BGH 26. April 2023
IV ZB 11/22
BGB §§ 2342, 2344; FamFG § 352

Erbunwürdigkeit: Bindungswirkung eines Versäumnisurteils für das Erbscheinsverfahren

letzte Aktualisierung: 3.7.2023
BGH, Urt. v. 26.4.2023 – IV ZB 11/22

BGB §§ 2342, 2344; FamFG § 352
Erbunwürdigkeit: Bindungswirkung eines Versäumnisurteils für das Erbscheinsverfahren

Ein die Erbunwürdigkeit aussprechendes Urteil gemäß §§ 2342, 2344 BGB hat auch dann
Bindungswirkung für ein Erbscheinsverfahren, wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob das Nachlassgericht im Rahmen
eines Erbscheinsverfahrens an die durch rechtskräftiges Versäumnisurteil
ausgesprochene Erbunwürdigkeitserklärung der Beteiligten zu 2
gebunden ist.

Die Beteiligte zu 1 ist das einzige Kind des am 9. November 2018
verstorbenen Erblassers, die Beteiligte zu 2 seine Ehefrau. Das Nachlassgericht
eröffnete ein von der Beteiligten zu 2 handschriftlich verfasstes
gemeinschaftliches Testament, das eine wechselseitige Einsetzung der
Beteiligten zu 2 und des Erblassers als Alleinerben enthielt. Die Beteiligte
zu 1 erhob im Juli 2020 gegen die Beteiligte zu 2 Klage auf Feststellung
der Erbunwürdigkeit. Zur Begründung trug sie vor, sie vermute, dass die
Beteiligte zu 2 einen vom Erblasser unterzeichneten Blankopapierbogen
zur Erstellung des Testaments nach dessen Tod verwendet habe. Das
Verfahren endete mit einem rechtskräftig gewordenen Versäumnisurteil
des Landgerichts Köln vom 28. Januar 2021, durch das die Beteiligte zu 2
hinsichtlich des Nachlasses des Erblassers für erbunwürdig erklärt wurde.
Die Beteiligte zu 2 hatte im Erbscheinsverfahren angeführt, dass sie wegen
des plötzlichen Unfalltods des Erblassers auch eineinhalb Jahre danach
und weiterhin (Ende September 2021) stark traumatisiert gewesen
sei. Wegen eines seelischen Zusammenbruchs, infolgedessen sie sich mit
geschäftlichen und gerichtlichen Dingen nicht habe auseinandersetzen
können, habe sie diverse Gerichtspost erst am 4. Juni 2021 geöffnet.
Die Beteiligte zu 1 hat unter Berufung auf das Versäumnisurteil
einen Erbschein beantragt, der sie als Alleinerbin ausweist. Das Amtsgericht
hat die dafür erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Das
Oberlandesgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten
zu 2 zurückgewiesen. Dagegen richtet sich ihre vom Oberlandesgericht
zugelassene Rechtsbeschwerde, mit der sie die Aufhebung des Beschlusses
des Amtsgerichts und die Zurückweisung des Antrags der Beteiligten
zu 1 auf Erteilung eines Erbscheins, hilfsweise die Zurückverweisung des
Verfahrens zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht
begehrt.

II. Die gemäß § 70 Abs. 1 FamFG statthafte und auch im Übrigen
zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung unter anderem in
ZEV 2022, 600 veröffentlicht ist, hat ausgeführt, aufgrund des rechtskräftigen
Versäumnisurteils stehe für das Erbscheinsverfahren bindend fest,
dass die Beteiligte zu 2 wegen Erbunwürdigkeit von der Erbfolge ausgeschlossen
sei. Dies folge bereits daraus, dass es sich bei dem stattgebenden
Urteil um ein Gestaltungsurteil handele, welches mit dem Eintritt der
Rechtskraft die Unwürdigkeit herbeiführe. Soweit dem Urteil nur deklaratorische
Wirkung beigemessen werde, komme die Gestaltungswirkung der
klageweise geltend gemachten Anfechtungserklärung zu. Ungeachtet einer
Gestaltungswirkung sei das Nachlassgericht in den Grenzen der
Rechtskraft an ein rechtskräftiges Urteil über die Feststellung des Erbrechts
- bzw. die negative Feststellung in Form der Erbunwürdigkeit - gebunden.
Die Bindungswirkung des prozessgerichtlichen Urteils sei formaler
Natur und nicht nach der Art des Urteils zu relativieren. Ob eine Durchbrechung
der Bindungswirkung nach § 826 BGB in Betracht komme, könne
offenbleiben, da hier jedenfalls dessen Voraussetzungen nicht vorlägen.

2. Das hält rechtlicher Überprüfung stand.
Das Beschwerdegericht hat zu Recht angenommen, dass die Beteiligte
zu 1 nach § 1924 Abs. 1 BGB als einziges Kind des Erblassers seine
gesetzliche Alleinerbin geworden ist, da die Beteiligte zu 2 als Erbin aufgrund
ihrer durch rechtskräftiges Versäumnisurteil des Landgerichts Köln
erklärten Erbunwürdigkeit ausscheidet (§§ 2342 Abs. 2, 2344 Abs. 1
BGB). Das Nachlassgericht ist im Erbscheinsverfahren an diese sich aus
dem Versäumnisurteil im Rechtsstreit über die Erbunwürdigkeit ergebende
Rechtsfolge gebunden.

a) Für die Frage der Bindung ist nicht entscheidend, ob das in
diesem Verfahren ergehende Urteil als Gestaltungsurteil (Senatsurteil
vom 11. März 2015 - IV ZR 400/14, BGHZ 204, 258 Rn. 7; Senatsbeschluss
vom 12. September 2012 - IV ZR 177/11, ZEV 2013, 34 Rn. 7
m.w.N.; BeckOK-BGB/Müller-Christmann, § 2342 Rn. 8 [Stand: 1. November
2022]; Burandt/Rojahn/Müller-Engels, Erbrecht 4. Aufl. § 2342 Rn. 15;
Lange/Kuchinke, Erbrecht 5. Aufl. S. 160 f.; Bauer, Der Erbunwürdigkeitsprozess,
2007, Rn. 254, 262; Unberath, ZEV 2008, 465), das die
Rechtslage hinsichtlich der Erbenstellung des Erbunwürdigen selbst
verändert und damit bereits wegen dieser ihm innewohnenden rechtsgestaltenden
Wirkung zu berücksichtigen ist, oder - wie die Rechtsbeschwerde
geltend macht - als Feststellungsurteil, das die Wirkung einer
der Klage innewohnenden, materiell-rechtlichen Anfechtungserklärung
feststellt (Muscheler, ZEV 2009, 101, 105; im Anschluss hieran
Grüneberg/Weidlich, BGB 82. Aufl. § 2342 Rn. 3; vgl. Motive zu dem
Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Band V, 1888, 521 f. zu
§ 2047 BGB-E), anzusehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 1969
- III ZR 208/67, NJW 1970, 197 unter 1 [juris Rn. 27]). Das aufgrund einer
Anfechtungsklage auf Erklärung der Erbunwürdigkeit ergehende Urteil beansprucht
jedenfalls aufgrund der gesetzlichen Anordnung des § 2344
Abs. 1 BGB, wonach der Anfall an den für erbunwürdig erklärten Erben als
nicht erfolgt gilt, Wirkung gegenüber jedermann und ist daher auch vom
Nachlassgericht zu berücksichtigen.

b) Das gilt auch für den Fall, dass es sich um ein Versäumnisurteil
gegen den Beklagten im Sinne von § 331 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Halbsatz 1
ZPO handelt.

aa) Hierbei besteht Einigkeit darüber, dass das Nachlassgericht in
den objektiven und subjektiven Grenzen der Rechtskraft an ein rechtskräftiges,
in einem Rechtsstreit vor den ordentlichen Gerichten ergangenes
streitiges Endurteil über die Feststellung des Erbrechts gebunden ist ( vgl.
Senatsurteil vom 14. April 2010 - IV ZR 135/08, ZEV 2010, 468 Rn. 9 f.;
OLG Düsseldorf ErbR 2020, 354, 356 [juris Rn. 71]; OLG Frankfurt ErbR
2019, 589 [juris Rn. 16]; OLG München MittBayNot 2017, 76 Rn. 17; OLG
Frankfurt ZEV 2016, 275 Rn. 19 f.; OLG Brandenburg ZEV 2010, 143 f.
[juris Rn. 26 f.]; BayObLG FamRZ 1999, 334 unter II.1. [BeckRS 998, 4656
Rn. 10]; BayObLGZ 1969, 184, 186; AG Düsseldorf ErbR 2016, 283, 285
[juris Rn. 27]; jurisPK-BGB/Lange, 7. Aufl. § 2359 Rn. 7; MünchKomm-
BGB/Leipold, 9. Aufl. § 1922 Rn. 236; Prütting/Helms/Zorn, FamFG
6. Aufl. § 352e Rn. 17; Staudinger/Herzog, BGB (2016) § 2353 Rn. 386
m.w.N.; Krätzschel in Kroiß/Horn/Solomon, Nachfolgerecht 2. Aufl. § 256
Rn. 32 unter e), 39; Lange/Kuchinke, Erbrecht 5. Aufl. S. 1019 f.; Eisele,
Vertragliches Einvernehmen über die Auslegung unklarer letztwilliger Verfügungen,
2002, S. 114; Adam, ZEV 2016, 233, 234 f.; Soutier, MittBay-
NotZ 2017, 78; Steiner, ZEV 2019, 450, 451).

bb) (1) Dabei wird überwiegend die Bindung auch dann bejaht, wenn
es sich bei dem Urteil um ein Versäumnisurteil handelt (OLG Düsseldorf
ErbR 2020, 354, 357 [juris Rn. 72]; OLG Frankfurt ErbR 2019, 589 [juris
Rn. 16]; OLG Frankfurt ZEV 2016, 275 Rn. 25; AG Düsseldorf ErbR 2016,
283, 285 [juris Rn. 28]; BeckOK-BGB/Siegmann/Höger, § 2359 Rn. 2
[Stand: 1. November 2013]; jurisPK-BGB/Lange, 7. Aufl. § 2359 [a.F.]
Rn. 7; MünchKomm-BGB/Leipold, 9. Aufl. § 1922 Rn. 236 m. Fn. 578;
Prütting/Helms/Zorn, FamFG 6. Aufl. § 352e Rn. 17; Lange/Kuchinke,
Erbrecht, 5. Aufl. S. 1019 f.; Adam, ZEV 2016, 233, 235; Soutier, MittBay-
NotZ 2017, 78 f.; in diese Richtung auch Staudinger/Herzog, BGB (2016)
§ 2353 Rn. 389a; vgl. zu einem Anerkenntnisurteil nach § 307 S. 1 ZPO
KG FGPrax 2015, 52, 53 [juris Rn. 17]).

Nach anderer Auffassung wird eine Bindung des Nachlassgerichts
an ein Versäumnisurteil gemäß § 331 ZPO aus einem Feststellungsrechtsstreit
teilweise verneint (MünchKomm-BGB/Mayer, 6. Aufl. § 2359 Rn. 38
zu Klagen nach § 256 ZPO und § 2342 Abs. 2 BGB; a.A. jetzt aber Münch-
Komm-FamFG/Grziwotz, 3. Aufl. § 352e Rn. 83; vgl. auch Eisele, Vertragliches
Einvernehmen über die Auslegung unklarer letztwilliger Verfügungen,
2002, S. 130, der dem Erbscheinsrichter eine Evidenzkontrolle eines
rechtskräftigen Feststellungsurteils zubilligt) oder zumindest bezweifelt
(Goldschmitt, jurisPR-FamR 11/2016 Anm. 1 unter D.; Zimmermann, ZEV
2010, 457, 461), da eine solche der im Erbscheinsverfahren geltenden
Amtsermittlungspflicht gemäß § 26 FamFG widerspreche und dem Nachlassgericht
nicht die erforderliche Überzeugung verschaffen könne (vgl.
Zimmermann, Erbschein - Erbscheinsverfahren - Europäisches Nachlasszeugnis
4. Aufl. E. Rn. 168; ders., ZEV 2010, 457, 461, noch zu § 2359
BGB a.F. und hinsichtlich einer Klage auf Feststellung des Erbrechts).

(2) Auf letztgenannte Ansicht kommt es indessen jedenfalls für ein
Urteil gemäß §§ 2342, 2344 BGB über die Erbunwürdigkeit von vornherein
nicht an. Diese Auffassung geht lediglich davon aus, dass ein Feststellungsurteil
mangels Gestaltungswirkung und damit mangels Änderung des
Erbrechts selbst dem Nachlassgericht die erforderliche Überzeugung der
Tatsachen nicht zu verschaffen vermöge (vgl. Zimmermann, ZEV 2010,
457, 461; ders., Erbscheinsverfahren - Europäisches Nachlasszeugnis,
4. Aufl. E. Rn. 168). Um ein solches bloßes Feststellungsurteil, welches
auf eine Klage nach § 256 Abs. 1 ZPO hin ergeht und dessen Rechtskraftwirkungen
sich auf die Prozessparteien und ihre Rechtsnachfolge r (§ 325
ZPO) beschränken, handelt es sich bei der Erbunwürdigkeitserklärung, sei
es aufgrund ihrer Gestaltungswirkung, sei es aufgrund ihrer gesetzlich angeordneten
Wirkung gegenüber jedermann, jedoch nicht.

Die Bindungswirkung eines die Erbunwürdigkeit aussprechenden
Urteils ergibt sich aus dem materiellen Recht. Die Erbunwürdigkeit kann
ausschließlich durch Anfechtungsklage gemäß § 2342 Abs. 1 BGB, nicht
aber im Erbscheinsverfahren geltend gemacht werden und nur durch Urteil
gemäß § 2342 Abs. 2 BGB eintreten (vgl. nur OLG Jena ZEV 2008, 479,
480 [juris Rn. 15]; BayObLG MittBayNot 2000, 446, 447 [juris Rn. 29];
BayObLGZ 1973, 257 [juris Rn. 35]; BeckOK-BGB/Müller-Christmann,
§ 2342 Rn. 1 [Stand: 1. November 2022]; juris-PK-BGB/Hau 9. Aufl.
§ 2342 Rn. 1; Staudinger/Olshausen, BGB (2021) § 2342 Rn. 1; Burandt/
Rojahn/Müller-Engels, Erbrecht 4. Aufl. § 2342 Rn. 2; Lange/Kuchinke,
Erbrecht 5. Aufl. S. 160; Zimmermann, Erbschein - Erbscheinsverfahren -
Europäisches Nachlasszeugnis 4. Aufl. E. Rn. 219; Kroiß, FF 2004, 13,
14 f.). Das Nachlassgericht darf wegen dieses Urteilsvorbehalts ein
rechtskräftiges Urteil über die Erbunwürdigkeit auch nicht selbst inhaltlich
überprüfen.

Dies gilt auch für ein im Erbunwürdigkeitsprozess ergangenes Versäumnisurteil.
Verneinte man eine Bindung des Nachlassgerichts an ein
solches, könnte dies zu dem Ergebnis führen, dass ein gemäß § 2339 BGB
materiell erbunwürdiger Erbe durch seine Säumnis im Rechtsstreit über
seine Erbunwürdigkeit dauerhaft verhindern könnte, dass diese im Erbscheinsverfahren
berücksichtigt wird (vgl. AG Düsseldorf ErbR 2016, 283,
285 [juris Rn. 28]; Krätzschel in Kroiß/Horn/Solomon, Nachfolgerecht
2. Aufl. § 256 ZPO Rn. 39 unter b); Soutier, MittBayNot 2017, 78, zu Urteilen
ohne Gestaltungswirkung). Das Nachlassgericht dürfte die Voraussetzungen
einer Erbunwürdigkeit nicht selbst prüfen. Einer erneuten Klage
derselben Klagepartei auf Erbunwürdigerklärung stünde wiederum die
Rechtskraft des Versäumnisurteils entgegen. Das Nachlassgericht könnte
sich in diesem Fall bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen dazu
verpflichtet sehen, dem erbunwürdigen (Nicht-)Erben auf seinen Antrag
hin einen Erbschein zu erteilen.

(3) Unerheblich für die Bindungswirkung ist dabei auch, ob das
ordentliche Gericht im Erbunwürdigkeitsprozess - wie hier - in Form eines
Versäumnisurteils entscheiden durfte. Das wird teilweise mit dem
Argument, die Erbenstellung bzw. Erbunwürdigkeit stehe nach der Annahme
der Erbschaft oder dem Fristablauf zur Ausschlagung nicht mehr
zur Disposition des Erben, sodass Einschränkungen der zivilprozessualen
Dispositions- und Verhandlungsgrundsätze gelten sollen, verneint (so LG
Aachen NJW-RR 1988, 263 f. [juris Rn. 14 ff.] zur Zulässigkeit eines Anerkenntnisurteils
nach § 307 Satz 1 ZPO; Unberath, ZEV 2008, 465 f. m.
Fn. 11). Der Senat hat die Frage der Geltung von Untersuchungsgrundsatz
oder Verhandlungs- und Dispositionsgrundsatz bisher offengelassen (vgl.
Senatsbeschluss vom 12. September 2012 - IV ZR 177/11, ZEV 2013, 34
Rn. 7 f.). Ein - wie hier - diesen Rechtsstreit beendendes Versäumnisurteil
ist jedenfalls nicht wegen seiner Urteilsart nichtig und damit unbeachtlich.
Die Nichtigkeit gerichtlicher Entscheidungen kommt nur in extremen Ausnahmefällen
bei Vorliegen eines besonders schweren, offenkundigen
Mangels in Betracht (vgl. BGH, Urteile vom 4. April 2014 - V ZR 110/13,
NJW-RR 2014, 903 Rn. 7 m.w.N.; vom 23. November 2006 - IX ZR 141/04,
NJW-RR 2007, 767 Rn. 10). Ein offenkundiger schwerer Rechtsmangel
liegt mit einer Entscheidung in Form eines Versäumnisurteils gemäß § 331
Abs. 1 ZPO in einem nach der Zivilprozessordnung vor den ordentlichen
Gerichten zu behandelnden Rechtsstreit über die Erbunwürdigkeit schon
deshalb nicht vor, weil das Gesetz jedenfalls ausdrücklich eine Versäumnisentscheidung
nicht verbietet (vgl. etwa § 130 Abs. 2 FamFG) und überwiegend
in der Rechtsprechung und Literatur der Erlass eines Versäumnisurteils
für zulässig erachtet wird (z.B. KG NJW-RR 1989, 455 f. [juris
Rn. 14]; Staudinger/Olshausen, BGB (2021) § 2342 Rn. 6 m.w.N.; Bauer,

Der Erbunwürdigkeitsprozess, 2007, Rn. 281 ff., 288; Muscheler, ZEV
2009, 101, 105; Skibbe, ZEV 1995, 459; vgl. auch OLG Düsseldorf ErbR
2020, 354, 356 f. [juris Rn. 73], das die Bindung des Nachlassgerichts an
ein Versäumnisurteil aus einem Erbunwürdigkeitsprozess ohne die Erwägung
einer Urteilsnichtigkeit bejaht). Da die Zulässigkeit eines Versäumnisurteils
zumindest vertretbar ist, kann es nicht als solches nichtig sein
(vgl. BGH, Urteil vom 23. November 2006 - IX ZR 141/04, NJW-RR 2007,
767 Rn. 11 zur Wirksamkeit einer Teilzurückweisung der Berufung).
c) Das Beschwerdegericht hat weiter ausgeführt, es sei zweifelhaft,
ob im Verhältnis von Prozess- zu Erbscheinsverfahren eine Durchbrechung
der Rechtskraft eines Erbenfeststellungsurteils nach § 826 BGB
überhaupt Anwendung finden könne. Sie scheide vorliegend jedenfalls
deshalb aus, weil bereits die materielle Unrichtigkeit des Versäumnisurteils
nicht auf der Hand liege. Auch fehlten besondere, eine Sittenwidrigkeit
begründende Umstände.

Auch diese Bewertung des Beschwerdegerichts hält rechtlicher
Überprüfung stand. Die vom Beschwerdegericht aufgeworfene Frage der
grundsätzlichen Anwendbarkeit einer Rechtskraftdurchbrechung nach
§ 826 BGB (grundlegend dazu BGH, Urteile vom 24. September 1987
- III ZR 187/86, BGHZ 101, 380, 383 ff. unter II.3. [juris Rn. 19 ff.]; vom
21. Juni 1951 - III ZR 210/50, NJW 1951, 759 [juris Rn. 43 ff.]) im Verhältnis
vom Zivilprozess zum Erbscheinsverfahren bedarf vorliegend keiner
Entscheidung. Die Voraussetzungen einer Rechtskraftdurchbrechung
nach den Grundsätzen des § 826 BGB liegen jedenfalls nicht vor.
§ 826 BGB bietet dem Schuldner unter besonderen Umständen die
Möglichkeit, sich gegen die Vollstreckung aus einem rechtskräftigen, aber
materiell unrichtigen Titel zu schützen. Die Rechtskraft muss zurücktreten,
wenn es mit dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar wäre,
dass der Titelgläubiger seine formelle Rechtsstellung unter Missachtung
der materiellen Rechtslage zu Lasten des Schuldners ausnutzt. Eine solche
Anwendung des § 826 BGB muss jedoch auf besonders schwerwiegende,
eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt bleiben, weil jede Ausdehnung
das Institut der Rechtskraft aushöhlen, die Rechtssicherheit beeinträchtigen
und den Eintritt des Rechtsfriedens in untragbarer Weise in
Frage stellen würde (BGH, Urteil vom 24. September 1987 - III ZR 187/86,
BGHZ 101, 380, 383 f. unter II.3. [juris Rn. 19], m. zahlr. N.). Die Anwendung
des § 826 BGB in derartigen Fällen setzt nicht nur die materielle
Unrichtigkeit des Vollstreckungstitels und die Kenntnis des Gläubigers
hiervon voraus; hinzutreten müssen vielmehr besondere Umstände, die
sich aus der Art und Weise der Titelerlangung oder der beabsichtigten
Vollstreckung ergeben und die das Vorgehen des Gläubigers als sittenwidrig
prägen (BGH, Urteil vom 9. Februar 1999 - VI ZR 9/98, NJW 1999,
1257, 1258 [juris Rn. 15]).

Derartige Umstände sind nicht ersichtlich. Zwar ist das Nachlassgericht
im Erbscheinsverfahren verpflichtet, die erforderlichen Ermittlungen
von Amts wegen durchzuführen und sämtliche zur Aufklärung des
Sachverhalts erforderlichen Beweise zu erheben (§§ 26 bis 29 FamFG;
Burandt/Rojahn/Gierl, FamFG 4. Aufl. § 352e Rn. 61). Das bedeutet aber
nicht, dass allen denkbaren Möglichkeiten zur Erforschung des Sachverhalts
von Amts wegen nachgegangen werden müsste. Eine Aufklärungspflicht
besteht nur insoweit, als bei sorgfältiger Überlegung greifbare Anhaltspunkte
zu weiteren Ermittlungen Anlass bieten (vgl. Senatsbeschluss
vom 5. Juli 2017 - IV ZB 6/17, ErbR 2017, 611 Rn. 16; BGH, Beschlüsse
vom 11. Juli 2018 - XII ZB 615/17, FamRZ 2018, 1605 Rn. 10; vom 5. Juli
1963 - V ZB 7/63, BGHZ 40, 54, 57 unter 2. [juris Rn. 12]). Über Art und
Umfang der Ermittlungen entscheidet der Tatrichter nach pflichtgemäßem
Ermessen. Das Rechtsbeschwerdegericht hat lediglich nachzuprüfen, ob
das Beschwerdegericht die Grenzen seines Ermessens eingehalten hat,
ferner, ob es von zutreffenden Tatsachenfeststellungen ausgegangen ist
(Senatsbeschluss vom 10. Juli 2019 - IV ZB 22/18, BGHZ 222, 365 Rn. 18
m.w.N.). Unter Anlegung dieser Maßstäbe ist ein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht
nicht gegeben.

Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, das Versäumnisurteil
sei materiell unrichtig, so hat das Beschwerdegericht dies zugunsten der
Beteiligten zu 2 unterstellt. Aus den Ausführungen des Beschwerdegerichts
zur fehlenden sittenwidrigen Erschleichung des Titels, da die Beteiligte
zu 1 in ihrer Erbunwürdigkeitsklage ihre Ausführungen ausdrücklich
als Vermutung gekennzeichnet habe und nicht mit den Voraussetzungen
für ein Versäumnisurteil habe rechnen können, ergibt sich zugleich, dass
das Beschwerdegericht sich mit einer etwaigen Kenntnis der Beteiligten
zu 1 von der Unrichtigkeit des Versäumnisurteils auseinandergesetzt hat
und - ohne Ermessensfehler - insoweit keinen weiteren Ermittlungsbedarf
gesehen hat. Die Rechtsbeschwerde sieht zudem besondere Umstände,
die die Ausnutzung des Versäumnisurteils sittenwidrig erscheinen lassen,
darin, dass die Beteiligte zu 1 verschwiegen habe, bei den Gesprächen
zwischen ihr und der Beteiligten zu 2 habe eine weitere Zeugin teilgenommen.
Die unterbliebene Benennung eines (zusätzlichen) Zeugen ist zivilprozessual
zulässig und enthält zudem keinen hinsichtlich des
Gesprächsinhalts zwischen den Beteiligten relevanten Tatsachenvortrag.
Anhaltspunkte, die aus Rechtsgründen Anlass zu weiteren Ermittlungen
des Beschwerdegerichts zu einer Sittenwidrigkeit des Ausnutzens des
Versäumnisurteils gegeben hätten, sind darin nicht zu sehen. Auf die zusätzliche
Begründung des Beschwerdegerichts, die Rechtskraft des Ur-
teils sei auf das prozessuale Verhalten der Beteiligten zu 2 zurückzuführen,
und die dazu erhobene Rüge der Rechtsbeschwerde kommt es daher
nicht mehr an.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Festsetzung
des Gegenstandswerts auf § 61 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 i.V.m.
§ 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GNotKG.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

26.04.2023

Aktenzeichen:

IV ZB 11/22

Rechtsgebiete:

Gesetzliche Erbfolge
Kostenrecht
Pflichtteil
Erbengemeinschaft, Erbauseinandersetzung
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Nachlaßabwicklung (insbes. Erbschein, Nachlaßinventar)

Erschienen in:

NotBZ 2023, 427-430

Normen in Titel:

BGB §§ 2342, 2344; FamFG § 352