OLG Koblenz 19. Oktober 2011
1 U 113/11
BGB §§ 254, 434, 437, 444

Haftung des Verkäufers bei arglistigem Verschweigen der Undichtigkeit eines Bungalowflachdaches

DNotIDeutsches Notarinstitut
Dokumentnummer: 1u113_11
letzte Aktualisierung: 18.04.2012
OLG Koblenz, 19.10.2011 - 1 U 113/11
BGB §§ 254, 434, 437, 444
Haftung des Verkäufers bei arglistigem Verschweigen der Undichtigkeit eines Bungalowflachdaches
1. Ein Verkäufer handelt arglistig, wenn er auf eine entsprechende Frage einschränkungslos
erklärt, das Flachdach eines Bungalows sei „neu gemacht worden“ und damit einem objektiven
Empfänger den Eindruck der frischen Sanierung vermittelt, ohne die Begrenztheit des eigenen
Kenntnisstandes (Informationen vom Voreigentümer) und seine eigene beschränkte Nutzungszeit offen zu legen. Diese Grundsätze gelten auch zu Lasten eines nicht unternehmerisch oder
gewerblich handelnden Verkäufers.
2. Einen Käufer kann jedoch ein Mitverschulden treffen, wenn er unschwer mögliche Inaugenscheinnahme eines Gebäudeteils, an dessen Zustand er ein besonderes Interesse bekundet hat,
unterlassen hat und die Sanierungsbedürftigkeit des Flachdachs dann ohne Weiteres ersichtlich
geworden wäre. (Leitsätze der DNotI-Redaktion)


Gründe
I.
Der Kläger verfolgt Schadensersatzansprüche aus einem Grundstückskaufvertrag.
Es wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540
Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO).
In § 4 Nr. 1 des notariellen Grundstückkaufvertrages vom 11. Dezember 2007 (Bl. 10 ff. GA)
heißt es:
„Der Käufer hat das Kaufobjekt eingehend besichtigt. Er erklärt,
dass bei der Besichtigung keine Mängel festgestellt worden sind,
die noch von dem Verkäufer beseitigt werden sollen. Der Verkäufer erklärt, dass ihm nicht erkennbare Mängel, insbesondere Altlasten nicht bekannt sind; Garantien werden nicht abgegeben.
(…)
Die Ansprüche und Rechte des Käufers wegen Sachmängeln des
Kaufobjektes, insbesondere wegen des Zustands bestehender
Gebäude, werden hiermit ausgeschlossen.
Von der vorstehenden Rechtsbeschränkung ausgenommen ist eine
Haftung für Vorsatz oder Arglist.“
Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme mit Urteil vom 23. Dezember 2010 (Bl. 119 ff. GA)
der Klage in vollem Umfang stattgegeben; hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.
Die Beklagten, die nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme einen Sachmangel des Flachdachs
bei Gefahrübergang einräumen, berufen sich auf den im notariellen Kaufvertrag vereinbarten
Gewährleistungsausschluss; entgegen der Auffassung des Landgerichts hätten sie keinesfalls
„Angaben ins Blaue hinein“ gemacht. Sie, die Beklagten, hätten im Rahmen der Verkaufsverhandlungen mit dem Kläger lediglich vom Voreigentümer und vom Makler herrührende Informationen weitergegeben; auch bei einer „unterlassenen Mitteilung der Quellenangabe“ sei der
Vorwurf der Arglist nicht gerechtfertigt. Kenntnis von der Mangelhaftigkeit des Daches hätten
sie, die Beklagten, während ihrer 18-monatigen „Zeit der eigenen Bewohnung“ nicht gehabt;
ebenso wenig habe für sie als „nicht fachkundige Privatpersonen“ Anlass bestanden, an der
Richtigkeit der gewonnenen Informationen zu zweifeln. Eine Garantierklärung sei nicht abgegeben worden; die Ausdrucksweise „neu gemacht“ könne vorliegend nur dahingehend verstanden werden, dass die Beklagte(n) die Sanierung des (Flach-)Dachs hätte(n) deutlich machen
wollten. Der Kläger, der - insofern unstreitig - mehrfach zur (vorvertraglichen) Besichtigung des
Hausanwesens vor Ort gewesen sei, habe eine Inaugenscheinnahme des - mittels einer angelehnten Leiter jederzeit zugänglichen - Daches nicht vorgenommen.
Die Beklagten beantragen,
das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 23. Dezember 2010 abzuändern und die Klage
abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil, das in der Sache auf der Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme zu zutreffenden tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen gelangt
sei. Die Beklagten hätten mehrfach und in unterschiedlicher Diktion - ohne jede Quellenangabe gegenüber dem Kläger erklärt, dass das Dach neu sei und diesbezüglich keinerlei Bedenken
bestünden; dies trage den Vorwurf der arglistigen Täuschung. Die Beklagten hätten ihn, den
Kläger, gerade nicht darüber aufgeklärt, dass sie selbst nur kurze Zeit in dem gegenständlichen
Haus als dessen Eigentümer gewohnt hätten; er, der Kläger, sei hierdurch von einer näheren
Überprüfung abgehalten worden. Die konkreten Äußerungen und Zusicherungen zum Zustand
des (Flach-)Dachs seien ohne jede Angabe zu ihrer (fachlichen) Grundlage abgegeben worden.
Die Akten des selbständigen Beweisverfahrens LG Koblenz - 16 OH 12/09 - wurden zum
Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gemacht.
II.
Die - zulässige - Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg.
Der Kläger kann von den Beklagten als Gesamtschuldnern Schadensersatz statt der Leistung
wegen des Wassereintritts im Flachdach des erworbenen Bungalows in dem aus dem Tenor
ersichtlichen Umfang verlangen (§§ 280 Abs. 1, 281 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 i. V. m. §§ 434 Abs.
1, 437 Nr. 3, 440; 421, 427 BGB).
a) Die Berufung hat die tatsächlichen Feststellungen des - sachverständig beratenen (Gutachten
vom 21. Juli 2009 [Bl. 40 ff. d. Beiakte]; Anhörung vom 2. Dezember 2010 [Protokoll Bl. 105 ff.
GA]) - Landgerichts zum Vorliegen eines Sachmangels (jedenfalls) i. S. d. § 434 Abs. 1 S. 2
BGB sowie zur Verweigerung der Nachbesserung durch die Beklagten unbeanstandet gelassen.
Danach steht fest, dass die ursprüngliche Folienabdichtung des Flachdachs (sog. 0°-Dach ohne
Gefälle) durch Aufkleben und späteres Nachspachteln einer Bitumenschweißbahn geraume Zeit
vor dem Eigentumsübergang auf den Kläger „unfachmännisch instandgesetzt“ wurde. Gerade
dies hat dann in der Folge zu den Einregnungen respektive dem Wassereintritt in dem vom
Kläger im Dezember 2007 erworbenen Hausanwesen geführt.
b) Die Beklagten waren im Rahmen der Vertragsverhandlungen mit dem Kläger zur - ungefragten - Offenbarung des wesentlichen Mangels des Hausgrundstücks verpflichtet (vgl. BGHZ
109, 327, 330; NJW-RR 1990, 847, 848; BeckRS 2011, 23104); dies haben sie schuldhaft unterlassen (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB). Die Beklagte zu 2., deren Wissenstand auch dem Beklagten zu
1. zuzurechnen ist (§ 166 Abs. 1 BGB), hat nach dem - von der Berufung unbeanstandeten Ergebnis der Beweisaufnahme (Protokolle vom 27. Mai 2010 [Bl. 55 ff. GA] und vom 19.
August 2010 [Bl. 77 ff. GA]) im Gegenteil auf ausdrückliche Nachfrage einschränkungslos die
Erklärung abgegeben, das (Flach-)Dach sei „neu gemacht worden“; sie hat dabei weder die
Begrenztheit ihres eigenen Kenntnisstandes noch die nur kurze Nutzungszeit der Beklagten
selbst offengelegt. Bei einer entsprechenden Aufklärung wäre der Grundstückskaufvertrag wovon beide Parteien insofern übereinstimmend ausgehen - jedenfalls so wie geschlossen nicht
zustandegekommen.
c) Den Beklagten ist - wie das Landgericht im Ergebnis zutreffend entschieden hat - die
Berufung auf den vertraglich vereinbarten Gewährleistungsausschluss gemäß § 444 BGB verwehrt. Es kann dahinstehen, ob die Erklärung der Beklagten zu 2. - ungeachtet der ausdrücklichen Bestimmung in § 4 Nr. 1 S. 3 Hs. 2 des Grundstückkaufvertrages vom 11. Dezember 2007
obliegende (vgl. BGH NJW 2001, 64, 65; 2003, 2380; BeckRS 2011, 23104) Nachweis dafür
gelungen, dass die Beklagten den Sachmangel arglistig verschwiegen haben.
Ein Verkäufer handelt arglistig, wenn er den Sachmangel mindestens für möglich hält und
gleichzeitig weiß oder damit rechnet und es billigend in Kauf nimmt, dass sein Vertragspartner
den Mangel nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten
Inhalt geschlossen hätte (vgl. BGH NJW 1995, 1549, 1550; 2003, 2380; Faust, in: Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl. 2008, § 438 Rn. 39). Nach der Rechtsprechung handelt ein Verkäufer
überdies bereits dann arglistig, wenn er zu Fragen, deren Beantwortung erkennbar maßgebliche
Bedeutung für den Kaufentschluss des Kaufinteressenten hat, ohne tatsächliche Grundlagen ins
Blaue hinein unrichtige Angaben macht (vgl. BGHZ 168, 64 ff. = NJW 2006, 2839 Tz. 13; OLG
Frankfurt a. M. AIZ 2007, 72; OLG Koblenz, Urteil vom 22. Oktober 2001 - 12 U 1663/99 NJW-RR 2002, 72). Diese Grundsätze greifen - entgegen der Auffassung der Berufung - auch zu
Lasten eines nicht unternehmerischen/gewerblichen Verkäufers ein.
Vorliegend hat die Beklagte zu 2. dem Kläger auf seine ausdrückliche Frage erklärt, dass sich
das Flachdach des Bungalows in einem neuen Zustand befände. Den hiermit aus der Sicht des
objektiven Empfängers fachkundig vermittelten Eindruck der „frischen Sanierung“ hat sie - wie
alle Zeugen im Kern übereinstimmend bekundet haben - in keiner Hinsicht eingeschränkt oder
relativiert, im Besonderen auch nicht die Grundlage und die Herkunft ihres Wissenstandes ungeprüfte Übernahme der Angaben des Voreigentümers respektive Maklers - offengelegt.
Dieser Sachverhalt trägt auch nach der Auffassung des Senats den Vorwurf der Arglist im
Rechtssinne.
d) Dem Kläger seinerseits ist allerdings ein nicht vollends unerhebliches Mitverschulden im
haftungsbegründenden Vorgang anzulasten, da er die bei gehöriger Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten gebotene und auch unschwer mögliche Inaugenscheinnahme des Flachdachs unterlassen hat (§ 254 Abs. 1 BGB).
Der Kläger hatte - wie das Landgericht unbeanstandet tatsächlich festgestellt hat - mehrmals die
Gelegenheit zur umfassenden Besichtigung des Hausgrundstücks (s. auch § 4 Nr. 1 S. 1 des
Grundstückskaufvertrages). Aus dem insofern übereinstimmenden Parteivortrag - gestützt durch
die Bekundungen der im ersten Rechtszug vernommenen Zeugen - ergibt sich weiter, dass eine
nähere Inaugenscheinnahme des Flachdachs durch den Kläger selbst nicht stattgefunden hat,
sondern allein - von einer nahe „Anhöhe“ aus - dessen „Besichtigung“ aus einer gewissen Entfernung. Die Dachbegehung wäre - was der Kläger insofern eingeräumt hat (Schriftsatz vom 9.
Februar 2010, Seite 2; Bl. 37 GA) - jedenfalls mittels einer vor Ort vorhandenen Leiter auch
unschwer möglich gewesen. In diesem Fall hätte der Kläger sodann - auch als bautechnischer
Laie - den ersichtlich sanierungsbedürftigen, den Angaben der Beklagten zu 2. offensichtlich
widerstreitenden Zustand der Dachabdeckung wahrgenommen, was ihn wiederum umgehend zur
intensiveren Nachprüfung und gegebenenfalls zur Einholung von fachlichem Rat hätte veranlassen müssen. Zu diesen Erkenntnissen gelangt der Senat unter dem Eindruck der vorliegenden
bestätigt, dass der mangelhafte Dachzustand zum Zeitpunkt seiner Besichtigung seit wenigstens
fünf Jahren Bestand hatte und dieser durch „Überspachteln“ (auch) für einen Laien allenfalls für
sechs Monate hätte „kaschiert“ werden können - im Zeitpunkt der Ortsbegehung im Rahmen der
Vertragsverhandlungen war der marode Dachzustand mithin offenkundig. Es gehört zum allgemeinen Erfahrungswissen, dass gerade bei einem Bungalow-Flachdach ein besonderes Wassereintrittsrisiko besteht; davon ging der Kläger - wie durch seine ausdrückliche Nachfrage
dokumentiert - vorvertraglich selbst aus. Dem nicht näher nachgegangen zu sein, hat er sich im
ersten Rechtszug ausdrücklich selbst zum Vorwurf gemacht (Schriftsatz vom 27. Juli 2010, Seite
4; Bl. 75 GA).
Die nach den hier vorliegenden besonderen Umständen des Einzelfalls festzuhaltende leichtfertige Außerachtlassung der eigenüblichen Sorgfalt kann gegenüber der - allerdings schwerwiegenden - Aufklärungspflichtverletzung der Beklagten nicht gänzlich zurücktreten (vgl. OLG
Köln VersR 2004, 111 Tz. 74 ff.; Palandt/Grüneberg, BGB, 70. Aufl. 2011, § 254 Rn. 16). Bei
der gebotenen Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge gelangt
der Senat - unter Betonung der Hauptverantwortung der Beklagten und der grundsätzlichen
Schutzbedürftigkeit des Grundstückkäufers - zu einer Haftungsquote zu Lasten des Klägers von
25 v. H. Die Höhe des beziffertem Schadensersatzanspruchs sowie die Statthaftigkeit des positiven - Feststellungsausspruchs (§ 256 Abs. 1 ZPO) stehen zwischen den Parteien seit jeher
außer Streit.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat wurde die Sach- und Rechtslage, insbesondere
auch die Frage nach einem etwaigen Mitverschulden des Klägers, erschöpfend erörtert. Die
Parteien haben ihre Rechtsauffassungen dargelegt; Anträge auf Schriftsatznachlass wurden nicht
gestellt. Die nicht nachgelassenen Schriftsätze der Parteien vom 21. September, 28. September
und 10. Oktober 2011 hat der Senat zur Kenntnis genommen; die dortigen Erwägungen führen
nicht zu einer Änderung der Rechtslage. Der Senat ist bei der Abwägung von einem arglistigen
Verhalten der Beklagten i. S. d. § 444 BGB ausgegangen; einer weiteren Aufklärung des Grades
der Arglist bedurfte es von Rechts wegen nicht.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1 S. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 709 S. 2, 711 S. 1 und 2 ZPO.
IV.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Rechtssache betrifft
die Entscheidung in einem Einzelfall und hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 S. 1
Nr. 1 ZPO) noch ist der Streitfall zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu eröffnen (§ 543 Abs. 2 S.
1 Nr. 2 ZPO).
V.
Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird gemäß §§ 47 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, 48 Abs. 1
S. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO festgesetzt auf
3032.655 Euro.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Koblenz

Erscheinungsdatum:

19.10.2011

Aktenzeichen:

1 U 113/11

Rechtsgebiete:

Kaufvertrag
Allgemeines Schuldrecht

Erschienen in:

NotBZ 2012, 141-143

Normen in Titel:

BGB §§ 254, 434, 437, 444