Rückzahlungsansprüche von Erben ggü. einem Lebensversicherer
letzte Aktualisierung: 23.2.2022
OLG Frankfurt, Urt. v. 21.6.2021 – 12 U 157/20
VVG a. F. § 5a;
Rückzahlungsansprüche von Erben ggü. einem Lebensversicherer
Der Anspruch der Erben auf Rückzahlung von Versicherungsprämien des Erblassers oder
von hieraus gezogenen Nutzungen gem. §§ 812 Abs. 1 Var. 1, 818 BGB aufgrund Widerspruchs der
Erben mit der Begründung, dass dem Erblasser die Verbraucherinformationen nicht vollständig
erteilt worden sind oder eine Verbraucherinformation nach § 10a VAG unterlassen worden ist, kann
– wie hier – verwirkt sein, wenn zwischen dem Vertragsschluss und dem Widerspruch mehr als 10
Jahre liegen und der Erblasser die Ansprüche aus dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag
unstreitig unmittelbar nach Vertragsschluss – unter Einschluss der Todesfallleistung – zur
Darlehenssicherung abgetreten hat. In diesem Fall, ist davon auszugehen, dass der Erblasser sein
Widerspruchsrecht unabhängig von einer vollständigen Verbraucherinformation nicht ausgeübt
hätte.
(Leitsatz der DNotI-Redaktion)
Gründe
I.
Die Kläger sind Erben zu je 1/2 nach ihrem Ehemann/Vater C, verstorben am
XX.XX.2016 (Erblasser). Sie machen mit vorliegender Klage gegenüber der
Beklagten Bereicherungsansprüche in Höhe von 125.000,- €, hilfsweise Auskunft
im Wege der Stufenklage, nach Widerruf eines Lebensversicherungsvertrages
geltend.
Zwischen dem Erblasser und der Beklagten - früher firmierend als „Fa. A" bestand
ein Lebensversicherungsvertrag vom 20.12.2006 (BI. 21 ff. d. A.). Am 01.01.2021
sollte der Vertrag zur Auszahlung gelangen.
Im Zusammenhang mit dem Vertragsabschluss erhielt der Erblasser
unterschiedliche Widerspruchsbelehrungen zugesandt bzw. vorgelegt
(Antragsformular S. 5, Anlage K1, Bl. 21 d.A.; Übersendungsschreiben vom
05.02.2007, Anlage K3, Bl. 25 d.A.; Deckblatt der „Verbraucherinformation und
Versicherungsbedingungen“, Anlage B4, Anlagenband; auf diese wird jeweils
Bezug genommen).
Mit Schreiben vom 23.11.2012 (Anlage B5, Anlagenband) kündigte der Erblasser
den streitbefangenen Vertrag erstmals; die Beklagte wies diese Kündigung mit
Schreiben vom 17.12.2012 (Anlage B 6, Anlagenband) zurück vor dem Hintergrund,
dass der Erblasser zu diesem Zeitpunkt sämtliche Ansprüche aus dem
streitbefangenen Vertrag abgetreten hatte.
Ab November 2012 leistete der Erblasser keinerlei Zahlungen mehr auf den
streitgegenständlichen Versicherungsvertrag und kündigte mit Schreiben vom
30.01.2014 (Anlage B 7, Anlagenband) erneut. Die Beklagte rechnete daraufhin mit
Schreiben vom 24.03.2014 (Anlage B 8, Anlagenband) den Vertrag ab und zahlte
den Rückgabewert in Höhe von 91.029,59 € an die Bank1 - die damalige
Rechtsinhaberin - aus.
Nach dem Tod des Erblassers und ca. 3 1/2 Jahre nach der Vertragsabwicklung
schließlich erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten am 03.07.2017
(Anlage K5, Bl. 28 ff. d.A.) den Widerspruch gegen den Vertrag vom 20.12.2006
mit der Begründung, der Erblasser sei vor bzw. bei Abschluss dieses Vertrages
nicht ordnungsgemäß bzw. ausreichend über sein Widerrufsrecht belehrt
worden.
Die Kläger begehren als Erben des Versicherungsnehmers Rückzahlung
eingezahlter Beträge nebst Nutzungsentschädigung abzüglich erhaltener
Leistungen. Sie gehen dabei von einem Anspruch von 155.596,57 € aus, machen
vorliegend aber im Wege der Teilklage davon nur 125.000,- € geltend. Wegen der
Berechnung wird auf die Ausführungen in der Klageschrift (Bl. 7 ff. d. A.) Bezug
genommen.
Die Beklagte hält den Widerspruch der Kläger gegen den streitbefangenen Vertrag
für verfristet, da die Belehrung des Erblassers ausreichend und ordnungsgemäß
erfolgt sei. Zudem sei das Verhalten der Kläger widersprüchlich und treuwidrig, da
der Vertrag seitens des Erblassers zur Kreditsicherung eingesetzt worden sei. Der
Erblasser selbst habe demzufolge die Wirksamkeit des streitbefangenen Vertrages
für seine Zwecke genutzt und hierdurch einen Vertrauenstatbestand gesetzt. Zudem
sei der Vertrag durch Kündigung endgültig beendet worden. Spätestens 10 Jahre
nach Vertragsschluss sei der streitbefangene Vertrag zudem aus Gründen der
Rechtssicherheit als bestandskräftig anzusehen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, etwaige Ansprüche seien verwirkt.
Wegen der Einzelheiten wird auf das landgerichtliche Urteil (Bl. 233 ff. d.A.) Bezug
genommen.
Dagegen richtet sich die Berufung der Kläger, mit der sie ihre erstinstanzlichen
Anträge weiterverfolgen.
Das Landgericht habe fehlerhaft Verwirkung angenommen.
Es habe die Widerspruchsbelehrungen richtigerweise für unwirksam erachtet, da
die Beklagte insgesamt 4 Belehrungen mit unterschiedlichen Inhalten
herausgegeben habe und es dem Verbraucher nicht zumutbar gewesen sei, hier
die richtige Belehrung, die es nicht gegeben habe, herauszufiltern.
Zudem habe die Beklagte auch nicht über die Zugehörigkeit zu einer
Sicherungseinrichtung aufgeklärt, so dass schon deshalb die Widerspruchsfrist des
§ 5a VVG a.F. nicht zu laufen begonnen habe.
Die Rückabwicklung sei nach der Rechtsprechung des BGH entgegen der
Auffassung des Landgerichts auch bei einem beendeten Vertrag möglich.
Das Landgericht unterstelle unzutreffend, dass der Erblasser sich mit der
Beendigung und dem Rückkaufswert zufriedengegeben habe. Demgegenüber habe
der Erblasser zunächst bereits 2012 und dann nochmals 2014 den Vertrag
gekündigt, was gerade Unzufriedenheit mit dem Vertrag deutlich mache. Die bloße
Entgegennahme des Rückkaufswerts könne bei der Beklagten kein besonderes
Vertrauen hervorgerufen haben.
Auch die Abtretung führe nicht per se zu einem widersprüchlichen Verhalten. Der
BGH habe bislang in keiner vergleichbaren Situation eine Verwirkung festgestellt
oder abgelehnt, allerdings in vielen Fällen zugunsten der Versicherungsnehmer
entschieden, in denen eine Abtretung vorgelegen habe. Nach der Rechtsprechung
des BGH könne eine Abtretung ein Umstand von mehreren sein, reiche aber isoliert
nicht aus für die Annahme von Verwirkung.
Die lange Vertragsdauer spreche nach der Rechtsprechung des BGH ebenfalls
nicht für eine Verwirkung. Auch die starre 10-Jahresfrist in Anlehnung an die
Anfechtungsfrist gelte nicht, sondern nach der Rechtsprechung des BGH sei stets
eine Einzelfallprüfung des Umstandsmoments erforderlich.
Schließlich sei auch kein unzumutbarer Nachteil für die Beklagte ersichtlich.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 08.05.2020, Az 4 O 24/19 wie
folgt abzuändern:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Erbengemeinschaft nach C, bestehend
aus der Klägerin zu 1) und dem Kläger zu 2), einen Betrag von 125.000,00
Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
jeweiligen Basiszinssatz seit 25.07.2017 zu bezahlen.
Hilfsweise für den Fall, dass das Gericht die Versicherung als eine
fondsgebundene einordnet:
Die Beklagte wird verurteilt,
a) der Erbengemeinschaft nach C, bestehend aus der Klägerin zu 1) und dem
Kläger zu 2), zu dem Versicherungsvertrag mit der Nummer … und zum
Stichtag des 25.07.2017 Auskunft zu erteilen über die Höhe des
Fondsguthabens und die Höhe der Summe der Sparanteile der Bruttoprämie,
die nach Abzug sämtlicher Risikokosten für die Todesfallleistung verblieben
sind,
b) die Richtigkeit und Vollständigkeit der erteilten Auskünfte erforderlichenfalls
an Eides Statt zu versichern,
c) an die Erbengemeinschaft nach C, bestehend aus der Klägerin zu 1) und
dem Kläger zu 2), einen Betrag in einer nach der Auskunftserteilung noch
näher zu bestimmenden Höhe nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten
über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 25.07.2017 zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Belehrung sei ordnungsgemäß. Die ordnungsgemäße Belehrung auf dem
Deckblatt (Anlage B4, Anlagenband) mit hinreichender drucktechnischer
Hervorhebung sei bereits obergerichtlich bestätigt. Sie gebe auch den Beginn der
Widerspruchsfrist zutreffend an („nach Zugang dieses Schreibens und der
beigefügten Unterlagen“). Insbesondere werde in dieser Belehrung im vorherigen
Satz ausdrücklich auf die Übersendung der Verbraucherinformation und die
Versicherungsbedingungen hingewiesen. Die Unwirksamkeit ergebe sich auch
nicht aus der Mehrfachbelehrung, keine der Belehrungen sei inhaltlich unzutreffend,
sondern allenfalls unvollständig. Eine Gefahr der Verwirrung oder des Irrtums werde
dadurch nicht erzeugt.
Die Verbraucherinformation sei vollständig.
Das erstinstanzlich gerügte Fehlen der Belehrung über die Antragsbindungsfrist sei
höchstrichterlich geklärt (BGH, Urteil vom 11.12.2019 - IV ZR 8/19).
Die in 2. Instanz gerügte fehlende Angabe über die Zugehörigkeit zu einem
Sicherungsfonds nach Abschnitt 1 Nr. 1 lit. i der Anlage D zu § 10a I VAG führe
nicht zu einem Vertragslösungsrecht. Die Norm beziehe sich nur auf die
Zugehörigkeit zu einem deutschen Sicherungsfonds. Die Beklagte habe als
britischer Lebensversicherer keinem deutschen Sicherungsfonds angehören
können. Über die Nichtzugehörigkeit sei allerdings nicht zu belehren gewesen.
Selbst wenn das Widerspruchsrecht im Juli 2017 formal noch nicht verfristet
gewesen sei, wäre die Geltendmachung unverhältnismäßig, den Klägern stehe
nach der aktuellen Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 19.12.2019 - C 355/18
bis C 357/18 und C-479/18 „Rust-Hackner“) aufgrund allenfalls marginaler Fehler
kein ewiger „Widerspruchsjoker“ zu. Dem Erblasser sei nach der Gesamtwürdigung
jedenfalls zumutbar gewesen, sein Widerspruchsrecht trotz der vermeintlichen
Mängel wahrzunehmen (vgl. auch Hanseatisches OLG, Beschluss vom 16.04.2020
- 9 U 242/19, Anlage BB 4; OLG Hamm, Beschluss vom 29.10.2020 - 20 U 142/20,
beck online Rn. 23 ff.; Beschluss vom 5.8.2020 - 20 U 68/20, Rn. 19 juris; weitere
Rspr vgl. Bl. 355 ff.).
Aufgrund der Kündigung der Versicherungspolice im März 2014 wäre das
Widerspruchsrecht der Kläger bei zutreffender europarechtskonformer Auslegung
ohnehin bereits nach § 5a II 4 VVG a.F. ausgeschlossen.
Ein etwaiges Widerspruchsrecht sei jedenfalls verwirkt. Lange Vertragsdauer sei als
Zeitmoment zu bejahen. Dem Umstandsmoment sei weniger Bedeutung
zuzumessen, je länger der abgelaufene Zeitraum sei. Hinzu komme der Zeitraum
nach Kündigung bis zum Widerspruch von hier über 3 Jahren, bis zum wirksamen
Widerspruch durch beide Kläger mit der Klage fast 5 Jahre, was in Bezug auf das
Umstandsmoment ebenfalls zu berücksichtigen sei.
Das Landgericht habe auch zutreffend gewürdigt, dass der Erblasser sich mit dem
Rückgabewert abgefunden hatte und gegenüber der Beklagten keine weiteren
Schritte unternommen hat.
Der Grundgedanke der Rechtssicherheit gebiete den Ausschluss des
Widerspruchsrechts nach Ablauf von 10 Jahren seit Vertragsschluss, denn der
Gesetzgeber habe selbst für den Fall einer arglistigen Täuschung entschieden, dass
eine Anfechtung nach Ablauf von 10 Jahren ausscheide (§ 124 Abs. 3 BGB).
Der Erblasser habe die Police kurz nach Vertragsschluss abgetreten. Allein daraus
folge ein grob widersprüchliches Verhalten. Abtretungen setzen einen wirksamen
Vertrag voraus und erfüllen für den Versicherungsnehmer einen bestimmten Zweck,
den er ohne die Versicherung als Sicherheit nicht erlangt hätte. Daher bedürfe es
auch keiner erneuten Abtretung, jedenfalls wenn die eine Abtretung in engem
zeitlichen Zusammenhang zum Vertragsschluss erfolgt sei. Jedenfalls sei nach den
Gesamtumständen - hier der Finanzierung als Versicherungsgrund, der hohen
abgetretenen Todesfallleistung und der nachträgliche Widerspruch nach Erfüllen
des Sicherungszwecks - von Verwirkung auszugehen.
Schließlich sei die Berechnung der Klageforderung unsubstantiiert und unschlüssig,
die hilfsweise beantragte Stufenklage unbegründet, jedenfalls bereits durch die
Angaben der Beklagten erfüllt.
Zudem sei der Widerspruch vom 3.7.2017 unwirksam, weil er nur durch die
Klägerin, nicht aber auch durch den Kläger erklärt worden sei. Der Widerspruch sei
damit erst mit Zustellung der Klage zum 1.3.2019 wirksam erklärt worden.
II.
Die zulässige Berufung ist in der Sache unbegründet. Die Kläger haben keinen
Anspruch auf Rückzahlung der von dem Erblasser erbrachten
Versicherungsprämien oder hieraus gezogener Nutzungen aus §§ 812 Abs. 1 Alt.
1, 818 BGB.
1) Der zwischen den Parteien im Jahr 2006 geschlossene
Lebensversicherungsvertrag ist auf der Grundlage des VVG in der hier
maßgeblichen Fassung vom 02.12.2004 (im Folgenden: VVG a. F.) wirksam nach
dem Policemodell zustande gekommen.
Es handelt sich um einen Altvertrag gemäß Art. 1 Abs. 1 EGVVG, auf den für die
Frage der Wirksamkeit des Vertragsschlusses das VVG in der bis zum 31.12.2007
geltenden Fassung anzuwenden ist (Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl. Art. 1 EGVVG,
Rn. 9, 11).
2) Der Erblasser ist nach Auffassung des Senats mit Erhalt der
Versicherungsunterlagen bereits ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht
nach § 5a VVG a. F. belehrt worden.
a) Nach § 5a Abs. 2 VVG a. F. ist entscheidend, dass der Versicherungsnehmer bei
Aushändigung des Versicherungsscheins ausreichend belehrt wird, auf die
Belehrung im Antragsformular kommt es damit nicht an.
b) Die Belehrung, die der Erblasser mit Erhalt des Versicherungsscheins erhielt, war
ordnungsgemäß. Die Belehrung, die auf dem Deckblatt der
„Verbraucherinformation und Versicherungsbedingungen“ abgedruckt ist (Anlage
B4, Anlagenband), ist ausreichend drucktechnisch hervorgehoben und inhaltlich
nicht zu beanstanden (st. Rechtsprechung des Senats, vgl. etwa Hinweisbeschluss
vom 11.03.2019, 12 U 171/18, vorgelegt von der Beklagten als Anlage B24 m.w.N.
Bl. 176 d.A.).
c) Diese formal und auch im Übrigen inhaltlich den Anforderungen des § 5a Abs. 2
Satz 1 VVG a.F. genügende Belehrung wird nicht dadurch entkräftet, dass das
Antragsformular auf S. 5 (Anlage K1, Bl. 21 d.A.) und das Übersendungsschreiben
vom 05.02.2007 (Anlage K3, Bl. 25 d.A.) unvollständige Widerspruchsbelehrungen
enthalten.
Wenn eine von mehreren Widerspruchsbelehrungen insgesamt ordnungsgemäß
war, kommt es darauf an, ob der Versicherungsnehmer durch eine weitere - formal
oder inhaltlich nicht ordnungsgemäße - Belehrung irregeführt oder von einem
rechtzeitigen Widerspruch abgehalten wird (vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember
2015, Az.: IV ZR 71/14, Rdnr. 11, zitiert nach juris).
Dies ist hier nicht der Fall. Hier wird nicht die Gefahr begründet, dass der
Versicherungsnehmer einem Irrtum über die Modalitäten des Widerspruchsrechts
unterliegt, sondern es fehlt lediglich im Antragsformular ein Hinweis auf die
Textform, so dass der Versicherungsnehmer hierdurch keine Fehlvorstellungen
entwickeln kann. Gleiches gilt für das Übersendungsschreiben, in dem in der
Belehrung der Hinweis auf die rechtzeitige Absendung zur Fristwahrung und die
Bezeichnung der Unterlagen fehlt.
3) Ein fortbestehendes Widerspruchsrecht folgt auch nicht daraus, dass die
Beklagte nicht über die Zugehörigkeit zu einer Sicherungseinrichtung im Sinne von
Abschnitt I Nr. 1 Buchst. i) der Anlage Teil D zum VAG a.F. (Sicherungsfonds)
aufgeklärt hat.
Zu der notwendigen Verbraucherinformation nach § 10a Abs. 1 VAG a.F. gehörten
für alle Versicherungssparten gemäß Abschnitt I Nr. 1 Buchst. i) der Anlage D zum
VAG a.F. Angaben über die Zugehörigkeit zu einer Einrichtung zur Sicherung der
Ansprüche von Versicherten (Sicherungsfonds). Die Beklagte hatte bei
Vertragsschluss ihren Sitz in einem anderen Mitgliedsstaat der europäischen Union.
Im Berufungsverfahren ist unstreitig geworden, dass die Beklagte hinsichtlich des
streitgegenständlichen Vertrages zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages
keinem deutschen Sicherungsfonds nach Abschnitt I Nr. 1 Buchst. i) der Anlage D
zu § 10a Abs. 1 VAG a.F. und auch keiner ausländischen Sicherungseinrichtung
angehörte.
a) Von der überwiegenden Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung
wird dem Versicherungsnehmer bei einer fehlenden Angabe über die Zugehörigkeit
zu einem Sicherungsfonds kein Widerspruchsrecht zugebilligt, weil es sich um eine
„reine Information“ handele, mit der keine Aussage über die Qualität der Konditionen
getroffen werde (OLG Stuttgart, Urteil vom 09.05.2019 - 7 U 169/18, juris Rn. 79;
OLG Saarbrücken, Urteil vom 21.02.2018 - 5 U 45/17; juris Rn. 52; OLG München,
Urteil vom 07.09.2020 - 21 U 1983/20, juris Rn. 29 ff; OLG Köln Urteil vom
29.04.2016 - 120 U 4/16; BeckRS 2016, 117188 Rn. 16 und vom 24.06.2016 - 20
U 43/16, juris Rn. 21; OLG Koblenz, Beschluss vom 27.10.2020, 10 U 2189/19,
Anlage B 45, S. 5 mwN.). Das OLG Karlsruhe (Urteil vom 28.06.2019 - 12 U 134/17,
juris Rn. 67 ff.) vertritt dagegen die Auffassung, dass die Bestimmung auch die
Mitteilung erfordere, dass der Versicherer einem Sicherungsfonds nicht angehöre.
Der BGH hat in der Entscheidung vom 18.07.2018, Az. IV ZR 68/17 die
streitgegenständliche Frage ausdrücklich offengelassen (a. a. O., Rn. 20) und schon
aus anderen Gründen eine Aufhebung und Zurückverweisung vorgenommen. Mit
Urteil vom 10.02.2021 (IV ZR 32/20) hat der BGH zur rechtsmissbräuchlichen
Ausübung des Widerspruchsrechts für den Fall entschieden, wenn in der
Verbraucherinformation gemäß § 10a VAG a.F. der Versicherer die Zugehörigkeit
zu einem Sicherungsfonds verneint.
b) Die Informationspflicht nach Abschnitt I Nr. 1 Buchst. i) der Anlage D zu § 10a
Abs. 1 VAG a.F. bezieht sich auf die Zugehörigkeit zu einer von der
Aufsichtsbehörde nach § 125 VAG a.F. überwachten Einrichtung zur Sicherung der
Ansprüche von Versicherten (Sicherungsfonds) (vgl. BGH, Urteil vom 10.02.2021,
a. a. O., juris Rn. 18). Die Norm dürfte sich damit schon nur auf die Zugehörigkeit
zu einem deutschen Sicherungsfonds bezogen haben.
Die Beklagte als Versicherer mit Sitz in einem damaligen Mitgliedsstaat der
europäischen Union konnte von Gesetzes wegen einem Sicherungsfonds i. S. d.
VAG a.F. nicht angehören. Sie konnte weder Pflichtmitglied des Sicherungsfonds
nach § 124 Abs. 1 VAG a.F. werden, noch konnte sie dem Sicherungsfonds
entsprechend § 124 Abs. 2 VAG a.F. freiwillig beitreten (BVerwG, Urteil vom
22.03.2011 - 8 C 47/09, juris Rn. 21 ff.) Die gesetzliche Beschränkung der
Mitgliedschaft in Sicherungsfonds auf im Inland zugelassene Anbieter ist nach der
grundlegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.03.2011
verfassungsrechtlich gerechtfertigt und geboten. Die gegen diese Entscheidung
erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit
Beschluss vom 21.03.2014 - 1 BvR 3397/13 - nicht zur Entscheidung angenommen.
Danach finden die gesetzlichen Vorschriften der §§ 124 ff. VAG a.F. auf die
Beklagte als Versicherungsunternehmen eines damaligen anderen Mitgliedsstaates
keine Anwendung.
c) Unabhängig davon ist ein Negativattest darüber, dass die Beklagte keinem
deutschen Sicherungsfonds und auch keiner ausländischen Sicherungseinrichtung
angehörte, nach dem Wortlaut von Abschnitt I I Nr. 1 lit i) der Anlage D zu § 10a
VAG a.F. nicht gefordert. Nach dem Wortlaut der Vorschriften werden nur Angaben
über die Zugehörigkeit zu einer Einrichtung zur Sicherung der Ansprüche von
Versicherten (Sicherungsfonds) verlangt. Die Nichtzugehörigkeit ist einer
Zugehörigkeit nicht gleichzusetzen.
Der BGH hat zu lit b) und d) der Anlage D zu § 10a VAG aF, wonach Angaben über
das Ausmaß, in dem die Rückkaufwerte garantiert sind, gefordert werden,
entschieden, dass der Versicherer nicht anzugeben habe, dass es in Hinblick auf
den abgeschlossenen Vertrag an einer Garantie von Rückkaufswerten fehle (BGH,
Urteil vom 11.12.2019 - IV ZR 8/19, juris Rn. 16 ff.). Er führt dazu im Hinblick auf
die unionsrechtlich geforderten Angaben aus (a. a. O., juris Rn. 21):
„Der Verbraucher soll durch die geforderten Angaben demnach in die Lage versetzt
werden, die wesentlichen Elemente der ihm angebotenen Versicherungsprodukte
zu vergleichen… Die intendierte Ermöglichung des Vergleichs der wesentlichen
Elemente der dem Verbraucher angebotenen Versicherungsprodukte erfordert nicht
die Angabe des Versicherers, dass es bei einem Produkt an einer Garantie von
Rückkaufswerten fehlt. Der zur Auslegung der Richtlinie heranzuziehende
Durchschnittsverbraucher, der normal informiert und angemessen aufmerksam und
verständig ist…, wird bei einem Vergleich eines Versicherungsvertrages, der
Rückkaufswerte garantiert, mit einem Vertrag, der dies nicht tut, auch dann
erkennen, dass sich die Produkte in dieser Hinsicht voneinander unterscheiden,
wenn für den zweiten Vertrag nicht angegeben wird, dass keine Garantie besteht.
Denn ihm ist ersichtlich, dass im Hinblick auf den ersten Vertrag die Garantie
beschrieben ist sowie das Ausmaß, in dem die Rückkaufswerte garantiert sind,
angegeben wird…, während solche Informationen für den zweiten Vertrag fehlen.
Hieraus wird er schließen, dass der zweite Vertrag keine Garantie von
Rückkaufswerten beinhaltet. Auf dieser Grundlage kann er entscheiden, welcher
Vertrag seinen Bedürfnissen in dieser Hinsicht am ehesten entspricht. Werden dem
Verbraucher nur Verträge angeboten, die Rückkaufswerte nicht garantieren, wird
der Vergleich der Verträge ebenfalls nicht beeinträchtigt, wenn die Versicherer
insofern keine Negativmitteilung machen müssen. Durch das jeweilige Fehlen eines
Hinweises auf das Nichtbestehen der Garantie wird für den
Durchschnittsverbraucher deutlich, dass sich die Verträge in diesem Punkt nicht
voneinander unterscheiden. Eine allgemeine Beratungspflicht erlegt Artikel 31
Abs. 1 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung dem Versicherer nicht auf (EFTAGerichtshof,
Urteil vom 13. Juni 2013 aaO Rn. 69; vgl. Senatsurteil vom 21. März
2018 - IV ZR 353/16, r+s 2018, 233, Rn. 22).“
Dies ist nach Sinn und Zweck auf die (nationale) Bestimmung des hier
maßgeblichen lit. i) übertragbar. Dies gilt insbesondere, da die Vergleichsprodukte
deutscher Versicherer auf dem deutschen Markt aufgrund der Pflichtmitgliedschaft
Angaben zur Zugehörigkeit zum Sicherungsfonds enthalten mussten. Dem Fehlen
einer solchen Angabe konnte der Verbraucher also entnehmen, dass die Beklagte
einem Sicherungsfonds nicht angehörte.
d) Auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift steht einer Informationspflicht
über die Nichtzugehörigkeit entgegen. Nach der Gesetzesbegründung verfolgt die
Regelung den Zweck, den Versicherten über die ihm zustehenden Rechte zu
informieren (vgl. BT-Drs. 15/3418, S. 28 zu Nummer 33). Eine Information über die
Nichtzugehörigkeit war danach nicht vorgesehen.
e) Gegen ein Vertragslösungsrecht der Kläger wegen der fehlenden Angabe der
Nichtzugehörigkeit spricht zudem, dass ein schützenswertes Eigeninteresse
insoweit fehlt. Da die Zugehörigkeit zu einem Sicherungsfonds nicht angegeben
wurde, konnte der Erblasser auch nicht davon ausgehen, dass eine Zugehörigkeit
gegeben war. Ein Irrtum über eine gleichwohl bestehende Zugehörigkeit konnte bei
dem Erblasser nicht hervorgerufen werden. Der ordnungsgemäß über sein
Widerrufsrecht belehrte Erblasser konnte wegen des fehlenden Negativattests von
der Ausübung seines Widerrufsrechts nicht abgehalten werden.
f) Zu berücksichtigen ist nach Auffassung des Senats schließlich der
Erwägungsgrund 23 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung, in dem es heißt,
dass der Zweck der Mindestvorschriften darin besteht, dem Verbraucher klare und
genaue Angaben über die wesentlichen Merkmale der ihm angebotenen Produkte
zu geben, um entsprechende Vergleichsmöglichkeiten und Auswahlkriterien zu
haben. In Anhang II A der Richtlinie werden die Mindestkriterien genannt, die vom
Versicherer mitzuteilen sind, und diese enthalten die hier relevante Zuordnung zu
einem Sicherungsfonds nicht (vgl. auch OLG München Endurteil v. 7.9.2020 - 21 U
1983/20, BeckRS 2020, 22182 Rn. 24 ff., beck-online).
4) Selbst wenn man mit der Rechtsprechung des OLG Karlsruhe annähme, dass
das Widerspruchsrecht hier grundsätzlich fortbestand, weil dem Erblasser die
Verbraucherinformationen nicht vollständig erteilt worden sind oder eine
Verbraucherinformation nach § 10 a VAG unterlassen worden ist, ist vorliegend
nach den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts jedenfalls von Verwirkung
etwaiger Ansprüche der Kläger auszugehen.
a) Der BGH hat dazu in einem Fall (Beschluss vom 27.01.2016, Az.: IV ZR 130/15)
ausgeführt, dass Verwirkung bei Vorliegen besonders gravierender Umstände
angenommen werden kann, und das in dem dortigen Fall bejaht. Dort trat der
Versicherungsnehmer bereits zwei Monate nach Erhalt des Versicherungsscheins
seine Ansprüche aus dem Lebensversicherungsvertrag als Sicherheit für ein
Darlehen an eine Bank ab, wovon die Versicherung Kenntnis erhielt. Nach
Prämienzahlung über mehr als acht Jahre trat der Versicherungsnehmer die
Forderungen aus dem Versicherungsvertrag dann ein weiteres Mal an eine Bank
zur Sicherung der Ansprüche aus einem Kreditvertrag ab. Auch darüber wurde die
Versicherung informiert. Die Abtretung umfasste jeweils ausdrücklich auch die
Todesfallleistung; was zwingend das Bestehen eines wirksamen Vertrages
voraussetzt. Der enge zeitliche Zusammenhang zwischen dem Abschluss des
Versicherungsvertrages und dessen Einsatz zur Kreditsicherung sowie die
Abtretung auch der Todesfallleistung durfte, nach dem BGH, bei dem Versicherer
ein schutzwürdiges Vertrauen in den unbedingten Bestand des Vertrages
begründen. Diese vertrauensbegründende Wirkung war für den
Versicherungsnehmer auch erkennbar. Allerdings lässt der Einsatz der Ansprüche
aus dem Versicherungsvertrag zur Sicherung der Rechte eines Dritten aus einem
Darlehensvertrag nach der Rechtsprechung des BGH keinen zwingenden Schluss
darauf zu, dass der Versicherungsnehmer in Kenntnis seines Lösungsrechtes vom
Vertrag an diesem festgehalten und von seinem Recht keinen Gebrauch gemacht
hätte. Ob ein schutzwürdiges Vertrauen des Versicherers auf den Bestand des
Versicherungsvertrages angenommen werden kann, bleibe vielmehr der
tatrichterlichen Beurteilung vorbehalten (BGH, Urteil vom 01. Juni 2016, Az.: IV ZR
482/14, Rdnr. 24, zitiert nach juris; Urteil vom 11.05.2016, Az.: IV ZR 334/15, zitiert
nach juris, Rdnr. 16).
b) Hier liegen nach Ansicht des Senats solche tatbestandlichen Besonderheiten vor,
so dass von Verwirkung auszugehen ist. Denn bei Würdigung der Gesamtumstände
ist sowohl das erforderliche Zeit- wie auch das Umstandsmoment für eine
Verwirkung erfüllt.
aa) Zwischen dem hier maßgeblichen Vertragsschluss im Jahr 2006 und dem
Widerspruch liegen mehr 10 Jahre. Je länger der Zeitablauf bis zur Ausübung des
Widerspruchsrechts ist, umso höher ist das schutzwürdige Vertrauen des
Vertragspartners in den Bestand des Vertrages und umso mehr Gewicht erhält
dieses Vertrauen, während umgekehrt der gesetzliche Schutzzweck für die
Einräumung des Widerspruchsrechts, den Vertrag (in zeitlichem Zusammenhang
mit seinem Abschluss) widerrufen zu können, mit zunehmendem Zeitablauf immer
mehr verblasst und in den Hintergrund tritt. Sofern - wie im Fall einer nicht
ordnungsgemäßen Belehrung - noch besondere Umstände vorhanden sein
müssen, damit sich die Ausübung des Widerspruchsrechts als rechtsmissbräuchlich
darstellt, kommt diesen Umständen mit zunehmendem Zeitablauf immer weniger
Bedeutung zu.
bb) Hier ist zudem berücksichtigen, dass der Erblasser die Ansprüche aus dem
streitgegenständlichen Versicherungsvertrag unstreitig unmittelbar nach
Vertragsschluss - unter Einschluss der Todesfallleistung - zu einer
Darlehenssicherung abgetreten hat. Der Abschluss des Versicherungsvertrages
stand - wie im Fall des BGH gemäß Beschluss vom 27.01.2016, Az.: IV ZR 130/15
- in engem Zusammenhang mit deren Einsatz zur Sicherung einer
Darlehensforderung. Die Darlehenssicherung war unstreitig der Grund für den
Abschluss des Versicherungsvertrages. In dem Versicherungsantrag heißt es unter
Versicherungsgrund: „Finanzierung“ (vgl. Anlage K1, S. 2, Bl. 18 d.A.).
Die Abtretung setzte, um den mit ihr verfolgten Sicherungszweck zu gewährleisten,
zwingend einen wirksamen Versicherungsvertrag voraus. Weil der Erblasser den
Versicherungsvertrag zur Besicherung eines anderweitig aufgenommenen
Darlehens benötigte, ist davon auszugehen, dass er sein Widerspruchsrecht
unabhängig von einer vollständigen Verbraucherinformation nicht ausgeübt hätte
(vgl. auch OLG Frankfurt, Urteil vom 19.11.2015 - 3 U 49/15, beck online Rn. 4).
Die Beklagte hatte unstreitig von der Abtretung auch Kenntnis und konnte diese
damit als Bestätigung des Vertragsabschlusses ansehen. Bei dieser Sachlage
konnte die Beklagte als Versicherer darauf vertrauen, dass der Vertrag wirksam sein
und fortgeführt werden solle.
cc) Hinzu kommen nach den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts der
lange Zeitraum zwischen Kündigung des Erblassers und Widerspruch seitens der
Kläger als Erben sowie die Tatsache, dass der Erblasser selbst nicht den
Widerspruch erklärt hatte. Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf den
Beschluss des Senats vom 04.01.2021 Bezug genommen (Bl. 505 ff. d.A.).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711
ZPO.
Die Nichtzulassung der Revision (vgl. § 543 Abs. 2 ZPO) beruht darauf, dass es auf
die vorliegend aufgeworfene (streitige) Rechtsfrage, ob die im Versicherungsschein
enthaltenen Angaben über garantierte bzw. nicht garantierte Rückkaufswerte den
Anforderungen der Anlage D Abschnitt I Nr. 2 lit. b bis d zu § 10 a VAG a.F. genügten
und mithin eine die Widerspruchsfrist des jeweiligen Versicherungsnehmers
auslösende unvollständige Verbraucherinformation vorlag, hier nicht
entscheidungserheblich ankam, da zudem Verwirkung vorliegt.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Frankfurt a. Main
Erscheinungsdatum:21.06.2021
Aktenzeichen:12 U 157/20
Normen in Titel:VVG a. F. § 5a; VAG § 10a Abs. 1; BGB §§ 812 Abs. 1 Var. 1, 818