FG Hessen 22. Oktober 2020
5 K 35/20
GrEStG § 16 Abs. 1 Nr. 1

Verwertbare Rechtsposition aus dem Kaufvertrag trotz Vertragsaufhebung

letzte Aktualisierung: 6.8.2021
FG Hessen, Urt. v. 22.10.2020 – 5 K 35/20

GrEStG § 16 Abs. 1 Nr. 1
Verwertbare Rechtsposition aus dem Kaufvertrag trotz Vertragsaufhebung

Kann die Löschung einer Auflassungsvormerkung, deren Löschung bei Vertragsaufhebung bewilligt
wurde, erst nach Rückzahlung des Kaufpreises beim Grundbuchamt beantragt werden, besteht
weiterhin eine verwertbare Rechtsposition des Erwerbes aus dem ursprünglichen Kaufvertrag.

Entscheidungsgründe

Die Klage war unbegründet.

1.
Der Beklagte war nicht verpflichtet, die Grunderwerbsteuerfestsetzung vom 25.08.2016 aufzuheben.

a.)
Nach der im Streitfall in Betracht kommenden Vorschrift des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG wird eine Steuerfestsetzung auf Antrag aufgehoben, wenn ein Erwerbsvorgang vor dem Übergang des Eigentums am Grundstück auf den Erwerber durch Vereinbarung der Vertragspartner innerhalb von zwei Jahren – wie im Streitfall gewahrt – seit der Entstehung der Steuer rückgängig gemacht wird.

aa)
„Rückgängig gemacht“ ist ein Erwerbsvorgang, wenn über die zivilrechtliche Aufhebung des den Steuertatbestand erfüllenden Rechtsgeschäfts hinaus die Vertragspartner sich derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen haben, dass die Möglichkeit zur Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. BFH, Urteile vom 5. September 2013 II R 16/12, BStBl II 2014, 42; vom 6. Oktober 2010 II R 31/09, BFH/NV 2011, 306, und vom 28. März 2012 II R 42/11, BFH/NV 2012, 1486; jeweils m.w.N. zur BFH-Rechtsprechung).

bb)
Die tatsächliche und vollständige Rückgängigmachung i.S. des § 16 Abs. 1 GrEStG setzt voraus, dass die Vertragsparteien sämtliche Wirkungen aus dem Erwerbsvorgang aufheben und sich so stellen, als wäre dieser nicht zustande gekommen. Dies erfordert grundsätzlich die Löschung einer zugunsten des Ersterwerbers eingetragenen Auflassungsvormerkung. Denn eine Auflassungsvormerkung beeinträchtigt die Verkehrsfähigkeit eines Grundstücks unabhängig vom Fortbestand des zivilrechtlichen Übereignungsanspruchs (BFH-Urteil vom 1. Juli 2008 II R 36/07, BStBl II 2008, 882). Die Beeinträchtigung der Verkehrsfähigkeit entfällt aber bereits dann, wenn der Erwerber des Grundstücks dem Veräußerer eine Löschungsbewilligung in grundbuchrechtlich gebotener Form erteilt hat und der Veräußerer über diese frei und ohne Einflussnahme seitens des Erwerbers verfügen kann, da der Erwerber dann keine Rechtsposition mehr hat, die es ihm ermöglichte, auf die nachfolgende Veräußerung des Grundstücks einzuwirken (vgl. BFH, ebenda). Eine solche Löschungsbewilligung wurde auch im Streitfall im Aufhebungsvertrag vom 08.06.2017 seitens der Klägerin unter § 3 zwar erteilt. Die Veräußerin konnte über diese aber noch nicht frei und ohne Einflussnahme seitens der Klägerin verfügen. Denn soweit unter § 6 vereinbart wurde, dass die Notarin beauftragt wird, den Aufhebungsvertrag dem Grundbuchamt (erst) vorzulegen, sobald ihr die Rückzahlung des Kaufpreises vom Käufer (der Klägerin) bzw. der Kreissparkasse L nachgewiesen ist, führte dies dazu, dass die Verkäuferin noch nicht frei über die Löschungsbewilligung verfügen und noch nicht die Löschung der Vormerkung beim Grundbuchamt beantragen konnte. Auch wenn für die Verkäuferin das Gebrauch machen von der Löschungsbewilligung betreffend die Auflassungsvormerkung von der Rückzahlung des Kaufpreises abhängig war und es ihr allein oblag den Kaufpreis zurückzuzahlen und so von der bereits grundbuchrechtlich formwirksam erteilten Löschungsbewilligung auch beim Grundbuchamt mit Löschungsantrag (über die Notarin) Gebrauch zu machen, stellt dies doch keine freie Verfügungsmöglichkeit dar. Auch wenn die Vormerkung mangels Fortbestandes des zivilrechtlichen Übereignungsanspruchs lediglich noch einen Sicherungszweck für die Rückzahlung des Kaufpreises darstellte, so hinderte sie doch eine anderweitige Eigentumsumschreibung, solange sie im Grundbuch eingetragen war. Dies stellt sich als eine aus dem ursprünglichen Kaufvertrag verbliebene Rechtsposition der Klägerin dar, die erst mit der Beantragung der Löschung im Grundbuch im Januar 2018 nach im Dezember 2017 erfolgter Kaufpreisrückzahlung entfallen ist. Eine dem Ersterwerber verbliebene Rechtsposition kann auch unabhängig von dem zivilrechtlich beseitigten Anspruch auf Grundstücksübereignung bestehen geblieben sein, so etwa im Zusammenhang mit einer fehlenden vollständigen Rückabwicklung des Rechtsgeschäfts mangels Löschung einer Auflassungsvormerkung zugunsten des Ersterwerbers (vgl. BFH, Urteil vom 21. Februar 2006 II R 60/04, BFH/NV 2006, 1700). Insoweit bestand bis zur Löschungsbeantragung der Vormerkung bzw. zumindest bis zur Kaufpreisrückzahlung seitens der Klägerin aus dem ursprünglichen Kaufvertrag trotz Untergangs ihres Übereignungsanspruchs noch eine rechtlich gesicherte Möglichkeit der Einflussnahme auf die Auswahl eines etwaigen neuen Käufers, auch wenn sich der Streitfall insoweit maßgeblich von demjenigen Sachverhalt unterscheidet, der dem BFH-Beschluss vom 17. Mai 2000 II B 135/99 (BFH/NV 2001, 204) zugrunde lag, wo die Löschungsbewilligung noch nicht erteilt worden war, sondern erst nach Prüfung der Zweiterwerberverträge erteilt wurde.

Somit besaß die Klägerin im Zeitpunkt des Zweiterwerbs der Grundstücke durch Herrn G bzw. Herrn H am 29.06.2017 wegen der im Grundbuch eingetragenen Auflassungsvormerkung trotz des Aufhebungsvertrages und der erteilten Löschungsbewilligung betreffend der Auflassungsvormerkung noch eine aus dem ursprünglichen Kaufvertrag resultierende, im eigenen wirtschaftlichen Interesse verwertbare Rechtsposition, da sie auf die Gebrauch-machung von der Löschungsbewilligung durch den Verkäufer hinsichtlich der Wahl eines etwaigen Zweiterwerbers noch einen rechtspositionsbedingten Einfluss hatte. Der Senat verkennt dabei nicht, dass es der Verkäuferin rechtlich durchaus möglich gewesen wäre, die Grundstücke auch anderweitig – womöglich zu einem besseren Preis – wieder an fremde Dritte zu veräußern. Dies lässt aber zur Überzeugung des Senats die durch die Vormerkung vermittelte Möglichkeit der Einflussnahme nicht entfallen.

cc)
Wird im Zusammenhang mit der Aufhebung eines Kaufvertrags über ein Grundstück dieses weiterveräußert, ist für die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG zudem entscheidend, ob für den früheren Erwerber trotz der Vertragsaufhebung die Möglichkeit der Verwertung einer aus dem „rückgängig gemachten“ Erwerbsvorgang herzuleitenden Rechtsposition verblieben und der Verkäufer demzufolge nicht aus seinen Bindungen entlassen war (BFH-Urteile in BFH/NV 2012, 1486 und in BStBl II 2014, 42). Allerdings steht allein die tatsächliche Möglichkeit des Ersterwerbers, Einfluss auf die Weiterveräußerung zu nehmen, einer Rückgängigmachung i.S. des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG aber nicht entgegen. Vielmehr muss er von dieser Möglichkeit auch tatsächlich Gebrauch gemacht und die ihm aus dem vorangegangenen Erwerbsvorgang verbliebene Rechtsposition im eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet haben (BFH-Urteil vom 25. April 2007 II R 18/05, BStBl II 2007, 726).

Eine Verwertung in diesem Sinne liegt aber nur vor, wenn die Einflussnahme des Ersterwerbers auf die Weiterveräußerung Ausfluss der ihm verbliebenen Rechtsposition ist. Übt der Ersterwerber bei der erneuten Veräußerung eine ihm aus dem Erwerbsvorgang verbliebene Rechtsposition tatsächlich nicht aus (so bei der Benennung eines Ersatzkäufers allein aufgrund des Verlangens des Verkäufers, wenn sich das eigene wirtschaftliche Interesse des Ersterwerbers in der Abwendung möglicher Schadensersatzforderungen erschöpft, vgl. BFH-Urteile vom 4. Dezember 1985 II R 171/84, BStBl II 1986, 271 und vom 6. Oktober 2010 II R 31/09, BFH/NV 2011, 430) oder handelt der Ersterwerber insoweit im ausschließlichen Interesse eines Dritten, steht dies einer Rückgängigmachung nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG nicht entgegen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 202, 383, BStBl II 2003, 770). Handelt der Ersterwerber dagegen bei der Verwertung seiner Rechtsposition auch im eigenen Interesse, also nicht ausschließlich im Interesse eines anderen, so sind die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG nicht erfüllt. In diesem Fall sind die Interessen Dritter an der Weiterveräußerung unbeachtlich.

Hierbei kommt jedes denkbare wirtschaftliche Interesse des ursprünglichen Erwerbers in Betracht, z.B. auch, dass er das Grundstück einem ihm genehmen anderen Käufer zukommen lassen will. Den Ersterwerber als Steuerschuldner trifft hier eine erhöhte Pflicht zur Mitwirkung an der Aufklärung des Sachverhalts; er trägt auch die Feststellungslast (objektive Beweislast) dafür, dass die tatsächlichen Voraussetzungen der von ihm begehrten Nichtfestsetzung der Steuer oder Aufhebung der Steuerfestsetzung nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG erfüllt sind (BFH-Urteil in BStBl II 2014, 42, m.w.N.).

b.)
Im Streitfall hatte die Klägerin – wie oben ausgeführt – im Hinblick auf die Auflassungsvormerkung bei Abschluss der Zweiterwerberverträge am 29.06.2017 noch die rechtliche Möglichkeit, Einfluss auf die Weiterveräußerung der Immobilie an ihre beiden alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer zu nehmen. Diese wurde dabei auch im eigenwirtschaftlichen Interesse der Klägerin verwertet.

Ist Ersterwerber eine Kapitalgesellschaft, so muss sich diese für die Beurteilung der Frage, ob eine ausschließliche Verfolgung der Interessen Dritter vorliegt, die einer Rückgängigmachung nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG nicht entgegensteht, die Interessen derjenigen Person zurechnen lassen, die bei der Ausübung der Rechtsposition der Kapitalgesellschaft aus dem ursprünglichen Kaufvertrag gehandelt hat. Der Kapitalgesellschaft zuzurechnen sind auch die (wirtschaftlichen) Interessen des Alleingesellschafters, und zwar unabhängig davon, ob es sich hierbei um eine natürliche oder um eine juristische Person handelt. Denn der Alleingesellschafter kann maßgeblich Einfluss auf die Angelegenheiten der Kapitalgesellschaft nehmen (BFH, Urteil vom 25. August 2010 II R 35/08, BFH/NV 2010, 2301). Eine Verwertung einer Rechtsposition im eigenen wirtschaftlichen Interesse liegt auch dann vor, wenn die Ersterwerberin eine Kapitalgesellschaft ist und bei der Aufhebung des ursprünglichen Erwerbsvorgangs eine Verwertung im Interesse des die Kapitalgesellschaft bei der Aufhebung vertretenden Organs erfolgt (vgl. Loose in Boruttau, GrEStG, 19. Aufl., § 16, Rdnr.68; BFH, Urteil vom 21. Februar 2006 II R 60/04, BFH/NV 2006, 1700). So liegt es auch im Streitfall, da die Klägerin bei der Aufhebung des Grundstückskaufvertrages von ihren beiden alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführern vertreten wurde, die hernach jeweils am 29.06.2017 als Zweiterwerber – wenn auch jeweils nur für einen Teil der Grundstücke – auftraten.

Auch ergab sich aus dem Sachvortrag der Klägerin, dass beim Zweiterwerb auch eigene wirtschaftliche Interessen der Klägerin verfolgt wurden. Die von der Klägerin dargelegten Beweggründe für die Aufhebung des Kaufvertrages, nämlich der gesellschaftsinternen Streitigkeiten hinsichtlich der Finanzierung des geplanten Projektes, stellen sich angesichts des relativ zeitnah erfolgten Kaufes der Grundstücke durch zwei maßgeblich mittelbar beteiligte Gesellschafter und zugleich Geschäftsführer der Klägerin zu dem insgesamt gleichen Kaufpreis zur Überzeugung des Senats als eine – nicht zwingend in allen Punkten inhaltsgleiche – Fortführung des Vorhabens durch die maßgeblichen Gesellschafter dar. Ebenso diente der Zweiterwerb ersichtlich auch dazu, im eigenwirtschaftlichen Interesse der Klägerin den Kaufpreis zurückzuerlangen, wozu die Veräußerin trotz Anmahnungen ersichtlich nicht in der Lage war.

Mithin lagen im Streitfall die Voraussetzungen für eine Rückgängigmachung im Sinne des § 16 Abs.1 Nr.1 GrEStG nicht vor, so dass die Klage abzuweisen war.

c.)
Da das Grunderwerbsteuerrecht als Verkehrssteuer konzeptionell zulässig grundsätzlich jeden rechtsgeschäftlichen Erwerbsvorgang über ein Grundstück der Besteuerung unterwirft, wird durch die bestehenbleibende Besteuerung eines nicht restlos auch tatsächlich rückabgewickelten Grundstückserwerbsgeschäfts auch der Grundsatz der Steuergerechtigkeit nicht tangiert. Dass es zu einer Steuerschuld ohne Rechtsträgerwechsel kommen kann, entspricht der Sachgesetzlichkeit des GrEStG (vgl. auch BFH-Urteil vom 18. November 2009 II R 11/08, BStBl II 2010, 498, unter II.7.; Urteil vom 28. März 2012 II R 42/11, BFH/NV 2012, 1486).

2.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs.1 der Finanzgerichtsordnung

-FGO-.

3.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, § 115 Abs.2 Nr.1 FGO.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

FG Hessen

Erscheinungsdatum:

22.10.2020

Aktenzeichen:

5 K 35/20

Rechtsgebiete:

Grunderwerbsteuer

Normen in Titel:

GrEStG § 16 Abs. 1 Nr. 1