BGH 09. Juli 2021
V ZR 30/20
BGB § 313

Überlassungsvertrag; Wegfall der Geschäftsgrundlage

letzte Aktualisierung: 23.9.2021
BGH, Urt. v. 9.7.2021 – V ZR 30/20

BGB § 313
Überlassungsvertrag; Wegfall der Geschäftsgrundlage

Bei einem Übertragungsvertrag mit Pflegevereinbarung unter Geschwistern ist die dauerhafte, von
gegenseitigem Vertrauen der Parteien getragene Beziehung im Zweifel Geschäftsgrundlage des
Vertrags. Ist das Verhältnis zwischen dem Übertragenden und dem Übernehmenden heillos
zerrüttet, führt dies – vorbehaltlich vertraglicher Vereinbarungen – zu dem Wegfall der
Geschäftsgrundlage. Der Übertragende kann die Rechte aus § 313 BGB geltend machen, es sei
denn, die Zerrüttung ist eindeutig ihm allein anzulasten.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht meint, der Kläger habe keinen Anspruch auf Rückübertragung
des Grundstücks gemäß § 323 Abs. 1 BGB. Zwar habe die Beklagte
die im Gegenseitigkeitsverhältnis zu der Grundstücksübertragung stehende Pflegeverpflichtung
nicht mehr erfüllt. Der Kläger hätte aber von der Beklagten unter
Fristsetzung konkrete Pflegeleistungen verlangen müssen. Daran fehle es. Eine
Rückabwicklung nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage
gemäß § 313 Abs. 3 BGB scheide ebenfalls aus. Da der Kläger in erheblicher
Weise die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Belange der Beklagten verletzt
habe, sei der Rücktritt vom Vertrag nicht zur Vermeidung untragbarer, mit Recht
und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbarer Folgen geboten. Vielmehr erscheine
es unbillig, wenn das schuldhaft pflichtwidrige Handeln des Klägers diesem die
Möglichkeit eröffne, sich von dem Vertrag zu lösen.

II.

Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kommt es für den geltend
gemachten Rückübertragungsanspruch auf die Erwägungen zu § 323 Abs. 1
BGB nicht an. Der Vertrag, in dem der Kläger der Beklagten das Grundstück
übertragen und diese dafür eine Pflegeverpflichtung übernommen hat, ist zwar
ein gegenseitiger Vertrag, auf den die Regelungen der §§ 320 ff. BGB anwendbar
sind. Die Vorschrift des § 323 Abs. 1 BGB ist aber dennoch für das Verlangen
des Klägers auf Rückübertragung des Grundstücks nicht einschlägig. Der Kläger
hat den Rücktritt nämlich nicht darauf gestützt, dass die Beklagte die geschuldeten
Pflegeleistungen seit Februar oder März 2014 nicht mehr erbringt. Er macht
vielmehr geltend, es sei ihm aufgrund eines heillosen Zerwürfnisses nicht länger
zumutbar, Pflegeleistungen der Beklagten anzunehmen. Dass zwischen den Parteien
ein tiefgreifendes Zerwürfnis besteht, ist für das Revisionsverfahren zugunsten
des Klägers zu unterstellen. Ist Grundlage des Anspruchs des Klägers
auf Rückübertragung aber nicht die Nicht- oder Schlechtleistung der Pflege, sondern
die Unzumutbarkeit der persönlichen Leistungen durch die Beklagte, bestimmt
sich die Frage, ob ein Anspruch auf Rückübertragung des Grundstücks
besteht, nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß
§ 313 Abs. 3 BGB (vgl. auch Senat, Urteil vom 1. Februar 2002 - V ZR 61/01,
NJW-RR 2002, 853, 854).

2. Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung kann der
Anspruch des Klägers auf Rückübertragung des Grundstücks gemäß § 313
Abs. 3 BGB nicht verneint werden.

Der Anspruch auf Rückübertragung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage
des Grundstücksübertragungsvertrags mit Pflegeverpflichtung kommt nicht
nur in Betracht, wenn dies zur Vermeidung „untragbarer, mit Recht und Gerechtigkeit
schlechthin unvereinbarere Folgen unabweisbar erscheint“. Soweit das
Berufungsgericht zur Begründung seiner Rechtsansicht auf Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs verweist (vgl. BGH, Urteil vom 11. April 2000 - X ZR 246/98,
juris Rn. 33), übersieht es, dass diese zu der früheren Rechtslage ergangen ist.
Die durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vom 26. November 2001
(BGBl. I S. 3138) eingeführte Vorschrift des § 313 Abs. 3 BGB sieht bei Wegfall
der Geschäftsgrundlage die Rechtsfolge der Auflösung des Vertrags nunmehr
dann vor, wenn eine Anpassung nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist
(§ 313 Abs. 3 BGB). Die Auflösung des Vertrags hat durch Rücktritt oder Kündigung
zu erfolgen, je nachdem, ob das Schuldverhältnis rückwirkend oder - wie
etwa ein Dauerschuldverhältnis - nur für die Zukunft beseitigt werden kann (vgl.
BT-Drucks. 14/6040 S. 176 unter Hinweis auf Senat, Urteil vom 12. Juni 1987
- V ZR 91/86, BGHZ 101, 143, 150). Sie ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts
nicht auf „Extremfälle“ beschränkt. Dass bei dem Wegfall der Geschäftsgrundlage
eines Grundstücksübertragungsvertrags mit Wohnrechtsgewährung
und Pflegeverpflichtung ein Rückübertragungsanspruch besteht, wenn eine Vertragsanpassung
nicht möglich ist, hat der Senat im Übrigen auch unter Geltung
des alten Rechts angenommen (vgl. Urteil vom 24. Oktober 2003 - V ZR 24/03,
NJW-RR 2004, 229, 230 und Urteil vom 23. September 1994 - V ZR 113/93,
NJW-RR 1995, 77, 78).

3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweist sich auch nicht aus
anderen Gründen als richtig.

Ohne Erfolg macht die Revisionserwiderung geltend, das Risiko der Zerrüttung
sei dem Kläger deshalb zugewiesen, weil für ihn in § 7 des Übertragungsvertrags
bestimmte Rücktrittsgründe vereinbart sind (Veräußerung oder Belas-
tung des Grundstücks ohne Zustimmung des Klägers; Vorversterben und wesentliche
Verschlechterung der Vermögensverhältnisse der Beklagten), zu denen
das Zerwürfnis zwischen ihm und der Beklagten nicht gehört. Richtig ist zwar,
dass für die Berücksichtigung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage kein Raum
ist, wenn sich damit ein Risiko verwirklicht hat, das nach der vertraglichen Regelung
in den Risikobereich der betroffenen Partei fällt (vgl. Senat, Urteil vom
23. Mai 2014 - V ZR 208/12, NJW 2014, 3439 Rn. 22; Urteil vom 1. Juni 1979
- V ZR 80/77, BGHZ 74, 370, 373; BGH, Urteil vom 25. Februar 1993 - VII ZR
24/92, BGHZ 121, 378, 392). Eine Übernahme des Risikos der Zerrüttung durch
den Kläger liegt aber nicht schon darin, dass die Parteien für diesen Fall ein vertragliches
Rücktrittsrecht nicht vereinbart habe. Die Aufzählung der Rücktrittsgründe
in § 7 des Übertragungsvertrags ist nicht in dem Sinne abschließend,
dass der Kläger bei heilloser Zerrüttung des Verhältnisses zu seiner Schwester
nicht nach § 313 Abs. 3 BGB zurücktreten könnte. Für diesen Fall haben die Parteien
vielmehr gerade keine Regelung getroffen, weil sie ihn erkennbar nicht bedacht
haben. Das Ergebnis, dass der Kläger das Risiko der Zerrüttung zu tragen
hätte, ließe sich auch nicht aus einer ergänzenden Vertragsauslegung herleiten.

Zwar hat diese Vorrang vor den Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage
(vgl. BGH, Urteil vom 17. Mai 2018 - VII ZR 157/17, NJW 2018, 2469
Rn. 36 mwN). Es sind aber keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Parteien
- hätten sie die Möglichkeit der Zerrüttung ihres Verhältnisses bedacht - das
Risiko einer solchen Entwicklung allein dem Kläger zugewiesen hätten.

III.

Das Berufungsurteil kann danach keinen Bestand haben, soweit es mit der
Revision angegriffen worden ist. In diesem Umfang ist es aufzuheben (§ 562
Abs. 1 ZPO). Der Rechtsstreit ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen,
da er nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3
ZPO). Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Bei einem Übertragungsvertrag mit Pflegevereinbarung unter Geschwistern
ist die dauerhafte, von gegenseitigem Vertrauen der Parteien getragene
Beziehung im Zweifel Geschäftsgrundlage des Vertrags. Ist das Verhältnis
zwischen dem Übertragenden und dem Übernehmenden heillos zerrüttet, führt
dies - vorbehaltlich vertraglicher Vereinbarungen - zu dem Wegfall der Geschäftsgrundlage.
Dafür kommt es nicht darauf an, welche Vertragspartei welchen Anteil
an dem Zerwürfnis trägt. In der Regel tragen nämlich beide Vertragsparteien ihren
Anteil daran und es lässt sich auch durch eine Beweisaufnahme kaum aufklären,
ob der Anteil des einen oder des anderen überwiegt. Grund für den Wegfall
der Geschäftsgrundlage ist die eingetretene Zerrüttung, die ein Festhalten an
dem Vertrag unzumutbar macht.

2. Der Übertragende kann in diesem Fall die Rechte aus § 313 BGB geltend
machen, es sei denn, die Zerrüttung ist eindeutig ihm allein anzulasten.

a) Es ist anerkannt, dass sich die betroffene Partei auf den Wegfall der
Geschäftsgrundlage nach Treu und Glauben nicht berufen kann, wenn sie nicht
schutzwürdig ist (vgl. MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl., § 313 Rn. 75; Palandt/
Grüneberg, BGB, 80. Aufl., § 313 Rn. 22, jeweils mit Rechtsprechungsnachweisen).

Dafür reicht es bei einem Übertragungsvertrag mit Pflegeverpflichtung jedoch
nicht aus, dass der Übertragende überhaupt zu dem Zerwürfnis beigetragen
hat oder dass dieses ihm in stärkerem Maße zurechenbar ist als dem Übernehmenden.

Weil typischerweise beide Vertragsparteien mit ihrem Verhalten zu der
Zerrüttung des Verhältnisses beitragen und ein eindeutiger Schwerpunkt der Verursachung
hierfür auch durch eine Beweisaufnahme regelmäßig nicht bestimmt
werden kann, ist dem Übertragenden das Festhalten an dem Vertrag trotz der
Zerrüttung nur dann zumutbar, wenn feststeht, dass ihm diese ausnahmsweise
allein anzulasten ist.

b) Für diesen Ausnamefall ist die Beklagte darlegungs- und beweispflichtig.

Für die Umstände, auf die die Anwendung der Regeln über den Wegfall der
Geschäftsgrundlage gestützt werden soll, trägt zwar derjenige die Darlegungsund
Beweislast, der sich darauf beruft (vgl. Senat, Urteil vom 8. November 2002
- V ZR 398/01, NJW 2003, 510). Steht bei einem Grundstücksübertragungsvertrag
mit Pflegevereinbarung aber fest, dass das Verhältnis der Beteiligten zerrüttet
ist, muss der Übernehmende die für ihn günstige Tatsache darlegen und beweisen,
dass der Übertragende sich ausnahmsweise nicht auf den Wegfall der
Geschäftsgrundlage berufen kann (zur Beweislast bei § 323 Abs. 6 BGB vgl.
MüKoBGB/Ernst, 8. Aufl., § 323 Rn. 293; Staudinger/Schwarze, BGB [2020],
§ 323 Rn. E 9).

3. Sollten danach die Voraussetzungen für den Wegfall der Geschäftsgrundlage
gegeben sein, hat das Berufungsgericht - auf der Grundlage des gegebenenfalls
noch zu ergänzenden Sachvortrags der Parteien - zu prüfen, ob der
Kläger die Auflösung des Vertrags verlangen kann, weil ihm die vorrangige Vertragsanpassung
nicht möglich oder ihm bzw. der Beklagten nicht zumutbar ist
(§ 313 Abs. 3 Satz 1 BGB). Als eine solche vorrangige Vertragsanpassung
könnte eine Zahlung in Geld durch die Beklagte anstelle der Sach- und Dienstleistungen
in Betracht kommen, entweder in Form einer Rentenzahlung, wenn
sie gesichert ist (vgl. Senat, Urteil vom 20. März 1981 - V ZR 152/79, WM 1981,
657; Urteil vom 23. September 1994 - V ZR 113/93, NJW-RR 1995, 77, 78; Urteil
vom 1. Februar 2002 - V ZR 61/01, NJW-RR 2002, 853, 854; zur Sicherung einer
Leibrente durch Reallast vgl. BayObLG, DNotZ 1980, 94, 95), oder in Form eines
Kapitalbetrags, was die Zahlung eines „nachträglichen Kaufpreises“ bedeuten
würde. Dabei wäre gegebenenfalls zu berücksichtigen, ob, was in der mündlichen
Revisionsverhandlung zur Sprache gekommen ist, auch das Wohnrecht
des Klägers durch eine Geldzahlung abgegolten werden müsste, weil das Verhältnis
zwischen den Parteien derart zerrüttet sein könnte, dass es ihm nicht
mehr zumutbar ist, mit der Beklagten unter einem Dach zusammenzuleben.

Sollte eine Vertragsanpassung in Form von Geldleistungen nicht möglich
bzw. dem Kläger wegen der finanziellen Verhältnisse der Beklagten nicht zumutbar
sein, könnte er die Rückübertragung des zugewendeten Eigentums an dem
Hausgrundstück von der Beklagten verlangen (§ 313 Abs. 3 BGB; vgl. auch Senat,
Urteil vom 23. September 1994 - V ZR 113/93, NJW-RR 1995, 77, 78 mwN).

Das bedeutete nicht die Entstehung eines Rückgewährschuldverhältnisses nach
§ 346 BGB (§ 313 Abs. 3 Satz 1 BGB), sondern, weil der Vertrag wegen der
Pflegeverpflichtung Elemente eines Dauerschuldverhältnisses enthält (§ 313
Abs. 3 Satz 2 BGB), die Auflösung des Vertrags mit Wirkung ex nunc mit der
Folge, dass die Beklagte das Grundstück zurückzuübertragen hätte und von ihrer
Pflegeverpflichtung befreit würde (vgl. Senat, Urteil vom 23. September 1994
- V ZR 113/93, aaO).

Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass nur die Auflösung des Vertrags
in Betracht kommt, weil die vorrangige Anpassung nicht möglich ist, trägt
der Kläger (vgl. BeckOGK/Martens, BGB [1.4.2021], § 313 Rn. 162).

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

09.07.2021

Aktenzeichen:

V ZR 30/20

Rechtsgebiete:

Allgemeines Schuldrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

BGB § 313