Ergänzende Auslegung einer Klausel zur Vertretung in der Eigentümerversammlung
letzte Aktualisierung: 11.10.2019
BGH, Urt. v. 28.6.2019 – V ZR 250/18
Ergänzende Auslegung einer Klausel zur Vertretung in der Eigentümerversammlung
1. Eine Bestimmung in der Teilungserklärung, nach der Wohnungseigentümer sich in der
Eigentümerversammlung nur durch den Ehegatten, einen Wohnungseigentümer oder den Verwalter
vertreten lassen können, ist regelmäßig dahin ergänzend auszulegen, dass sie auch für juristische
Personen gilt und dass diese sich nicht nur durch ihre organschaftlichen Vertreter, sondern auch
durch einen ihrer Mitarbeiter vertreten lassen können.
2. Eine solche Vertretungsklausel ist ferner regelmäßig ergänzend dahin auszulegen, dass sich eine
juristische Person in der Eigentümerversammlung jedenfalls auch von einem Mitarbeiter einer zu
demselben Konzern gehörenden (weiteren) Tochtergesellschaft vertreten lassen darf, wenn diese für
die Verwaltung der Sondereigentumseinheiten zuständig ist.
Entscheidungsgründe:
I.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts entspricht der Beschluss über die
Wiederbestellung des Verwalters nicht ordnungsmäßiger Verwaltung, weil die
Klägerin rechtswidrig von der Stimmabgabe ausgeschlossen worden sei. Die
Vertreterklausel sei ergänzend dahingehend auszulegen, dass sie auch für juristische
Personen gelte; diese könnten sich durch einen Mitarbeiter vertreten
lassen. Da die Klägerin neben den Geschäftsführern keine eigenen Mitarbeiter
habe, sei auch eine Vertretung durch Mitarbeiter der Muttergesellschaft oder
einer anderen Tochtergesellschaft möglich. Anderenfalls könnte sich die Klägerin
nicht durch eine Person ihres Vertrauens vertreten lassen. Durch die Bevollmächtigung
einer Mitarbeiterin der TA. GmbH, die für
die Verwaltung aller Immobilien des Konzerns zuständig sei, habe keine erhöhte
Gefahr der Einwirkung gemeinschaftsfremder Einflüsse bestanden, die eine
Einschränkung des Stimmrechts hätte rechtfertigen können. Dies gelte insbesondere
auch deshalb, weil sowohl der Verwalter als auch der Verwaltungsbeiratsvorsitzende
nicht bereit gewesen seien, die ihnen von der Mitarbeiterin erteilte
Untervollmacht auszuüben.
II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung stand. Rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht
an, dass die Klägerin rechtswidrig von der Stimmabgabe in der
Eigentümerversammlung ausgeschlossen worden war, weil die von ihr bevollmächtigte
Mitarbeiterin der TA. GmbH nicht als ihre Vertreterin
zugelassen wurde.
1. Grundsätzlich kann sich ein Wohnungseigentümer durch eine beliebige
andere Person in der Eigentümerversammlung vertreten lassen (vgl. Senat,
Beschluss vom 11. November 1986 - V ZB 1/86,
Merle, WEG, 14. Aufl., § 25 Rn. 70). Diese Befugnis ist hier jedoch durch
die Regelung in § 9 Ziff. 6 der Teilungserklärung, wonach sich ein Wohnungseigentümer
nur durch seinen Ehegatten, einen anderen Wohnungseigentümer
aus der Gemeinschaft oder den Verwalter in der Versammlung vertreten lassen
kann, wirksam eingeschränkt worden (vgl. Senat, Beschluss vom 11. November
1986 - V ZB 1/86,
2. Rechtsfehlerfrei legt das Berufungsgericht die Vertretungsbeschränkung
in der Teilungserklärung ergänzend dahingehend aus, dass sie nicht nur
für natürliche, sondern auch für juristische Personen gilt. Nach ihrem Wortlaut
ist sie zwar allein auf natürliche Personen zugeschnitten und nicht auf juristische
Personen, bei denen eine Vertretung durch einen Ehegatten schon begrifflich
nicht in Frage kommt. Die Teilungserklärung weist insoweit aber eine unbeabsichtigte
Regelungslücke auf; an den Fall, dass eine juristische Person Wohnungseigentümerin
ist, wurde bei Errichtung der Teilungserklärung offensichtlich
nicht gedacht. Diese Lücke hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei nach
den Grundsätzen der ergänzenden (Vertrags-)Auslegung dahingehend geschlossen,
dass nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen der
Vertretungsbeschränkung der Teilungserklärung unterliegen (ebenso LG München
I,
458). Zweck von Vertretungsklauseln der vorliegenden Art ist es, die Versammlungen
der Wohnungseigentümer von gemeinschaftsfremden Einwirkungen
freizuhalten; deshalb sollen sich die Wohnungseigentümer nur durch bestimmte,
dem eigenen Kreis nahestehende Personen vertreten lassen dürfen (vgl.
Senat, Beschluss vom 29. Januar 1993 - V ZB 24/92,
mwN). Dieser Zweck der Beschränkung besteht auch gegenüber Wohnungseigentümern,
die juristische Personen sind. Es ist kein Grund ersichtlich, der die
Annahme rechtfertigt, dass sie gegenüber den anderen Wohnungseigentümern
privilegiert sein sollen und ihnen die Möglichkeit eröffnet ist, sich durch jede beliebige
Person vertreten zu lassen (vgl. Staudinger/Häublein, BGB [2018], § 25
WEG Rn. 87). Daher ist eine Bestimmung in der Teilungserklärung, nach der
Wohnungseigentümer sich in der Eigentümerversammlung nur durch den Ehegatten,
einen Wohnungseigentümer oder den Verwalter vertreten lassen können,
regelmäßig dahin ergänzend auszulegen, dass sie auch für juristische
Personen gilt.
3. Auch die ergänzende Auslegung der Vertretungsklausel dahingehend,
dass sich juristische Personen in der Wohnungseigentümerversammlung nicht
nur durch ihre organschaftlichen Vertreter (vgl. Armbrüster,
108 mwN; Staudinger/Häublein BGB [2018],
auch durch einen ihrer Mitarbeiter vertreten lassen können, ist rechtlich nicht zu
beanstanden. Durch die Teilnahme eines aufgrund seiner Zugehörigkeit zu dem
Unternehmen der juristischen Person mit den Angelegenheiten der Wohnungseigentümergemeinschaft
vertrauten Mitarbeiters wird dem mit der Vertretungsklausel
verfolgten Zweck, Einflüsse Dritter weitgehend auszuschließen, Rechnung
getragen, da von ihm gemeinschaftsfremde Einwirkungen nicht zu erwarten
sind. Daher wäre es sachlich nicht zu rechtfertigen, wenn eine juristische
Person, die ihre Interessenvertretung nicht in die Hände des Verwalters oder
eines anderen Wohnungseigentümers legen will, nur durch ihren organschaftlichen
Vertreter an der Eigentümerversammlung teilnehmen dürfte (allg. Meinung,
vgl. OLG Frankfurt,
München I,
Rn. 87; Riecke/Schmid/Riecke, WEG, 5. Aufl., § 24 Rn. 55; Schultzky in: Jennißen,
WEG, 6. Aufl.,
Wohnungseigentum, 4. Aufl., § 12 Rn. 93; ders. in GE 2010, 455, 458;
Bärmann/Merle, WEG, 14. Aufl., § 25 Rn. 88; Wenzel,
4. Rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht schließlich an, dass die
Vertretungsklausel ergänzend dahingehend auszulegen ist, dass sich eine juristische
Person in der Eigentümerversammlung nicht nur durch einen unternehmenseigenen
Mitarbeiter vertreten lassen darf.
a) Bei der Ermittlung des hypothetischen Willens des teilenden Eigentümers
ist darauf abzustellen, welche Regelung er bei einer angemessenen Abwägung
der berührten Interessen nach Treu und Glauben redlicherweise getroffen
hätte, wenn er den von ihm nicht geregelten Fall bedacht hätte (Senat, Versäumnisurteil
vom 25. September 2015 - V ZR 203/14,
Da eine Regelung, die das Recht einschränkt, einen Dritten mit der Ausübung
des Teilnahme- und Stimmrechts in der Eigentümerversammlung zu bevollmächtigen,
eine Ausnahme von dem Grundsatz der unbeschränkt zulässigen
Vertretung darstellt, darf bei der ergänzenden Auslegung der Klausel zur Ermittlung
des Kreises der vertretungsberechtigten Personen kein zu enger Maßstab
angelegt werden (vgl. Senat, Urteil vom 30. März 2012 - V ZR 178/11,
- nicht nur das berechtigte Interesse der Eigentümergemeinschaft, fremde Einflüsse
von der Gemeinschaft fernzuhalten, zu berücksichtigen, sondern es ist
auch der Bedeutung des Stimmrechts, das nach ständiger Rechtsprechung des
Senats zu dem Kernbereich elementarer Mitgliedschaftsrechte gehört (Senat,
Urteil vom 18. Januar 2019 - V ZR 72/18,
Rechnung zu tragen.
b) Eine Vertretungsklausel ist daher regelmäßig - und so auch hier - ergänzend
dahingehend auszulegen, dass sich eine juristische Person in der Eigentümerversammlung
jedenfalls auch von einem Mitarbeiter einer zu demselben
Konzern gehörenden (weiteren) Tochtergesellschaft vertreten lassen darf,
wenn diese für die Verwaltung der Sondereigentumseinheiten zuständig ist
(a.A., wenn die Vertretung auf Verwandte in gerader Linie beschränkt ist: LG
München I,
WEG, Rn. 87a).
aa) Die Vertretungsklausel beschränkt die Vertretungsberechtigung auf
bestimmte, dem eigenen Kreis nahestehende Personen, weil die Wohnungseigentümer
auftretende Meinungsverschiedenheiten möglichst unter sich austragen
sollen (vgl. Senat, Beschluss vom 29. Januar 1993 - V ZB 24/92, BGHZ
121, 236, 240). Daher ist es einer natürlichen Person grundsätzlich nicht gestattet,
sich von anderen als den genannten Personen in der Eigentümerversammlung
vertreten zu lassen; insbesondere kann ein Wohnungseigentümer, der einen
Sondereigentumsverwalter mit der Wahrnehmung aller seine Wohnung
betreffenden Angelegenheiten betraut hat, diesen nicht als seinen Bevollmächtigten
an der Wohnungseigentümerversammlung teilnehmen lassen (vgl. Häublein,
Vertretungsklausel auch für juristische Personen. Ebenso wie es einer natürlichen
Person verwehrt ist, sich durch einen beliebigen Dritten oder den Mitarbeiter
eines von ihm beauftragten Verwaltungsunternehmens in der Eigentümerversammlung
vertreten zu lassen, kann sich eine juristische Person nicht
durch einen Mitarbeiter eines beliebigen anderen Unternehmens vertreten lassen.
bb) Handelt es sich dagegen um den Mitarbeiter eines Unternehmens,
das ebenso wie die Wohnungseigentümerin als Tochterunternehmen mit derselben
Muttergesellschaft verbunden ist (vgl.
Tochterunternehmen nach der konzerninternen Aufgabenverteilung für die Verwaltung
der Wohnungseinheiten zuständig, ist der Mitarbeiter dieses Unternehmens
nicht als außenstehender Dritter anzusehen. Nach dem Sinn und
Zweck der Vertretungsklausel kann es nicht darauf ankommen, ob die mit der
Verwaltung der Wohnungen betraute Person unmittelbar bei der Wohnungseigentümerin
als Mitarbeiter beschäftigt ist oder bei einem zu demselben Konzern
gehörenden weiteren Tochterunternehmen, das die Verwaltung der Wohnungen
übernommen hat. In beiden Fällen wird die Wohnungseigentümergemeinschaft
nicht gemeinschaftsfremden Einflüssen ausgesetzt. Ist aber den mit der Vertretungsklausel
verfolgten Interessen der Wohnungseigentümergemeinschaft genügt,
kann es auf das formale Kriterium des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses
unmittelbar zwischen der Wohnungseigentümerin und der sie vertretenden
Person nicht ankommen. Für die Wohnungseigentümergemeinschaft macht es
keinen Unterschied, ob eine juristische Person einen eigenen Mitarbeiter oder
einen Mitarbeiter der für die Verwaltung des Wohnungseigentums zuständigen
Konzerngesellschaft mit der Vertretung in der Eigentümerversammlung bevollmächtigt.
In beiden Fällen ist eine Selbststeuerung der Eigentümergemeinschaft
gewährleistet. Es ist daher davon auszugehen, dass der teilende Eigentümer,
hätte er den Fall bedacht, dass auch juristische Personen Wohnungseigentümer
sein können, den für die Verwaltung der Wohnungseinheiten zuständigen
Mitarbeiter des Konzernunternehmens ebenfalls als Vertreter einbezogen
hätte.
5. Danach nimmt das Berufungsgericht zu Recht an, dass die Mitarbeiterin
der TA. GmbH berechtigt war, die Klägerin in der Eigentümerversammlung
zu vertreten. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts
handelt es sich um ein demselben Konzern wie die Klägerin angehörendes
Tochterunternehmen des Konzerns, das nach der konzerninternen Aufgabenverteilung
für die Verwaltung u.a. der Sondereigentumseinheiten der Klägerin
zuständig ist. Dementsprechend wurde auch der gesamte Schriftverkehr
über die Sondereigentumseinheiten der Klägerin mit der Verwalterin der Wohnungseigentümergemeinschaft
über die TA. GmbH abgewickelt.
Die Mitarbeiterin dieses Unternehmens war daher berechtigt, die
Klägerin in der Eigentümerversammlung zu vertreten.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf
Stresemann Brückner Weinland
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:28.06.2019
Aktenzeichen:V ZR 250/18
Rechtsgebiete:
WEG
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
ZNotP 2020, 77-80
NJW-RR 2019, 1354-1356
ZWE 2020, 27-28
WEG § 25