BGH 09. Januar 2020
V ZB 98/19
GBO § 12 Abs. 1

Kein allgemeiner Grundbucheinsichtsanspruch aus Abgeordnetenstellung

letzte Aktualisierung: 14.1.2021
BGH, Beschl. v. 9.1.2020 – V ZB 98/19

GBO § 12 Abs. 1
Kein allgemeiner Grundbucheinsichtsanspruch aus Abgeordnetenstellung

a) Einem Abgeordneten des Deutschen Bundestages oder der Volksvertretung eines Landes steht
nicht allein aufgrund seiner Stellung als Abgeordneter ein Anspruch auf Grundbucheinsicht nach
§ 12 Abs. 1 GBO zu.
b) Die Kontrollfunktion der Parlamente gegenüber Regierung und Verwaltung kann ein öffentliches
Interesse an der Grundbucheinsicht begründen, das der einzelne Abgeordnete als berechtigtes
Interesse i. S. v. § 12 GBO geltend machen kann; dies setzt aber voraus, dass die Grundbucheinsicht
der Aufklärung von Missständen oder Fehlverhalten im Bereich der Exekutive dient und nicht
lediglich allgemeinen Informationszwecken.

Gründe:

I.
Die Antragstellerin, Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin, beantragte
bei dem Präsidenten des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg unter Berufung
auf Art. 45 Abs. 2 Satz 1 der Verfassung von Berlin (Verf BE) Einsicht in
alle bei dem Amtsgericht geführten Grundbücher, in denen Grundstücke verzeichnet
sind, die im Eigentum der D. oder eines ihrer in
einer gesonderten Liste aufgeführten Tochterunternehmen stehen.
Das Grundbuchamt hat den ihm von der Justizverwaltung weitergeleiteeingelegt
und ergänzend ausgeführt, die Immobilienbestände der
D. und ihrer Tochtergesellschaften seien Gegenstand der Volksini-
. . Eine substantiierte Teilnahme an der damit verbundenen
Debatte und eine effektive parlamentarische Kontrolle der Exekutive seien
nur bei genauer Kenntnis über Anzahl und Lage der betroffenen Immobilien
möglich. Das Kammergericht hat diesen Rechtsbehelf als Beschwerde ausgelegt
und zurückgewiesen. Mit der von dem Kammergericht zugelassenen
Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren Antrag auf Einsicht in die
Grundbücher weiter.

II.
Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung u.a. in MDR 2019, 1123
veröffentlicht ist, meint, die Antragstellerin habe ein berechtigtes Interesse an
der beantragten Grundbucheinsicht nicht dargelegt. Die Volksinitiative bzw. das
Volksbegehren (Art. 61 ff. Verf BE) zur Vergesellschaftung größerer Immobilienbestände
und der Wunsch der Antragstellerin nach einer substantiierten
Teilnahme an der Debatte zu diesem Thema begründeten kein berechtigtes
Interesse an der Einsicht. Insoweit unterscheide sich die Situation nicht wesentlich
von der eines Kaufinteressenten, der noch nicht in Verhandlungen mit dem
Eigentümer eingetreten sei und dem ebenfalls kein Einsichtsrecht zustehe. Dabei
sei auch zu berücksichtigen, dass ein auf die Vergesellschaftung des Immobiliarvermögens
eines bestimmten privaten Unternehmens ausgerichtetes
Gesetz verfassungsrechtlich problematisch wäre. Soweit sich die Antragstellerin
auf die ihr als Parlamentsmitglied zugewiesene Aufgabe berufe, die Exekutive
zu kontrollieren, müsse sie sich der von der Verfassung zur Verfügung gestellten
Mittel bedienen und etwa, wie in Art. 45 Abs. 2 Satz 1 Verf BE vorgesehen,
Einsicht in die Akten und sonstigen Unterlagen der Verwaltung nehmen. Das
Einsichtsrecht nach der Grundbuchordnung stehe hierfür nicht zur Verfügung.

III.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.

1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 78
Abs. 1 und 3 GBO, § 71 FamFG).
Der Statthaftigkeit steht nicht entgegen, dass das Einsichtsgesuch an
den Präsidenten des Amtsgerichts, also an die Justizverwaltung und nicht an
das Grundbuchamt gerichtet war (vgl. zur Einsichtnahme im Verwaltungswege
in Berlin § 27 der Allgemeinen Verfügung über die geschäftliche Behandlung in
Grundbuchsachen vom 5. Januar 2017, Amtsblatt für Berlin S. 328 ff.; allgemein
zur Abgrenzung von in entsprechenden landesrechtlichen Verfügungen vorgesehenen
Einsichtsrechten zu § 12 GBO Bauer/Schaub/Maaß, GBO, 4. Aufl.,
§ 12 Rn. 88 ff.; Demharter, GBO, 31. Aufl., § 12 Rn. 11). Denn das Gesuch
wurde durch das Amtsgericht als Antrag nach § 12 GBO gewertet und als solcher
durch das Grundbuchamt beschieden, ohne dass die Antragstellerin dieses
Vorgehen beanstandet hätte. Damit war gegen die ablehnende Entscheidung
die Beschwerde nach § 71 Abs. 1 GBO eröffnet und ist aufgrund der Zulassung
durch das Beschwerdegericht nach § 78 Abs. 1 GBO auch die Rechtsbeschwerde
statthaft.

2. In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg. Das Beschwerdegericht
geht zutreffend davon aus, dass die Antragstellerin kein berechtigtes Interesse
i.S.v. § 12 Abs. 1 Satz 1 GBO hat an der Einsicht in die Grundbücher, in
denen Grundstücke verzeichnet sind, die im Eigentum der D. oder
eines ihrer Tochterunternehmen stehen.

a) Einem Abgeordneten des Deutschen Bundestages oder der Volksvertretung
eines Landes steht nicht allein aufgrund seiner Stellung als Abgeordneter
ein Anspruch auf Grundbucheinsicht nach § 12 Abs. 1 GBO zu.

aa) Durch das in § 12 GBO geregelte Einsichtsrecht wird die sog. formelle
Publizität des Grundbuchs hergestellt, die Grundlage des öffentlichen Glaubens
des Grundbuchs und den damit verbundenen Vermutungs- und Gutglaubensregeln
(vgl. §§ 891, 892, 893 und 899a BGB), der sog. materiellen Publizität,
ist. Sinn und Zweck des Einsichtsrechts ist es daher in erster Linie, den am
Rechtsverkehr mit Grundstücken teilnehmenden Personen, die im Vertrauen
auf den Grundbuchinhalt rechtlich erhebliche Handlungen beabsichtigen, die
Möglichkeit zu geben, sich Gewissheit über die von dem öffentlichen Glauben
erfassten Eintragungsvorgänge zu verschaffen (vgl. Lemke/Schneider, Immobilienrecht,
2. Aufl., § 12 GBO Rn. 1; KEHE/Keller, GBO, 8. Aufl., § 12 Rn. 2;
Meikel/Böttcher, GBO, 11. Aufl., § 12 Rn. 1; Bauer/Schaub/Maaß, GBO,
4. Aufl., § 12 Rn. 1, 13). Ein berechtigtes Interesse an der Einsicht des Grundbuchs
ist daher gegeben, wenn der Antragsteller ein verständiges, durch die
Sachlage gerechtfertigtes Interesse darlegt, das sich im Unterschied zum rechtlichen
Interesse nicht auf ein bereits vorhandenes Recht oder konkretes
Rechtsverhältnis stützen muss, sondern auch in einem bloß tatsächlichen, etwa
einem wirtschaftlichen Interesse bestehen kann (vgl. BayObLG, NJW-RR 1998,
1241; OLG Frankfurt, Rpfleger 2011, 430; OLG Oldenburg, FGPrax 2014, 18;
OLG Düsseldorf, FGPrax 2015, 199; OLG München, NJW-RR 2017, 77 Rn. 10;
Demharter, GBO, 31. Aufl., § 12 Rn. 7 ff.; KEHE/Keller, aaO Rn. 5; Lemke/
Schneider, aaO Rn. 10 ff.; Meikel/Böttcher, aaO Rn. 6; Schreiner, Rpfleger
1980, 51; Grziwotz, MDR 2013, 433).

bb) Allerdings können - über diesen dem allgemeinen Rechtsverkehr mit
Grundstücken dienenden Regelungszweck hinaus - ausnahmsweise auch öffentliche
Interessen ein Recht auf Grundbucheinsicht begründen.

(1) So haben das Bundesverfassungsgericht und ihm folgend der Senat
entschieden, dass auch ein schutzwürdiges Interesse der Presse daran, von
den für ein bestimmtes Grundstück vorgenommenen Eintragungen Kenntnis zu
erlangen, das nach § 12 Abs. 1 Satz 1 GBO für die Gestattung der Grundbucheinsicht
erforderliche berechtigte Interesse zu begründen vermag (BVerfG,
NJW 2001, 503, 504; Senat, Beschluss vom 17. August 2011 - V ZB 47/11,
NJW-RR 2011, 1651 Rn. 6).

(2) Ein öffentliches Interesse können unter Umständen auch Abgeordnete
des Deutschen Bundestages oder eines Landesparlaments geltend machen,
denen das Grundgesetz eines für die Demokratie (Art. 20 Abs. 1 GG) prägende
herausgehobene Stellung als Vertreter des Volkes zuweist (Art. 38 Abs. 1
Satz 2 GG). Nach ganz überwiegender Ansicht haben einzelne Abgeordnete
allerdings nicht per se ein Recht auf Einsicht in die Grundbücher der Gebietskörperschaft,
deren Volksvertretung sie angehören (vgl. BeckOK GBO/Wilsch
[1.6.2019], § 12 Rn. 38; Bauer/Schaub/Maaß, GBO, 4. Aufl., § 12 Rn. 27;
KEHE/Keller, GBO, 8. Aufl., § 12 Rn. 9; Lemke/Schneider, Immobilienrecht,
2. Aufl., § 12 GBO Rn. 38; Meikel/Böttcher, GBO, 11. Aufl., § 12 Rn. 15; Böhringer,
Rpfleger 1987, 181, 186; ders., BWNotZ 1985, 102, 106; Frohn, RpflJB
1982, 343, 373 Fn. 119). Nur in Ausnahmefällen, etwa im Zusammenhang mit
Immobiliengeschäften der öffentlichen Hand, wird ein Einsichtsrecht des einzelnen
Abgeordneten bzw. Gemeinderatsmitglieds (LG Freiburg, BWNotZ 1982,
65; KEHE/Keller, aaO; Schreiner, Rpfleger 1980, 51, 52 Fn. 17) für möglich gehalten.
Dies ist im Ergebnis richtig.

(a) Das folgt allerdings entgegen verbreiteter Auffassung nicht daraus,
dass die verfassungsrechtliche Stellung als Kontrollorgan der Exekutive nur
dem Parlament als Ganzem zukomme, nicht jedoch dem einzelnen Abgeordneten
(so aber BeckOK GBO/Wilsch [1.6.2019], § 12 Rn. 38; KEHE/Keller, GBO,
8. Aufl., § 12 Rn. 9; Meikel/Böttcher, GBO, 11. Aufl., § 12 Rn. 15; Böhringer,
BWNotZ 1985, 102, 106; ders., Rpfleger 1987, 181, 186; Frohn, RpflJB 1982,
343, 373 Fn. 119). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
wird die für das parlamentarische Regierungssystem prägende Kontrollfunktion
des Parlaments gegenüber der Regierung nämlich nicht nur durch das Parlament
als Ganzes, sondern auch durch die Fraktionen und die einzelnen Abgeordneten
wahrgenommen (vgl. BVerfGE 147, 50 Rn. 168 mwN.; ebenso
VerfGH Berlin, NVwZ 2016, 688 Rn. 17 zur Verfassung von Berlin). Anderenfalls
könnte die Kontrolle des Regierungshandelns durch das Parlament mit Hilfe
der die Regierung dort regelmäßig tragenden Mehrheit verhindert werden.
Die parlamentarische Kontrolle von Regierung und Verwaltung verwirklicht den
Grundsatz der Gewaltenteilung, der für das Grundgesetz ein tragendes Funktions-
und Organisationsprinzip darstellt. Zugleich ist sie Ausdruck der aus dem
Demokratieprinzip folgenden Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem
Parlament (BVerfGE 147, 50 Rn. 196 f.). Das Bundesverfassungsgericht geht
daher in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2
und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG ein Frage- und Informationsrecht des Deutschen
Bundestages gegenüber der Bundesregierung folgt, an dem die einzelnen Abgeordneten
und die Fraktionen als Zusammenschlüsse von Abgeordneten nach
Maßgabe der Ausgestaltung in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
teilhaben und dem grundsätzlich eine Antwortpflicht der Bundesregierung
korrespondiert (BVerfGE 147, 50 Rn. 195 mwN.).

(b) Damit sind aber auch die Grenzen der Kontrollfunktion aufgezeigt. Da
das Frage- und Informationsrecht aus der Kontrollfunktion des Parlaments herrührt
und zugleich Ausdruck der aus dem Demokratieprinzip folgenden Verantwortlichkeit
der Regierung gegenüber dem Parlament ist, kann sich der Informationsanspruch
des Bundestages und der einzelnen Abgeordneten von vornherein
nicht auf Angelegenheiten beziehen, die nicht in die Zuständigkeit der
Bundesregierung fallen. Insoweit fehlt es an einer Verantwortlichkeit der Bundesregierung
gegenüber dem Deutschen Bundestag (BVerfGE 147, 50
Rn. 214). Diese Grundsätze gelten im Kern gleichermaßen in den Ländern und
auch für Abgeordnete des Berliner Abgeordnetenhauses (vgl. VerfGH Berlin,
NVwZ 2016, 688 Rn. 17). Folglich kann aus der Kontrollfunktion des Parlaments
gegenüber der Regierung und dem damit verbundenen Frage- und Informationsrecht
kein allgemeines, von einem Bezug zur Verantwortlichkeit der
Regierung losgelöstes und von einem konkret darzulegenden berechtigten Interesse
unabhängiges Recht der Abgeordneten des Deutschen Bundestages
oder eines Landesparlaments auf Grundbucheinsicht abgeleitet werden.

(c) Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass Art. 45 Abs. 2 Satz 1
Verf BE den Abgeordneten, insoweit über ein allgemeines Auskunftsrecht hinausgehend,
auch das Recht gewährt, Einsicht in Akten und sonstige Unterlagen
der Verwaltung zu nehmen. Landesrecht kann die Voraussetzungen für eine
Grundbucheinsicht nach § 12 GBO nicht herabsetzen, insbesondere keinen von
der Darlegung eines berechtigten Interesses unabhängigen Einsichtsanspruch
begründen.

b) Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Abgeordneteneigenschaft eines
Antragstellers im Rahmen von § 12 GBO keine Relevanz hätte. Die Kontrollfunktion
der Parlamente gegenüber Regierung und Verwaltung vermag ein
öffentliches Interesse an der Grundbucheinsicht zu begründen, das der einzelne
Abgeordnete als berechtigtes Interesse i.S.v. § 12 GBO geltend machen
kann. Dies setzt aber voraus, dass die Grundbucheinsicht der Aufklärung von
Missständen oder Fehlverhalten im Bereich der Exekutive dient und nicht lediglich
allgemeinen Informationszwecken.

aa) Das Grundbuch und die nach § 12 Abs. 1 Satz 2 GBO, § 46 Abs. 1
GBV von dem Einsichtsrecht umfassten Grundakten enthalten eine Fülle von
personenbezogenen Daten aus dem persönlichen, familiären, sozialen und
wirtschaftlichen Bereich. Wenn Dritten Grundbucheinsicht gewährt wird, liegt
darin ein Eingriff in das auf diese Daten bezogene, durch Art. 2 Abs. 1 GG in
Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte, zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht
gehörende Recht der durch die Grundbucheinsicht Betroffenen - in erster
Linie des Eigentümers - auf informationelle Selbstbestimmung, welches auch
auf juristische Personen anwendbar ist (BVerfG, NJW 2001, 503, 505). Nicht
jedes beliebige Interesse kann demnach die Grundbucheinsicht rechtfertigen.
Die Einsichtnahme muss vielmehr für das Informationsanliegen des Antragstellers
geeignet und erforderlich und dieses muss von einem solchen Gewicht
sein, dass der mit der Gewährung der Einsicht verbundene Eingriff in das
Grundrecht des Eigentümers auf informationelle Selbstbestimmung verhältnismäßig
erscheint (BVerfG, NJW 2001, 503, 506). Dabei ist zu berücksichtigen,
dass der in seinem informationellen Selbstbestimmungsrecht betroffene Eigentümer
grundsätzlich vor der Gewährung der Einsicht nicht gehört wird (BVerfG,
NJW 2001, 503, 506) und dass ihm gegen die erteilte Einsicht kein Beschwerderecht
zusteht (Senat, Beschluss vom 6. März 1981 - V ZB 18/80, BGHZ 80,
126, 127). Stützt ein Abgeordneter sein Einsichtsgesuch auf ein öffentliches
Interesse an der in dem Grundbuch enthaltenen bzw. vermuteten Information,
wird ein berechtigtes Interesse i.S.v. § 12 GBO daher regelmäßig nur anzu-
nehmen sein, wenn ein konkretes Aufklärungsinteresse der Öffentlichkeit in Bezug
auf das konkrete Grundstück dargelegt wird, etwa der Verdacht von Missständen
oder eines Fehlverhaltens im Verantwortungsbereich der Regierung in
Bezug auf das Grundstück bzw. im Zusammenhang mit auf dieses Grundstück
bezogenen Grundbucheintragungen.

bb) Hat die Einsichtnahme in das Grundbuch hingegen nicht den Zweck,
Regierung und Verwaltung zu kontrollieren, sondern will der Abgeordnete sich
lediglich Informationen beschaffen, die er in eine öffentlich geführte Debatte
einspeisen oder aus denen er politische Forderungen ableiten möchte, kann
dieses Informationsanliegen den mit der Einsicht verbundenen Eingriff in
Grundrechte der Betroffenen nicht rechtfertigen. Zwar ist der Wunsch eines Abgeordneten
nach Teilnahme an einer öffentlichen Debatte anzuerkennen, zumal
eine solche Debatte durch die Abgeordneten in den parlamentarischen Raum
getragen und dort zu politischer Willensbildung verdichtet werden kann. Öffentliches
Verhandeln von Argument und Gegenargument ist ein wesentliches Element
des demokratischen Parlamentarismus (BVerfGE 140, 115 Rn. 92). Dies
bedeutet aber nicht, dass an sämtlichen Informationen, die zur politischen Willensbildung
beitragen können, ein öffentliches Interesse im Sinne eines berechtigten
Interesses nach § 12 GBO besteht. Einem Einsichtsgesuch, mit dem im
Rahmen einer allgemeinen Recherche Hintergrundwissen gesammelt werden
soll, muss im Hinblick auf das durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Geheimhaltungsinteresse
des Eigentümers der Erfolg versagt bleiben, da kein Interesse
von einem Gewicht erkennbar ist, das den Eingriff in dieses Grundrecht rechtfertigen
könnte, und das Merkmal des berechtigten Interesses anderenfalls seine
begrenzende Funktion verlöre.

c) Nach diesen Maßstäben hat die Antragstellerin kein berechtigtes Interesse
i.S.v. § 12 Abs. 1 Satz 1 GBO an der Einsicht in die Grundbücher, in denen
Grundstücke verzeichnet sind, die im Eigentum der D. oder
eines ihrer Tochterunternehmen stehen.

aa) Soweit die Antragstellerin ihren Antrag darauf stützt, dass sie die
Kenntnis des Grundbuchinhalts für eine effektive Kontrolle der Regierung benötige,
ist nicht erkennbar, welches konkrete Regierungshandeln sie beanstandet
bzw. überprüfen möchte. Der allgemeine Verweis auf die Kontrollfunktion des
Parlaments, an der die Abgeordneten teilhaben, reicht nach dem zuvor Gesagten
nicht aus, um ein berechtigtes Interesse an der Grundbucheinsicht zu begründen.

bb) Ein berechtigtes Interesse der Antragstellerin an der Einsicht in alle
die D. und deren Tochtergesellschaften betreffende Grundbücher
ergibt sich auch nicht daraus, dass diese Unternehmen neben anderen Gegenstand
einer im Land Berlin angestoßenen Volksinitiative (Art. 61 Verf BE) bzw.
eines entsprechenden Volksbegehrens (Art. 62, 63 Verf BE) zur Vergesellschaftung
größerer Immobilienbestände sind.

(1) Einem hieraus abgeleiteten Interesse der Antragstellerin an der
Grundbucheinsicht als Grundlage für die Teilnahme an der öffentlichen Debatte
lässt sich allerdings, anders als das Beschwerdegericht meint, die Berechtigung
nicht mit der Begründung absprechen, dass ein in erster Linie auf die Vergesellschaftung
des Immobilienvermögens eines bestimmten privaten Unternehmens
ausgerichtetes Gesetz im Hinblick auf das in Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG
wäre. Ist das wirtschaftliche oder rechtliche Handeln, für das die Einsichtnahme
die Grundlage bereiten soll, - wie hier - grundsätzlich erlaubt, steht es dem
Grundbuchamt nicht zu, dieses inhaltlich zu bewerten (vgl. BVerfG, NJW 2001,
503, 506; Senat, Beschluss vom 17. August 2011 - V ZB 47/11, NJW-RR 2011,
1651 Rn. 14), oder aufgrund rechtlicher Bedenken unberücksichtigt zu lassen.
Etwas anderes kann allenfalls in Ausnahmefällen gelten, etwa wenn das Einsichtsgesuch
ersichtlich missbräuchlich (vgl. hierzu Lemke/Schneider, Immobilienrecht,
2. Aufl., § 12 GBO Rn. 38) oder das beabsichtigte Handeln offensichtlich
rechtswidrig oder verfassungswidrig ist. Bloße (verfassungs-)rechtliche Bedenken
reichen hierfür nicht aus.

(2) Allein der Wunsch der Antragstellerin nach einer fundierten Teilnahme
an der Debatte über die Volksinitiative bzw. das Volksbegehren zur Vergesellschaftung
des Immobilienvermögens der D. und anderen
Wohnungsgesellschaften begründet aber kein berechtigtes Interesse an der
Einsicht in die Grundbücher, in denen Grundstücke solcher Unternehmen verzeichnet
sind.

(a) Ihrem Antrag zufolge beschränkt sich das Informationsanliegen der
Antragstellerin darauf, genaue Kenntnis über die Anzahl und Lage der von der
Initiative betroffenen Grundstücke zu erhalten, um sich eine eigenständige und
von den Informationen der Exekutive unabhängige Meinung zu bilden. Bei diesem
Anliegen handelt es sich um ein allgemeines Rechercheinteresse, mit dem
lediglich Hintergründe aufgeklärt werden sollen, nämlich welche Grundstücke
im Eigentum welches Unternehmens stehen. Ein solches allgemeines Interesse
begründet, wie dargelegt, kein berechtigtes Interesse i.S.v. § 12 Abs. 1 GBO.

(b) Soweit die Rechtsbeschwerde erstmals vorbringt, es gehe der Antragstellerin
ferner darum, die amtliche Schätzung der sich aus der Verwirkli-
chung des Volksbegehrens ergebenden Kosten auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen,
kann dahinstehen, ob der Senat dieses Vorbringen überhaupt berücksichtigen
kann (vgl. § 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 Abs. 1 ZPO). Denn auch hiermit
wäre, da der Inhalt des Grundbuchs keine belastbaren Rückschlüsse auf den
Wert eines Grundstücks erlaubt, ein berechtigtes Interesse i.S.v. § 12 GBO
nicht dargelegt. Auch ein etwaiges Interesse, allein anhand der Zahl und der
Lage der im Eigentum bestimmter Personen stehenden Grundstücke den Wert
dieser Grundstücke und damit die Höhe der im Fall einer Enteignung zu leistenden
Entschädigung zu schützen, kann keinen Vorrang vor den Interessen
der eingetragenen Eigentümer beanspruchen; denn eine solche Schätzung fiele
zwangsläufig so grob aus, dass sie keine zuverlässigen Erkenntnisse lieferte,
wäre also ungeeignet, den erstrebten Zweck zu erreichen.

d) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, steht die Antragstellerin als
Abgeordnete damit nicht schlechter, als ein Journalist. Denn auch ein Journalist
hätte bei einem ansonsten identischen Einsichtsgesuch kein berechtigtes Interesse
i.S.v. § 12 GBO und damit keinen Anspruch auf die begehrte Grundbucheinsicht.

aa) Aus den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des
Senats über die Grundbucheinsicht durch die Presse (BVerfG, NJW 2001, 503;
Senat, Beschluss vom 17. August 2011 - V ZB 47/11, NJW-RR 2011, 1651)
folgt nicht, dass Journalisten stets, allein aufgrund ihres Berufsstandes und unabhängig
von dem konkreten Rechercheanliegen, einen Anspruch auf Grundbucheinsicht
haben. Vielmehr hat das Grundbuchamt auch bei Presseanfragen
zu prüfen, ob sich der mit der Grundbucheinsicht verbundene Grundrechtseingriff
als verhältnismäßig darstellt. Dabei hat das Zugangsinteresse der Presse
(nur) Vorrang, wenn es um Fragen geht, die die Öffentlichkeit wesentlich ange-
hen und wenn die Recherche der Aufbereitung einer ernsthaften und sachbezogenen
Auseinandersetzung dient, da (nur) dann die Interessen des Eigentümers
nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt werden (BVerfG, aaO S. 506; Senat,
Beschluss vom 17. August 2011 - V ZB 47/11, aaO Rn. 8). Mit einem lediglich
allgemein gehaltenen Rechercheinteresse, namentlich mit einer noch nicht
auf einen konkreten Verdacht bezogenen Hintergrundrecherche, kann auch ein
Journalist ein berechtigtes Interesse i.S.v. § 12 GBO nicht darlegen.
bb) Aus der Entscheidung des Senats kann insbesondere nicht gefolgert
werden, dass einem Journalisten, der über eine Volksinitiative bzw. das Volksbegehren
zur Vergesellschaftung größerer Immobilienbestände zu berichten
beabsichtigt und zu diesem Zweck recherchiert, Einsicht in sämtliche Grundbücher
zu gewähren wäre, in denen Grundstücke verzeichnet sind, die im Eigentum
der D. und ihrer Tochtergesellschaften stehen. In dem
von dem Senat entschiedenen Fall hatte sich die Antragstellerin, die Herausgeberin
eines Nachrichtenmagazins, zur Begründung ihres Antrags auf Einsichtnahme
in das Grundbuch und die Grundakten eines im Eigentum eines bekannten
Politikers und seiner Ehefrau stehenden Grundstücks auf den Verdacht berufen,
den Eheleuten seien für den Erwerb des Grundstücks finanzielle Vergünstigungen
durch einen bekannten Unternehmer gewährt worden, und auf
eine hierauf aufbauende journalistische Recherche (siehe Senat, Beschluss
vom 17. August 2011 - V ZB 47/11, NJWVor
diesem Hintergrund und im Hinblick auf die herausgehobene politische
Stellung eines der Eigentümer ist der Senat zu dem Schluss gelangt, dass das
Interesse der Presse an der Kenntnisnahme des Grundbuchinhalts sich gegenüber
dem Persönlichkeitsrecht der Eingetragenen als vorrangig erweist (vgl.
Senat, Beschluss vom 17. August 2011 - V ZB 47/11, aaO Rn. 8).

IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des
Gegenstandswerts beruht auf § 61 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 36 Abs. 1 GNotKG.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

09.01.2020

Aktenzeichen:

V ZB 98/19

Rechtsgebiete:

Sachenrecht allgemein
Grundbuchrecht
Kostenrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Erschienen in:

FGPrax 2020, 101-104
NJW 2020, 1511-1514

Normen in Titel:

GBO § 12 Abs. 1