Anfechtbarkeit der fingierten Erbschaftsannahme bei irrtümlichem Glauben an vorangehenden Verlust der Erbenstellung
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Dokumentnummer: 6w51_11
letzte Aktualisierung: 28.07.2011
Thüringer OLG, 09.05.2011 - 6 W 51/11
Anfechtbarkeit der fingierten Erbschaftsannahme bei irrtümlichem Glauben an vorangehenden Verlust der Erbenstellung
Erlassen am: 09.05.2011
6 W 51/11
VI 371/10
(Amtsgericht
Heiligenstadt)
(durch
Übergabe
Geschäftsstelle)
Heilbad
an
die
Stark, JHSin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT
Beschluss
In dem Verfahren
betreffend den Nachlass des am 07.07.1926 in K. geborenen und am 05.08.1991 in K.
verstorbenen J. D.
an dem beteiligt sind:
1.
J. Di., .
2.
Rechtsanwälte .
Freistaat Thüringen, vertreten durch die Thüringer Landesfinanzdirektion, diese
vertreten durch den Präsidenten …
hat der 6. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch
Präsident des Oberlandesgerichts Kaufmann,
Richter am Oberlandesgericht Jahn und
Richterin am Oberlandesgericht Lossin-Weimer
Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Amtsgerichts Nachlassgerichts - Heilbad Heiligenstadt vom 28.12.2010, Az. VI 371/10, abgeändert
und der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 2. abgelehnt.
Eine Kostenerstattung zwischen den Beteiligten findet nicht statt.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Am 05.08.1991 verstarb der Erblasser, ohne eine letztwillige Verfügung hinterlassen zu
haben. Der Erblasser war verheiratet mit der am 04.02.2009 verstorbenen M. D.. Aus der
Ehe sind keine Kinder hervorgegangen. Die Eltern des Erblassers sind vorverstorben. Der
Beteiligte zu 1) ist der Bruder des Erblassers. Zwei weitere Geschwister des Erblassers sind
ohne Hinterlassung von Abkömmlingen vorverstorben.
Der Beteiligte zu 1) ist unter dem 31.08.2010 zur Aufklärung der Erbfolge nach dem
Erblasser durch das Nachlassgericht angeschrieben worden und hat so erstmals erfahren,
dass sein Bruder verstorben ist und er zum Kreis der gesetzlichen Erben gehört (vgl. Bl. 18
d.A.). Mit einem am 10.09.2010 bei Gericht eingegangenen Schreiben wies der Beteiligte zu
1) darauf hin, dass er beim Tode seiner Eltern zu Gunsten seines Bruders (des Erblassers)
auf seinen Erbteil verzichtet habe, ein Anrecht auf das Erbe nach seinem Bruder stehe ihm
nicht zu. Er werde keinen Antrag auf das Erbe stellen (vgl. Bl. 31 d.A.).
Unter dem 15.09.2010 wandte sich das Nachlassgericht erneut an den Beteiligten zu 1) und
wies nochmals darauf hin, dass der Beteiligte zu den gesetzlichen Erben des Erblassers gehöre. Eine Ausschlagungserklärung oder ein wirksamer
Erbverzicht liege nicht vor (vgl. Bl. 33 d.A.).
Am 03.11.2010 beantragte der Freistaat Thüringen - vertreten durch die Thüringer
Landesfinanzdirektion Erfurt - die Erteilung eines Erbscheines nach dem Erblasser, der die
von dem Freistaat beerbte Ehefrau des Erblassers als Erbin zu ¾ Anteil und den Beteiligten
zu 1) als Erben zu ¼ Anteil ausweist.
Eine Abschrift des Erbscheinsantrages ist am 17.11. 2010 zum Zwecke der Zustellung an
Durch notarielle Urkunde vom 25.11.2010, bei Gericht eingegangen am 02.12.2010, hat der
Beteiligte zu 1) die Anfechtung der Annahme der Erbschaft nach dem Erblasser erklärt und
diese zugleich ausgeschlagen (Bl. 39f d.A.). Er sei aufgrund seines Schreibens an das
Nachlassgericht davon ausgegangen, dass er mit dem Nachlass seines Bruders nichts zu
tun habe. Erst durch den Erbscheinsantrag der Thüringer Landesfinanzdirektion habe er
erfahren, dass er nach wie vor gesetzlicher Erbe seines Bruders sei.
Das Amtsgericht - Nachlassgericht - Heilbad Heiligenstadt hat am 28.12.2010 beschlossen,
dass es die zur Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet.
Zur Begründung hat das Nachlassgericht ausgeführt, der Beteiligte zu 1) habe die Erbschaft
weder fristgemäß ausgeschlagen noch habe er die Annahme der Erbschaft fristgemäß
angefochten. Die sechswöchige Anfechtungsfrist habe mit Erhalt des den Beteiligten zu 1)
über seine fortdauernde Erbenstellung aufklärenden Schreibens vom 15.09.2010 begonnen
und sei daher im Zeitpunkt der Anfechtung der Annahme gegenüber dem Nachlassgericht
(02.12.2010) bereits abgelaufen gewesen.
Gegen den ihm am 11.01.2011 zugestellten Beschluss hat der Beteiligte zu 1) am
14.01.2011 Beschwerde eingelegt. Er trägt vor, das Schreiben des Amtsgerichts Heilbad
Heiligenstadt vom 15.09.2010 nicht erhalten zu haben. Zum Beweis seiner Behauptung hat
der Beteiligte zu 1) eine schriftliche Versicherung an Eides statt (vgl. Bl. 50 d.A.)
abgegeben.
Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
1.
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss nach § 352 Abs. 1, 2
FamFG ist gemäß
insbesondere form- und fristgemäß eingelegt worden,
2.
Der Rechtsbehelf hat auch in der Sache Erfolg. Er führt zur Abänderung des
angefochtenen Feststellungsbeschlusses nach
des Erbscheinsantrages des Antragstellers. Entgegen der Ansicht des Nachlassgerichts hat
der Beteiligte zu 1) die Versäumung der Ausschlagungsfrist wirksam nach
angefochten und durch die darin liegende Ausschlagung (
Erbenstellung rückwirkend beseitigt.
a.
Zutreffend ist das Nachlassgericht davon ausgegangen, dass der Beteiligte zu 1) als
Bruder des Erblassers zunächst gesetzlicher Erbe (§§ 1925 Abs. 1, 1930, 1931 Abs. 1 Satz
1, 1371 Abs. 1 BGB) geworden ist, weil die Erbschaft mangels frist- und formgerechter
Ausschlagungserklärung (
hat (§ 1943, 2. Halbs. BGB).
Die Frist zur Ausschlagung der Erbschaft begann mit Zugang des Schreibens des
Nachlassgerichts vom 31.08.2010, durch welches der Beteiligte zu 1) erstmals vom Tod
seines Bruders und seiner Erbenstellung erfahren hat (
Ob das innerhalb der Ausschlagungsfrist des
eingegangene Schreiben des Beteiligten zu 1) unmissverständlich zum Ausdruck bringt,
dass dieser nicht Erbe nach seinem Bruder, dem Erblasser, sein möchte, kann dahin
stehen, da das handschriftliche Schreiben des Beteiligten zu 1) den Formanforderungen
des
innerhalb der Ausschlussfrist nicht beim Nachlassgericht eingegangen.
b.
Entgegen der Ansicht des Nachlassgerichts hat der Beteiligte zu 1) die Versäumung
der Ausschlagungsfrist wirksam angefochten und so seine Erbenstellung rückwirkend
wieder beseitigt (
Gemäß
angenommen „gilt“ (§ 1943, 2. Halbs.BGB), in gleicher Weise wie die Annahme
angefochten werden. Auf die Fristversäumung finden die §§ 119 ff BGB mit der Maßgabe
Anwendung, dass anstelle des Tatbestandsmerkmals „Abgabe einer Willenserklärung“ zu
lesen ist „Versäumung der Ausschlagungsfrist“ (vgl. Palandt-Edenhofer, BGB, 69. Aufl.,
2011, § 1956, Rn. 1). Die in der Fristversäumung liegende Annahme kann deshalb wegen
Irrtums angefochten werden, wenn der als Erbe Berufene die Erbschaft in Wirklichkeit nicht
hat annehmen wollen und die Ausschlagungsfrist nur deshalb versäumt hat, weil er davon
ausging, die Erbschaft bereits wirksam ausgeschlagen zu haben (so OLG Zweibrücken,
Beschluss vom 23.02.2006, Az. 3 W 6/06 =
vom 13.10.1993, Az. 1Z BR 54/93 =
10.06.1985, Az. 15 W 131/85 =
Nach diesen Rechtsgrundsätzen war der Beteiligte zu 1) zur Anfechtung der
Fristversäumung berechtigt. Der Beteiligte zu 1) ging irrtümlich davon aus, die Erbschaft
nach seinem Bruder nicht mehr ausschlagen zu müssen, weil er beim Tod der Eltern zu
Gunsten seines Bruders auf den Nachlass verzichtet hatte; er glaubte, damit zugleich
jegliche Rechte am Nachlass seines Bruders verloren zu haben.
Die Anfechtung ist von dem Beteiligten zu 1) auch innerhalb der sechswöchigen
Ausschlussfrist des
Anfechtungsgrund begann.
Kenntnis vom Anfechtungsgrund hat der Beteiligte zu 1) entgegen der Ansicht des
Nachlassgerichts erst durch den Erbscheinsantrags der Landesfinanzdirektion Erfurt
erlangt, der ihn als gesetzlichen Erben seines Bruders zu ¼ Anteil ausweist. Erst durch den
Inhalt dieses Antrages hat der Beteiligte zu 1) Kenntnis davon erlangt, dass die Erbschaft
nach seinem Bruder ungeachtet seines Verzichts auf das Erbe der Eltern als angenommen
gilt.
Der Erbscheinsantrag ist dem Beteiligten zu 1) am 20.11.2010 zugestellt worden (§ 15 Abs.
2 FamFG). Die Anfechtungserklärung ist am 02.12.2010, d.h. innerhalb der
Anfechtungsfrist, bei dem zuständigen Nachlassgericht eingegangen; sie entspricht dem
Formerfordernis der
Entgegen dem Nachlassgericht begann die Anfechtungsfrist nicht bereits mit Zugang des
Schreibens des Nachlassgerichts vom 15.09.2010. Der Senat hält es aufgrund der von dem
Beteiligten zu 1) vorgelegten eidesstattlichen Versicherung (Bl. 50 d.A.) für erwiesen (§§ 29,
30 FamFG), dass ihm das Schreiben des Nachlassgerichts vom 15.09.2010, in welchem ihn
das Nachlassgericht darüber informiert hat, dass er – weiterhin – zu den gesetzlichen Erben
seines Bruders gehöre, weil weder eine Ausschlagungserklärung noch ein wirksamer
Erbverzicht nach seinem Bruder vorliege, nicht zugegangen ist und er deshalb bis zur
Anhörung zu dem Erbscheinsantrag der Landesfinanzdirektion Erfurt irrtümlich davon
ausging, ihm stehe ein Erbteil nach seinem Bruder nicht zu.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf
Gründe, gemäß
Rechtsmittelbelehrung:
Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist gegen diesen Beschluss kein
Rechtsmittel statthaft (
Kaufmann
Lossin-Weimer
Jahn
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Jena
Erscheinungsdatum:09.05.2011
Aktenzeichen:6 W 51/11
Rechtsgebiete:Annahme und Ausschlagung der Erbschaft
Normen in Titel:BGB § 1956