Actio pro socio für Ansprüche gegen Gesellschafter aus Grundstücksverkauf an GbR
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 48/99 Verkündet am:
15. Januar 2001
Vondrasek
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ : nein
BGHR : ja
BGB § 705
Veräußert ein Gesellschafter in Erfüllung einer ihm gegenüber der Gesellschaft obliegenden Beitragspflicht der Gesellschaft ein Grundstück, so steht auch die im Rücktrittsfalle eintretende Verpflichtung zur Verzinsung des Kaufpreises in unmittelbarem
Zusammenhang mit der Beitragspflicht, so daß der Zinsanspruch im Wege der actio
pro socio geltend gemacht werden kann.
ZPO § 138
Zu den Anforderungen an die Substantiierungspflicht.
ZPO § 296
Begründet der Kläger einen zunächst auf Vertrag gestützten Zahlungsanspruch im
Laufe des Rechtsstreits zusätzlich damit, daß der Beklagte ihm wegen vorsätzlichen
Verschuldens bei Vertragsschluß Schadensersatz zu zahlen habe, kommt eine Zurückweisung des neuen Vorbringens als verspätet nicht in Betracht, weil es sich dabei nicht um ein Angriffsmittel i.S. von
-2schiedenheit der zugrunde liegenden Streitgegenstände eine nachträgliche objektive
Klagehäufung vorliegt.
BGH, Urteil vom 15. Januar 2001 - II ZR 48/99 - OLG Karlsruhe
LG Mannheim
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 14. Dezember 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht und
die Richter Prof. Dr. Henze, Prof. Dr. Goette, Dr. Kurzwelly und die Richterin
Münke
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 15. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 29. Januar 1999 im Kostenpunkt sowie insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Zahlung von 10.744.065,-- DM nebst Zinsen an die S.
GmbH & Co. E.
KG verurteilt worden
ist.
Auf die Anschlußrevision der Klägerin wird das vorbezeichnete Urteil weiter aufgehoben, soweit es die Klage in Höhe von
6.410.482,43 DM nebst Zinsen abgewiesen und die Verurteilung
der Beklagten zur Zahlung von 6.410.482,43 DM an die S.
GmbH & Co. E.
KG nur Zug
um Zug gegen eine Zahlung in gleicher Höhe durch die Klägerin
angeordnet hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagte - zum Teil im Wege der actio pro socio auf Zahlung von insgesamt 23.632.229,86 DM an die S.
GmbH & Co. E.
KG (im folgenden: S.
) in Anspruch.
Die Parteien sind aufgrund Gesellschaftsvertrages vom 9. Mai 1990 mit
einer Einlage von je 1 Mio. DM alleinige Kommanditisten der S.
und
zugleich an deren ebenfalls am 9. Mai 1990 gegründeten Komplementärin, der
S.
I.
GmbH, jeweils hälftig beteiligt. Die S.
wurde zu dem Zweck gegründet, im Bereich von F.
gelegene
Betriebsgrundstücke der Beklagten, die nicht mehr benötigt wurden, gemeinsam zu entwickeln und einer optimalen baulichen Verwertung zuzuführen.
In einer zugleich mit den Gesellschaftsverträgen geschlossenen Rahmenvereinbarung (im folgenden: RV) legten die Parteien die für ihre Zusammenarbeit maßgebenden Grundsätze fest. Die Beklagte verpflichtete sich, bestimmte Grundstücke an die S.
zu veräußern; die Klägerin als Immobiliengesellschaft sollte ihr Know-how einbringen und die S.
bei der Verwertung der Grundstücke gegen Entgelt beraten.
Am selben Tage schlossen die Beklagte und die S.
in Ausführung der Rahmenvereinbarung einen notariellen Kaufvertrag, u.a. über die
Grundstücke "Fr.
". Von diesem Kaufvertrag trat die S.
, der entsprechend den Bestimmungen der RV ein Rücktrittsrecht eingeräumt worden
war, mit Schreiben vom 20. März 1996 hinsichtlich der Grundstücke "Fr.
"
zurück. Die Wirksamkeit des Rücktritts steht zwischen den Parteien und der
D.
(im folgenden: D. ), die den Kaufpreis finanziert
hatte, außer Streit. Der auf die Grundstücke "Fr.
" nach der RV der Parteien entfallende Kaufpreis von 23,5 Mio. DM war am 28. Februar 1991 an die
Beklagte ausgezahlt worden. Nach dem Rücktritt der S.
zahlte die Beklagte diesen Betrag unmittelbar an die D. zurück.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten im Wege der actio pro socio die
Verzinsung des Kaufpreises und aus eigenem Recht den Ausgleich aller Aufwendungen der S.
für die Grundstücke "Fr.
". Erstinstanzlich hat
sie Teilklage über jeweils 10 % ihrer Forderungen, insgesamt 1.976.649,78 DM
erhoben. Das Landgericht hat der Klage bezüglich der geltend gemachten Zinsforderung vollen Umfangs stattgegeben, hinsichtlich der Aufwendungen hat es
einen Betrag von 67.200,-- DM nicht anerkannt und die Beklagte zur Zahlung
der Hälfte der verbleibenden Summe verurteilt, jedoch nur Zug um Zug gegen
Zahlung eines Betrages in gleicher Höhe durch die Klägerin. Gegen das Urteil
haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Klägerin hat sich gegen die teilweise Abweisung ihres Anspruchs auf Aufwendungsersatz gewandt und im
Wege der Klageerweiterung sowohl hinsichtlich des Aufwendungsersatzes als
auch hinsichtlich des Zinsanspruchs jeweils ihre Gesamtforderung geltend gemacht. Außerdem hat sie für die Zinsforderung nicht mehr 5 % wie in erster Instanz, sondern 8 % in Ansatz gebracht. Die Beklagte hat ihr Klagabweisungbegehren weiter verfolgt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten
zurückgewiesen und sie zur Zahlung des geltend gemachten Zinsanspruchs
von 10.744.065,-- DM in voller Höhe verurteilt, hinsichtlich des Aufwendungsersatzanspruchs jedoch nur in Höhe von 6.410.482,43 DM, nämlich der Hälfte der
Aufwendungen, Zug um Zug gegen Zahlung des gleichen Betrages durch die
Klägerin. Mit der Revision greift die Beklagte ihre Verurteilung zur Zahlung von
10.744.065,-- DM nebst Zinsen durch das Berufungsgericht an. Mit der
Anschlußrevision macht die Klägerin den abgewiesenen Teil der Aufwendungsersatzforderung unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes wegen arglistiger Täuschung über Mängel der Grundstücke "Fr.
" geltend und wendet
sich dagegen, daß die Beklagte - hälftigen - Aufwendungsersatz nur Zug um
Zug gegen eine entsprechende hohe Zahlung durch sie, die Klägerin, leisten
soll.
Entscheidungsgründe:
Revision und Anschlußrevision sind begründet und führen zur Zurückverweisung.
A. Revision:
I. Das Berufungsgericht hat die Klage bezüglich der Zinsforderung für zulässig erachtet, weil die Voraussetzungen der actio pro socio insoweit gegeben
seien. Die sich aus der RV ergebende Verpflichtung der Beklagten, der
S.
die Grundstücke "Fr.
" zur Verfügung zu stellen, sei als Beitragsleistung der Beklagten zu werten, so daß sich auch eine aus der Rückabwicklung des Kaufvertrages über diese Grundstücke ergebende Pflicht zur Verzinsung des Kaufpreises als gesellschaftsvertragliche darstelle. Die S.
der D.
habe
im Darlehensvertrag vom 26./27. Februar 1991 zwar alle Ansprüche
aus dem Kaufvertrag, insbesondere den Rücktrittsrechten, sicherungshalber
abgetreten. Die D.
habe den Zinsanspruch aber konkludent an die S.
rückabgetreten unter der aufschiebenden Bedingung der Rückzahlung des
Kaufpreises. Das ergebe sich aus der notariellen Abrede vom 15. Mai 1996
zwischen der S.
den Rücktritt der S.
, der Beklagten und der D.
, derzufolge die Bank
vorsorglich genehmigt habe und die Beteiligten
sich einig geworden seien, daß die Beklagte den Kaufpreis aufgrund der Sicherungsabtretung mit befreiender Wirkung unmittelbar an die D.
solle. Der S.
zurückzahlen
stünden Zinsen in der geltend gemachten Höhe aufgrund
ausdrücklich noch stillschweigend abbedungen worden.
II. Das hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht in allen Punkten stand. Das
Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft erhebliches Vorbringen der Beklagten
über die vorvertraglich erfolgte Vereinbarung eines Ausschlusses der Bestimmungen des
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings von der Zulässigkeit
der Klage nach den Grundsätzen der actio pro socio aus. Die geltend gemachte
Zinsforderung ist in diesem Fall als Sozialanspruch der S.
zu qualifizieren, weil sie eine aus dem Gesellschaftsverhältnis der Parteien herrührende
Verpflichtung der Beklagten betrifft. Nach der RV, in der die Parteien die wesentlichen Vereinbarungen für ihre Zusammenarbeit gleichsam vor die Klammer
gezogen haben und deren Inhalt daher zur Bestimmung ihrer gesellschafterlichen Rechte und Pflichten neben dem der eigentlichen Gesellschaftsverträge
maßgebend ist, war die Veräußerung u.a. der Grundstücke "Fr.
die Beklagte an die S.
" durch
vorgesehen. Der entsprechende Kaufvertrag
konnte nicht mit einem Dritten geschlossen werden. Da die S.
eigens
zu dem Zweck der gemeinsamen Vermarktung dieser Grundstücke gegründet
worden war, kann die Veräußerungspflicht der Beklagten nur als eine ihr in ihrer
Eigenschaft als Gesellschafterin obliegende Verpflichtung verstanden werden.
Entgegen der Ansicht der Revision steht die im Rücktrittsfalle eintretende Pflicht
zur Verzinsung des Kaufpreises in unmittelbarem Zusammenhang mit der Veräußerungspflicht. Sie beruht damit ebenfalls auf dem Gesellschaftsvertrag der
Parteien und ist daher keine Drittforderung.
2. Die Auslegung der notariellen Vereinbarung vom 15. Mai 1996 durch
das Berufungsgericht mag auf der Grundlage des bisherigen Sach- und
Streitstands vertretbar sein. Darauf kommt es jedoch letztlich nicht an. Denn
das Urteil muß aufgehoben werden, weil das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft
den - vorrangigen - Vortrag der Beklagten, vor Abschluß der Vertragsverhandlungen seien die Parteien übereingekommen, daß ein Zinsanspruch nach
Die Beklagte hat im Schriftsatz vom 8. Januar 1999 dargelegt, daß zunächst zwischen ihrem Vorstand und dem Vorstand der D.
, anschließend
auch mit dem Verhandlungsführer der Klägerin in einer Besprechung am
27. März 1990 in M.
Einigkeit erzielt wurde, daß die Beklagte im Gegenzug dazu, daß die Klägerin ihre Dienste gegen Entgelt erbringen sollte, im
Rücktrittsfalle keine Zinsen zahlen sollte. Mit diesem Vorbringen hat sie ihre
unter Beweis durch Zeugnis des Geschäftsführers B.
und Parteivernehmung ihres Vorstands Dr. K.
der S.
gestellte Darlegung im
Schriftsatz vom 4. August 1998 ersichtlich näher substantiiert, so daß das Berufungsgericht ihren Vortrag zu Unrecht als ungenügend konkretisiert und damit
unerheblich behandelt hat.
B. Anschlußrevision:
I. Die Klägerin will mit ihrem Anschlußrechtsmittel erreichen, daß die Beklagte der S.
nicht nur die Hälfte der Aufwendungen zu erstatten hat,
sondern den gesamten Betrag von 12.820.964,86 DM, und dies ohne die Einschränkung, daß die Leistung nur Zug um Zug gegen eine Zahlung der Klägerin
zu erbringen sei. Sie hatte die Klage hinsichtlich aller Forderungen mit Schriftsatz vom 18. Dezember 1998 zusätzlich damit begründet, daß die Beklagte sie
und die S.
über Mängel der Grundstücke "Fr.
" arglistig getäuscht und einen wucherisch hohen Kaufpreis verlangt habe; bei pflichtgemäßer Aufklärung hätte die S.
die Grundstücke nicht erworben, wäre also
nicht mit Darlehenszinsen belastet worden und hätte die Aufwendungen nicht
getätigt. Dieses Vorbringen hat das Berufungsgericht gemäß
als verspätet zurückgewiesen. Das ist, wie die Anschlußrevision zu Recht rügt,
verfahrensfehlerhaft.
II. Das neue Vorbringen war kein Angriffsmittel i.S. von
sondern eine nachträgliche objektive Klagehäufung. Die Klägerin machte damit
einen auf vorsätzliches Verschulden bei Vertragsschluß gegründeten Schadensersatzanspruch neben dem bisher verfolgten vertraglichen Anspruch geltend. Beiden Ansprüchen liegen verschiedene Lebenssachverhalte zugrunde,
so daß es sich um verschiedene Streitgegenstände handelt. Eine Zurückweisung wegen Verspätung kam damit nicht in Betracht. Es liegt - wegen des weiteren Klagegrundes - eine Klagehäufung vor.
1. Die Zulässigkeit einer Klagehäufung beurteilt sich nach
Von einer Einwilligung der Beklagten kann nicht ausgegangen werden, da sie
den Vortrag als verspätet bezeichnet und damit deutlich gemacht hat, daß sie
seiner Berücksichtigung widersprechen wollte. Das Berufungsgericht hat - aus
seiner Sicht konsequent - die Frage der Sachdienlichkeit nicht geprüft. Unter
diesen Umständen kann der Senat darüber selbst befinden,
2. Sachdienlichkeit liegt vor, wenn der bisherige Prozeßstoff als Entscheidungsgrundlage verwertbar bleibt und durch die Zulassung der Klagehäufung ein neuer Prozeß vermieden wird. Der bisherige Prozeßstoff genügt für
eine Entscheidung über den Anspruch aus Verschulden bei Vertragsschluß allerdings nicht. Insoweit bedarf es vielmehr noch einer Beweisaufnahme. Das
Berufungsgericht hätte, wie die Ausführungen zur Revision ergeben, aber ohnehin zu dem Komplex Rücktrittszinsen Beweis erheben müssen. Unter diesen
Umständen ist die Klagehäufung aus Gründen der Prozeßwirtschaftlichkeit als
sachdienlich anzusehen.
III. Entgegen der Anschlußrevisionserwiderung ist das Vorbringen der
Klägerin über eine arglistige Täuschung nicht unschlüssig.
Ein aus einer arglistigen Täuschung über Mängel der verkauften
Grundstücke resultierender Ersatzanspruch würde
ebenso wie ein etwaiger
Zinsanspruch aus
ihrer gesellschaftsrechtlichen Pflichten.
Nach dem Vortrag der Klägerin kann nicht davon ausgegangen werden,
daß der Geschäftsführer der S.
Mängeln hatte.
positive Kenntnis von den behaupteten
C. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es
die erforderlichen Beweiserhebungen durchführen kann. Die Zurückverweisung
gibt den Parteien zugleich Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vorbringens.
Röhricht
Henze
Kurzwelly
Goette
Münke
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:14.01.2001
Aktenzeichen:II ZR 48/99
Erschienen in:NJW 2001, 1210-1211
Normen in Titel:BGB § 705; ZPO § 138; ZPO § 296