Beschwerde gegen Ausschließungsbeschluss im Aufgebotsverfahren zur Kraftloserklärung von Urkunden
letzte Aktualisierung: 10.3.2022
OLG Celle, Beschl. v. 26.3.2021 – 10 W 5/21
FamFG §§ 59, 439, 467, 468; BGB §§ 378, 952, 1154, 1192, 1160
Beschwerde gegen Ausschließungsbeschluss im Aufgebotsverfahren zur Kraftloserklärung
von Urkunden
Der frühere Grundstückseigentümer, dem nach Tilgung der besicherten Forderung ein unbedingter
Anspruch auf Rückabtretung der Grundschuld zusteht, ist zur Beschwerde gegen einen
Ausschließungsbeschluss zur Kraftloserklärung des Grundschuldbriefs berechtigt, der auf Antrag
seines Rechtsnachfolgers, welcher das Grundstück im Wege der Zwangsversteigerung mit der als
Teil des geringsten Gebots bestehen gebliebenen Grundschuld erworben hat, erlassen wurde. Dies
gilt jedenfalls dann, wenn der Grundschuldbrief für den früheren Grundstückseigentümer von der
Grundschuldgläubigerin unter Verzicht auf das Recht zur Rücknahme hinterlegt worden ist.
Gründe:
I.
Zu entscheiden ist über die Kraftloserklärung eines Grundschuldbriefs im Aufgebotsverfahren
nach § 466ff FamFG.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des im Grundbuch von B. Blatt 1656 eingetragenen
Grundbesitzes. Sie hat die Immobilie im Wege der Zwangsversteigerung zur Aufhebung
einer Erbengemeinschaft durch Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts Otterndorf
vom 28. November 2018, Az.: 9a K 27/17, erworben. Im Grundbuch ist in Abteilung
III unter Nr. 6 seit 1978 eine Grundschuld für die Volksbank S. über 80.000 DM nebst
Zinsen eingetragen, die im Rahmen der Zwangsversteigerung als Teil des geringsten
Gebots bestehen geblieben ist.
Anfang November 2019 hat die Antragstellerin beim Amtsgericht das Aufgebotsverfahren
zur Kraftloserklärung des zu vorgenannter Grundschuld gehörenden Grundschuldbriefs
beantragt. Dabei hat sie an Eides Statt versichert, dass die Grundschuld
nicht mehr valutiere, die von der Gläubigerin erteilte Löschungsbewilligung sowie der
übersandte Grundschuldbrief bei den Voreigentümern nicht mehr auffindbar seien und
die Gläubigerin die Löschungsbewilligung am 4. Juni 2019 erneut erteilt habe. Sie –
die Antragstellerin – habe den Grundschuldbrief nicht in den Händen und ihr sei nicht
bekannt, wo er sich befinde. Ihrer Kenntnis nach sei die Grundschuld weder weiter
abgetreten noch verpfändet worden, auch von einer Pfändung sei ihr nichts bekannt.
Dem Antrag ist eine von der Volksbank S. erteilte Löschungsbewilligung vom 4. Juni
2019 beigefügt nebst einem Begleitschreiben vom 7. Juni 2019, in dem die Volksbank
an Eides Statt versichert, dass die Grundschuld nicht mehr valutiere und die bereits
erstellte Löschungsbewilligung sowie der dazugehörige Grundschuldbrief sich nicht
mehr in ihrem Besitz befänden.
Ohne weitere Ermittlungen anzustellen, hat das Amtsgericht nach Einsicht in die
Grundakte unter dem 13. Dezember 2019 das Aufgebot erlassen und zur Anmeldung
von Rechten und Vorlage des Briefes eine Frist bis zum 12. April 2020 bestimmt. Durch
Beschluss vom 24. April 2020 hat es den Grundschuldbrief sodann für kraftlos erklärt.
Gegen diese Entscheidung hat Herr E.S., ein Mitglied der Erbengemeinschaft, die vor
der Antragstellerin Eigentümerin des Grundstücks war, mit Schreiben vom 24. September
2020, eingegangen beim Amtsgericht am 29. September 2020, Beschwerde
eingelegt und zugleich beantragt, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen
Versäumung der Aufgebotsfrist zu gewähren. Zur Begründung trägt er unter Versicherung
an Eides Statt vor, von dem Aufgebotsverfahren erst am 21. September 2020 per
Zufall erfahren zu haben. Der Grundschuldbrief sei keineswegs verloren gegangen,
sondern von der Volksbank beim Amtsgericht hinterlegt worden, da sein Halbbruder
und Miterbe Herr E.M. der Herausgabe des Grundschuldbriefs an ihn – den Beschwerdeführer
– nicht zugestimmt habe. Die Rechte aus der Eigentümergrundschuld stünden
ihm gegenüber dem Ersteher zu. Der Beschwerde sind an den Beschwerdeführer
gerichtete Schreiben der Volksbank vom 4. August 2020 und 4. September 2020 beigefügt.
In dem Schreiben vom 4. August 2020 heißt es, mit Rückzahlung der Verbindlichkeiten
bestehe die Grundschuld als Eigentümergrundschuld fort. Eine Aushändigung
des Grundschuldbriefes und Abtretung der entstandenen Eigentümergrundschuld
könne erst vorgenommen werden, wenn eine übereinstimmende Erklärung aller
ehemaligen Eigentümer vorliege und die Übernahme der anfallenden Notarkosten versichert
werde. In dem Schreiben vom 4. September 2020 teilt die Volksbank mit, der
Grundschuldbrief sei beim Amtsgericht S. zum Aktenzeichen 11 HL 41/20; WHB-Nr.:
129/20, hinterlegt worden.
Durch Beschluss vom 17. Dezember 2020 hat das Amtsgericht den Antrag des Beschwerdeführers
auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und seiner
Beschwerde gegen den Ausschließungsbeschluss vom 24. April 2020 nicht abgeholfen.
Zur Begründung hat das Amtsgericht im Wesentlichen ausgeführt, dem Antrag
auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand habe mangels Antragsberechtigung nach
den Grundsätzen zu § 59 FamFG nicht stattgegeben werden können. Insoweit müsse
durch die angegriffene Entscheidung das eigene, materielle Recht unmittelbar beeinträchtigt
sein. Aus dem Grundbuch und dem vorgelegten Schreiben der Volksbank
gehe jedoch hervor, dass eine Abtretung der Grundschuld nicht erfolgt sei. Die geleisteten
Zahlungen dürften auf die Forderung erfolgt sein, weshalb es sich bei der Grundschuld
weiterhin um ein Fremdrecht handele. Ebenso habe die notwendige Briefübergabe
unbestritten nicht stattgefunden. Es müsse weiterhin davon ausgegangen werden,
dass die Grundschuld der Volksbank zustehe und das materielle Recht des Be4
schwerdeführers daher nicht unmittelbar durch den Ausschließungsbeschluss beeinträchtigt
sein dürfte. Zudem sei eine Briefvorlage bis heute nicht erfolgt. Der Beschwerdeführer
sei nicht Inhaber des aufgebotenen Briefes. Es werde nicht für ausreichend
erachtet, dass er den Brief möglicherweise aus der Hinterlegung erhalten könnte. Die
eingelegte Beschwerde gegen den Ausschließungsbeschluss sei verspätet.
Gegen diesen Beschluss hat der Beschwerdeführer ebenfalls Beschwerde eingelegt,
mit der er auf seine bisherigen Ausführungen Bezug nimmt.
Der Senat hat eine Stellungnahme der Volksbank S. 2. März 2021 eingeholt, in der sie
erläutert, das Darlehen, welches durch die Grundschuld besichert worden sei, sei bereits
1997 zurückgeführt worden. Der Antragstellerin sei die Löschungsbewilligung
vom 4. Juni 2019 auf Anforderung ihres Bevollmächtigten irrtümlich erteilt worden,
während sich der Grundschuldbrief tatsächlich in der Abwicklungsabteilung der Volksbank
befunden habe. Diese habe die Zwangsversteigerung zur Aufhebung der Gemeinschaft
begleitet. Da sich die bisherigen Eigentümer nicht über die Herausgabe
des Grundschuldbriefs hätten einigen können, sei der Grundschuldbrief dann beim
Amtsgericht S. hinterlegt worden.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird verwiesen auf die gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen.
Der Senat hat einen aktuellen Auszug des Grundbuchs von B. Blatt 1656 erfordert, die
Zwangsversteigerungsakte des Amtsgerichts Otterndorf 9a K 27/17 sowie die Hinterlegungsakte
des Amtsgerichts S. 11 HL 41/20 beigezogen. Aus der Hinterlegungsakte
ergibt sich, dass der verfahrensgegenständliche Grundschuldbrief von der Volksbank
Ende August 2020 zugunsten der aus dem Beschwerdeführer und seinem Halbbruder
bestehenden Erbengemeinschaft unter Verzicht auf das Recht zur Rücknahme hinterlegt
worden ist.
II.
Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Ausschließungsbeschluss vom
24. April 2020 hat nach Maßgabe des Tenors Erfolg. Die Beschwerde gegen die durch
Beschluss vom 17. Dezember 2020 erfolgte Ablehnung der Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand wegen Versäumung der Aufgebotsfrist ist damit erledigt.
1. Zulässigkeit
Die Beschwerde gegen den Ausschließungsbeschluss ist zulässig. Insbesondere ist
der Beschwerdeführer beschwerdeberechtigt (s. nachfolgend Ziff. a)), zur Führung des
Beschwerdeverfahrens auch ohne seinen Halbbruder und Miterben befugt (s. nachfolgend
Ziff. b)), und die Beschwerdefrist ist gewahrt (s. nachfolgend Ziff. c)).
a) Beschwerdeberechtigung
Gem. § 59 Abs. 1 FamFG steht die Beschwerde demjenigen zu, der durch den Beschluss
in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Erforderlich ist insoweit ein unmittelbarer
nachteiliger Eingriff. D. h., die angegriffene Entscheidung muss ein bestehendes Recht
des Beschwerdeführers aufheben, beschränken, mindern, ungünstig beeinflussen oder
gefährden, die Ausübung dieses Rechts stören oder dem Beschwerdeführer die
mögliche Verbesserung seiner Rechtsstellung vorenthalten oder erschweren (vgl. Keidel/
Giers, FamFG, 20. Aufl., § 59 Rn 9).
Mit dem Ausschließungsbeschluss wird der für kraftlos erklärten Urkunde allgemein
die Legitimationswirkung genommen. Die Geltendmachung einer Briefgrundschuld
erfordert gem. §§ 1192 Abs. 1, 1160 Abs. 1 BGB auf Verlangen des Schuldners die
Vorlage des Grundschuldbriefs, so dass im Fall der Kraftloserklärung die Rechte aus
der Grundschuld dem Grundstückeigentümer gegenüber nicht mehr durchgesetzt
werden können (vgl. BeckOK FamFG/Schlögel, 37. Ed. 1.1.2021, FamFG § 479 Rn
1; Haußleiter, FamFG, 2. Aufl., § 479 Rn 2). Das Eigentum an dem Grundschuldbrief
steht gem. § 952 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB dem Gläubiger der Grundschuld zu. Dieser
ist im Fall der Kraftloserklärung somit in jedem Fall in seinen Rechten unmittelbar beeinträchtigt
und zur Beschwerde berechtigt.
Das Amtsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer
und sein Miterbe nicht Gläubiger der Grundschuld geworden sind. Das Schicksal einer
Grundschuld zur Sicherung einer Forderung (sog. Sicherungsgrundschuld) richtet sich
bei Befriedigung der Gläubigerin danach, ob auf die Grundschuld oder auf die abgesicherte
Forderung gezahlt wird. Im erstgenannten Fall entsteht entsprechend § 1143
BGB eine Eigentümergrundschuld. Andernfalls erlischt nur die zugrunde liegende For6
derung, und die Grundschuld bleibt Fremdgrundschuld, wobei aus dem Sicherungsvertrag
ein unbedingter Anspruch auf Rückgewähr der Grundschuld besteht (vgl. Palandt/
Herrler, BGB, 79. Aufl., § 1191 Rnn 10, 19, 26, 35ff). Die Rückübertragung der
Grundschuld erfolgt gem. §§ 1192, 1154 Abs. 1, 2 BGB durch Abtretung und Übergabe
des Grundschuldbriefs. Das vom Beschwerdeführer vorgelegte Schreiben der Volksbank
vom 4. August 2020 ist insoweit nicht eindeutig, da dort von einer (Rück-)Abtretung
der entstandenen Eigentümergrundschuld die Rede ist. In der vom Senat eingeholten
Stellungnahme der Volksbank wird jedoch klargestellt, dass bei den zur Sicherung
bestellten Grundschulden üblicherweise vereinbart wird, dass Zahlungen des
Darlehensnehmers auf die persönliche Forderung und nicht auf die Grundschuld erfolgen.
Somit ist vorliegend davon auszugehen, dass mit der Darlehenstilgung im Jahr
1997 keine Eigentümergrundschuld, sondern lediglich ein unbedingter Anspruch auf
Rückgewähr der Grundschuld entstanden und die Volksbank Inhaberin der Grundschuld
geblieben ist. Der Rückgewähranspruch dürfte aktuell dem Beschwerdeführer
als Teil der mit seinem Halbbruder bestehenden Erbengemeinschaft in Mitgläubigerschaft
(§§ 2032, 432 BGB) zustehen: Zum Zeitpunkt der Grundschuldbestellung bis
Mai 2010, waren Herr Bruno und Frau H.S. als Miteigentümer des Grundstücks eintragen,
so dass der Senat davon ausgeht, dass diese das Darlehen aufgenommen, zurückgeführt
und den Rückgewähranspruch ursprünglich erworben haben. Im Mai 2010
wurde als Erbin nach B.S. allein H.S. als Eigentümerin, Ende August 2017 wurden
nach deren Tod der Beschwerdeführer und sein Halbbruder in Erbengemeinschaft als
Eigentümer in das Grundbuch eingetragen. Dementsprechend dürfte gem. § 1922
Abs. 1 BGB auch der Rückgewähranspruch auf die Erbengemeinschaft übergegangen
sein. Davon geht schließlich auch die Volksbank aus. Zu einer entsprechenden Rückübertragung
der Grundschuld durch Abtretung und Übergabe des Grundschuldbriefes
ist es bislang nicht gekommen, weil sich der Beschwerdeführer und sein Halbbruder
nicht einig sind und die von der Volksbank insoweit geforderte gemeinsame Erklärung
der Miterben nebst einer Versicherung zur Übernahme der anfallenden Notarkosten
offenbar noch nicht beigebracht ist.
Dies steht der Beschwerdeberechtigung des Beschwerdeführers allerdings nicht entgegen.
Zum einen dürfte mit der Kraftloserklärung des Grundschuldbriefs die Erfüllung
des Rückgewähranspruchs jedenfalls erschwert sein (siehe zur denkbaren Neuerteilung
nach Kraftloserklärung Palandt/Herrler, BGB, 79. Aufl., § 1162 Rn. 2), so dass
allein aus diesem Grund eine eigene Rechtsbeeinträchtigung auf Seiten des Beschwerdeführers
anzunehmen sein dürfte. Zum anderen ist jedenfalls bereits die Übergabe
des Grundschuldbriefs an die Erbengemeinschaft erfolgt, so dass der Rückgewähranspruch
zumindest teilweise erfüllt ist. Die Volksbank hat den Grundschuldbrief
für den Beschwerdeführer und seinen Halbbruder in Erbengemeinschaft unter Verzicht
auf das Recht zur Rücknahme hinterlegt. Der Verzicht auf das Recht zur Rücknahme
wirkt gem. §§ 372 Abs. 2 Ziff. 1, 378 BGB schuldbefreiend (sog. Erfüllungssurrogat);
die Hinterlegungsstelle wird – außer bei Geld – Besitzmittlerin für die von der Hinterlegerin
benannten Forderungsprätendenten (vgl. BeckOGK/Ulrici, 1.12.2020, BGB §
372 Rn 99-101). Diese Teilerfüllung des Rückgewähranspruchs erachtet der Senat zur
Begründung der Beschwerdeberechtigung ebenfalls als ausreichend, zumal die bislang
noch fehlende Abtretung nicht auf einer Weigerung der Volksbank, sondern allein
auf den Differenzen der Miterben beruht. Außerdem weist die Volksbank in ihrer vom
Senat eingeholten Stellungnahme darauf hin, dass die der Antragstellerin erteilte Löschungsbewilligung
nicht hätte erteilt werden dürfen und auf einem von dem Verfahrensbevollmächtigen
der Antragstellerin erregten Irrtum beruhe. Diesem sei aufgrund
der Zwangsversteigerung bekannt, dass die Grundschuld als bestehenbleibendes
Recht den bisherigen Eigentümern zustehe und die Antragstellerin kein Recht auf eine
kostenfreie Löschung habe. Diese Ausführungen können auch als konkludente Ermächtigung
des Beschwerdeführers zur Durchführung des Beschwerdefahrens gewertet
werden (sog. gewillkürte Verfahrensstandschaft).
b) Beschwerdeführungsbefugnis
Die alleinige Beschwerdeführungsbefugnis des Beschwerdeführers ergibt sich ungeachtet
seiner Stellung als lediglich mitberechtigter Erbe aus § 2039 BGB (vgl. Palandt/
Weidlich, BGB, 79. Aufl., § 2039 Rn 6f).
c) Beschwerdefrist
Die gem. § 63 Abs. 1 FamFG einmonatige Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen
den öffentlich zugestellten Ausschließungsbeschluss hat der Beschwerdeführer zwar
versäumt. Denn der Aushang an der Gerichtstafel ist am 2. Juni 2020 erfolgt, so dass
die Entscheidung als am 2. Juli 2020 zugestellt gilt und die Beschwerdefrist daher am
3. August 2020 (2. August 2020 = Sonntag) und damit vor Eingang der Beschwerde
am 29. September 2020 abgelaufen ist; §§ 63 Abs. 3, 15 Abs. 2, 16, 441 FamFG, 188
S. 1, 222ff ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB.
Dies ist jedoch unschädlich, weil dem Beschwerdeführer insoweit gem. §§ 439 Abs. 4
S. 1, 17ff FamFG von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren
war. Der Beschwerdeführer hat durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht,
dass er von dem Ausschließungsbeschluss zufällig am 21. September 2021
Kenntnis erlangt hat. Er hat innerhalb von zwei Wochen nach diesem Datum die versäumte
Rechtshandlung – Einlegung der Beschwerde – nachgeholt. Der Beschwerdeführer
war auch ohne sein Verschulden verhindert, die Beschwerdefrist einzuhalten.
Bei einer öffentlichen Zustellung ist fehlende Kenntnis unverschuldet, wenn der Beteiligte
nicht mit ihr rechnen musste (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl., Rn 23.44 m. w.
N.). Der Beschwerdeführer musste weder mit dem Aufgebotsantrag noch mit dem Erlass
und der öffentlichen Zustellung des Ausschließungsbeschlusses rechnen, weil der
Grundschuldbrief tatsächlich nicht unauffindbar war, sondern – was der Beschwerdeführer
wusste – sich bei der Volksbank befand.
2. Begründetheit
Die Beschwerde ist auch begründet.
Dabei verkennt der Senat nicht, dass es zweifelhaft erscheint, ob der Beschwerdeführer
seine Rechte überhaupt noch anmelden könnte. Er hat nämlich auch die Aufgebotsfrist
versäumt. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung
der Aufgebotsfrist kommt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedenfalls
im Aufgebotsverfahren zur Ausschließung von Nachlassgläubigern nicht in Betracht
(vgl. BGH FamRZ 2016, 2096ff). Ob diese Rechtsprechung auf die anderen Aufgebotsverfahren
übertragbar ist, wird nicht einheitlich gesehen (vgl. BeckOK FamFG/
Schlögel, 37. Ed. 1.1.2021,
Zimmermann, FamFG, 20. Aufl., § 439 Rn 9; MüKoFamFG/Dörndorfer, 3. Aufl. 2019,
Denn das Verfahren des Amtsgerichts leidet an wesentlichen Mängeln, so dass die
angefochtene Entscheidung bereits aus diesem Grund keinen Bestand haben kann.
Zum einen hat die Antragstellerin entgegen der Annahme des Amtsgerichts weder den
Verlust des Grundschuldbriefs noch ihre Antragsberechtigung hinreichend glaubhaft
gemacht (s. nachfolgend Ziff. a)), zum anderen hat das Amtsgericht seiner aus § 26
FamFG folgenden Pflicht zur Amtsermittlung nicht genügt (s. nachfolgend Ziff. b)).
a) Gem. § 468 Ziff. 2 FamFG hat der Antragsteller eines Aufgebots zur Kraftloserklärung
von Urkunden den Verlust der Urkunde sowie diejenigen Tatsachen glaubhaft
zu machen, von denen seine Berechtigung abhängt, das Aufgebotsverfahren zu beantragen.
Der Verlust der Urkunde setzt deren Abhandenkommen oder Vernichtung voraus.
Eine Urkunde ist abhandengekommen, wenn die Inhaberin den Besitz derart verloren
hat, dass sie nicht mehr auf sie zugreifen und sie auch im Wege der Zwangsvollstreckung
nicht mehr erlangen kann. Vernichtet ist die Urkunde im Falle völligen Substanzverlustes
sowie dann, wenn sie derart beschädigt ist, dass die wesentlichen Unterscheidungsmerkmale
nicht mehr zuverlässig feststellbar sind (vgl.
MüKoFamFG/Dörndorfer, 3. Aufl. 2019, FamFG § 466 Rn 12f; Keidel/Giers, FamFG,
20. Aufl., § 466 Rn 11). Die Antragstellerin selbst war zu keiner Zeit Besitzerin des
Grundschuldbriefs und kann daher aus eigener Anschauung zu dessen Verlust bzw.
Vernichtung nichts sagen. Auch die Volksbank hatte den Grundschuldbrief nach dem
Vorbringen der Antragstellerin nicht verloren oder vernichtet, sondern nebst einer Löschungsbewilligung
den Voreigentümern übersandt. Ob die Voreigentümer den
Grundschuldbrief verloren, vernichtet oder die Grundschuld möglicherweise durch
Abtretung und Übergabe des Briefes an eine dritte Person übertragen haben, geht
aus den Angaben der Antragstellerin nicht hervor. Insbesondere konnte die Antragstellerin
insoweit mangels eigener Wahrnehmung nicht selbst an Eides Statt versichern,
dass von den Voreigentümern über die Grundschuld nicht verfügt worden war
(vgl. Bumiller/Harders/Harders, 12. Aufl. 2019,
mehr, als dem Antrag nicht einmal zu entnehmen ist, an welche Voreigentümer die
Volksbank den Brief nach Tilgung des besicherten Darlehens übersandt haben soll.
Immerhin haben seit der Tilgung im Jahr 1997 drei Eigentümerwechsel stattgefunden.
Von einem Verlust des Grundschuldbriefs durfte das Amtsgericht auf Basis der
von der Antragstellerin getätigten Angaben daher nicht ausgehen.
Entsprechendes gilt für die Antragsberechtigung. Zur Beantragung des Aufgebots zur
Kraftloserklärung von Urkunden ist gem. § 467 Abs. 2 FamFG derjenige berechtigt,
der das Recht aus der Urkunde geltend machen kann. Hierbei handelt es sich grundsätzlich
um die materiellrechtlich berechtigte Gläubigerin. Anerkannt ist ferner eine gewillkürte
Verfahrensstandschaft der Grundstückseigentümerin, wenn dieser von der
letzten Grundpfandrechtsgläubigerin die Löschungsbewilligung in grundbuchmäßiger
Form überlassen worden ist (vgl. jeweils m. w. N. Prütting/Helms/Holzer, FamFG,
4. Aufl., § 467 Rn 7f; Schulte-Bunert/Weinreich/Tschichoflos, FamFG, 3. Aufl.,
§ 467 Rn 2f). Bei einer Briefgrundschuld, die auch außerhalb des Grundbuchs übertragen
werden kann, ist insoweit zu beachten, dass die im Grundbuch als solche ausgewiesene
Gläubigerin nicht zwingend diejenige ist, der die Briefgrundschuld tatsächlich
zusteht. Vorliegend ergibt sich aus dem Vortrag der Antragstellerin aber gerade
nicht, dass die Volksbank noch materiellrechtlich berechtigte Gläubigerin des Grundpfandrechts
war. Nach dem Vortrag der Antragstellerin war vielmehr davon auszugehen,
dass die Volksbank die Grundschuld vermutlich bereits wieder auf die Voreigentümer
zurückübertragen hatte, so dass die der Antragstellerin erteilte Löschungsbewilligung
vom 4. Juni 2019 nicht geeignet sein konnte, die Antragsberechtigung der Antragstellerin
zu begründen.
b) Das Amtsgericht hätte sich mit den unzureichenden Angaben der Antragstellerin
auch nicht begnügen dürfen, sondern die Antragstellerin zur Nachbesserung auffordern
bzw. entsprechende Ermittlungen selbst anstellen müssen. Es erschien unter
den gegebenen Umständen zumindest geboten, eine eigene Stellungahme des Beschwerdeführers
und seines Miterben einzuholen oder der Antragstellerin die Vorlage
einer solchen aufzugeben. Zudem hätten weitere Informationen der Volksbank insbesondere
darüber vorliegen müssen, zu welchem Zeitpunkt und an welchen der insgesamt
drei nacheinander eingetragenen Voreigentümer der Grundschuldbrief übersandt
worden sein soll. Hätte das Amtsgericht in diesem Sinne weiter aufgeklärt, wäre
der wahre Sachverhalt zweifelsohne bereits erstinstanzlich zutage getreten und es
wäre nicht zu dem fehlerhaften Ausschließungsbeschluss gekommen.
Nach alledem war die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Da sich nunmehr herausgestellt
hat, was mit dem Grundschuldbrief tatsächlich geschehen und dass dieser
keineswegs abhandengekommen bzw. vernichtet worden ist, war der Aufgebotsantrag
der Antragstellerin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG und entspricht der Billigkeit. Die Antragstellerin
hat mit ihrer eidesstattlichen Versicherung den Anschein erweckt, sie habe
sich bei dem Beschwerdeführer und seinem Miterben nach dem Verbleib des Grundschuldbriefs
erkundigt, was aber offenkundig nicht geschehen ist. Es muss daher davon
ausgegangen werden, dass die Antragstellerin den Aufgebotsantrag unredlich mit
dem Ziel gestellt hat, die Löschung der Grundschuld ohne einen an den Beschwerdeführer
und seinen Halbbruder zu leistenden Ausgleich herbeizuführen.
Der Geschäftswert wurde festgesetzt gem. § 36 Abs. 1 GNotKG auf 15 % des Nennwerts
der Urkunde (vgl. Senatsbeschluss vom 5. Juni 2019, Az.: 10 W 13/19; BGH
MDR 2004, 640f; OLG München BeckRS 2011, 16193, LG Berlin Rpfleger 1988, 548f;
Schneider/Volpert/Fölsch2–Thiel, Kostenrecht, VV RVG Nr. 3324 Rn 4).
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Celle
Erscheinungsdatum:26.03.2021
Aktenzeichen:10 W 5/21
Rechtsgebiete:
Sachenrecht allgemein
Allgemeines Schuldrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Grundpfandrechte
FamFG §§ 59, 439, 467, 468; BGB §§ 378, 952, 1154, 1192, 1160