BGH 26. April 2004
II ZR 154/02
AktG § 119; AktG § 76; AktG § 179; AktG § 118

Holzmüller II: Enge Grenzen für "ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit"; Drei-Viertel-Mehrheit bei Holzmüller-Maßnahmen

DNotIDeutsches Notarinstitut
Dokumentnummer: 2zr154_02
letzte Aktualisierung: 19.05.2004
BGH, 26.04.2004 - II ZR 154/02
AktG §§ 76, 118, 119, 179
Holzmüller II: Enge Grenzen für "ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit";
Drei-Viertel-Mehrheit bei Holzmüller-Maßnahmen
a) Ungeschriebene Mitwirkungsbefugnisse der Hauptversammlung bei Maßnahmen, die das Gesetz dem Vorstand als Leitungsaufgabe zuweist, sind nur ausnahmsweise und in engen Grenzen
anzuerkennen. Sie kommen allein dann in Betracht, wenn eine von dem Vorstand in Aussicht
genommene Umstrukturierung der Gesellschaft an die Kernkompetenz der Hauptversammlung,
über die Verfassung der Aktiengesellschaft zu bestimmen, rührt, weil sie Veränderungen nach
sich zieht, die denjenigen zumindest nahe kommen, welche allein durch eine Satzungsänderung
herbeigeführt werden können.
b) Außer für Fälle von Ausgliederungen kann diese Ausnahmezuständigkeit jedenfalls für die
Umstrukturierung einer Tochter- in eine Enkelgesellschaft wegen des mit ihr verbundenen weiteren Mediatisierungseffekts in Betracht kommen. Eine wesentliche Beeinträchtigung der Mitwirkungsbefugnisse der Aktionäre liegt aber auch in diesen Fällen erst dann vor, wenn die wirtschaftliche Bedeutung der Maßnahme in etwa die Ausmaße wie in dem Senatsurteil BGHZ 83,
122 erreicht.
c) Ist die Hauptversammlung danach ausnahmsweise zur Mitwirkung berufen, bedarf ihre Zustimmung wegen der Bedeutung für die Aktionäre einer Dreiviertel-Mehrheit.


BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 154/02
Verkündet am:
26. April 2004
Vondrasek
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
AktG §§ 76, 118, 119, 179
Holzmüller II: Enge Grenzen für "ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit"; Drei-Viertel-Mehrheit bei Holzmüller-Maßnahmen
a) Ungeschriebene Mitwirkungsbefugnisse der Hauptversammlung bei Maßnahmen, die das Gesetz dem Vorstand als Leitungsaufgabe zuweist, sind
nur ausnahmsweise und in engen Grenzen anzuerkennen. Sie kommen allein dann in Betracht, wenn eine von dem Vorstand in Aussicht genommene
Umstrukturierung der Gesellschaft an die Kernkompetenz der Hauptversammlung, über die Verfassung der Aktiengesellschaft zu bestimmen, rührt,
weil sie Veränderungen nach sich zieht, die denjenigen zumindest nahe
kommen, welche allein durch eine Satzungsänderung herbeigeführt werden
können.
b) Außer für Fälle von Ausgliederungen kann diese Ausnahmezuständigkeit
jedenfalls für die Umstrukturierung einer Tochter- in eine Enkelgesellschaft
wegen des mit ihr verbundenen weiteren Mediatisierungseffekts in Betracht
kommen. Eine wesentliche Beeinträchtigung der Mitwirkungsbefugnisse der
Aktionäre liegt aber auch in diesen Fällen erst dann vor, wenn die wirtschaftliche Bedeutung der Maßnahme in etwa die Ausmaße wie in dem Senatsurteil BGHZ 83, 122 erreicht.
c) Ist die Hauptversammlung danach ausnahmsweise zur Mitwirkung berufen,
bedarf ihre Zustimmung wegen der Bedeutung für die Aktionäre einer Dreiviertel-Mehrheit.
BGH, Urteil vom 26. April 2004 - II ZR 154/02 - OLG Karlsruhe
LG Heidelberg
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche
Verhandlung
vom
26. April
durch
den
Vorsitzenden
Richter
Dr. h.c. Röhricht und die Richter Prof. Dr. Goette, Kraemer, Dr. Strohn und
Caliebe
für Recht erkannt:
Die Revisionen der Kläger gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 12. März 2002 werden auf ihre
Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Das 25 Mio. € betragende Grundkapital der beklagten Aktiengesellschaft
halten zu rund 10 % eine Reihe von Minderheitsaktionären, während es im
übrigen, nämlich zu insgesamt 29,7589 % (270.805 Stückaktien) bei den vier
Klägern und zu rund 60 % bei der Stiefmutter des Klägers zu 1, ihrer Tochter
und einem Neffen des Klägers zu 1 liegt.
Die Satzung der Beklagten bestimmt in § 2:
"Gegenstand
(1) Gegenstand des Unternehmens sind die Herstellung und der Vertrieb von
Gelatine und Gelatineerzeugnissen einschließlich Sonderprodukten sowie
anderen chemischen Erzeugnissen.
(2) Die Gesellschaft ist berechtigt, alle Geschäfte einzugehen, die geeignet
sind, den Geschäftszweck der Gesellschaft zu fördern. Sie kann im In- und
Ausland Zweigniederlassungen errichten, sich bei anderen Unternehmen
des In- und Auslands beteiligen, solche Unternehmen erwerben oder gründen und solche Unternehmen ganz oder teilweise unter einheitlicher Leitung zusammenfassen."
Über das Stimmrecht und die Beschlußfassung in der Hauptversammlung bestimmt § 19 folgendes:
"(1) In der Hauptversammlung gewährt je eine Stückaktie eine Stimme.
(2) Die Beschlüsse der Hauptversammlung werden mit einfacher Mehrheit der
abgegebenen Stimmen und, soweit eine Kapitalmehrheit erforderlich ist,
mit einfacher Mehrheit des vertretenen Kapitals gefaßt, falls nicht die Satzung oder das Gesetz zwingend etwas anderes vorschreiben.
(3) ..."
Das wesentliche Geschäftsfeld der Beklagten ist die Herstellung und der
Vertrieb von Gelatine und deren Nebenprodukten. Sie ist auf diesem Gebiet
selbst operativ tätig, verfolgt ihr Unternehmensziel aber auch über verschiedene
andere Gesellschaften, an denen sie beteiligt ist. U.a. an der R. S.
GmbH & Co. KG und deren Komplementärin, der R. S. Verwaltungs
GmbH, hält die Beklagte einen Anteil von 49 %, während der andere Gesellschafter ein US-amerikanischer Konzern ist. Die KG produziert und vertreibt
Gelatinekapseln für die Pharmaindustrie; sie hat damit im Jahr 1998 ein Ergebnis von 18,6 Mio. € und 1999 von 27 Mio. € erwirtschaftet. Die Beklagte und die
KG, die die für ihr Unternehmen erforderlichen Rohprodukte in großem Umfang
von der Beklagten bezieht, stehen in vielfältigen Beziehungen zueinander, über
die sich der Vorstand der Beklagten in seinem Bericht vom März 2000 u.a. wie
folgt geäußert hat:
"...
2. Bedeutung der Beteiligung im Gesamtkonzern
Es bestehen enge Verflechtungen zwischen der ... (Beklagten) und der
R. S. GmbH & Co. KG. Die Betriebe beider Gesellschaften befinden sich auf einem gemeinsamen Gelände. Gelände und Gebäude stehen
im alleinigen Eigentum der ... (Beklagten). Die von der R. S. GmbH
& Co. KG benutzten Räumlichkeiten sind langfristig von der ... (Beklagten)
gemietet. Die Betriebe beider Gesellschaften unterhalten eine gemeinsame
Frischwasseraufbereitung und eine gemeinsame Abwasseraufbereitung
sowie eine gemeinsame Energieversorgung."
Die gegenwärtige wirtschaftliche Bedeutung der Beteiligung an der R.
S. GmbH & Co. KG zeigt der nachfolgende Vergleich der Kennzahlen:
R. S. GmbH &
Co. KG
Beklagte
Gesamtkonzern
Umsatz u. sonstige Erträge (in TEuro)
155.584
167.935
357.091
Bilanzsumme (in TEuro)
121.384
333.904
391.086
Mitarbeiter (31.12.1999)
1.009
1.826
Der Vorstand der Beklagten stellte in der auf den 5. Mai 2000 einberufenen Hauptversammlung neben einem von den Aktionären nicht gebilligten Plan,
der die Umstrukturierung der Beklagten zu einer Holdinggesellschaft zum Ziel
hatte, unter TOP 11 den Vorschlag zur Abstimmung, den Vorstand zu ermächtigen, mit Zustimmung des Aufsichtsrates die Beteiligungen der Beklagten an
der genannten KG und ihrer Komplementärin - außerdem eventuell auch den
von den S.-Gesellschaften benutzten Teil des Grundstücks - in eine ihrer
zu 100 % gehaltenen Tochtergesellschaften einzubringen. Begründet wurde
dieser Vorschlag mit steuerlichen Erwägungen, die an den zu jener Zeit diskutierten Regierungsentwurf zur Unternehmenssteuerreform 2001 anknüpften; der
Vorstand wollte der Hauptversammlung der Beklagten die Möglichkeit eröffnen,
künftig Beteiligungsbesitz steuerfrei oder -begünstigt zu veräußern, sofern dies
zu gegebener Zeit im Interesse der Gesellschaft liegen sollte. Für den Vorschlag stimmten 66,4 %, die Gegenstimmen von 30,02 % des vertretenen
Kapitals stammen außer von einigen Minderheitsaktionären von den Klägern.
Diese haben Widerspruch zur Niederschrift des amtierenden Notars erhoben,
weil sie der Auffassung sind, der Beschluß sei entgegen der Feststellung des
Versammlungsleiters nicht wirksam gefaßt worden, weil er einer Mehrheit von
Dreivierteln des vertretenen Kapitals bedurft hätte. Die Einbringung der Beteiligung der Beklagten an der R. S. GmbH & Co. KG und deren Komplementärin sei nämlich - nicht zuletzt nach den Darlegungen des Vorstandes der
Beklagten über die wirtschaftliche Bedeutung der Beteiligung - eine Maßnahme
von so erheblichem Gewicht für die Aktionäre der Muttergesellschaft, daß die
Grundsätze der sog. "Holzmüller"-Entscheidung des Senats (BGHZ 83, 122)
beachtet werden müßten.
Das Landgericht hat der Anfechtungsklage entsprochen, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstreben die Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist nicht begründet. Der Beschluß der Hauptversammlung
der Beklagten vom 5. Mai 2000 zu TOP 11 ist wirksam zustande gekommen. Er
bedurfte nicht, wie die Kläger meinen, einer Dreiviertel-Mehrheit des vertretenen Grundkapitals.
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die vorgesehene Einbringung
der Beteiligung der Beklagten an der R. S. GmbH & Co. KG und deren
Komplementärin sei von dem in § 2 Abs. 2 der Satzung niedergelegten Unternehmensgegenstand gedeckt, so daß der von den Klägern angegriffene
Beschluß nicht wegen einer erforderlichen Änderung der Satzung einer qualifizierten Mehrheit nach § 179 Abs. 2 AktG bedurft habe. Auch unter dem Gesichtspunkt einer ungeschriebenen Hauptversammlungszuständigkeit nach den
sog. "Holzmüller"-Grundsätzen (BGHZ 83, 122 ff.) sei ein mit DreiviertelMehrheit gefaßter Beschluß der Hauptversammlung nicht erforderlich gewesen.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen, unter denen der Vorstand der Beklagten verpflichtet gewesen wäre, die Zustimmung der Hauptversammlung für die
von ihm beabsichtigte Maßnahme einzuholen, seien nicht erfüllt gewesen, weil
die andere Zuordnung des Beteiligungsbesitzes der Beklagten zu einer ihr allein
gehörenden Tochtergesellschaft nicht in den Kernbereich des Unternehmens
eingreife, die Unternehmensstruktur nicht von Grund auf und die Aktionäre der
Beklagten nicht in ihren mitgliedschaftlichen und Vermögensrechten betreffe.
Davon abgesehen hätte ein etwa doch erforderlicher Zustimmungsbeschluß, da
er eine Maßnahme der Geschäftsführung betreffe, lediglich einer einfachen
Mehrheit bedurft, die im vorliegenden Fall unzweifelhaft erreicht worden sei.
II. Das hält in seinen entscheidenden Teilen den Angriffen der Revision
stand.
1. Der Ermächtigungsbeschluß zu TOP 11 bedurfte nicht der in § 179
Abs. 2 AktG bestimmten qualifizierten Mehrheit, weil er von dem in § 2 der Satzung der Beklagten festgelegten Unternehmensgegenstand umfaßt war und
nicht - wie die Revision zur Überprüfung stellt - eine tatsächliche Änderung der
Satzung enthielt. § 2 Abs. 2 der Satzung läßt es ausdrücklich zu, daß der in
Abs. 1 dieser Bestimmung festgelegte Unternehmensgegenstand nicht allein
auf dem Wege eigener operativer Tätigkeit der Beklagten, sondern auch durch
Beteiligung an oder durch Gründung bzw. durch Erwerb von anderen Unternehmen verfolgt wird und daß diese Unternehmen ganz oder teilweise unter
einheitlicher Leitung zusammengefaßt werden. Der Satzungsgeber, der 1989
bei der Umwandlung des seit Jahrzehnten als GmbH bestehenden Unternehmens in die jetzige Aktiengesellschaft umfangreichen Beteiligungsbesitz vorgefunden hatte, hat damit - der bestehenden Doppelfunktion der Beklagten als
operativ wie als Holdinggesellschaft tätigen Unternehmens Rechnung tragend die Grenzen abgesteckt, innerhalb deren der Vorstand in Ausübung der ihm
übertragenen Leitungsmacht in eigener Verantwortung (§ 76 AktG) die Geschäfte zu führen hat (vgl. Röhricht in Großkomm.z.AktG 4. Aufl. § 23 Rdn. 83;
Pentz in Münch.Komm.z.AktG 2. Aufl. § 23 Rdn. 78). Ob Beteiligungsbesitz von
der Beklagten selbst zu halten und dementsprechend die Führung des Tochterunternehmens in größerem Maße in den Händen des Vorstands der Muttergesellschaft liegen oder die Geschäfte der Beteiligungsunternehmen besser auf
einer tieferen hierarchischen Ebene innerhalb des Konzerns geführt werden
sollen, ist damit nach der Satzung eine von dem Vorstand allein verantwortungsbewußt zu treffende Entscheidung. Dies gilt insbesondere auch, wenn der
Vorstand - wie hier von ihm erläutert - mit seiner in Aussicht genommenen Änderung der Zuordnung des Beteiligungsbesitzes an den beiden Gesellschaften
die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen will, daß die Hauptversammlung zu einem späteren Zeitpunkt entscheiden kann, ob die Gesellschaft von
der Möglichkeit einer steuerfreien oder steuerbegünstigten Veräußerung dieser
Beteiligungen Gebrauch machen soll.
2. Die Anfechtungsklage ist auch im übrigen nicht begründet. Der Versammlungsleiter hat mit Recht angenommen, daß der angefochtene Genehmigungsbeschluß einer qualifizierten Mehrheit des vertretenen Kapitals - was die
Kläger unter Berufung auf die sog. "Holzmüller"-Grundsätze für erforderlich halten - nicht bedurfte, und ihn folgerichtig als mit einem erzielten Quorum von
69,98 % der Stimmen als wirksam zustande gekommen festgestellt.
a) Der Senat hat ausgesprochen (BGHZ 83, 122), daß bestimmte Entscheidungen einer Aktiengesellschaft, die - anders als dies in den in § 119
Abs. 1 AktG genannten Fällen oder z.B. für die Verpflichtung zur Übertragung
des ganzen Vermögens der Gesellschaft (§ 179 a AktG), für Unternehmensverträge (§§ 293, 295 AktG), für die Fassung eines Fortsetzungsbeschlusses
(§ 274 AktG) oder für Eingliederungsbeschlüsse (§§ 319, 320 AktG) bestimmt
ist - eine Mitwirkung der Aktionäre nach dem Gesetz nicht erfordern, ausnahmsweise der von dem Vorstand einzuholenden, intern wirkenden Zustimmung der Hauptversammlung bedürfen. Anerkannt hat der Senat diese "ungeschriebene" Hauptversammlungszuständigkeit in einem Fall, in dem eine Aktiengesellschaft zwar nicht ihr ganzes Gesellschaftsvermögen, jedoch einen Betrieb, welcher den wertvollsten Teil des Gesellschaftsvermögens ausmachte,
auf eine zu diesem Zweck gegründete Tochtergesellschaft ausgegliedert hat
(BGHZ 83, 122). Er hat dabei das Erfordernis der Zustimmung der Hauptversammlung nicht auf die Ausgliederungsmaßnahme selbst beschränkt (BGHZ
83, 122, 131 f.), sondern auf die spätere Entscheidung über eine Kapitalerhöhung in der Tochtergesellschaft erweitert (BGHZ 83, 122, 141 ff.). Die Pflicht
des Vorstands, in diesen beiden Fallgestaltungen die Aktionäre der Muttergesellschaft an der Entscheidungsfindung zu beteiligen, hat der Senat nicht aus
einer Anlehnung an die gesetzlich festgelegten Tatbestände hergeleitet, nach
denen die Zustimmung der Hauptversammlung erforderlich ist; vielmehr hat er
Abs. 2 AktG als die maßgebende Norm bezeichnet, aus welcher sich die intern
wirkende Beschränkung der Handlungsmacht des Vorstandes ableitet (BGHZ
83, 122, 131).
Die Anerkennung einer solchen, nur das Innenverhältnis zwischen Vorstand und Gesellschaft betreffenden ungeschriebenen Hauptversammlungszuständigkeit durch den Senat wird heute im Schrifttum überwiegend gebilligt (vgl.
Nachw. bei Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht 3. Aufl. vor § 311 Rdn. 33 Fn. 143). Keine Einigkeit besteht indessen über
den Anwendungsbereich dieser Grundsätze im einzelnen (vgl. schon BGHZ 83,
122, 140; zusammenfassend Mülbert in Großkomm.z.AktG aaO § 119 Rdn. 20;
Habersack aaO vor § 311 Rdn. 33; Reichert in Beck'sches Handb. der AG § 5
Rdn. 27 ff. je m.w.Nachw.), weil Schutzzweck (dazu unten aa) und Rechtsgrundlage (unten bb) ebenso umstritten sind, wie das Erfordernis und die Festlegung einer "Wesentlichkeits-" bzw. "Bagatellgrenze" (unten cc) und das
Quorum (unten b), mit dem die Hauptversammlung für den Fall ihrer ungeschriebenen Zuständigkeit Beschluß zu fassen hat.
aa) In Teilen des Schrifttums ist die "Holzmüller"-Entscheidung von Anfang an begrüßt worden, weil man ihr über den konkret entschiedenen Fall einer strukturändernden Ausgliederung hinaus eine Bestätigung für die Lehre
entnommen hat, nicht nur in der Aktiengesellschaft, sondern auch in dem von
ihr geführten Konzern gebe es einen weiten Bereich grundlegender Geschäftsführungsaufgaben, an denen mitzuwirken die Aktionäre durch die Hauptversammlung der herrschenden Gesellschaft berufen seien (vgl. in diesem Sinn
vor allem Lutter, FS Stimpel S. 825, 833 ff.; ähnlich Timm, Die Aktiengesellschaft als Konzernspitze S. 135 ff., 165 ff.; U.H. Schneider, FS Bärmann S. 873,
881 ff.; ablehnend Mertens in Kölner Komm.z.AktG 2. Aufl. § 76 Rdn. 51;
Hüffer, AktG 6. Aufl. § 119 Rdn. 18; ders. FS Ulmer S. 279, 286 ff.).
Für diese Lehre kann die genannte Entscheidung des Senats nicht in
Anspruch genommen werden. Dies ist sich schon aus seiner äußerst zurückhaltenden Bemerkung zu ersehen, der Senat sei nicht gehalten, umfassend zu
erörtern, "inwieweit dieses Modell einer 'konzernspezifischen Binnenordnung'
nach geltendem Recht begründbar, mit den wirtschaftlichen Gegebenheiten zu
vereinbaren und praktisch durchführbar" sei (BGHZ 83, 122, 138). Es ist zwar
nicht zu verkennen, daß das Erfordernis, die Hauptversammlung in bestimmten
gesetzlich nicht geregelten Fällen intern an der Entscheidung zu beteiligen, deren Einfluß auf eine Konzernbildung und -leitung zu stärken vermag. Diese Wirkung tritt indessen lediglich als Reflex der von dem Senat für erforderlich erachteten Beteiligung der Aktionäre ein. Die - angesichts der wohlaustarierten Kompetenzverteilung
in
der
Aktiengesellschaft
(zur
Entwicklung
s.
etwa
Assmann in Großkomm.z.AktG aaO Einl. Rdn. 133, 156 f., 164; 1. Bericht des
Vorsitzenden des Ausschusses für Aktienrecht bei Schubert, Protokolle des
Ausschusses für Aktienrecht der Akademie für Deutsches Recht S. 485 f.;
2. Bericht aaO S. 503 ff.; Amtl. Begründung zum AktG 1937, Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger 1937, Nr. 28 S. 3; Kropff, AktG 1965
S. 95 f. und 165 zu § 119; Mertens in Kölner Komm.z.AktG aaO § 76 Rdn. 9;
Hefermehl/Spindler in Münch.Komm.z.AktG 2. Aufl. § 76 Rdn. 21 ff.) nur ausnahmsweise in Betracht kommende - Einschaltung der Hauptversammlung bei
derartigen Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstandes soll nämlich der bei
der Verabschiedung des Gesetzes nicht erkannten (Geßler, FS Stimpel S. 771,
780; Hüffer aaO § 119 Rdn. 18 a "Anschauungslücke") besonderen Fallgestaltung Rechnung tragen, daß das Handeln des Vorstandes zwar durch seine Vertretungsmacht, den Wortlaut der Satzung und die nach § 82 Abs. 2 AktG im
Innenverhältnis begrenzte Geschäftsführungsbefugnis formal noch gedeckt ist,
die Maßnahmen aber "so tief in die Mitgliedsrechte der Aktionäre und deren im
Anteilseigentum verkörpertes Vermögensinteresse eingreifen" (vgl. BGHZ 83,
122, 131), daß diese Auswirkungen an die Notwendigkeit einer Satzungsänderung heranreichen. Durch diese notwendige Mitwirkung der Hauptversammlung
soll der mit der Ausgliederung entscheidend wichtiger Teile des Unternehmens
der Gesellschaft auf nachgelagerte Beteiligungsgesellschaften notwendigerweise verbundenen Mediatisierung des Einflusses der Aktionäre (vgl. dazu BGHZ
153, 47, 54; hierauf maßgeblich abstellend z.B. Habersack aaO vor § 311
Rdn. 34; s. auch Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht S. 53 ff.;
ablehnend, allein auf den Schutz der Vermögensinteressen abstellend Mülbert,
Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt S. 416 ff.; ders. in
Großkomm.z.AktG aaO § 119 Rdn. 33), denen es als Satzungsgeber zukommt,
Gegenstand und Grenzen des Handelns der für die Gesellschaft tätigen Leitungsorgane zu bestimmen, begegnet werden (BGHZ 83, 122, 136, 139).
Zugleich soll der Schutz der Anteilseigner vor einer durch grundlegende Entscheidungen des Vorstands eintretenden nachhaltigen Schwächung des Wertes ihrer Beteiligung gewährleistet werden (BGHZ 83, 122, 142 f.; vgl. Kubis in
Münch.Komm.z.AktG 2. Aufl. § 119 Rdn. 44 ff.; Zimmermann/Pentz, FS Welf
Müller S. 151, 163). Den berechtigten Belangen der Aktionäre wird damit
Ausübung seiner Leitungsmacht verwiesen würden - schon präventiv Rechnung
getragen.
Der zur Entscheidung stehende Streitfall gibt dem Senat keinen Anlaß,
abschließend darüber zu befinden, bei welchen einzelnen Geschäftsführungsmaßnahmen der Vorstand, obwohl er dazu nach dem geschriebenen Gesetz
nicht verpflichtet ist, aus dem Gesichtspunkt eines tiefgreifenden Eingriffs in die
mitgliedschaftlichen Befugnisse der Aktionäre intern gehalten ist, die Zustimmung der Hauptversammlung einzuholen. Jedenfalls aber kann ein Mediatisierungseffekt (vgl. Liebscher, Konzernbildungskontrolle S. 65 ff., 74 f.; Wiedemann, Unternehmensgruppe S. 53 f.; Kubis aaO § 119 Rdn. 74; Habersack
aaO vor § 311 Rdn. 35; ferner allgemein BGHZ 153, 47, 54), den der Vorstand
angesichts der von ihm ausgehenden tiefgreifenden Auswirkungen auf die
Rechtsstellung der Aktionäre, deren ihm anvertrautes Geld der Vorstand bei
seiner Leitungstätigkeit zu verwalten hat (vgl. dazu schon 1. Bericht des Vorsitzenden des Ausschusses für Aktienrecht bei Schubert, Protokolle aaO S. 485),
nicht ohne deren Zustimmung herbeiführen darf, nicht nur wie im Fall
"Holzmüller" (BGHZ 83, 122) von der Ausgliederung eines wichtigen Betriebs
auf eine dazu gegründete Tochtergesellschaft ausgehen. Er kann wegen der
hier ebenfalls eintretenden (weiteren) Machtverschiebung zu Lasten der Aktionäre der Muttergesellschaft auch bei Umstrukturierungen des Beteiligungsbesitzes, wie sie etwa den Anlaß für den vorliegenden Rechtsstreit bilden, auftreten und den Vorstand deshalb intern zur Einholung der Zustimmung der Hauptversammlung verpflichten.
bb) In der "Holzmüller"-Entscheidung hat der Senat die Rechtsgrundlage
für die Einbeziehung der Hauptversammlung in den Entscheidungsprozeß aus
§ 119 Abs. 2 AktG hergeleitet (BGHZ 83, 122, 131): Das nach dieser Vorschrift
grundsätzlich bestehende Ermessen des Vorstandes, ob er die Hauptversammlung ausnahmsweise über eine Geschäftsführungsmaßnahme abstimmen lassen wolle, bestehe in Fällen eines tiefgreifenden Eingriffs in Mitgliedschaftsund Vermögensrechte der Aktionäre, wie sie etwa die Ausgliederung eines den
wesentlichen Teil des Gesellschaftsvermögens ausmachenden Betriebs der
Gesellschaft darstelle, nicht mehr, sondern verdichte sich für einen sorgfältig
handelnden Vorstand zu einer Pflicht zur Beteiligung der Aktionäre.
Im Schrifttum hat diese Herleitung der ungeschriebenen Hauptversammlungszuständigkeit
überwiegend
Kritik
erfahren
(vgl.
für
alle
nur
Habersack aaO vor § 311 Rdn. 36; Mülbert in Großkomm.z.AktG aaO § 119
Rdn. 21 je m.w.Nachw.; a.A. aber Hüffer aaO § 119 Rdn. 18; Sympathien auch
bei Reichert, Beiheft 68 der ZHR S. 45). Auch wenn anzuerkennen ist, daß der
Gesetzgeber mit § 119 Abs. 2 AktG keine auch nur indirekte Verpflichtung des
Vorstandes hat begründen wollen, die Hauptversammlung über die gesetzlich
geregelten Fälle hinaus an der Geschäftsführung zu beteiligen (vgl. zur Entstehungsgeschichte Geßler, FS Stimpel S. 771, 773 ff.), wird bei der Kritik nicht
immer hinreichend berücksichtigt, daß der Senat sich vor allem deswegen an
§ 119 Abs. 2 AktG angelehnt hat, weil er deutlich machen wollte, daß die von
ihm angenommene Pflicht allein das Innenverhältnis zur Hauptversammlung
betrifft, die uneingeschränkte Außenvertretungsmacht des Vorstandes hiervon
aber nicht berührt wird (h.M. vgl. statt aller Habersack aaO vor § 311 Rdn. 48;
Koppensteiner in Kölner Komm.z.AktG aaO vor § 291 Rdn.22; a.A. Hübner,
FS Stimpel S. 791, 798). Die in der Literatur überwiegend befürwortete Analogie
zu allen oder einzelnen aktienrechtlichen Vorschriften, die die Mitwirkung der
Hauptversammlung bei bestimmten Maßnahmen anordnen (vgl. m.w.Nachw.
Habersack aaO vor § 311 Rdn. 36, Fn. 154; Mülbert in Großkomm.z.AktG aaO
§ 119 Rdn. 23), mag zwar auf der tatbestandlichen Seite eher geeignet sein, die
in Betracht kommenden Fälle einer ungeschriebenen Hauptversammlungszuständigkeit festzulegen, sie sieht sich aber dem Einwand ausgesetzt, daß die
gesetzlich geregelten Fälle von der Rechtsfolge her nicht passen, weil sie dem
Vorstand nicht nur die Geschäftsführungsbefugnis nehmen, sondern die von
ihm getroffenen Maßnahmen wegen fehlender Vertretungsmacht als nichtig
behandeln.
Vorzugswürdig - zumal der Gesetzgeber in Kenntnis der lang anhaltenden Diskussion Initiativen zur Regelung des Problems nicht ergriffen hat (vgl.
Hüffer, FS Ulmer S. 279, 301 f.) - erscheint es deswegen, die Grundlage für ein
ungeschriebenes Mitwirkungsrecht der Aktionäre bei Geschäftsführungsmaßnahmen weder aus § 119 Abs. 2 AktG noch aus einer Gesetzesanalogie herzuleiten, sondern die zutreffenden Elemente beider Ansätze, nämlich die bloß das
Innenverhältnis betreffende Wirkung einerseits und die Orientierung der in Betracht kommenden Fallgestaltungen an den gesetzlich festgelegten Mitwirkungsbefugnissen auf der anderen Seite, aufzunehmen und diese besondere
Zuständigkeit der Hauptversammlung als Ergebnis einer offenen Rechtsfortbildung anzusehen (vgl. schon Geßler, FS Stimpel S. 771, 780).
cc) Daß nicht jede die Rechtsstellung der Aktionäre beeinträchtigende
Maßnahme des Vorstandes das Mitwirkungsrecht der Hauptversammlung auslöst, wird auch von dem Teil des Schrifttums anerkannt, der prinzipiell für eine
weitestmögliche Ausdehnung der ungeschriebenen Hauptversammlungszuständigkeit eintritt. Von diesem Ansatz aus ist es konsequent, allenfalls nach
Bagatellgrenzen zu suchen, ohne deren Überschreiten der Vorstand bei seinem
Handeln frei ist.
Dem ist indessen nach dem oben beschriebenen Schutzzweck der vom
Senat entwickelten Rechtsfigur nicht zu folgen. Recht und Pflicht zur eigenverantwortlichen, an objektiven Sorgfaltsmaßstäben orientierten Geschäftsführung
hat das Aktiengesetz allein dem - bei seinem Handeln der Überwachung durch
den von der Hauptversammlung gewählten Aufsichtsrat unterworfenen - Vorstand zugewiesen; der Hauptversammlung dagegen ist, von den gesetzlich geregelten Fällen abgesehen, die Mitwirkung an und die Einflußnahme auf Geschäftsführungsmaßnahmen versagt. In Auswertung der bis zum Ende der
Weimarer Republik gewonnenen Erkenntnisse hat der Gesetzgeber bewußt die
bis dahin bestehende zentrale Stellung der Hauptversammlung als des für die
Geschicke der Aktiengesellschaft maßgebenden Organs, von dem Aufsichtsrat
und Vorstand ihre Befugnisse herleiten, zurückgenommen, weil sie nach ihrer
ganzen Struktur typischerweise die ihr bis dahin zugedachte Aufgabe nicht
sachgerecht erfüllen konnte. Nach der über Jahre sich hinziehenden Diskussion
mit Wissenschaft und Praxis (vgl. Nachw. bei Schubert, Quellen zur Aktienrechtsreform der Weimarer Republik 1926 - 1931 und Protokolle des Ausschusses für Aktienrecht der Akademie für Deutsches Recht; Assmann in Großkomm.
z.AktG aaO Einl. Rdn. 133, 156 f., 164) hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt,
daß die Hauptversammlung in Anbetracht ihrer inhomogenen, dem Zufall ausgelieferten Zusammensetzung und ihrer Ferne zu den jeweils zu treffenden Geschäftsführungsmaßnahmen ihrer ganzen Struktur nach für die Mitwirkung an
der Leitung einer Aktiengesellschaft ungeeignet ist, daß ihr aber die Grundlagenkompetenz für die "Verfassung", nämlich die Aufstellung und Änderung der
Satzung, einschließlich der Entscheidung über eine Kapitalerhöhung, sowie für
die Bestellung und Abberufung des Aufsichtsrats und die Entlastung der Geschäftsführung zugewiesen bleiben müsse (vgl. 1. und 2. Bericht des Vorsitzenden des Ausschusses für Aktienrecht bei Schubert, Protokolle aaO S. 486,
503 ff.; Begründung zum AktG 1937 aaO S. 3). Diese mit § 70 AktG 1937 eingeführten Regeln hat der Gesetzgeber des geltenden Aktienrechts, ohne nach
der konkreten Struktur der Gesellschaft zu differenzieren (so aber Liebscher,
Konzernbildungskontrolle S. 100 ff.), ausdrücklich übernommen und die Befugnisse der Hauptversammlung lediglich in einzelnen Geschäftsführungsfragen
erweitert, von denen er - wie etwa beim Abschluß von Unternehmensverträgen - annahm, sie seien so wesentlich für die weitere Entwicklung der Gesellschaft, daß sie dem Vorstand nicht allein überlassen bleiben könnten (Kropff,
AktG vor § 76 S. 95 f.). In einer global vernetzten Wirtschaftsordnung, in der es
darauf ankommt, sich bietende Chancen umgehend zu nutzen oder aufkommenden Gefahren sogleich zu begegnen, wäre eine zu enge Bindung an jeweils
einzuholende Entschließungen der nicht ständig präsenten, sondern regelmäßig nur mit erheblichem Aufwand an Zeit und Kosten einzuberufenden Hauptversammlung gänzlich unpraktikabel und hätte eine Lähmung der Gesellschaft
zur Folge.
Danach kann eine im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehene Mitwirkung
der Hauptversammlung bei Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstands nur
in engen Grenzen, nämlich dann in Betracht kommen, wenn sie an die Kernkompetenz der Hauptversammlung, über die Verfassung der Gesellschaft zu
bestimmen, rühren und in ihren Auswirkungen einem Zustand nahezu entsprechen, der allein durch eine Satzungsänderung herbeigeführt werden kann. Die
Überschreitung der im Schrifttum in diesem Zusammenhang genannten
Schwellenwerte - sie beziehen sich auf unterschiedliche Parameter und
schwanken zwischen 10 % und 50 % (s. Nachw. bei Habersack aaO vor § 311
Rdn. 41; Kubis aaO § 119 Rdn. 55; Krieger in Münch.Handb.d.Gesellschaftsrechts Bd. 2, 2. Aufl. § 69 Rdn. 7 f.) - kann danach nicht ausreichen; die beschriebenen Voraussetzungen, die zur Durchbrechung der vom Gesetz vorgesehenen Kompetenz- und Arbeitsteilung führen, werden vielmehr regelmäßig
erst dann erfüllt sein, wenn der Bereich, auf den sich die Maßnahme erstreckt,
in seiner Bedeutung für die Gesellschaft die Ausmaße der Ausgliederung in
dem vom Senat entschiedenen "Holzmüller"-Fall erreicht.
b) Ist danach - ausnahmsweise - die Zustimmung der Hauptversammlung für eine Geschäftsführungsmaßnahme einzuholen, bedarf diese einer
Dreiviertel-Mehrheit des vertretenen Grundkapitals, wie dies im Ergebnis der
inzwischen herrschenden Auffassung im Schrifttum entspricht (vgl. z.B. Hübner,
FS Stimpel S. 791, 795 f.; Priester, ZHR 163 [1999], 187, 199 f.; Joost, ZHR
162 [1999], 164, 172; Altmeppen, DB 1998, 49, 51; Raiser, Recht der Kapitalgesellschaften 3. Aufl. § 16 Rdn. 15; Habersack aaO vor § 311 Rdn. 45
m.w.Nachw.; a.A. Hüffer, FS Ulmer S. 279, 297 ff.; Semler in Münch.Handb.d.
Gesellschaftsrechts Bd. 2, 2. Aufl. § 34 Rdn. 42). Dagegen spricht nicht, daß es
sich bei der ausnahmsweise der Zustimmung der Hauptversammlung unterstellten Maßnahme - worauf das Berufungsgericht in seiner Hilfsbegründung abgestellt hat (ähnlich Liebscher aaO S. 92 f.) - um eine Geschäftsführungsangelegenheit und nicht um eine Satzungsänderung handelt. Entscheidend ist vielmehr, daß Gegenstand der Beschlußfassung eine Maßnahme ist, die zwar
noch keine Satzungsänderung erfordert, ihr aber angesichts der tief in die mitgliedschaftliche Stellung der Aktionäre eingreifenden Wirkung so nahe kommt,
daß die an sich gegebene Gestaltungsmacht des Vorstandes hinter der gebotenen Mitwirkung der Hauptversammlung zurücktreten muß. In diesem Sinn hat
der Gesetzgeber auch für andere nicht die Verfassung, sondern Geschäftsführungsmaßnahmen im weiteren Sinn betreffende Angelegenheiten - etwa für den
Abschluß von Unternehmensverträgen (vgl. diesen Beispielsfall herausstellend
Kropff aaO S. 96) oder für die inhaltlich verwandten Umstrukturierungen nach
dem Umwandlungsgesetz 1994 - nicht nur die Zustimmung der Hauptversammlung überhaupt angeordnet, sondern bestimmt, daß eine qualifizierte Mehrheit
hierfür erreicht werden muß.
Hiervon ist - entgegen der Ansicht der Beklagten - auch dann nicht abzugehen, wenn die Satzung eine sog. Konzernklausel enthält (ebenso Habersack
aaO vor § 311 Rdn. 45; a.A. Lutter, FS Stimpel S. 825, 847 f.; Wiedemann,
Unternehmensgruppe aaO S. 57) oder wenn - wie hier in § 19 Abs. 2 der Satzung geschehen - bestimmt ist, daß alle Beschlüsse der Hauptversammlung mit
einfacher Mehrheit gefaßt werden können, soweit nicht das Gesetz oder die
Satzung zwingend anderes bestimmen. Mit der Aufnahme einer allgemeinen
Konzernöffnungsklausel in die Satzung erweitern die Aktionäre lediglich den
Handlungsspielraum des Vorstandes, der dementsprechend nicht gehalten ist,
den Unternehmensgegenstand ausschließlich durch eigene operative Tätigkeit
der Aktiengesellschaft zu verwirklichen, sondern dafür auch zu gründende oder
zu erwerbende Gesellschaften oder Beteiligungen einsetzen darf. Des mit der
Anerkennung ungeschriebener Hauptversammlungszuständigkeiten bezweckten Schutzes begeben sich die Aktionäre dadurch nicht; das hat der Senat der
Sache nach bereits in der "Holzmüller"-Entscheidung (BGHZ 83, 122, 141 ff.)
angenommen, indem er für die Hauptversammlung der Muttergesellschaft ein
Mitwirkungsrecht auch bei grundlegenden Maßnahmen in der Tochtergesellschaft nach Durchführung einer der Zustimmung der Aktionäre bedürfenden
Ausgliederungsmaßnahme anerkannt hat.
Angesichts der Schwere der möglichen Beeinträchtigung der Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre kann die Satzung zu ihren Lasten das Quorum für
die Zustimmung zu der beabsichtigten Maßnahme nicht absenken, vielmehr ist
das Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit hier nicht anders als z.B. in den
Fällen der §§ 179 a Abs. 1 Satz 2, 293 Abs. 1 Satz 3, 319 Abs. 2 Satz 3 AktG
zwingend.
3. Der unter TOP 11 zur Abstimmung gestellte und mit 66,4 % des vertretenen Grundkapitals angenommene Ermächtigungsbeschluß ist unter Zugrundelegung der vorstehend beschriebenen Kriterien nicht unwirksam. Er greift
nicht derart tief in die mitgliedschaftlichen Rechte der Aktionäre der Beklagten
ein, daß die Hauptversammlung mit ihm hat befaßt werden und daß sie obendrein ihre Zustimmung mit qualifizierter Mehrheit hat erteilen müssen.
Zutreffend ist allerdings der Ansatzpunkt der Kläger, daß die hier in Aussicht genommene Einbringung der bisher von der Beklagten gehaltenen Beteiligung an der R. S. GmbH & Co. KG und deren Komplementärin in eine
im alleinigen Besitz der Muttergesellschaft stehende Tochtergesellschaft eine
Maßnahme ist, die einen Mediatisierungseffekt (s. dazu BGHZ 153, 47, 54) zu
Lasten der Aktionäre zur Folge hat. Das ergibt sich hier - anders, als wenn die
Geschäftsanteile lediglich von einer 100prozentigen auf eine andere ebenfalls
100prozentige Tochtergesellschaft (vgl. dazu Kubis aaO § 119 Rdn. 74) übertragen werden - schon daraus, daß mit der beabsichtigten Übertragung eine
weitere hierarchische Ebene geschaffen und damit der Einfluß der herrschenden Obergesellschaft und deren Hauptversammlung auf die Führung der Geschäfte, aber auch auf die Entscheidung über die Gewinnverwendung und andere Maßnahmen dieses nunmehr zu einer Enkelgesellschaft gewordenen Unternehmens abnimmt. Denn die Leitungsorgane dieser Gesellschaft erhalten
den Rahmen für ihr Handeln nunmehr nicht mehr durch den von der Hauptversammlung kontrollierten Vorstand der Muttergesellschaft, sondern von dem
organschaftlichen Vertreter der zwischengeschalteten Tochtergesellschaft vorgegeben, der seine Berufung einer nach § 76 AktG getroffenen Entscheidung
des Vorstandes der Muttergesellschaft verdankt.
Die Strukturmaßnahme, zu der der Vorstand - offensichtlich nicht in der
Absicht einer Selbstbindung, sondern geleitet von der die Praxis verunsichernden Diskussion um Grund und Grenzen einer über die ausdrücklich im Gesetz
geregelten Fälle hinausgehenden notwendigen Mitwirkung der Hauptversammlung - die Zustimmung der Aktionäre eingeholt hat, greift jedoch nicht in dem
oben beschriebenen wesentlichen Umfang in die Rechtsstellung der Aktionäre
ein.
Schon nach dem eigenen Vortrag der Kläger, die deutlich geringere Anforderungen hinsichtlich der sog. "Wesentlichkeitsschwelle", dafür den Charakter der Umgliederung als "Strukturmaßnahme" in den Vordergrund stellen, ist
die Beteiligung der Beklagten an den beiden S.-Gesellschaften zwar von
nicht geringer Bedeutung. Nach den Parametern, die der Vorstand in seinem
Bericht für die Hauptversammlung zusammengestellt hat und auf den sich die
Revision wesentlich stützt, liegt die wirtschaftliche Bedeutung jedoch weit unter
der Grenze, die überschritten sein muß, um eine ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit zu begründen. Danach trägt insbesondere die
S.-Beteiligung zu nicht mehr als einem Viertel zum Konzernergebnis vor
Steuern bei; daß diese Gesellschaften darüber hinaus - etwa wegen der Inhaberschaft von Schutzrechten, von Grundstücken oder Maschinen, auf welche
die Beklagte für die Verfolgung ihres Unternehmensgegenstandes angewiesen
wäre - eine darüber hinaus gehende Schlüsselstellung für die herrschende Gesellschaft hätte, zeigt die Revision nicht auf. Auch wenn die besonderen mietund kaufrechtlichen Beziehungen zwischen der Beklagten und diesen Beteiligungsgesellschaften - wie die Kläger für richtig halten - in die Prüfung der
"Wesentlichkeit" einbezogen werden, ist eine andere Beurteilung nicht veranlaßt. Denn diese zwischen der Beklagten und den S.-Gesellschaften bestehenden Rechtsbeziehungen sind von der seitens der Kläger bekämpften
Umstrukturierung, die an der Zugehörigkeit der S.-Gesellschaften zum
Konzern der Beklagten nichts ändert, nicht betroffen.
Röhricht
Goette
Strohn
Kraemer
Caliebe

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

26.04.2004

Aktenzeichen:

II ZR 154/02

Rechtsgebiete:

Aktiengesellschaft (AG)

Normen in Titel:

AktG § 119; AktG § 76; AktG § 179; AktG § 118