Nacherbenvermerk im Grundbuch; isolierte Löschung
letzte Aktualisierung: 29.7.2022
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 18.1.2022 – 19 W 26/21 (Wx)
Nacherbenvermerk im Grundbuch; isolierte Löschung
1. Ein Nacherbenvermerk kann nicht nur aufgrund eines Unrichtigkeitsnachweises, sondern auch
aufgrund einer Bewilligung durch den Nacherben und den Ersatzerben gelöscht werden.
2. Grundsätzlich kann eine isolierte Löschungsbewilligung ohne Verzicht auf das dingliche Recht
das Grundbuch unrichtig machen. Das Vorliegen einer isolierten Löschung lässt sich aber nicht schon
dann annehmen, wenn aus der eingereichten Löschungsbewilligung und ggf.
weiteren eingereichten Unterlagen deren Grund nicht hervorgeht.
(Leitsätze der DNotI-Redaktion)
Gründe
1. [Ausführungen zur Verbindung von Verfahren, hier nicht abgedruckt]
2. Die Beschwerde des Beteiligten ist zulässig und begründet.
a. Die Beschwerde ist zulässig. Der Notar hat, wie ausgeführt, die Beschwerde im Namen des Beteiligten
eingelegt, der als Grundstückseigentümer durch die Entscheidung des Grundbuchamts beeinträchtigt und damit
beschwerdeberechtigt ist.
b. Die Beschwerde ist auch begründet. Das Grundbuchamt hat zu Unrecht den Antrag des Beteiligten auf
Löschung der im Grundbuch von W., Blatt X1 und X2, in Abt. II unter lfd. Nr. 1 eingetragenen
Nacherbenvermerke zurückgewiesen.
(2) Der erforderliche Antrag wurde gestellt. Der Beteiligte ist als Eigentümer antragsberechtigt gemäß § 13 Abs.
1 Satz 2 GBO und hat seinen Löschungsantrag vom 30.07.2020 durch den Notar F. mit Schreiben vom
05.08.2020 dem Grundbuchamt übermittelt. Der Notar hat dabei keinen eigenen Antrag, sondern lediglich -
aufgrund § 15 Abs. 2 GBO zulässigerweise - den Antrag im Namen des Eigentümers gestellt.
Der Antrag lässt das Begehren einer Eintragung, den Antragsteller und den Inhalt der begehrten Eintragung
erkennen. Er ist schriftlich gestellt und von dem Beteiligten als Eigentümer unterschrieben. Der Antrag selbst
unterliegt nicht den Formvorschriften des
GBO, 12. Aufl., § 30 Rn. 13).
(2) Die im Grundbuch als Nacherben eingetragenen und damit von der Löschung des Nacherbenvermerks
Betroffenen (A. W., S. N., geb. W., und C. W.) haben am 09.02.2016 gemäß
bewilligt. Die Bewilligungserklärungen sind öffentlich beglaubigt gemäß
schriftlich abgefasst, die Unterschriften wurden von dem Notar beglaubigt. Ersatznacherben gibt es im
vorliegenden Fall nicht.
(2) Zu Unrecht hat das Grundbuchamt die Löschung mit der Begründung abgelehnt, eine sog. isolierte
Löschungsbewilligung sei unzulässig, da sie zur Unrichtigkeit des Grundbuchs führe. Es folgt dabei ohne
nähere Begründung der als solcher gekennzeichneten Einzelmeinung in der Kommentierung von Zeiser in
BeckOK/Hügel, GBO, 40. Ed., § 51 Rn. 116f..
(a) Die ganz herrschende Meinung geht davon aus, dass ein Nacherbenvermerk nicht nur bei Führen des
Unrichtigkeitsnachweises, sondern auch bei einer Bewilligung durch den Nacherben und den Ersatzerben
gelöscht werden kann (vgl. z. B. BGH
Demharter, GBO, 32. Aufl., § 51 Rn. 37; Meikel/Böhringer, GBO, 12. Aufl., § 51 Rn. 177; Bauer/Schaub, GBO,
4. Aufl., § 51 Rn. 116), und zwar unabhängig davon, ob die Nacherbfolge materiell-rechtlich fortbesteht oder
nicht (Keller/Munzig, KEHE Grundbuchrecht - Kommentar, 8. Aufl., § 51 Rn. 42). Denn der Nacherbenvermerk
dient ausschließlich dem Schutz des Nacherben und des Ersatznacherben (OLG Hamm,
juris, Rn. 9; BeckOGK/Küpper, BGB, Stand 01.10.2021, § 2100 Rn. 265). Durch den Verzicht auf die Eintragung
des Nacherbenvermerks verzichtet der Nacherbe zunächst lediglich auf die Wirkung des Nacherbenvermerks,
so dass ein gutgläubiger Dritter das Grundstück frei vom Nacherbenrecht erwerben könnte (OLG Hamburg,
2015, 15 - juris, Rn. 10; Meikel/Böhringer, GBO, 12. Aufl., § 51 Rn. 177; Staudinger/Avenarius, BGB (2019), §
2100 Rn. 112 und § 2113 Rn. 39). Der Verzicht auf diesen Schutz ist möglich, da der Nacherbe nach
herrschender Meinung auch bereits auf die anfängliche Eintragung des Nacherbenvermerks verzichten kann
(vgl. nur Staudinger/Avenarius, BGB (2019), § 2113 Rn. 39; Münchener Kommentar/Lieder, BGB, 8. Aufl., §
2100 Rn. 74; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 16. Aufl., Rn. 3512, 3506).
(b) Die gegenteilige Auffassung, auf die sich das Grundbuchamt stützt, geht auf zwei Aufsätze von Bestelmeyer
(
GBO, 40. Ed. § 51 Rn. 116f. (ders. auch in Hügel, GBO, 4. Aufl., § 51 Rn. 116f.) vertreten. Diese Auffassung
stützt sich auf die Überlegung, dass eine „isolierte Löschung des Nacherbenvermerks“ vor Eintritt des
Nacherbfalls - also eine Löschung des Nacherbenvermerks trotz materiell-rechtlichen Fortbestehens der
nacherbschaftlichen Bindung des betroffenen Grundstücks - zur Unrichtigkeit des Grundbuchs führe, dies
jedoch einen Verstoß gegen das grundbuchverfahrensrechtliche Legalitätsprinzip darstelle und das
Grundbuchamt hieran nicht mitwirken dürfe. Aus diesem Grund könne der Nacherbe weder anfänglich noch
nachträglich auf die Eintragung des Nacherbenvermerks verzichten.
(c) Im vorliegenden Fall kann offen bleiben, ob der unter (b) dargelegten Auffassung grundsätzlich nicht zu
folgen ist. Jedenfalls werden im Regelfall deren Anknüpfungspunkte, nämlich dass es sich um eine isolierte
Löschungsbewilligung handelt, durch deren Vollziehung das Grundbuch unrichtig wird, nicht mit den im
Grundbuchverfahren geltenden Grundsätzen festzustellen sein. Dies gilt auch im vorliegenden Verfahren.
(1) Zwar ist zutreffend, dass das Grundbuchamt nicht nur zur Beachtung der förmlichen
Eintragungsvoraussetzungen, sondern auch zur Wahrung der Richtigkeit des Grundbuchs verpflichtet ist, und
deshalb keine Eintragungen vornehmen darf, deren Unrichtigkeit ihm bekannt ist (
22). Es darf daher einem Eintragungsersuchen nicht entsprechen, wenn schon aus den dem Ersuchen
beigefügten Unterlagen hervorgeht, dass die begehrte Eintragung das Grundbuch unrichtig machen würde
(BGH a. a. O.; vgl. auch Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 16. Aufl., Rn. 209; Demharter, GBO, 32. Aufl., Einl.
Rn. 1; Meikel/Böttcher, GBO, 12. Aufl., § 19 Rn. 17).
Dies bedeutet jedoch zum einen, dass die Zurückweisung eines Eintragungsantrags die sichere Kenntnis
voraussetzt, dass das Grundbuch durch die beantragte Eintragung tatsächlich unrichtig wird (Schöner/Stöber,
Grundbuchrecht, 16. Aufl., Rn. 209a; Meikel/Böttcher, GBO, 12. Aufl., Einl. D Rn. 68; § 19 Rn. 18). Bloße
Vermutungen, dass die beantragte Grundbucheintragung zu einer dauernden Grundbuchunrichtigkeit führen
könnte, rechtfertigen dagegen keine Beanstandung durch das Grundbuchamt (Demharter, GBO, 32. Aufl., Anh.
zu § 13 Rn. 41; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 16. Aufl., Rn. 209a; Meikel/Böttcher, GBO, 12. Aufl., Einl D
Rn. 73 und § 19 Rn. 20).
Zum anderen sind Beurteilungsgrundlage für diese Feststellung zunächst neben dem Inhalt des Grundbuchs
nur die eingereichten oder in Bezug genommenen Eintragungsunterlagen, wenn auch daneben Umstände, die
dem Grundbuchamt auf andere Weise bekannt geworden sind oder auf der Lebenserfahrung beruhen, zu
berücksichtigen sein können (vgl.
209b). Mangels konkreter durch Tatsachen begründeter Zweifel besteht im Übrigen aber weder ein Recht noch
die Pflicht des Grundbuchamts, die Übereinstimmung der Eintragung mit dem materiellen Recht zu prüfen (vgl.
Demharter, GBO, 32. Aufl., Einl. Rn. 1, ders., § 13 Rn. 5 und Anhang zu § 13 Rn. 41; Schöner/Stöber,
Grundbuchrecht, 16. Aufl., Rn. 209b f. m. w. N.; Meikel/Böttcher, GBO, 12. Aufl., Einl D Rn. 73). Die Grundsätze
des grundbuchrechtlichen Verfahrens gebieten die Beschränkung des Prüfungsmaßstabes auf eine
Evidenzkontrolle. Nur so wird der Aufgabenverteilung zwischen dem Grundbuchamt und den Zivilgerichten
hinreichend Rechnung getragen. Für eine umfassende Tatsachenaufklärung ist im Grundbuchverfahren kein
Raum, materiell-rechtliche Fragen sind in einem Zivilprozess zwischen den Beteiligten abschließend zu klären
(OLG Düsseldorf,
dem auf eine Evidenzkontrolle beschränkten Prüfungsmaßstab des Notars in Bezug auf die materiell-rechtliche
Wirksamkeit einer beurkundeten Willenserklärung im Rahmen von
Normierung der
einer vollständigen Richtigkeit des Grundbuchs (Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 16. Aufl., Rn. 209).
(2) Auf dieser Grundlage wird jedoch in der Regel nicht mit Sicherheit festzustellen sein, ob es sich überhaupt
um eine „isolierte Löschungsbewilligung“ handelt, durch deren Vollziehung das Grundbuch unrichtig wird.
Das Vorliegen einer isolierten Löschung kann nicht schon dann angenommen werden, wenn aus der
eingereichten Löschungsbewilligung und gegebenenfalls weiteren eingereichten Unterlagen deren Grund nicht
hervorgeht. Daraus würde folgen, dass - wie hier im Ergebnis vom Grundbuchamt - mit der
Löschungsbewilligung eine Darlegung der materiellen Rechtslage zu erwarten wäre, aus der der materiellrechtliche
Wegfall des Nacherbenrechts folgt. Dies widerspricht jedoch dem formellen Konsensprinzip. Dieses
kommt in
die zum Eintritt einer Rechtsänderung notwendigen sachlichrechtlichen Erklärungen der Beteiligten vorliegen
(Demharter, GBO, 32. Aufl., § 19 Rn. 1). Ein vom Grundbuchamt geforderter Vortrag würde in der Folge eine
materiell-rechtliche Prüfung des Grundbuchamts gebieten, die hiermit nicht zu vereinbaren ist. Auch ein
Erfahrungssatz, dass bei fehlender Darlegung eines Grundgeschäfts eine Löschungsbewilligung stets „isoliert“,
also trotz fortbestehenden Nacherbenrechts, abgegeben wird, lässt sich nicht aufstellen. Im Gegenteil, es ist
davon auszugehen, dass dem Löschungsantrag häufig eine Vereinbarung zwischen Vor- und Nacherbe
zugrunde liegt, sei es über die Freigabe des Grundstücks aus der Nacherbenbeschränkung, sei es eine
Zustimmung des Nacherben zu künftigen Veräußerungen. Nicht ohne Grund wird teilweise angenommen, dass
mit der Bewilligung der Löschung des Nacherbenvermerks zugleich schlüssig die Einwilligung zu künftigen
entgeltlichen Verfügungen erklärt wird (vgl. Staudinger/Avenarius, BGB (2019), § 2100 Rn. 112).
Ebenso wenig kann angenommen werden, dass durch Vollziehung einer nicht mit Vortrag zu ihrem materiellrechtlichen
Hintergrund versehenen Löschungsbewilligung stets das Grundbuch unrichtig wird. Ebenso gut
kann es sein, dass der Löschungsbewilligung z. B. eine zwischen Vor- und Nacherbe vereinbarte Freigabe des
Grundstücks aus der Nacherbenbeschränkung zugrunde liegt. In diesem Fall würde das Grundbuch gerade
nicht durch die Löschung des Nacherbenvermerks unrichtig; vielmehr wäre das Grundbuch bereits unrichtig
geworden und das Grundbuchamt würde diesen Zustand bei Ablehnung der Löschung perpetuieren.
(3) Auch im vorliegenden Fall verkennt das Grundbuchamt, indem es der unter (b) dargelegten Auffassung folgt
und die Löschung mit der Begründung ablehnt, die vorgelegte Bewilligung schweige zur materiellen Rechtslage,
den regelmäßigen Prüfungsumfang des Grundbuchamts sowie die Beweislastverteilung und überspannt damit
die Anforderungen an den Inhalt der Löschungsbewilligung. Aus den vorgelegten Unterlagen ergeben sich
gerade keine Anhaltspunkte, die den sicheren Schluss zulassen, dass die Nacherben lediglich eine isolierte
Löschung erklärt haben und das Grundbuch durch die beantragte Löschung unrichtig wird.
(2) Da die Voraussetzungen der Löschung vorliegen, wird daher das Amtsgericht - Grundbuchamt - Mannheim
angewiesen, die in Ziff. 2 des Tenors genannten Nacherbenvermerke zu löschen.
3. Gebühren und Auslagen werden nicht erhoben,
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Karlsruhe
Erscheinungsdatum:18.01.2022
Aktenzeichen:19 W 26/21 (Wx)
Rechtsgebiete:
Sachenrecht allgemein
Beurkundungsverfahren
Grundbuchrecht
Kostenrecht
BGB § 875; GBO §§ 19, 51