Auslegung als Ersatzerbeneinsetzung bei Wegfall einzelner von mehreren eingesetzten Erben
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Dokumentnummer: 1zbr1_04
letzte Aktualisierung: 18.05.2004
BayObLG, 01.04.2004 - 1Z BR 001/04
BGB §§ 133, 2069, 2096, 2099
Auslegung als Ersatzerbeneinsetzung bei Wegfall einzelner von mehreren eingesetzten Erben
Auslegung eines Testaments als Ersatzerbeinsetzung der Abkömmlinge bedachter Geschwister,
wenn der Erblasser seine zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung noch lebenden Geschwister
gleichmäßig zu Erben eingesetzt hat und einige von ihnen vor dem Erbfall verstorben sind (im
Anschluss an
Gründe:
I.
Der im Alter von 62 Jahren verstorbene Erblasser war seit 1988 geschieden und kinderlos. Er
hatte sechs Geschwister, von denen drei noch am Leben waren, als er am 18.1.1989 das folgende eigenhändig ge- und unterschriebene Testament errichtete:
„Ich vermache nach meinem Tod, mein Vermögen zu gleichen Teilen meinen noch
lebenden Geschwistern A, B (Beteiligte zu 1) und C. Die Kinder meiner verstorbenen
Schwestern erben nichts. Das Grundstück geht an B und C."
Vorverstorben waren zwei Schwestern unter Hinterlassung von Abkömmlingen und ein kinderloser Bruder. Nach Errichtung des Testaments, aber vor dem Erbfall, sind zwei der im Testament aufgeführten Geschwister gestorben: der Bruder A im Jahr 1991 unter Hinterlassung
einer ehelichen Tochter (Beteiligte zu 2) und zweier nichtehelicher Kinder (Beteiligte zu 3
und 4) sowie der Bruder C im April 2001 ohne Hinterlassung von Abkömmlingen.
Der Wert des Nachlasses beträgt rund 80.000 €; den Wert des Grundstücks hat das Nachlassgericht mit 3.500 DM bewertet.
Die Beteiligte zu 1 hat einen Alleinerbschein beantragt. Sie ist der Auffassung, dass bezüglich
der zwei nach Testamentserrichtung weggefallenen Geschwister Anwachsung eintritt und
nicht etwa die Abkömmlinge des Bruders A als Ersatzerben eingesetzt sind. Die Beteiligte zu
4 widersprach dem Antrag. Nach ihrer Auffassung hat der Erblasser die Geschwister als jeweils Erste ihres Stammes bedacht; die Abkömmlinge des Bruders A (Beteiligte zu 2, 3, 4)
seien daher als Ersatzerben anzusehen und neben der Beteiligten zu 1 (zu %) zu je 1/6 Miterben geworden. Der Umstand, dass sie (die Beteiligte zu 4) als nichteheliches Kind keinen
Kontakt zu ihrem Vater und dem Erblasser gehabt habe, sei in diesem Zusammenhang ohne
Belang.
Mit Beschluss vom 25.9.2002 kündigte das Nachlassgericht den Erlass eines Alleinerbscheins
zugunsten der Beteiligten zu 1 an. Die Auslegung des Testaments ergebe, dass der Erblasser
sein Vermögen allein auf die noch lebenden Geschwister habe aufteilen wollen. Auch habe
die Beteiligte zu 2 bei der Testamentseröffnung selbst erklärt, es sei nie darüber gesprochen
worden, dass sie, an die Stelle ihres verstorbenen Vaters rücken sollte. Zudem habe die Beteiligte zu 4 keinerlei Kontakt mit dem Erblasser gehabt.
Gegen den Vorbescheid des Amtsgerichts hat die Beteiligte zu 2 Beschwerde eingelegt. Sie ist
wie die Beteiligte zu 4 der Auffassung, dass die Beteiligte zu 1 zu und die Beteiligten zu 2, 3
und 4 zu je 1/6 Erben geworden sind. Sie weist darauf hin, dass jedenfalls sie durchaus Kontakt zum Erblasser gehabt habe.
Mit Beschluss vom 10.11.2003 hob das Landgericht den Beschluss des Amtsgerichts auf
(Ziff. 1) und wies das Amtsgericht an, den Beteiligten einen Erbschein zu erteilen, der die
Beteiligte zu 1 als Miterbin zu' und die Beteiligten zu 2 bis 4 als Miterben zu je 1/6 ausweist
(Ziff. II). Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1, mit der sie ihren
Antrag auf Alleinerbschein weiterverfolgt.
Die nicht fristgebundene und formgerecht eingelegte weitere Beschwerde ist zulässig (§ 27
Abs. 1 Satz 1,
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen ausgeführt: In der Einsetzung der Geschwister als
nächste Angehörige des Erblassers sei zugleich die Kundgabe des Willens zu sehen, die Abkömmlinge der Bedachten zu Ersatzerben zu berufen. Gegen diese Auslegung spreche nicht
der Ausschluss der Kinder der verstorbenen Schwestern von der Erbfolge, denn diese Verfügung habe mit der Erbenstellung anderer Personen nichts zu tun. Auch der Umstand, dass der
Erblasser nach dem Tod seiner zwei im Testament bedachten Brüder sein Testament nicht
geändert habe, spreche nicht gegen die Annahme einer Ersatzerbeinsetzung. Es sei mindestens
ebenso wahrscheinlich, dass der Erblasser nur deshalb nicht auf die neue Situation reagiert
habe, weil er sie in diesem Sinne geregelt sah. So wie er die Kinder der verstorbenen Schwestern ausdrücklich von der Erbfolge ausgeschlossen habe, hätte es nahe gelegen, auch die
Nachkommen der als Erben bedachten Geschwister ausdrücklich auszuschließen, wenn er
dies gewollt hätte. Dass die Beteiligte zu 4 keinerlei Kontakt zum Erblasser gehabt habe, sei
ohne Belang. Ebenfalls ohne Bedeutung sei, dass über ein Nachrücken der Beteiligten zu 2 in
die Erbenstellung ihres verstorbenen Vaters nie gesprochen worden sei; denn auch das Gegenteil habe der Erblasser offensichtlich nicht verlauten lassen.
2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung (
546 ZPO) stand, soweit das Landgericht den amtsgerichtlichen Vorbescheid aufgehoben hat.
Seine Würdigung, dass die Beteiligte zu 1 nicht Alleinerbin ist, weil das Testament im Sinne
einer Ersatzerbeinsetzung auszulegen sei, ist nicht zu beanstanden.
a) Zutreffend hat das Landgericht die Beschwerde der Beteiligten zu 2 gegen den amtsgerichtlichen Vorbescheid als zulässig angesehen; denn deren behauptete Miterbenstellung würde
durch die Erteilung des angekündigten Alleinerbscheins zugunsten - der Beteiligten zu 1 beeinträchtigt (
b) Das Landgericht hat jedoch übersehen, dass außer der Beteiligten zu 1 bisher niemand —
auch nicht die Beteiligte zu 2 - einen formwirksamen Erbscheinsantrag gestellt hat. Der in der
Beschwerdeschrift vom 23.10.2002 gestellte Antrag, zu beschließen, dass die Beteiligte zu 1
zu '/z und die Beteiligten zu 2 bis 4 zu je 1/6 Erben geworden sind, ist schon seinem Wortlaut
nach nicht auf die Erteilung eines entsprechenden Erbscheins gerichtet; als Erbscheinsantrag
würden ihm im Übrigen wesentliche Förmlichkeiten fehlen (vgl.
Dieser Umstand nimmt der Beteiligten zu 2 hier nicht die Beschwerdeberechtigung (vgl. oben
a) und macht den Vorbescheid des Nachlassgerichts nicht unzulässig. Zwar kann ein Vorbescheid grundsätzlich nur bei einander inhaltlich widersprechenden Erbscheinsanträgen ergehen; ausnahmsweise ist er aber auch dann zulässig, wenn ein widersprechender Erbscheinsantrag nach dem Vortrag eines Beteiligten zu erwarten ist (vgl. Keidel/Kahl FGG 15. Aufl. § 19
Rn. 15a). Hiervon konnte das Nachlassgericht im Hinblick auf das Vorbringen der Beteiligten
zu 4 ausgehen.
bis 4 gerichteten Erbscheinsantrags hat aber zur Folge, dass das Landgericht das Nachlassgericht nicht zur Erteilung eines entsprechenden Erbscheins anweisen durfte. Ziffer II des landgerichtlichen Tenors war deshalb aufzuheben, auch wenn der Senat, wie nachfolgend ausgeführt wird, die dieser Anweisung zugrunde liegende Beurteilung der Erbrechtslage durch das
Landgericht billigt.
c) Zutreffend hat das Landgericht das Testament von 1989 als auslegungsbedürftig angesehen,
weil es keine ausdrückliche Regelung für den Fall enthält, dass eines oder mehrere der zu Erben eingesetzten Geschwister vor dem Erblasser versterben. Die Testamentsauslegung selbst
ist Sache des Tatsachengerichts. Die Überprüfung in der Rechtsbeschwerdeinstanz ist auf
Rechtsfehler beschränkt. Dabei kommt es insbesondere darauf an, ob die Auslegung der Tatsacheninstanz gegen gesetzliche Auslegungsregeln, allgemeine Denk- und Erfahrungsgrundsätze oder Verfahrensvorschriften verstößt, ob in Betracht kommende andere Auslegungsmöglichkeiten nicht in Erwägung gezogen wurden, ob ein wesentlicher Umstand übersehen
wurde oder ob dem Testament ein Inhalt gegeben wurde, der dem Wortlaut nicht zu entnehmen ist und auch nicht auf verfahrensfehlerfrei getroffene Feststellungen anderer Anhaltspunkte für den im Testament zum Ausdruck gekommenen Erblasserwillen gestützt werden
kann (
Aufl. § 2084 Rn. 84).
d) Diesen Kriterien wird die Auslegung des Landgerichts, dass der Erblasser für den Fall des
Vorversterbens eingesetzter Geschwister nach Testamentserrichtung ersatzweise deren Kinder
als Erben einsetzen wollte, gerecht.
aa) Gemäß
der Auslegung einer letztwilligen Verfügung vorweg zu prüfen und festzustellen, ob Ersatzerben (
der Erblasser wie hier seine Geschwister bedacht hat, die für die Einsetzung von Abkömmlingen geltende Auslegungsregel des
(vgl. BGH
im Wege der - gegebenenfalls ergänzenden - Testamentsauslegung ein entsprechender (hypothetischer) Wille des Erblassers für die Berufung der Kinder der nach Testamentserrichtung
weggefallenen Geschwister als Ersatzerben festgestellt werden kann. Die für die Annahme
eines derartigen Erblasserwillens notwendige Andeutung in der letztwilligen Verfügung selbst
kann in solchen Fällen bereits in der Tatsache der Berufung der Geschwister als nahe stehender Verwandter des Erblassers unter Hinweis auf diese verwandtschaftliche Funktion gesehen
werden (vgl.
bb) Zu Recht hat das Landgericht darauf abgestellt, dass der geschiedene und kinderlose Erblasser, dessen Eltern längst vorverstorben waren, mit seinen noch lebenden Geschwistern seine nächsten Angehörigen zu Erben eingesetzt hat. Die Einsetzung der drei noch lebenden Geschwister erfolgte „zu gleichen Teilen` der Erblasser hat sich also nicht davon leiten lassen, zu
welchem seiner Geschwister er ein gutes oder weniger gutes Verhältnis hat (vgl. BayObLG
Brüdern zukommen soll; denn die Auslegung des Landgerichts, dass es sich insoweit nur um
eine Teilungsanordnung handelt, ist nicht zu beanstanden. Die Erbeinsetzung entspricht - abgesehen vom Ausschluss der Kinder der vorverstorbenen Schwestern (vgl. dazu noch nachfolgend) — der Regelung der gesetzlichen Erbfolge (
nicht nur mit Namen, sondern auch in ihrer verwandtschaftlichen Funktion bezeichnet und als
solche zu Erben berufen. Die Auslegung des Landgerichts, dass die Abkömmlinge der bedachten Geschwister ersatzweise zu Erben eingesetzt sind, findet in all dem eine hinreichende
Stütze; die Zuwendung gilt nicht den Geschwistern persönlich, sondern, wie bei gesetzlicher
Erbfolge, als Erste ihres Stammes.
cc) An dieser Auslegung hat sich das Landgericht zu Recht nicht durch den Umstand gehindert gesehen, dass der Erblasser die Kinder seiner bereits vor Testamentserrichtung verstorbenen Schwester (der vorverstorbene Bruder starb kinderlos) ausdrücklich von der Erbfolge
ausgeschlossen hat. Dieser Ausschluss beruht auf einer bewussten Entscheidung des Erblassers. Das sagt für sich genommen nichts darüber aus, wie die Einsetzung der drei noch lebenden Geschwister gemeint war, und steht deshalb der vom Landgericht vorgenommen Auslegung nicht entgegen. Keinen rechtlichen Bedenken begegnet auch die Erwägung des Landgerichts, die Einsetzung der „noch lebenden” Geschwister lege nicht die vom Amtsgericht vorgenommene Auslegung nahe, dass damit nur die auch zum Zeitpunkt des Erbfalls noch lebenden Geschwister – und nicht deren Abkömmlinge – gemeint seien. Die Formulierung lässt
sich zwanglos auch aus der Abgrenzung zu den Stämmen der nicht mehr lebenden Geschwister erklären, im selben Testament von der Erbfolge ausgeschlossen werden.
dd) Der weitere Umstand, dass der Erblasser nach dem Tode seines 1991 vorverstorbenen
Bruders A sein Testament nicht geändert hat, hindert die Annahme einer Ersatzerbeinsetzung
ebenfalls nicht. Der Erblasser kann, wie das Landgericht zutreffend gesehen hat, auch deshalb
von einer Änderung abgesehen haben, weil er meinte, die Kinder des Bruders bereits ersatzweise eingesetzt zu haben und deshalb nichts weiter tun zu müssen. Wenn der Erblasser zu
einer Änderung des Testaments keinen Anlass gesehen hat – diese Kinder also nicht, wie seinerzeit die Kinder der vorverstorbenen Schwestern, ausdrücklich ausgeschlossen hat–, so
konnte das Landgericht hierin rechtsfehlerfrei sogar ein Indiz eher für als gegen die Ersatzerbeinsetzung sehen.
ee) Der Erblasser hatte nur zu einem der drei Kinder seines Bruders A eine tatsächlich gelebte
familiäre Beziehung, während zur Beteiligten zu 4 und wohl auch zum Beteiligten zu 3 – beide nach früherer Rechtslage nichtehelichen Kinder wuchsen nicht in der Familie des Bruders
auf offenbar kein Kontakt bestand. Das Landgericht hat diesen Umstand in seine Überlegungen einbezogen, ihm aber im Ergebnis keine Bedeutung beigemessen und die Ersatzerbenstellung aller drei Kinder zu gleichen Teilen bejaht. Das ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat nicht verkannt, dass für die Auslegung alle Umstände des Einzelfalles maßgeblich sind. Es hat die Ersatzerbenstellung hier jedoch nicht aus der – wie auch immer gearteten – tatsächlichen Beziehung des Erblassers zu den Ersatzerben hergeleitet, sondern aus der gleichmäßigen Verteilung des Nachlasses auf seine drei Geschwister als nächste
Angehörige. Es ist rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gekommen, dass die drei von den eingesetzten Geschwistern repräsentierten „Stämme” gemeint sind und bei Wegfall eingesetzter
Geschwister ersatzweise deren Kinder, sofern vorhanden, nachrücken. Vor diesem Hinterdas Ergebnis der Auslegung ohne Belang würdigen; denn Anhaltspunkte für einen gegenteiligen Willen des Erblassers sind nicht festgestellt.
3. Nach
2 die dieser in der Rechtsbeschwerdeinstanz entstandenen Kosten zu erstatten hat. Die übrigen
Beteiligten sind im Verfahren der weiteren Beschwerde nicht hervorgetreten.
Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird gemäß §§ 30, 31 Abs. 1, §
131 Abs. 2 KostO auf 40.000 € festgesetzt. Das Interesse der Rechtsbeschwerdeführerin war
darauf gerichtet, statt als Miterbin zu % als Alleinerbin ausgewiesen zu werden, also eine um'
höhere Erbquote zu erhalten; dies entspricht bei einem Nachlasswert von 80.000 € dem Wert
von 40.000 €. Die Abweichung zur Wertfestsetzung des Landgerichts (13.333 €) erklärt sich
daraus, dass im landgerichtlichen Beschwerdeverfahren das Interesse der dortigen Beschwerdeführerin auf eine Erbquote von 1/6 gerichtet war..
Entscheidung, Urteil
Gericht:BayObLG
Erscheinungsdatum:01.04.2004
Aktenzeichen:1Z BR 001/04
Rechtsgebiete:Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Erschienen in:
NotBZ 2004, 280-281
ZEV 2004, 463-464
BGB §§ 133, 2069, 2096, 2099