtlich der
Wiederherstellung des Sondereigentums beschränkt.

a) Zwar enthält die Entscheidungsformel des Berufungsurteils keinen Zusatz,
der die dort ausgesprochene Zulassung der Revision einschränkt. Die Beschränkung
der Rechtsmittelzulassung kann sich aber auch aus den Entscheidungsgründen
ergeben. Es ist anerkannt, dass der Tenor im Lichte der Entscheidungsgründe
auszulegen und deshalb von einer beschränkten Revisionszulassung
auszugehen ist, wenn sich die Beschränkung aus den Gründen klar ergibt
(vgl. Senat, Urteil vom 30. März 2007 - V ZR 179/06, NJW 2007, 2182 Rn. 7
mwN). Das ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn sich die vom Berufungsgericht
als zulassungsrelevant angesehene Frage nur für einen tatsächlich und
rechtlich selbstständigen und damit abtrennbaren Teil des Gesamtstreitstoffs
stellt, auf den auch die Partei selbst ihre Revision beschränken könnte. Bei der
Beschlussmängelklage nach dem Wohnungseigentumsgesetz stellen die jeweils
geltend gemachten Beschlussmängelgründe abtrennbare Teile des Streitstoffs
dar, so dass die Klage auf einzelne Beschlussmängel begrenzt werden kann
(st. Rspr., vgl. nur Senat, Urteil vom 10. Juli 2015 - V ZR 198/14, NJW 2015,
3371 Rn. 7).

b) Gemessen daran liegt eine wirksame Beschränkung vor. Das Berufungsgericht
hat die Revision lediglich im Hinblick auf die Frage der Beschlusskompetenz
der Eigentümergemeinschaft hinsichtlich der Wiederherstellung des
Sondereigentums zugelassen. Die beiden anderen geltend gemachten Beschlussmängel
- den Ladungsmangel sowie die Entscheidung zugunsten einer
Strangsanierung - hat es nicht für durchgreifend erachtet; es hat sie lediglich geprüft,
um die Entscheidungserheblichkeit der von ihm benannten Zulassungsfrage
zu begründen. Damit hat es klar zu erkennen gegeben, dass es diese beiden
Beschlussmängel nicht als zulassungsrelevant ansah.

2. Obwohl nur die Kläger zu 1, 2 und 16 im Termin zur mündlichen Verhandlung
vor dem Senat durch eine beim Bundesgerichtshof zugelassene
Rechtsanwältin vertreten waren, kann der Senat nicht durch Teilversäumnisurteil
gegenüber den anderen Klägern entscheiden. Nachdem das Amtsgericht die gegen
dieselben Beschlüsse der Wohnungseigentümer gerichteten Anfechtungsklagen
verbunden hatte (§ 47 Satz 1 WEG aF), sind die Kläger nach § 47 Satz 2
WEG aF, der auf die vor dem 1. Dezember 2020 erhobene Beschlussmängelklage
weiterhin anzuwenden ist (§ 48 Abs. 5 WEG), als notwendige Streitgenossen
anzusehen (vgl. Senat, Urteil vom 27. März 2009 - V ZR 196/08, NJW 2009,
2132 Rn. 20), so dass die übrigen Kläger gemäß § 62 Abs. 1 ZPO als durch die
Kläger zu 1, 2 und 16 im Termin zur mündlichen Verhandlung vertreten anzusehen
sind. Die beklagten übrigen Wohnungseigentümer sind unverändert richtige
Klagegegner (§ 46 Abs. 1 Satz 1 WEG aF, § 48 Abs. 5 WEG; vgl. Senat, Urteil
vom 11. März 2022 - V ZR 77/21, NZM 2022, 425 Rn. 5).

3. In der Sache verneint das Berufungsgericht die Beschlusskompetenz
der Eigentümergemeinschaft für die angefochtenen Beschlüsse zu Unrecht.
Maßgeblich ist das im Zeitpunkt der Beschlussfassung geltende Recht (vgl. Senat,
Urteil vom 15. Oktober 2021 - V ZR 225/20, NJW 2022, 326 Rn. 7; Urteil vom
26. Februar 2021 - V ZR 33/20, NJW-RR 2021, 664 Rn. 6 a.E.).

a) Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts,
dass es den Wohnungseigentümern für Maßnahmen am Sondereigentum generell
an der Beschlusskompetenz fehlt (vgl. Senat Urteil vom 9. Dezember 2016
- V ZR 84/16, WuM 2017, 170 Rn. 23; Urteil vom 8. Februar 2013 - V ZR 238/11,
NJW 2013, 3092 Rn. 14).

b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die Beschlusskompetenz
der Eigentümergemeinschaft für die angefochtenen Beschlüsse jedoch gegeben.

aa) Nach § 14 Nr. 4 Halbsatz 1 WEG aF ist jeder Wohnungseigentümer
verpflichtet, das Betreten und die Benutzung der im Sondereigentum stehenden
Gebäudeteile zu gestatten, soweit dies zur Instandhaltung und Instandsetzung
des gemeinschaftlichen Eigentums erforderlich ist. Diese Verpflichtung umfasst
im Einzelfall die Duldung von substanzverletzenden Eingriffen in das Sondereigentum
(vgl. BayObLG, WuM 2004, 420; OLG Hamm, DWE 1984, 126; KG,
OLGZ 1986, 174, 178; OLG Schleswig, NJW-RR 2007, 448, 449), etwa - wie
hier - bei der Verlegung oder Reparatur von Versorgungsleitungen (vgl.
Rieke/Schmid/Abramenko, WEG, 5. Aufl., § 14 Rn. 46).

bb) Die Eigentümergemeinschaft, die unter Geltung des Wohnungseigentumsgesetzes
in der bis zum 30. November 2020 geltenden Fassung Instandsetzungsmaßnahmen
am gemeinschaftlichen Eigentum beschließt, die notwendig
Substanzeingriffe auch am Sondereigentum erfordern, ist befugt, zugleich diejenigen
Maßnahmen zu beschließen, die zur Wiederherstellung des Sondereigentums
erforderlich sind.

(1) Zwischen den Mitgliedern einer Wohnungseigentümergemeinschaft
besteht ein gesetzliches Schuldverhältnis, durch das die Verhaltenspflichten des
§ 14 WEG aF begründet werden, aus dem aber auch darüber hinausgehende
Treue- und Rücksichtnahmepflichten im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB folgen können
(vgl. Senat, Urteil vom 1. Juni 2012 - V ZR 195/11, NJW 2012, 2725 Rn. 17;
Urteil vom 10. November 2006 - V ZR 62/06, ZWE 2007, 32, 33; BGH, Urteil vom
5. März 2014 - VIII ZR 205/13, NZM 2014, 303 Rn. 12). Dem Gebot der gegenseitigen
Rücksichtnahme und dem Schutz des Sondereigentums in seinem tatsächlichen
Bestand hat der Gesetzgeber in § 14 Nr. 4 Halbsatz 2 WEG aF
dadurch Rechnung getragen, dass dem betroffenen Wohnungseigentümer der
durch die zu duldenden Maßnahmen entstandene Schaden an seinem Sonderei-
gentum zu ersetzen ist. Schuldner dieses Anspruchs ist die Wohnungseigentümergemeinschaft
(vgl. Senat, Urteil vom 25. September 2015 - V ZR 246/14,
BGHZ 207, 40 Rn. 27 mwN).

(2) Der Anspruch aus § 14 Nr. 4 Halbsatz 2 WEG aF ist ein verschuldensunabhängiger
Schadenersatzanspruch, dem aufopferungsähnliche Grundgedanken
zugrunde liegen. Auf ihn finden die allgemeinen Vorschriften der §§ 249 ff.
BGB über Art, Inhalt und Umfang der Schadensersatzleistung Anwendung (vgl.
Senat, Urteil vom 9. Dezember 2016 - V ZR 124/16, WuM 2017, 224 Rn. 29). Der
Verband hat daher gemäß § 249 Abs. 1 BGB den Zustand wiederherzustellen,
der vor dem Eingriff in das Sondereigentum bestanden hatte. Daraus leitet sich
die Befugnis der Eigentümerversammlung ab, zusammen mit den Arbeiten zur
Instandsetzung und Instandhaltung des Gemeinschaftseigentums auch diejenigen
Maßnahmen zu beschließen, die zur Wiederherstellung des zwingend in Anspruch
zu nehmenden Sondereigentums erforderlich sind. Ob die Beschlusskompetenz
hinsichtlich der Wiederherstellung des Sondereigentums nur aus § 14
Nr. 4 WEG aF folgt oder auch aus dem übergeordneten Gedanken, dass die Wiederherstellung
regelmäßig das mildeste Mittel ist und dem Gebot der Rücksichtnahme
entspricht, kann dahinstehen. Jedenfalls wird es im Regelfall im Interesse
der betroffenen Sondereigentümer liegen, dass beide Maßnahmen zusammen
beschlossen werden, damit das für die Sanierung in Anspruch genommene Sondereigentum
- u.a. der im Sondereigentum stehende Innenputz (vgl. BayObLG,
ZfIR 2003, 246, 248) - unmittelbar nach Abschluss der Arbeiten am Gemeinschaftseigentum
zeitnah wiederhergestellt werden kann. Ansonsten obläge es
jedem Wohnungseigentümer selbst, sich im Anschluss an die Instandsetzung
des Gemeinschaftseigentums um die Wiederherstellung seines Sondereigentums
zu kümmern, was zu deutlichen zeitlichen Verzögerungen führen würde,
weil zunächst Angebote eingeholt und dann Handwerksunternehmen beauftragt
werden müssten.

(3) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts entfällt die Beschlusskompetenz
nicht deshalb, weil die Wohnungseigentümer im Zeitpunkt der Beschlussfassung
ihr Einverständnis mit der Durchführung der Naturalrestitution im
Sinne von § 249 Abs. 1 BGB nicht erklärt hatten. Nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB
ist der Gläubiger zwar befugt, statt der Herstellung des früheren Zustandes den
dazu erforderlichen Geldbetrag zu verlangen. Dieses Recht des Geschädigten
ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aber nicht als
eine Wahlschuld im Rechtssinne (§§ 262 ff. BGB), sondern als Ersetzungsbefugnis
des Gläubigers zu verstehen. Denn es werden nicht von vornherein mehrere
Leistungen geschuldet; vielmehr ist der Gläubiger nur berechtigt, anstelle der einen
geschuldeten Leistung eine andere mit der Folge zu fordern, dass fortan nur
dieser letzteren Erfüllungswirkung zukommt (vgl. Senat, Urteil vom 8. Februar
1952 - V ZR 122/50, BGHZ 5, 105, 109; BGH, Urteil vom 28. Februar 2018
- VIII ZR 157/17, BGHZ 218, 22 Rn. 26; Urteil vom 29. Januar 2019
- VI ZR 481/17, NJW 2019, 1669 Rn. 21). Bei der Ersetzungsbefugnis des Gläubigers
kann der Schuldner - anders als nach § 264 Abs. 2 BGB bei der Wahlschuld
- die vereinbarte Leistung erbringen, solange der Gläubiger sie noch nicht
durch eine andere ersetzt hat (vgl. BeckOGK/Krafka, BGB [1.7.2022], § 262
Rn. 7; BeckOK BGB/Lorenz [1.5.2022], § 262 Rn. 15; MüKoBGB/Krüger, 9. Aufl.
§ 262 Rn. 10; Staudinger/Bittner/Kolbe, BGB [19.7.2021], § 262 Rn. 14). Es bestand
daher im Zeitpunkt der Beschlussfassung keine Ungewissheit über den
Leistungsinhalt, da der Verband zur Naturalrestitution im Sinne von § 249 Abs. 1
BGB verpflichtet war. Auch steht es den geschädigten Wohnungseigentümern
nach wie vor frei, gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB von der Gemeinschaft den für
die Wiederherstellung des Sondereigentums erforderlichen Geldbetrag zu verlangen.
Die Ausübung der den betroffenen Wohnungseigentümern zustehenden
Ersetzungsbefugnis schließen die angefochtenen Beschlüsse zu TOP 4 a) und
4 b) ihrem Wortlaut nach nicht aus.

III.
1. Das Urteil kann danach keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562
Abs. 1 ZPO). Der Senat entscheidet in der Sache selbst, weil weitere Feststellungen
nicht zu treffen sind und die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563
Abs. 3 ZPO). Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung
der erstinstanzlichen Entscheidung mit der Maßgabe, dass die Kosten
beider Rechtsmittelverfahren allein von den Klägern zu 1, 2 und 16 zu tragen
sind.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

08.07.2022

Aktenzeichen:

V ZR 207/21

Rechtsgebiete:

Sachenrecht allgemein
Allgemeines Schuldrecht
WEG
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

WEG a. F. § 14 Nr. 4; BGB § 249