Fehlende Gemeinnützigkeit, wenn bei Belegung von Kitaplätzen Vertragspartner bevorzugt wird
letzte Aktualisierung: 10.11.2022
BFH, Urt. v. 1.2.2022 – V R 1/20
AO §§ 52 Abs. 1 S. 2 Var. 1, 53, 56, 59, 63 Abs. 1; KStG § 5 Abs. 1 Nr. 9 S. 1
Fehlende Gemeinnützigkeit, wenn bei Belegung von Kitaplätzen Vertragspartner bevorzugt wird
1. Eine Körperschaft, die Kinderbetreuungseinrichtungen betreibt, fördert nicht die Allgemeinheit,
wenn sie bei der Belegung der Plätze die Belegungspräferenz ihrer Vertragspartner, bestimmter
Unternehmen, in der Weise berücksichtigt, dass sich der geförderte Personenkreis nicht mehr als
Ausschnitt der Allgemeinheit darstellt.
2. In der Satzung sind die jeweils verfolgten steuerbegünstigten Zwecke soweit wie möglich zu
konkretisieren.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin ist im Hauptantrag unbegründet (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat ohne Rechtsverstoß eine Steuerbefreiung der Klägerin nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG i.V.m.
Der Hilfsantrag ist unzulässig.
1. Die Klägerin fördert nicht die Allgemeinheit i.S. von § 52 Abs. 1 Satz 2 AO und ist daher nicht wegen der Verfolgung gemeinnütziger Zwecke gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG von der Körperschaftsteuer befreit.
a) Gemäß
Zudem ist eine Förderung der Allgemeinheit gemäß § 52 Abs. 1 Satz 2 AO nicht gegeben, wenn der Kreis der Personen, dem die Förderung zugutekommt, fest abgeschlossen ist, zum Beispiel Zugehörigkeit zu einer Familie oder zur Belegschaft eines Unternehmens, oder infolge seiner Abgrenzung, insbesondere nach räumlichen oder beruflichen Merkmalen, dauernd nur klein sein kann.
b) Hierzu hat der Senat entschieden, dass der Träger einer Privatschule mit dem Schulbetrieb nicht die Allgemeinheit fördert, wenn die Höhe der Schulgebühren auch unter Berücksichtigung eines Stipendienangebots zur Folge hat, dass die Schülerschaft sich nicht mehr als Ausschnitt der Allgemeinheit darstellt (Senatsbeschluss vom 26.05.2021 - V R 31/19,
Eine Förderung der Allgemeinheit liegt jedoch nicht mehr vor, wenn der begünstigte Personenkreis i.S. des § 52 Abs. 1 Satz 2 Alternative 1 AO fest abgeschlossen ist, da die Interessen der Begünstigten klar von den Interessen der Allgemeinheit abgegrenzt sind (Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler ‑‑HHSp‑‑, § 52 AO Rz 67; Seer in Tipke/Kruse, § 52 AO Rz 10; Jachmann in Gosch, AO § 52 Rz 24; Geibel in Winheller/Geibel/Jachmann-Michel, Gesamtes Gemeinnützigkeitsrecht, § 52 AO Rz 19; Weidmann/Kohlhepp, Die gemeinnützige GmbH, 4. Aufl. 2020, S. 61; Droege, Gemeinnützigkeit im offenen Steuerstaat, 2010, S. 132 f.; Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit, 3. Aufl., § 6 Rz 48).
c) Danach fördert die Klägerin einen fest abgeschlossenen Personenkreis und nicht die Allgemeinheit.
aa) Ohne Verstoß gegen § 52 Abs. 1 Satz 2 AO und die hierzu ergangene BFH-Rechtsprechung konnte das FG dies damit begründen, dass bei drei der vier Betreuungseinrichtungen sämtliche Plätze von den Mitarbeitern bestimmter Unternehmen besetzt werden konnten, und es nur in einer Kinderbetreuungseinrichtung zwei von 20 Plätzen gab, die nicht einem Unternehmen zur Verfügung zu stellen waren. Dass das FG es als unerheblich ansah, nicht belegte Restplätze vertraglich anderweitig vergeben zu können, was dazu führte, dass z.B. nach den bindenden Feststellungen des FG in einer Kinderbetreuungseinrichtung deutlich mehr als die Hälfte der Plätze betriebsfremd belegt wurden, ist gleichfalls revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Eine anderweitige tatsächliche Belegung ist nach den Verhältnissen des Streitfalls bereits deshalb unerheblich, da die Körperschaft "darauf gerichtet sein muss, die Allgemeinheit (...) zu fördern", was unter den Voraussetzungen des § 52 Abs. 1 Satz 2 AO ohne feste "Restplatzquote" (vgl. zur Bedeutung einer Stipendiatenquote bei Schulen Senatsbeschluss in
bb) Nach den nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des FG hatte sich die Klägerin vertraglich verpflichtet, fast sämtliche von ihr angebotenen Betreuungsplätze den Unternehmen als ihren Vertragspartnern anzubieten. Das FG hat hierzu insbesondere festgestellt, dass für die Aufnahme der zu betreuenden Kinder für die Beschäftigten der Vertragspartner der Klägerin die Aufnahmebedingungen der Klägerin galten, wobei die Klägerin auf die Belegungspräferenz der jeweiligen Vertragspartner Rücksicht nehmen sollte, sofern dies mit den gesetzlichen Bestimmungen, behördlichen Auflagen und dem pädagogischen Konzept vereinbar war. Es ist bei seiner Würdigung davon ausgegangen, dass die Betreuungsplätze wegen der Berücksichtigung der Belegungspräferenz der Vertragspartner der Klägerin vorrangig den Beschäftigten der Vertragspartner der Klägerin und damit nicht der Allgemeinheit zugutekamen, auch wenn die Plätze tatsächlich teilweise anderweitig belegt wurden. Dass das FG es zudem für unerheblich hielt, dass die Klägerin in einer Einrichtung vier von insgesamt zwölf Plätzen der Stadt A zur Erfüllung des Rechtsanspruchs auf einen Krippenplatz ab August 2012 zur Verfügung stellte, ist angesichts der insgesamt bestehenden Kapazitäten der Klägerin von seinerzeit insgesamt 102 Plätzen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn diese nur wenigen Plätze führen nicht dazu, dass sich der von der Klägerin geförderte Personenkreis als Ausschnitt der Allgemeinheit darstellt (vgl. Senatsbeschluss in
cc) Diese Würdigung des FG verstößt nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze und ist möglich, weil mit der vertraglich geregelten Belegungspräferenz wesentlich das Partikularinteresse der Unternehmen, ihre eigene Attraktivität als Arbeitgeber für Eltern mit Kindern zu erhöhen, gegenüber dem Interesse der Allgemeinheit an Kinderbetreuungsplätzen in den Vordergrund tritt (vgl. zur Bindungswirkung allgemein Senatsbeschluss in
d) Entgegen dem Urteil des FG kommt es auf die Frage der Ausschließlichkeit (§ 56 AO) zur Beurteilung der Gemeinnützigkeit nicht an, da es nach § 52 Abs. 1 Satz 2 AO bereits am Grundtatbestand der Gemeinnützigkeit fehlt.
e) Die von der Klägerin vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.
aa) Entgegen der Auffassung der Klägerin setzt auch der Anwendungsbereich der Zweckbetriebsdefinition des § 68 Nr. 1 Buchst. b AO einen Betrieb durch eine Körperschaft voraus, die den Anforderungen des § 52 Abs. 1 Satz 2 AO entspricht.
bb) Die von der Klägerin angeführte Gestaltungsempfehlung des öffentlichen Jugendhilfeträgers zu ihrer Gründung entbindet nicht von der Einhaltung des § 52 Abs. 1 Satz 2 AO.
cc) Soweit die Klägerin meint, ihre Tätigkeit sei nicht auf die Belegschaft eines einzelnen Unternehmens festgelegt, da sie Verträge mit mehreren Unternehmen abgeschlossen habe, lässt dies die feste Abgeschlossenheit des Begünstigtenkreises nicht entfallen. Eine solche kann sich gleichermaßen aus der Vereinbarung mit nur einem oder aus gleichartigen Vereinbarungen mit mehreren Unternehmen über die Nutzung der Betreuungseinrichtungen ergeben.
dd) Anders als die Klägerin vorbringt ist für Zwecke des § 52 Abs. 1 Satz 2 AO auf die Beschäftigten der Vertragspartner der Klägerin abzustellen, da diese Vorschrift die Zugehörigkeit zur Belegschaft eines Unternehmens gerade als Beispiel eines fest abgeschlossenen Personenkreises ausdrücklich benennt und dies im vorliegenden Fall zur Aufnahme dadurch bestimmter Kinder in den Einrichtungen der Klägerin führt.
Daran ändern auch die Hinweise der Klägerin nichts, sie setze mit ihrer Tätigkeit einen verfassungsrechtlichen Auftrag um, nämlich die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit, und bediene als Mittel zur Deckung des Bedarfs der Daseinsvorsorge zum allgemeinen Wohl die Nachfrage seitens der Allgemeinheit nach Kinderbetreuungsplätzen. Der Gesetzgeber hat dies im Rahmen seines Spielraums mit der Regelung des § 52 Abs. 1 Satz 2 AO dann eingeschränkt, wenn eine derartige Förderung ‑‑wie im Streitfall‑‑ einem fest abgeschlossenen Personenkreis zugutekommt. Aus demselben Grund greift auch das Argument der Klägerin nicht, sie unterstütze Kinder und damit im Gemeinwohlinteresse besonders schutzwürdige Personen.
ee) Soweit sich die Klägerin darauf beruft, ihre Tätigkeit erfülle die Förderung der Jugendhilfe sowie der Erziehung gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 bzw. Nr. 7 AO und sei schon deshalb als Förderung der Allgemeinheit anzusehen, gilt dies nach dem Einleitungssatz des
2. Die Klägerin ist nicht wegen der Verfolgung mildtätiger Zwecke nach
a) Gemäß
b) Diese Anforderungen erfüllt die Satzung der Klägerin hinsichtlich mildtätiger Zwecke nach den Verhältnissen des Streitfalls nicht.
aa) Zweck der Klägerin ist nach ihrem Gesellschaftsvertrag "die gemeinnützige Förderung der Jugendhilfe sowie der Bildung und Erziehung" und "die Förderung der Altenhilfe". Zudem verfolgt die Klägerin danach "ausschließlich und unmittelbar nur gemeinnützige Zwecke im Sinne des Abschnitts 'steuerbegünstigte Zwecke' der Abgabenordnung".
Aufgrund dieser eindeutig auf § 52 AO beschränkten Eigenbeschreibung der Zwecke, die die Klägerin zu verfolgen beabsichtigt, ist es nicht möglich, die Satzung dahingehend auszulegen, dass die Klägerin auch die Verfolgung mildtätiger Zwecke i.S. von § 53 AO anstrebt. Damit ist nicht zu entscheiden, ob sich der Senat einer im Schrifttum vertretenen Auffassung anschließen könnte, nach der der Begriff "mildtätig" nicht wörtlich in die Satzung aufgenommen werden müsse (so Musil in HHSp, § 53 AO Rz 12; wohl auch Seer in Tipke/Kruse, § 53 AO Rz 1; von Cube in Winheller/Geibel/Jachmann-Michel, a.a.O., § 53 AO Rz 53; differenzierend Kröger, Deutsche Steuer-Zeitung 1990, 79, 80 f.). Denn jedenfalls dann, wenn die Körperschaft nach ihrer Satzung eindeutig gemeinnützige Zwecke verfolgen soll, ist es erforderlich, die Art der anderen steuerbegünstigten Zwecke des
bb) Abweichendes ergibt sich nicht aus dem Feststellungsbescheid nach § 60a Abs. 1 AO vom 11.04.2014, zu dem das FG allerdings keine Feststellungen getroffen hat. Bedarf es daher der Auslegung des Feststellungsbescheids, ist über dessen Inhalt entsprechend § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Folgeverfahren zu klären, wie ein verständiger Empfänger nach den ihm bekannten Umständen den Bescheid unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen musste (BFH-Urteile vom 18.07.2012 - X R 28/10,
Denn die im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigenden Umstände (vgl. Senatsurteile vom 16.01.2020 - V R 56/17,
Daher ist nicht zu entscheiden, ob diesem Feststellungsbescheid, der aufgrund des am 29.03.2013 in Kraft getretenen § 60a AO (Art. 12 Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Stärkung des Ehrenamts ‑‑Ehrenamtsstärkungsgesetz‑‑ vom 21.03.2013, BGBl I 2013, 556) ergangen ist, für die zuvor ergangenen Steuerbescheide der Streitjahre Bindungswirkung zukommen kann.
3. Die von der Klägerin gerügten Verfahrensfehler liegen nicht vor.
Die von der Klägerin geltend gemachte unterlassene Beweiserhebung zu den einzelnen Geschäftsfeldern der Klägerin und ihrer Alleingesellschafterin ist unerheblich, weil es für die Entscheidung des Streitfalls hierauf nicht ankommt. Gleiches gilt für den Beweisantritt zu der Frage, ob aus Gründen der notwendigen Fürsorge bei Kindern im Kita-Alter Hilfebedürftigkeit in der Hinsicht besteht, dass sie nicht während der üblichen Kita-Öffnungszeiten alleine zu Hause gelassen werden dürfen.
Die Ablehnung eines Tatbestandsberichtigungsantrags begründet keinen Verfahrensfehler (Senatsbeschluss vom 19.05.2008 - V B 29/07, BFH/NV 2008, 1501, unter III.A.11., m.w.N.).4. Die Revision der Klägerin hinsichtlich des als Hilfsantrag gestellten Antrags, die Gemeinnützigkeit der Klägerin für die Jahre 2008 bis 2010 festzustellen, ist als unzulässig zu verwerfen. Da die Revision im Hauptantrag zulässig ist, ist über das Rechtsmittel abweichend von § 126 Abs. 1 FGO einheitlich durch Urteil zu entscheiden (z.B. BFH-Urteile vom 27.04.2005 - II R 52/02,
Der Klägerin ist es verwehrt, einen solchen Feststellungsantrag ausdrücklich erstmals im Revisionsverfahren zu stellen. Der Antrag ist bereits mangels formeller Beschwer, d.h. deshalb unzulässig, da er nicht Gegenstand des Klageverfahrens war und somit auch nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens sein kann (z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 2020, 511, Rz 16, m.w.N.). Zudem ist gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 FGO eine Feststellungsklage subsidiär, da über die Steuervergünstigung im Veranlagungs- bzw. Steuerfestsetzungsverfahren zu entscheiden ist (BFH-Urteil vom 13.11.1996 - I R 152/93,
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BFH
Erscheinungsdatum:01.02.2022
Aktenzeichen:V R 1/20
Rechtsgebiete:
Einkommens- und Körperschaftssteuer
Sonstiges Steuerrecht
AO §§ 52 Abs. 1 S. 2 Var. 1, 53, 56, 59, 63 Abs. 1; KStG § 5 Abs. 1 Nr. 9 S. 1