Formerfordernis für Beschwerden in Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit
letzte Aktualisierung: 11.5.2022
OLG Franfkurt, Beschl. v. 15.2.2022 – 4 UF 8/22
FamFG §§ 14b Abs. 1, 14 Abs. 2, 18, 63, 64 Abs. 2 S. 1, 70 Abs. 4; ZPO § 130a
Formerfordernis für Beschwerden in Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit
Beschwerden des in § 14b Abs. 1 Satz 1 FamFG genannten Personenkreises müssen in
Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit seit dem 1.1.2022 entweder zur Niederschrift der
Geschäftsstelle oder schriftlich durch Übermittlung einer Beschwerdeschrift als elektronisches
Dokument eingelegt werden. Eine Beschwerdeeinlegung durch Übersendung der Beschwerdeschrift
per Telefax, Computerfax oder per Post genügt dem Formerfordernis nicht.
Gründe
I.
Nachdem das beteiligte Jugendamt das Familiengericht in einem dort anhängigen Kinderschutzverfahren
über die am 27.10.2021 gegen den Willen ihrer Eltern erfolgte Inobhutnahme
der drei betroffenen Kinder unterrichtet hatte, leitete das Familiengericht am 5.11.2021
das vorliegende einstweilige Anordnungsverfahren ein. Nach persönlicher Anhörung der betroffenen
Kinder und der Eltern und Erörterung erteilte das Familiengericht den Kindeseltern
mit dem angefochtenen Beschluss im Wege der einstweiligen Anordnung mehrere Auflagen,
lehnte die Ergreifung darüber hinausgehender Maßnahmen, insbesondere einen vorläufigen
Entzug der elterlichen Sorge, jedoch ab. In der Rechtsbehelfsbelehrung wies es auf die zwei-
wöchige Beschwerdefrist und die Möglichkeit der Beschwerdeeinlegung durch Einreichung einer
Beschwerdeschrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle hin.
Dem beteiligten Jugendamt wurde der Beschluss am 23.12.2021 zugestellt, woraufhin die Inobhutnahme
beendet und die drei Kinder in den Haushalt ihrer Eltern zurückgeführt wurden.
Mit seiner auf den 30.12.2021 datierten Beschwerde begehrt das Jugendamt die Ergreifung
von Maßnahmen, die zum Schutz der Kinder mit einer vorläufigen Trennung der Kinder von
ihren Eltern verbunden sind.
Nachdem ein Versuch, die Beschwerdeschrift am 30.12.2021 per Telefax an das Familiengericht
zu übermitteln, gescheitert war, gab das Jugendamt die Beschwerdeschrift zur Post. Sie
ging am 5.1.2022 in Papierform beim Amtsgericht ein. Das Jugendamt hat außerdem einen
Faxsendebericht vorgelegt, wonach die Beschwerdeschrift am 3.1.2022 per Computerfax an
das Amtsgericht gesendet worden ist.
Die Kindeseltern sind der Beschwerde in der Sache entgegengetreten.
Der Verfahrensbeistand ist der Beschwerde ebenfalls in der Sache entgegengetreten, hält
diese im Hinblick auf den zum 1.1.2022 in Kraft getretenen § 14b FamFG jedoch auch für unzulässig.
Die Beteiligten sind auf die beabsichtigte Verwerfung der Beschwerde als unzulässig hingewiesen
worden.
II.
Die Beschwerde ist gemäß
der nach
Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 6.1.2022 endenden zweiwöchigen Beschwerdefrist
nicht in der durch § 64 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1, 14b Abs. 1 Satz 1, 14 Abs. 2 FamFG,
130a ZPO vorgeschriebenen Form eingelegt worden ist.
Nach § 14b Abs. 1 Satz 1 FamFG sind schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen von
Behörden seit dem 1.1.2022 als elektronisches Dokument im Sinne der §§ 14 Abs. 2 FamFG,
130a ZPO einzureichen.
Die Einreichung eines entsprechenden elektronischen Dokuments ist hier unzweifelhaft nicht
erfolgt; insbesondere ist ein vom Faxgerät des Gerichts ausgedrucktes Computerfax weder
ein elektronisches Dokument noch genügt es den hieran nach §§ 14 Abs. 2, 130a Abs. 2 bis
4 ZPO zu stellenden Anforderungen (vgl. BeckOK-ZPO/von Selle, Stand: 1.1.2022, § 130a,
Rdnr. 8).
Das Jugendamt war auch nicht deswegen von der Einreichung eines elektronischen Dokuments
befreit, weil § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG auch eine Beschwerdeeinlegung zur Niederschrift
zur Geschäftsstelle zulässt. Bedient sich das Jugendamt nicht dieser Form der Beschwerdeeinlegung,
sondern der in § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG alternativ vorgesehenen Beschwerdeeinlegung
„durch Einreichung einer Beschwerdeschrift“, muss es nach Auffassung
des Senats seit dem 1.1.2022 ein den Anforderungen des
Dokument übermitteln.
Zwar ist der zum 1.1.2022 in Kraft getretene § 14b Abs. 1 Satz 1 FamFG durch Gesetz vom
5.10.2021 (BGBl. I S. 4607) gegenüber seiner ursprünglichen, durch Gesetz vom 10.10.2013
(BGBl. I S. 3786) vorgesehenen Fassung dahingehend abgeändert worden, dass er die Einreichung
eines elektronischen Dokuments nicht mehr für sämtliche Anträge und Erklärungen,
sondern nur noch für schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen von Rechtsanwälten,
Notaren, Behörden und juristischen Personen des öffentlichen Rechts vorsieht. Damit
sollte ausweislich der Begründung des unverändert übernommenen Gesetzentwurfs der Bundesregierung
dem Umstand Rechnung getragen werden, dass das FamFG im Unterschied zur
ZPO kein allgemeines Schriftformerfordernis für Anträge und Erklärungen kennt, weshalb die
Pflicht zur elektronischen Übermittlung ausdrücklich auf schriftlich einzureichende Anträge
und Erklärungen beschränkt wurde (vgl. BT-Drs. 19/28399, S. 39f.).
Als Beispiel für eine ein Schriftformerfordernis begründende Vorschrift nennt jedoch auch die
Begründung des Regierungsentwurfs den für die Beschwerdeeinlegung maßgeblichen § 64
Abs. 2 FamFG: Soweit dieser in § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG für Familiensachen der freiwilligen
Gerichtsbarkeit die Wahl zwischen einer Beschwerdeeinlegung zur Niederschrift der Geschäftsstelle
und einer Beschwerdeeinlegung durch Einreichung einer Beschwerdeschrift
lässt, folgt daraus vor diesem Hintergrund keine allgemeine Befreiung des in § 14b Abs. 1
Satz 1 FamFG genannten Personenkreises von der Pflicht zur Übermittlung eines elektronischen
Dokuments. Vielmehr ist die Bestimmung nach Auffassung des Senats dahingehend
auszulegen, dass sie dem genannten Personenkreis zur Übermittlung einer Beschwerdeschrift
als elektronisches Dokument verpflichtet, wenn die Beschwerde nicht zur Niederschrift der
Geschäftsstelle eingelegt wird (so wohl auch Fritzsche, Die Pflicht zum elektronischen Rechtsverkehr
- Chancen und Risiken,
Eine Befreiung des Beschwerdeführenden Jugendamts von der Pflicht zur Übermittlung eines
elektronischen Dokuments folgt auch nicht aus dem Umstand, dass die Beschwerdeeinlegung
bis zum Ablauf des 31.12.2021 noch durch die Einreichung einer der Schriftform des § 126
BGB genügenden Beschwerdeschrift, also durch Übersendung eines vom Aussteller eigenhändig
unterzeichneten Schriftstücks per Post oder per Telefax, hätte eingelegt werden können.
Eine entsprechende Beschwerdeeinlegung ist hier nämlich vor Ablauf des 31.12.2021 nicht
erfolgt, sondern erst nach Inkrafttreten des § 14b FamFG zum 1.1.2022.
Dass das Jugendamt am 30.12.2021 erfolglos versuchte, dem Amtsgericht die Beschwerdeschrift
per Telefax zu übermitteln, gibt auch keinen Anlass zu einer Wiedereinsetzung in die
versäumte Beschwerdefrist nach § 18 Abs. 3 Satz 3 FamFG. Zum einen ist die Beschwerdeeinlegung
entgegen § 18 Abs. 2 Satz 2 FamFg bis heute nicht in der durch §§ 64 Abs. 2
Satz 1, 14b Abs. 1 Satz 1 FamFG vorgeschriebenen Form nachgeholt worden. Zum anderen
war das Jugendamt offenkundig nicht schuldlos an der Einhaltung der Beschwerdefrist gehindert,
hatte es doch nach dem gescheiterten Versuch einer Übermittlung der Beschwerdeschrift
per Telefax am 30.12.2021 noch bis zum Ablauf des 6.1.2022 Zeit, die Beschwerde in
der vorgeschriebenen Form einzulegen.
Die Entscheidung ist gemäß § 70 Abs. 4 FamFG unanfechtbar.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 81 Abs. 1, 84 FamFG, wonach dem unterlegenen
Rechtsmittelführer die durch sein Rechtsmittel verursachten Kosten auferlegt werden sollen.
Umstände, welche ein ausnahmsweises Abweichen von der vorgesehenen Regelkostenfolge
rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich.
Die Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfeanträge der Kindeseltern beruht auf §§ 76
Abs. 1 FamFG, 115, 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO.
Die Wertfestsetzung ergibt sich aus §§ 55 Abs. 2, 40 Abs. 1 und 2, 45 Abs. 1 Nr. 1, 41
FamGKG.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Frankfurt a. Main
Erscheinungsdatum:15.02.2022
Aktenzeichen:4 UF 8/22
Rechtsgebiete:Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Normen in Titel:FamFG §§ 14b Abs. 1, 14 Abs. 2, 18, 63, 64 Abs. 2 S. 1, 70 Abs. 4; ZPO § 130a