OLG Hamm 07. März 2024
22 U 86/23
BGB § 321

Unsicherheitseinrede; Lastenfreiheit des Kaufobjekts als Fälligkeitsvoraussetzung; Vorleistungspflicht des Käufers; Verzug des Verkäufers zur Herbeiführung der Lastenfreistellung; Rücktrittsrecht des Käufers

letzte Aktualisierung: 15.7.2024
OLG Hamm, Urt. v. 7.3.2024 – 22 U 86/23

BGB § 321
Unsicherheitseinrede; Lastenfreiheit des Kaufobjekts als Fälligkeitsvoraussetzung;
Vorleistungspflicht des Käufers; Verzug des Verkäufers zur Herbeiführung der
Lastenfreistellung; Rücktrittsrecht des Käufers

1. Ist in einem notariellen Grundstückskaufvertrag die Lastenfreiheit des Kaufobjekts eine
Fälligkeitsvoraussetzung für die Kaufpreisforderung und ist der Käufer vorleistungspflichtig, so hat
der Käufer vorbehaltlich einer abweichenden besonderen Vertragsausgestaltung keinen
verzugsbegründenden Anspruch gegen den Verkäufer auf Herbeiführung der Lastenfreiheit.
2. § 321 BGB ist entsprechend anzuwenden, wenn die Leistung des vorleistungspflichtigen Käufers
(mangels Sicherstellung der Lastenfreiheit) noch nicht fällig ist und nach dem Kaufvertragsabschluss
bekannt wird, dass der Verkäufer die Lastenfreiheit auf absehbare Zeit nicht gewährleisten kann.
Der Käufer hat in diesem Fall unter den Voraussetzungen des § 321 Abs. 2 BGB die Möglichkeit,
vom Kaufvertrag zurückzutreten.
3. Wenn § 321 BGB einschlägig ist, dürfen die hieraus resultierenden Rechtsfolgen nicht durch einen
Schadensersatzanspruch aufgrund der Verletzung der sog. vertraglichen Leistungstreuepflicht (der
Verpflichtung, den Vertragszweck und den Leistungserfolg weder zu gefährden noch zu
beeinträchtigen) konterkariert werden.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit der
Erfüllung eines Grundstückskaufvertrages.

Mit notariellem Kaufvertrag vom 11.06.2013 erwarb die Beklagte von der Stadt S.
(nachfolgend: Streithelferin) eine Teilfläche der Flurstücke N01 und N02 der Flur N08,
Gemarkung S. in einer Größe von ca. 10.380 m2. Durch diese Teilveräußerungen
entstanden die neuen Flurstücke N03 bis N04. Der Streithelferin verblieb das neu
bezeichnete Flurstück N05 der Flur N08.

Beide ehemaligen Flurstücke N01 und N02 waren mit einem Wegerecht zugunsten
benachbarter Flurstücke belastet. Zu den durch dieses Wegerecht Begünstigten zählte
auch Herr P. als Eigentümer des Flurstücks N06, das unmittelbar im Westen an den
räumlichen Geltungsbereich des Bebauungsplans angrenzte. Nach Teilung der
Ursprungsflurstücke wurde das Wegerecht auf sämtlichen neu gebildeten Flurstücken im
Grundbuch fortgeschrieben.

Im Zuge der Umsetzung des zwischen der Streithelferin und der Beklagten bestehenden
Erschließungsplans veräußerte die Beklagte am 12.11.2013 das hier streitgegenständliche
Flurstück N07 der Flur N08 für 246.240,00 EUR an den Kläger. Die eingetragenen
Belastungen sollten gelöscht werden. Wegen der Einzelheiten wird auf den notariellen
Vertrag UR-NR. 384/2013 des Notars G. Bezug genommen, vgl. Bl. 36 ff. der
erstinstanzlichen Akte (nachfolgend: d.A.).

Mit Schreiben vom 29.04.2014 teilte der Notar G. dem Kläger mit, dass die Belastungen in
Abt. II des Grundbuchs (Wegerecht zugunsten des Herrn P.) immer noch eingetragen
seien und forderte diesen auf, die Rechte zunächst zu übernehmen, um den Vertrag
abwickeln zu können. Dies lehnte der Kläger ab. Nachdem sich die Löschung des
Wegerechts zugunsten des Herrn P. weiter hinzog, erklärte sich die Beklagte bereit, die
streitgegenständlichen Flurstücke mit dem immer noch bestehenden Wegerecht von der
Streithelferin zu übernehmen. Die Streithelferin erhob für die Beklagte Klage gegen den
Wegerechtsberechtigten Herrn P. vor dem LG Detmold. In erster Instanz unterlag die
Streithelferin mit ihrer Klage auf Löschung des Wegerechts vor dem LG Detmold gegen
den Berechtigten Herrn P. und legte Berufung ein.

Am 11.04.2016 schlossen die Streithelferin und Herr P. vor dem OLG Hamm (5 U 108/15)
einen Vergleich und einigten sich auf die Löschung des Wegerechts gegen Zahlung eines
Betrages von 10.000,00 EUR und Übernahme und Unterhaltung der bestehenden
Zuwegung zum Flurstück N06 durch die Streithelferin. Die entsprechende Pfandfreigabe
des Herrn P. erfolgte daraufhin am 28.06.2016, sodass der Notar G. den Kläger mit
Schreiben vom 01.08.2016 darüber informierte, dass nunmehr eine lastenfreie
Übertragung möglich sei.

Am 03.08.2016 zahlte der Kläger den Kaufpreis für das streitgegenständliche Grundstück
an die Beklagte, woraufhin er im August 2016 ins Grundbuch als Eigentümer eingetragen
wurde. Nach einer zwischenzeitlich erfolgten Umplanung erhielt der Kläger am 28.11.2017
eine Baugenehmigung für ein 6-Parteien-Haus.

Der Kläger hat gemeint, durch die verzögerte Löschung des Wegerechts sei ihm ein
erheblicher Schaden entstanden, in Form von Mietausfällen und Baukostensteigerungen.
Diese Schäden, die er mit 188.168,48 € beziffert, müsse die Beklagte ersetzen.
Das Landgericht hat der Klage, nach Einholung eines Sachverständigengutachtens,
vollumfänglich stattgegeben. Ein Anspruch auf Minderung bestehe nicht, da bei
Gefahrübergang Lastenfreiheit hergestellt worden sei. Der Kläger habe aber gegen die
Beklagte einen Anspruch aus Verzug. Mit Ablauf des 30.04.2014 habe sich die Beklagte in
Verzug befunden. Denn diese habe gem. § 271 BGB zum 30.04.2014 die Lastenfreiheit
herstellen müssen, was sich aus der Auslegung des notariellen Vertrages ergebe. Die
Beklagte habe schuldhaft gehandelt, da sie für die Lastenfreiheit in § 5 des notariellen
Kaufvertrages Gewähr geleistet habe. Nach dem Ergebnis der durchgeführten
Beweisaufnahme habe der Kläger einen Schadensersatzanspruch von 188.168,48 €
(126.918,40 € entgangene Mieten (8,50 € Miete/qm bei 533,27 qm vermietbarer
Wohnfläche und einer Verzögerung von 28 Monaten) und im Übrigen wegen der
Baukostensteigerung). Im Wege der Vorteilsausgleichung seien nur 212,51 € für die
Abrechnungen der Firma H. und ein Zinsertrag i.H. von 885,78 € und von 676,89 € zu
berücksichtigen. Diese anrechenbaren Beträge würden aber durch die
Baukostensteigerung kompensiert. Der Kläger habe mit der Durchführung des
Bauvorhabens, ohne sich dem Mitverschuldenseinwand auszusetzen, nicht vor der
lastenfreien Übertragung anfangen müssen.

Wegen der weiteren tatbestandlichen Feststellungen und der Parteianträge sowie der
rechtlichen Begründung im Einzelnen wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug
genommen.

Die Beklagte begehrt mit der Berufung die Klageabweisung. Das Landgericht habe
fehlerhaft Verzug angenommen. Eine Fälligkeitsregelung für die Lastenfreistellung fehle im
Vertrag. Mangels bestimmter Leistungszeit sei eine Mahnung zur Verzugsbegründung
nicht entbehrlich gewesen. Die Schreiben vom 19.05.2014 und vom 11.06.2014 seien vor
Fälligkeit erfolgt und damit keine Mahnungen. Der Beklagten habe mindestens eine Frist
von 6 Monaten für die Sicherstellung der Lastenfreiheit nach dem 30.04.2014
zugestanden. Die Beklagte habe auch nicht schuldhaft gehandelt. Denn sie habe zwar
eine Gewähr für das Ergebnis – Lastenfreiheit – aber nicht für den zeitlichen Ablauf
übernommen. Zudem sei dem Kläger ein überwiegendes Mitverschulden anzulasten. Er
hätte erkennen können, dass sich das Wegerecht auf den angelegten Weg konkretisiert
habe. Sein Grundstück sei deswegen nur formal, aber nicht wirtschaftlich betroffen
gewesen. Auch die Höhe des Schadensersatzanspruches sei fehlerhaft ermittelt. Das
Landgericht habe einen zu langen Verzugszeitraum angenommen. Die
Schadensberechnung des Landgerichts insbesondere in Bezug auf den
Mietausfallschaden sei nicht zutreffend.

Die Streithelferin meint, das Landgericht habe zu Unrecht eine Fälligkeit und damit Verzug
angenommen. Es sei gerade keine Zeitbestimmung auf dem 30.04.2014 festgelegt
worden. Der Beklagten hätten in jedem Fall 3 Monate, wenn nicht sogar 6 Monate für die
Herstellung der Lastenfreiheit zugestanden. Vorherige Mahnungen seien vor Fälligkeit
ergangen und damit zur Herstellung des Verzugs ungeeignet. Den Kläger treffe ein gem.
§ 254 BGB überwiegendes Mitverschulden. Das Landgericht habe auch den Umfang der
Verzögerung falsch ermittelt und im Übrigen den Schaden fehlerhaft berechnet.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 12.05.2023, 7 O 42/18 wird abgeändert und
aufgehoben.

Die Streithelferin beantragt für die Beklagte,
abändernd die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt unter Ergänzung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags das
angefochtene Urteil. Mit Ablauf des 30.04.2014, spätestens aber mit der ersten Mahnung
sei Verzug eingetreten. Wie es sich auswirke, wenn es zu Verzögerungen beim Eintritt von
Fälligkeitsvoraussetzungen komme, sei umstritten und höchstrichterlich nicht geklärt. Der
Verkäufer habe schon nach Treu und Glauben an der Erreichung des Vertragszwecks und
des Leistungserfolgs mitzuwirken, wenn dies erforderlich und ihm zumutbar sei. Die
Beklagte habe alles tun müssen, um die Lastenfreiheit zumindest nach dem 30.04.2014
herbeizuführen. Dieser Verpflichtung habe die Beklagte nicht genügt. Die Einwände der
Beklagten und der Streithelferin gegen die Höhe der titulierten Forderung – insbesondere
im Hinblick auf den Mietausfallschaden – seien nicht begründet.

Der Senat hat mit der Terminsverfügung umfassend Hinweise erteilt, auf die zur
Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, vgl. Bl. 141 f. der
zweitinstanzlichen Akten (nachfolgend: GA).

II.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf
Schadensersatz i.H. von 188.168,48 € nebst Zinsen und Zahlung von vorprozessualen
Rechtsanwaltskosten i.H. von 3.137,91 €.

Soweit die Beklagte abändernd die Aufhebung des angefochtenen Urteils beantragt, ist
dies unter Zugrundelegung der Berufungsbegründung dahin zu verstehen, dass
abändernd die Abweisung der Klage begehrt wird.
1.
Das Landgericht hat zutreffend erkannt, dass der Kläger – entgegen seiner
erstinstanzlichen Auffassung – keinen Anspruch aus Minderung gem. § 437 Nr. 2 BGB hat.
Denn bei Gefahrübergang (§ 446 BGB) war das Wegerecht gelöscht. Er hat mangelfreies
Eigentum erworben. Dagegen erinnert der Kläger nichts.

2.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Schadensersatz auf Grundlage der vertraglichen
Vereinbarungen der Parteien.

a.
Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte wegen eines Verzuges mit einer
Hauptleistungspflicht, §§ 286, 280 BGB.

aa.
Soweit das Landgericht angenommen hat, der Kläger habe ab dem 30.04.2014 einen
durchsetzbaren und fälligen Anspruch gegen die Beklagte auf lastenfreie Übertragung des
streitgegenständlichen Grundstücks, ist dies unzutreffend. Richtig ist nur, dass die
Beklagte die Gewähr für die lastenfreie Eigentumsübertragung übernommen hat. Dies
führt aber nicht zu einem Anspruch des Klägers auf lastenfreie Übertragung nach Ablauf
des 30.04.2014. Denn die Vertragskonstruktion des abgeschlossenen Vertrages ist durch
eine Vorleistungspflicht des Klägers gekennzeichnet. Erst nach Zahlung des Kaufpreises
hatte die Beklagte das lastenfreie Eigentum zu übertragen, vgl. §§ 7, 8 des notariellen
Vertrages, und durfte dementsprechend der Notar eine Umschreibung veranlassen.
Die Annahme des Landgerichts würde zu einer – mit dem Vertragszweck nicht in
Übereinstimmung zu bringenden – ungesicherten Vorleistungspflicht der Beklagten führen.
Die Beklagte hätte keinerlei dingliche Sicherheit für die Kaufpreiszahlung, wäre aber zur
uneingeschränkten Eigentumsübertragung verpflichtet. Die Beurkundung solch
ungesicherter Vorleistungspflichten widerspricht offensichtlich den berechtigten Interessen
des Verkäufers eines Grundstücks und wird dementsprechend für gewöhnlich – auch vor
dem Hintergrund der notariellen Aufklärungs- und Beratungspflichten – nicht vereinbart.
Der Kläger behauptet nicht, dass die Vertragsparteien ein von den diesbezüglich
eindeutigen Anordnungen des Vertrages abweichenden Willen zum Zeitpunkt des
Vertragsabschlusses hatten.

bb.
Einem Verzug der Beklagten mit ihrer Hauptleistungspflicht steht entgegen, dass diese
noch nicht fällig war.

Voraussetzung für einen Verzug der Beklagten ist, dass ihre Leistung fällig war. Eine
Vertragsverletzung des Schuldners löst nicht die Fälligkeit einer Forderung aus (BGH,
Urteil vom 28. September 2007 – V ZR 139/06 –, juris Rn. 11 m.w.N). Mangels
Sicherstellung der Löschung eingetragener Lasten war die Vorleistungspflicht des Klägers
bis zur Löschung des Wegerechts nicht fällig. Erst recht war dann die nachgelagerte Pflicht
der Beklagten zur lastenfreien Übereignung ebenfalls noch nicht fällig.

cc.
Die Vorleistungspflicht des Klägers ist auch nicht nach den Grundsätzen von Treu und
Glauben (§ 242 BGB) entfallen mit der Folge, dass seine Forderung auf lastenfreie
Übertragung des Eigentums ohne Zahlung des Kaufpreises fällig geworden ist.
Zwar kommt in Betracht, dass sich ausnahmsweise der Schuldner auf die vertragliche
Vorleistungspflicht des Gläubigers nicht berufen kann, wenn er seinerseits ernsthaft und
endgültig abstreitet, zur Leistung verpflichtet zu sein (vgl. etwa BGH, Urteil vom 16.5.1968
– VII ZR 40/66 – NJW1968, 1873; MükoBGB/Emmerich, 9. Aufl., § 320 BGB Rn. 32).
Indessen hat die Beklagte zu keiner Zeit gegenüber dem Kläger in Abrede gestellt, dass
sie verpflichtet ist, für eine Löschung des Wegerechts Sorge zu tragen. Sie ist in
Anerkennung dieser Verpflichtung gegenüber der Streithelferin vorstellig geworden, was
dazu führte, dass diese unter Inanspruchnahme der Gerichte die Löschung des Rechts
durchsetzte.

dd.
Die den Fall der Vorleistungspflicht erfassende Unsicherheitseinrede gem. § 321 BGB (vgl.
hierzu weiter unten) führt nicht dazu, dass der Vorleistungspflichtige einen Anspruch auf
Gegenleistung oder auf Sicherheitsleistung Zug-um-Zug gegen die Bewirkung der eigenen
Leistung erhält, vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2009 – V ZR 217/08 –, juris Rn. 20 ff.;
Staudinger-Schwarze (2020), § 321, Rn. 70. Der Reformgesetzgeber hat eine unter
Geltung des alten Rechts stark vertretene Ansicht nicht aufgegriffen (BT-Drucks 14/6040,
179), wonach die Erhebung der Einrede zur Umgestaltung der Vertragspflichten in eine
Zug-um-Zug-Leistung i.S. der §§ 320, 322 BGB führen sollte, wenn die Gegenpartei nicht
einmal Sicherheit leistet.

Im Übrigen würde eine solche Verpflichtung im Gegenseitigkeitsverhältnis nach §§ 320,
322 BGB mangels Durchsetzbarkeit der Forderung nicht zu einem Verzugsschadenersatz
führen, es sei denn, die Voraussetzungen des Annahmeverzugs gem. § 293 ff. BGB lägen
vor (vgl. hierzu etwa MükoBGB/Ernst § 286 BGB Rn. 33 mwN).

b.
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch gem. §§ 286, 280 BGB aus Verzug mit einer
Nebenleistungspflicht der Beklagten oder unter dem Gesichtspunkt einer
Nebenpflichtverletzung der Beklagten gem. § 280 Abs. 1 BGB.

aa.
Eine den Verzug begründende Nebenleistungspflicht der Beklagten, die Lastenfreiheit des
streitgegenständlichen Grundstücks herbeizuführen, besteht nicht.

(1)
Es traf die Beklagte zwar seit dem Abschluss des Vertrages eine sog. vertragliche
Leistungstreuepflicht, aus der die generelle Verpflichtung folgte, den Vertragszweck und
den Leistungserfolg weder zu gefährden noch zu beeinträchtigen (BGH, Urteil vom
5.4.2016 – XI ZR 440/15 – NJW 2016, 2409 Rn. 16; BGH, Urteil vom 07. Juni 2005 – XI
ZR 311/04 – NJW 2005, 2779). Die Beklagte war grundsätzlich verpflichtet, alles zu tun,
um eine möglichst zeitnahe Lastenfreistellung des Grundstücks zu gewährleisten (vgl.
hierzu OLG Düsseldorf, Urteil vom 5. Juli 2016 – I-21 U 126/15 –, juris Rn. 66).
Aus dieser Leistungstreuepflicht kann unter Berücksichtigung der Wertung des § 321 BGB
aber jedenfalls nicht ein Ersatzanspruch auf das positive Interesse i.V. mit den
Verzugsregeln abgeleitet werden (vgl. zur Anwendung von Verzugsregeln auf eine
Nebenpflichtverletzung: beckOGK-Dornis, § 286 Rn. 37).

Die vom Verkäufer grundsätzlich geschuldete Beibringung der
Lastenfreistellungsunterlagen ist nur ein Teilschritt seiner insgesamt zu erbringenden
Leistungsverpflichtung in Form der rechtsmangelfreien Übereignung des Grundstücks (vgl.
hierzu DNotZ 2017, 608 Anm. Kesseler zur Entscheidung des OLG Düsseldorf Urteil vom
05. Juli 2016 – I-21 U 126/15). Dies bedeutet, dass diese Pflicht erst dann als einklagbare
Hauptpflicht entsteht, wenn der vorleistungspflichtige Käufer den Kaufpreis bezahlt hat,
was der Anwendung von Verzugsvorschriften entgegensteht. Aus dem notariellen
Kaufvertrag kann auch keine Frist entnommen werden, innerhalb derer die Fälligkeit durch
die Beklagte herbeigeführt werden musste. Aus diesem ergibt sich nur, dass Fälligkeit
nicht vor dem 30.04.2014 eintreten konnte. Den Parteien war nach der Vertragsgestaltung
mithin klar, dass erst nach dem 30.04.2014 die Voraussetzungen für die Fälligkeit der
Kaufpreiszahlung durch den Kläger – mit der Folge der Fälligkeit der Gegenleistungspflicht
der Beklagten – gegeben sein konnten.

Aus dem Vertragsinhalt lässt sich überdies nicht der übereinstimmende Wille der Parteien
ableiten, die bei der Übereignung geschuldete Lastenfreiheit des Grundstücks über die
Hauptleistungspflichten hinaus zusätzlich als einklagbare Nebenleistungspflicht
auszugestalten. Hierfür sprechen weder der Wortlaut noch die für den Kläger erkennbare
berechtigte Interessenlage des Beklagten.

Bereits die Ausführungen unter § 1 des notariellen Vertrages (Bl. 38 d.A.) machen deutlich,
dass eine Unsicherheit bezüglich der Herbeiführung der Lastenfreiheit bestand, weil dies
von dem Vertrag abhing, den die Beklagte danach mit der Streithelferin abzuschließen
beabsichtigte. Dementsprechend ist unter § 4 des notariellen Vertrages nur die Erklärung
aufgenommen worden, dass die Grundstücke „voraussichtlich“ zum 30.04.2014 bebaubar
sein werden. Diese Formulierung macht deutlich, dass die Beklagte diesbezüglich über die
sonstige vertragliche Ausgestaltung hinaus keine weiteren Bindungen eingehen wollte. Vor
dem Hintergrund der unter § 1 dargelegten vertraglichen Ausgangslage entsprach dies
ihrer Interessenlage, die der Kläger ohne weiteres erkennen konnte. Hätte er
weitergehende Bindungen erreichen wollen, hätte es ihm freigestanden, auf eine
entsprechende Vertragsausgestaltung hinzuwirken.

(2)
Die gegenständliche Konstellation wird durch die Unsicherheitseinrede des § 321 BGB
angemessen und ausgewogen geregelt. Es besteht weder ein Anlass noch ein Bedürfnis,
im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung oder durch eine extensive Ausdehnung der
Anwendbarkeit und Reichweite von Nebenpflichten Verzugsschäden zuzuerkennen.
Die Gefährdung des Gegenleistungsanspruchs braucht, anders als in der früher geltenden
Fassung des § 321 BGB, nicht auf einer Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des
Vorleistungsberechtigten zu beruhen. Auch sonstige drohende Leistungshindernisse
begründen die Einrede, wenn sie geeignet sind, die Erbringung der Gegenleistung zu
verhindern oder vertragswidrig zu verzögern, oder wenn eine vertragswidrige
Beschaffenheit der Gegenleistung von einigem Gewicht zu erwarten ist (vgl. BT–Drucks.
14/6040, S. 179). Zur Leistungsfähigkeit gehört die Fähigkeit, die (Gegen-)Leistung so zu
erbringen, dass es nicht zur Verletzung von Rücksichtnahmepflichten kommt, die die
Annahme der Gegenleistung für den Vorleistungspflichtigen unzumutbar macht, vgl.
Staudinger-Schwarze (2020) BGB § 321 Rn. 43; beckOGKBGB-Rüfner, § 321 Rn. 15. Die
Gefährdung der Gegenleistung muss im Gegensatz zu der bisherigen Regelung in § 321
BGB nicht nach Vertragsschluss entstanden sein; es genügt, dass sie erst zu diesem
Zeitpunkt erkennbar geworden ist (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2009 – V ZR 217/08 –,
juris Rn. 15).

Gerade eine vertragliche Konstruktion wie die vorliegende, bei der die vom Verkäufer
grundsätzlich geschuldete Beibringung der Lastenfreistellungsunterlagen im Ergebnis nur
ein Teilschritt seiner insgesamt zu erbringenden Leistungsverpflichtung in Form der
rechtsmangelfreien Übereignung des Grundstücks ist, rechtfertigt die Anwendung des
§ 321 BGB.

§ 321 BGB betrifft dabei zwar im unmittelbaren Anwendungsbereich den Fall, dass der
Vorleistungspflichtige zu der Leistung schon verpflichtet ist. Vorliegend war der Kläger –
mangels Fälligkeit durch Nachweis der Sicherstellung der Löschung der nicht
übernommenen Lasten (vgl. § 7 d des notariellen Vertrages) – noch nicht einer fälligen
Forderung ausgesetzt.

Die Beklagte ist aber ihrer Verpflichtung zur Herbeiführung der Fälligkeit nicht vollständig
nachgekommen (vgl. o.). Eine entsprechende Anwendung des § 321 BGB ist geboten.
Denn diese Vorschrift ordnet an, welche Rechte dem vorleistungsverpflichteten Schuldner
zustehen, wenn erkennbar ist, dass der Vorleistungsberechtigte die seinerseits ihm
obliegenden Vertragspflichten nicht erfüllen kann. Hierfür macht es keinen Unterschied, ob
die Vorleistungspflicht schon fällig ist oder nicht; der Schuldner hat in jedem Fall das
anerkennenswerte Interesse, nach Maßgabe § 321 Abs. 2 BGB gegen den
Vertragspartner vorzugehen, wenn dieser nicht in der Lage ist, seinen Vertragspflichten
vollständig nachzukommen.

Der Kläger war - wie vorangehend dargelegt - vorleistungspflichtig.
Er hätte gem. § 321 Abs. 2 BGB vorgehen und eine angemessene Frist bestimmen
können, in welcher die Beklagte die Lastenfreiheit sicherstellen musste oder Sicherheit zu
leisten hatte. Die Schreiben vom 19.05.2014 (Bl. 50 d.A.) und 22.05.2014 (Bl. 53 d.A.)
setzen zwar jeweils Fristen bis zum 31.05.2014. Der Kläger hat aber nicht Zug-um Zug
gegen die Leistung nach Wahl der Beklagten die Gegenleistung gefordert oder zur
Sicherheitsleistung aufgefordert. Zudem sind die jeweiligen Fristen bis zum 31.05.2014
deutlich zu kurz. Insoweit ist zu beachten, dass zwar die Beklagte schon bei
Vertragsschluss verpflichtet war, sich um die Lastenfreiheit zu kümmern. Nach der
Vertragsgestaltung konnte vor dem 30.04.2014 aber kein Verzug eintreten. Für die
Umsetzung der Lastenfreiheit hätte mindestens eine weitere angemessene Frist gesetzt
werden müssen. Bei der Bemessung dieser Frist ist zu berücksichtigen, dass nach der
Vertragskonstruktion es für die Beteiligten klar war, dass eine Fälligkeit zum 30.04.2014
nicht gesichert war. Der Kläger hätte nach Ablauf einer angemessenen Frist zurücktreten
können, was er aber nicht gemacht hat. Wenn er an dem Vertrag festhält, ist ihm wegen
der Regelungen gem. § 321 BGB verwehrt, Verzugsschäden in Form von Mietausfällen
und Baukostensteigerungen geltend zu machen.

(3)
Da für den vorliegenden Fall eine ausgewogene gesetzliche Regelung in Form des § 321
BGB existiert, können keine weitergehenden Schadenersatzansprüche wegen der
Verletzung von Nebenpflichten zugesprochen werden. Der Gesetzgeber hat durch die
§§ 320 ff. BGB Normen geschaffen, welche die unterschiedlich ausgestalteten
Rechtsverhältnisse der Vertragsparteien im Gegenseitigkeitsverhältnis behandeln. Die
hiermit verbundenen gesetzgeberischen Anordnungen dürfen nicht durch die Zubilligung
von weitgehenden Schadenersatzansprüchen wegen der Verletzung von Nebenpflichten
konterkariert werden. Ausgenommen sind hiervon im Rahmen der Privatautonomie
spezielle Vertragsausgestaltungen, die zur Begründung von Nebenleistungspflichten
führen können. Derartige Abreden haben die Parteien – wie vorangehend dargelegt –
indessen nicht getroffen.

Ob dem Kläger bei dieser Sachlage Schadensersatzansprüche zustehen, die nicht die
geltend gemachten Verzögerungsschäden betreffen, kann offen bleiben. Gleiches gilt für
die Frage, ob und in welcher Form dem Kläger im Falle eines Rücktritts
Schadensersatzansprüche zugestanden hätten.

3.
Mangels Hauptforderung steht dem Kläger ein Anspruch auf Zinsen und Erstattung von
vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gegen die Beklagte ebenfalls nicht zu.

4.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 101 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit ergeht gem. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

5.
Die Revision wird nicht zugelassen. Der Senat wendet die Rechtsprechung des BGH auf
den vorliegenden Fall an.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Hamm

Erscheinungsdatum:

07.03.2024

Aktenzeichen:

22 U 86/23

Rechtsgebiete:

Allgemeines Schuldrecht
Kaufvertrag
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)

Normen in Titel:

BGB § 321