BGH 01. Oktober 2021
V ZR 48/21
WEG § 9a Abs. 2; BGB § 1004

Störung eines Sondernutzungsrechts; Geltendmachung von Abwehransprüchen durch den Sondernutzungsberechtigten

letzte Aktualisierung: 03.12.2021
BGH, Versäumnisurt. v. 1.10.2021 – V ZR 48/21

WEG § 9a Abs. 2; BGB § 1004
Störung eines Sondernutzungsrechts; Geltendmachung von Abwehransprüchen durch den
Sondernutzungsberechtigten

Nach der zum 1. Dezember 2020 in Kraft getretenen Neufassung des
Wohnungseigentumsgesetzes kann ein Wohnungseigentümer Unterlassungs- und
Beseitigungsansprüche gemäß § 1004 BGB, die auf die Abwehr von Störungen seines im
Grundbuch eingetragenen Sondernutzungsrechts gerichtet sind, weiterhin selbst geltend machen
(Fortführung von Senat, Urteil vom 11. Juni 2021 – V ZR 41/19, WuM 2021, 521).

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht, dessen Urteil u.a. in ZfIR 2021, 277 veröffentlicht
ist, meint, die Klägerin könne die Beseitigung der Mauer- und Zaunanlage nicht
verlangen. Abwehrrechte aus dem an die Stelle des § 15 Abs. 3 WEG aF getretenen
§ 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG stünden nach dem seit dem 1. Dezember 2020
geltenden Wohnungseigentumsrecht nur noch der Gemeinschaft zu. Insoweit sei
die Klägerin nicht mehr aktivlegitimiert. Ein Beseitigungsanspruch bestehe auch
nicht in Bezug auf das Sondernutzungsrecht an dem Stellplatz. Das Sondernutzungsrecht
werde nicht beeinträchtigt, da der Stellplatz für die Klägerin weiter
erreichbar sei und die Mauer- und Zaunanlage lediglich das Rangieren mit Fahrzeugen
auf der dem Stellplatz vorgelagerten Gemeinschaftsfläche erschwere.

Für die Ansprüche aus § 1004 BGB auf Beseitigung von Beeinträchtigungen des
Gemeinschaftseigentums sei gemäß § 9a Abs. 2 Alt. 1 WEG die Gemeinschaft
der Wohnungseigentümer zuständig. Insoweit habe die Klägerin ihre Prozessführungsbefugnis
verloren.

II.

Die Revision hat Erfolg. Zu entscheiden ist durch Versäumnisurteil. Inhaltlich
beruht das Urteil jedoch nicht auf der Säumnis des Beklagten, sondern auf
einer Sachprüfung (vgl. Senat, Urteil vom 4. April 1962 - V ZR 110/60, BGHZ 37,
79, 82 ff.).

1. Rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht allerdings an, dass die
Klägerin nach der zum 1. Dezember 2020 in Kraft getretenen Neufassung des
Wohnungseigentumsgesetzes für den Anspruch aus § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG nicht
mehr aktivlegitimiert ist. Der Anspruch aus dem an die Stelle von § 15 Abs. 3
WEG aF getretenen § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG ist nunmehr allein der Gemeinschaft
zugewiesen (vgl. BT-Drs. 19/18791 S. 52; Senat, Urteil vom 16. Juli 2021
- V ZR 284/19, juris Rn. 13).

2. Im Ergebnis zu Recht verneint das Berufungsgericht auch einen Anspruch
der Klägerin aus § 1004 Abs. 1 BGB, soweit er das Sondernutzungsrecht
an dem Stellplatz betrifft.

a) Allerdings ist die Klägerin für den Anspruch auf Beseitigung der Beeinträchtigung
des Sondernutzungsrechts an dem Stellplatz aus § 1004 Abs. 1 BGB
prozessführungsbefugt. Dem steht § 9a Abs. 2 Alt. 1 WEG nicht entgegen.

aa) Die alleinige Ausübungsbefugnis der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer
gemäß § 9 Abs. 2 WEG bezieht sich auf die Abwehr von Störungen
des Gemeinschaftseigentums. Ein Wohnungseigentümer kann deshalb, wie der
Senat bereits entschieden hat, nach der zum 1. Dezember 2020 in Kraft getrete-
nen Neufassung des Wohnungseigentumsgesetzes Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche
gemäß § 1004 BGB und § 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG, die auf die
Abwehr von Störungen im räumlichen Bereich des Sondereigentums gerichtet
sind, weiterhin auch dann selbst geltend machen, wenn zugleich das Gemeinschaftseigentum
von den Störungen betroffen ist (Senat, Urteil vom 11. Juni 2021
- V ZR 41/19, WuM 2021, 521 Rn. 13).

bb) Entsprechendes gilt für den Anspruch eines Wohnungseigentümers
gemäß § 1004 Abs. 1 BGB auf Abwehr einer Störung eines dinglich wirkenden
Sondereigentumsrechts.

(1) Nach der bis zum 30. November 2020 geltenden Rechtslage konnte
der Inhaber eines im Grundbuch eingetragenen Sondernutzungsrechts im Rahmen
von dessen Zuweisungsgehalt (vgl. dazu Urteil vom 18. November 2016
- V ZR 49/16, ZfIR 2017, 409 Rn. 24; Senat, Beschluss vom 26. November 2020
- V ZB 151/19, WuM 2021, 132 Rn. 15) Störungen durch andere Wohnungseigentümer
und Dritte gemäß § 1004 Abs. 1 BGB selbst abwehren (vgl. Senat,
Urteil vom 21. Oktober 2016 - V ZR 78/16, ZfIR 2017, 355 Rn. 9; Urteil vom
20. März 2020 - V ZR 317/18, BGHZ 225, 136 Rn. 39) und Ansprüche aus § 985
und § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB selbst geltend machen (vgl. Senat, Urteil vom
25. Oktober 2013 - V ZR 230/12, BGHZ 198, 327 Rn. 20; Urteil vom
20. März 2020 - V ZR 317/18, aaO). Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer
konnte diese Ansprüche nicht durch Beschluss an sich ziehen.

(2) Daran hat § 9a Abs. 2 WEG nichts geändert (so auch MüKoBGB/
Burgmair, 8. Aufl., § 9a WEG nF Rn. 31; Elzer, ZWE 2021, 188, 190). Bei dem
Anspruch auf Abwehr einer Störung des Sondernutzungsrechts handelt es sich
nicht um ein sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebendes Recht.

Nach der zum 1. Dezember 2020 in Kraft getretenen Neufassung des Wohnungseigentumsgesetzes
kann ein Wohnungseigentümer Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche
gemäß § 1004 BGB, die auf die Abwehr von Störungen seines
im Grundbuch eingetragenen Sondernutzungsrechts gerichtet sind, deshalb weiterhin
selbst geltend machen.

b) Die Voraussetzungen für einen Beseitigungsanspruch aus § 1004 BGB
in Bezug auf das Sondernutzungsrecht sind jedoch nicht erfüllt. Die tatrichterliche
Würdigung des Berufungsgerichts, wonach das Sondernutzungsrecht der Klägerin
an dem Stellplatz deshalb nicht beeinträchtigt ist, weil infolge der Errichtung
der Mauer- und Toranlage lediglich das Rangieren mit Fahrzeugen auf der vor
dem Stellplatz gelegenen Fläche, nicht aber der Zugang zu dem Stellplatz selbst
erschwert wird, nimmt die Revision hin und lässt Rechtsfehler nicht erkennen.

3. Rechtsfehlerhaft ist aber die Auffassung des Berufungsgerichts, die Klägerin
habe die Prozessführungsbefugnis für den sich aus dem gemeinschaftlichen
Eigentum ergebenden Anspruch aus § 1004 BGB mit Inkrafttreten der Neuregelung
des § 9a Abs. 2 WEG am 1. Dezember 2020 verloren.

a) Nach § 9a Abs. 2 WEG übt zwar die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer
die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte
aus. Damit ist nunmehr allein die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer für die
sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche
aus § 1004 Abs. 1 BGB kraft Gesetzes prozessführungsbefugt
(vgl. BT-Drs. 19/18791 S. 46).

b) Für die bereits vor dem 1. Dezember 2020 bei Gericht anhängigen Verfahren
besteht - wie der Senat inzwischen, allerdings nach Erlass des Berufungsurteils,
entschieden hat - die Prozessführungsbefugnis eines Wohnungseigentümers,
der sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebende Rechte geltend
macht, über diesen Zeitpunkt hinaus in Anwendung des Rechtsgedankens des
§ 48 Abs. 5 WEG aber fort, bis dem Gericht eine schriftliche Äußerung des nach
§ 9b WEG vertretungsberechtigten Organs über einen entgegenstehenden Willen
der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zur Kenntnis gebracht wird. Beurteilungsgrundlage
für das Vorliegen eines entgegenstehenden Willens der Gemeinschaft
ist die - im Außenverhältnis maßgebliche - Äußerung ihres nach § 9b
WEG vertretungsberechtigten Organs. Auf die Wirksamkeit der Entscheidungsbildung
der Wohnungseigentümer im Innenverhältnis, insbesondere die Wirksamkeit
eines dazu gefassten Beschlusses, kommt es dagegen nicht an (näher
Senat, Urteil vom 7. Mai 2021 - V ZR 299/19, WuM 2021, 392 Rn. 12 ff., 20 ff.).
Diese Grundsätze gelten für alle Wohnungseigentümergemeinschaften, auch für
die verwalterlose Zweiergemeinschaft.

c) Danach ist die Klägerin prozessführungsbefugt, soweit es um den Anspruch
aus § 1004 Abs. 1 BGB wegen Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen
Eigentums geht. Insoweit ist sie auch aktivlegitimiert.

III.

Die Revision hat somit Erfolg. Das Berufungsurteil war im tenorierten Umfang
aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist nicht entscheidungsreif, weil
das Berufungsgericht hinsichtlich des Anspruchs der Klägerin aus § 1004 Abs. 1
BGB wegen Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen Eigentums - aus seiner
Sicht folgerichtig - keine Feststellungen getroffen hat. Sie ist deshalb zur Verhandlung
und erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen
(§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Rechtsbehelfsbelehrung

Gegen dieses Versäumnisurteil steht der säumigen Partei der Einspruch zu.
Dieser ist beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe von einem an diesem Gericht zugelassenen
Rechtsanwalt binnen einer Notfrist von zwei Wochen ab der Zustellung des
Versäumnisurteils durch Einreichung einer Einspruchsschrift einzulegen.
Die Einspruchsschrift muss das Urteil, gegen das der Einspruch gerichtet wird,
bezeichnen und die Erklärung enthalten, dass und, wenn das Rechtsmittel nur teilweise
eingelegt werden solle, in welchem Umfang gegen dieses Urteil Einspruch eingelegt
werde.
In der Einspruchsschrift sind die Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie Rügen,
die die Zulässigkeit der Klage betreffen, vorzubringen. Auf Antrag kann die Vorsitzende
des erkennenden Senats die Frist für die Begründung verlängern. Bei Versäumung der
Frist für die Begründung ist damit zu rechnen, dass das nachträgliche Vorbringen nicht
mehr zugelassen wird.

Im Einzelnen wird auf die Verfahrensvorschriften in § 78, § 296 Abs. 1, 3, 4,
§ 338, § 339 und § 340 ZPO verwiesen.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

01.10.2021

Aktenzeichen:

V ZR 48/21

Rechtsgebiete:

Sachenrecht allgemein
WEG
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

WEG § 9a Abs. 2; BGB § 1004