OLG München 05. Mai 2020
31 Wx 246-249/19; 31 Wx 269/19
BGB § 2247

Testierwille bei der Errichtung zweier inhaltlich nahezu identischer Testamente

letzte Aktualisierung: 29.10.2020
OLG München, Beschl. v. 5.5.2020 – 31 Wx 246-249/19; 31 Wx 269/19

BGB § 2247
Testierwille bei der Errichtung zweier inhaltlich nahezu identischer Testamente

1. Ohne das Hinzutreten besonderer Umstände besteht bei einer formgerecht errichteten Verfügung
von Todes wegen keine Veranlassung, den Testierwillen des Erblassers zur Zeit der Errichtung
anzuzweifeln.
2. Errichtet der Erblasser am selben Tag zwei inhaltlich identische Schriftstücke, die Verfügungen
von Todes wegen enthalten, liegt die Prüfung nahe, ob der Erblasser zwei Originale oder aber ein
Original und eine (handschriftliche) Abschrift errichten wollte.
3. Die Feststellungslast für das Vorliegen des Testierwillens trägt grundsätzlich derjenige, der aus
einer Verfügung von Todes wegen Rechte herleiten will.

Gründe

I.
Der ledige und kinderlose Erblasser ist am xx.xx.2017 in Dillingen verstorben.
Er errichtete am 08.07.2011 zwei im Wesentlichen gleichlautende Testamente. Ein Exemplar verblieb beim
Erblasser, ein Exemplar gab er der Beteiligten zu1, seiner Cousine.
Die Verfügungen haben folgenden Wortlaut:

„Testament

1.) Im Falle meines Ablebens setze ich meine Cousine … …, …, …str., zu meiner Alleinerbin ein.
2.) Als Vermächtnis erhalten:
…, … in … 10.000,- Euro
3.) Ersatzerben: … …, Pfarrer in …
… den 8.7.2011 (Unterschrift des Erblassers)“
Die beiden Exemplare unterscheiden sich lediglich insoweit, als ein Exemplar, nämlich das, was beim
Erblasser verblieben war, die Wörter „meine Cousine“ als Einfügung oberhalb der ersten Zeile enthält und
die Gliederungsziffern (1, 2, 3) nicht enthält.

Die beim Erblasser verbliebene Verfügung wurde nach dem Vortrag der Beteiligten im Verfahren vor dem
Nachlassgericht im Jahre 2017 vom Betreuer des Erblassers zerrissen. Das bei der Beteiligten zu 1
verbliebene Exemplar habe der Betreuer von dieser herausverlangt, jedoch verweigerte die Beteiligte zu 1
nach Angaben des Betreuers die Herausgabe.

Die Beteiligte zu 1 hat, gestützt auf die Verfügung, die bei ihr verblieben war, einen Erbschein beantragt,
dessen Erteilung das Nachlassgericht angekündigt hat.

Die Beschwerdeführer, die zu den gesetzlichen Erben gehören, sind der Ansicht, das Testament sei wirksam
widerrufen und gesetzliche Erbfolge eingetreten.

II.
Die zulässigen Beschwerden bleiben im Ergebnis ohne Erfolg.

Zutreffend ist das Nachlassgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die Erbrechtslage nach dem
Testament richtet, das der Erblasser am 08.07.2011 errichtet und der Beteiligten zu 1 ausgehändigt hat.

1. Bei dem Testament vom 08.07.2011, das an die Beteiligte zu 1 ausgehändigt wurde, handelt es sich um
ein formwirksames, mit Testierwillen errichtetes Testament.

Ein handschriftliches Testament ist formwirksam errichtet, wenn es vom Erblasser eigenhändig ge- und
unterschrieben ist, § 2247 Abs. 1 BGB.

Eine Verfügung von Todes wegen ist mit Testierwillen errichtet, wenn der Erblasser den ernstlich erklärten
Willen hatte, ein rechtsverbindliches Testament zu errichten. Dieser Wille folgt bei privatschriftlichen
Testamenten nicht in jedem Fall aus der Erfüllung aller Formerfordernisse nach § 2247 (BayObLG FGPrax
2004, 243). Die Feststellung des Testierwillens erfordert eine Prüfung des Gesamtverhaltens des
Erklärenden einschließlich aller Nebenumstände (§ 133); dabei können auch Umstände außerhalb der
Urkunde sowie die allgemeine Lebenserfahrung von Bedeutung sein. Insbesondere muss sich der Erblasser
darüber bewusst sein, dass er eine rechtsverbindliche Erklärung abgibt (BayObLG FamRZ 2000, 944/945).
Wenn eine Urkunde mit „letztwillige Verfügung“ überschrieben und unterzeichnet ist, besteht aber mangels
anderer Anhaltspunkte kein Grund zur Prüfung, ob nur ein Entwurf vorliegt (MüKoBGB/Sticherling, 8.
Auflage <2020>, § 2247 Rn. 6).

2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat der Ansicht, dass es sich bei dem Testament vom
08.07.2011 in jeder Hinsicht eine wirksame Verfügung von Todes handelt.

a) Das Testament ist formwirksam errichtet, § 2247 Abs. 1 BGB. Der Erblasser hat die Verfügung
handschriftlich errichtet und eigenhändig unterschrieben. Dies war auch unter den Beteiligten zu keinem
Zeitpunkt streitig.

b) Er handelte dabei auch mit Testierwillen, d.h. dem Willen, seine Nachfolge von Todes wegen verbindlich
zu regeln. Insbesondere wollte der Erblasser durch das Abfassen zweier Exemplare der inhaltlich selben
Verfügung nicht ein Original und eine Abschrift/Kopie fertigen.

aa) Nachdem der Erblasser am gleichen Tag zwei im Wesentlichen gleichlautende, inhaltlich identische
Verfügungen niedergeschrieben hat, war zu klären, ob der Erblasser eine Urschrift und eine Abschrift/Kopie,
aus der heraus selbst keine Rechte hergeleitet werden könnten, errichten wollte. Hätte in einem solchen Fall
der Erblasser lediglich die Abschrift an die Beteiligte zu 1 ausgehändigt, würde die Vernichtung des Originals
die Unwirksamkeit der Verfügung zur Folge haben können (§ 2256 Abs. 1 BGB), die Abschrift müsste und
könnte schon nicht widerrufen werden, da sie bereits keine wirksame Verfügung von Todes wegen enthielte.

bb) Allerdings ist der Senat überzeugt, dass es sich bei der Urkunde, die der Erblasser der Beteiligten zu 1
ausgehändigt hat, um ein (gegebenenfalls weiteres) Original, jedenfalls nicht um eine bloße Abschrift
handelte.

(1) Für das Vorliegen eines Originals spricht bereits der Umstand, dass die äußeren Merkmale der aus den
Händen gegebenen Urkunde eher dem entsprechen, was man als „Schönschrift“ bezeichnen würde: Die
einzelnen Absätze weisen Gliederungsnummern auf, die beim Erblasser verbliebene Urkunde weist einen
oberhalb der Zeile befindlichen Einschub auf. Ein Erblasser, der von der Originalverfügung noch eine
handschriftliche Abschrift/Kopie erstellt, behielte nach der allgemeinen Lebenserfahrung aber die Reinschrift
(Schönschrift) bei sich und würde die weniger ordentlich geratene Version aus der Hand geben, schließlich
hätte letztere nur Beweisfunktion, aber keine rechtsgestaltende Wirkung.

(2) Darüber hinaus wäre zu erwarten gewesen, dass der Erblasser das Dokument entsprechend als Kopie
kennzeichnet z.B. indem er auf der Urkunde vermerkt, dass es sich lediglich um eine Abschrift/Kopie
handelt. Ohne weiteres wäre es dem Erblasser möglich gewesen, durch Anbringen eines entsprechenden
handschriftlichen Vermerks klarzustellen, dass die der aus den Händen gegebene Variante lediglich eine
Beweisfunktion haben sollte.

(3) Auch der Umstand, dass der Erblasser angeblich seinen Betreuer gebeten hatte, die der Beteiligten zu 1
ausgehändigte Urkunde von dieser zurückzuerlangen, spricht für das Vorliegen eines Originals. Ein
derartiger Aufwand wäre bei einer Abschrift/Kopie kaum erforderlich, denn wäre der Erblasser davon
ausgegangen, er hätte der Beteiligten zu 1 lediglich eine rechtlich unverbindliche Abschrift/Kopie
ausgehändigt, hätte er dies gegenüber dem Betreuer lediglich klarzustellen bzw. zu dokumentieren gehabt.

c) Schließlich wurde dieses Testament auch nicht wirksam widerrufen, § 2255 BGB. Die Vernichtung des in
den Händen des Erblassers befindlichen Originals schlägt nicht auf das weitere Original vom selben Tag
durch.

d) Der Umstand, dass die Beteiligte zu 1 auf Aufforderung durch den Betreuer des Erblassers (angeblich)
das Testament nicht ausgehändigt hat, ist insoweit unerheblich. Dabei kann dahinstehen, aufgrund welches
Rechtsverhältnisses die Beteiligte zu 1 in Besitz der Verfügung war und ob der Betreuer des Erblassers
tatsächlich einen (fremden) Herausgabeanspruch geltend machen konnte. Selbst wenn ein wirksamer
Herausgabeanspruch bestanden haben sollte, den die Beteiligte zu 1 zu erfüllen gehabt hätte, hätte die
Verletzung dieser - unterstellten - Pflicht nicht die Unwirksamkeit der Verfügung zur Folge. Ob darin eine
Erbunwürdigkeit der Beteiligten zu 1 gesehen werden kann, wie die Beschwerdeführer vortragen, kann
ebenfalls dahinstehen. Eine Erbunwürdigkeit wäre vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen und
erst beachtlich, wenn ein entsprechendes Urteil vorläge.

Mithin kommt es auch nicht auf die aufgeworfene Frage, ob der Erblasser bei Widerruf des Testaments noch
testierfähig war, nicht an.

III.
Die Neufassung der Kostenentscheidung beruht auf dem Umstand, dass es die vom Nachlassgericht
ausgesprochene Kostenaufhebung als solche im Verfahren nach dem FamFG nicht gibt. Aus der
Begründung der angefochtenen Entscheidung (Beschluss Seite 12) wird jedoch deutlich, dass es dem
Nachlassgericht mit dem Ausspruch darum ging, dass außergerichtliche Kosten nicht erstattet werden
sollen.

Der Senat konnte diese Klarstellung vornehmen; zum Erfolg verhilft sie den Beschwerden nicht.

IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.

Die Festsetzung des Geschäftswertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf dem wirtschaftlichen
Interesse am Erfolg der jeweiligen Beschwerde, nämlich der Durchsetzung eines gesetzlichen Erbteils in
Höhe von 3/24 bzw. 2/24.

Nachdem der Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalls durch das Nachlassgericht mit 834.000 € ermittelt
wurde, ergaben sich die durch den Senat festgesetzten Geschäftswerte aus der auf die jeweiligen
Beschwerdeführer entfallenden Quote im Rahmen der behauptete gesetzlichen Erbteile.

V.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG München

Erscheinungsdatum:

05.05.2020

Aktenzeichen:

31 Wx 246-249/19; 31 Wx 269/19

Rechtsgebiete:

Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Testamentsform

Normen in Titel:

BGB § 2247