Zuständigkeit zur Erteilung eines Erbscheins; Unrichtigkeit des Erbscheins bei Erteilung durch unzuständiges Rechtspflegeorgan; funktionale Zuständigkeit des Richters bei Inbetrachtkommen der Anwendbarkeit ausländischen Rechts
letzte Aktualisierung: 21.11.2024
OLG Hamm, Urt. v. 18.7.2024 – 10 W 12/24
Zuständigkeit zur Erteilung eines Erbscheins; Unrichtigkeit des Erbscheins bei Erteilung
durch unzuständiges Rechtspflegeorgan; funktionale Zuständigkeit des Richters bei
Inbetrachtkommen der Anwendbarkeit ausländischen Rechts
Ein Erbschein ist grundsätzlich im Sinn des § 2361 Abs. 1 Satz 1 BGB unrichtig, wenn er von einem
unzuständigen Rechtspflegeorgan (Rechtspfleger statt Richter) erteilt worden ist.
Der Richter ist anstelle des Rechtspflegers funktional zuständig, wenn die Anwendung ausländischen
Rechts, wenn auch nur bezüglich der Vorfragen (z. B. eheliches Güterrecht), in Betracht kommt.
Hat der Rechtspfleger ein ihm weder übertragenes noch übertragbares Geschäft wahrgenommen, so
ist das Geschäft unwirksam.
Gründe:
I.
Gegenstand des Verfahrens ist die Einziehung eines am 14.12.2021 erteilten Erbscheins.
Der Beteiligte zu 1) war der Ehemann, die Beteiligten zu 2) und 3) die Brüder und die
übrigen Beteiligten Neffen und Nichten der Erblasserin. Die Beteiligten zu 1) – 3)
beantragten zunächst die Erteilung eines Erbscheins aufgrund gesetzlicher Erbfolge, der
für den Beteiligten zu 1) eine Erbquote von ¾, für die Beteiligten zu 2) und 3) eine
Erbquote von jeweils 1/16 und für die übrigen Beteiligten Erbquoten von jeweils 1/48 Anteil
ausweisen sollte.
Nachdem der Rechtspfleger durch Verfügung vom 04.11.2021 darauf hingewiesen hatte,
dass bei der in Jamaika geschlossenen Ehe zwischen der Erblasserin und dem aus
Jamaika stammenden Beteiligten zu 1) nicht ersichtlich sei, dass das deutsche Güterrecht
Anwendung finde, stellte der Beteiligte zu 2) am 06.12.2021 einen abgeänderten
Erbscheinsantrag. Der daraufhin am 14.12.2021 antragsgemäß von dem Rechtspfleger
erlassene Erbschein weist den Beteiligten zu 1) als Miterben der Erblasserin zu ½, die
Beteiligten zu 2) und 3) als Mitererben zu je 1/8 und die Beteiligten zu 4) – 9) als Miterben
zu je 1/24 Anteil aus.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 04.04.2023 regte der Beteiligte zu 1) die Einziehung des
Erbscheins an und trug zur Begründung vor, der Erbschein sei unrichtig, weil seine
Erbquote nicht ½, sondern ¾ betrage. Obwohl seine Ehe mit der Erblasserin in Jamaika
geschlossen worden sei, gelte das deutsche Ehestatut. Danach hätten die Eheleute im
gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt, so dass §§ 1931 Abs. 3, 1371
Abs. 1 BGB anzuwenden seien.
Dem sind die übrigen Beteiligten entgegengetreten und haben vorgetragen, es habe kein
gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt der Eheleute in Deutschland gegeben. Es sei
deshalb an den Ort der Eheschließung, mithin Jamaika, anzuknüpfen.
Durch den angefochtenen Beschluss ist die Einziehung des Erbscheins abgelehnt worden.
Zur Begründung hat der Rechtspfleger ausgeführt, der Erbschein sei nicht unrichtig, da die
richtige Erbquote des Erblassers ausgewiesen sei. Das deutsche Ehegüterrecht sei nicht
anwendbar, da der Ort der Eheschließung maßgeblich sei. Wegen der weiteren
Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 29.09.2023 Bezug genommen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 1), die damit begründet wird,
dass in dem Verfahren auf Erteilung des Erbscheins ein gravierender Verfahrensfehler
unterlaufen sei. Der Erbschein sei von dem funktionell unzuständigen Rechtspfleger erteilt
worden. Gemäß § 16 Abs. 1 Ziff. 6 RPflG sei der Richter funktional zuständig gewesen, da
ausländisches Recht zur Anwendung gekommen sei. Es sei der jamaikanische Marriage
Act maßgeblich gewesen. Im Übrigen trägt der Beteiligte zu 1) unter Bezugnahme auf sein
bisheriges Vorbringen vor, dass der Erbschein unrichtig sei, weil die Eheleute die Absicht
gehabt hätten, in Deutschland einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt zu
begründen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Verfahrensstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache durch Beschluss
vom 17.01.2024 dem Oberlandesgericht Hamm zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die gegen die Ablehnung der Einziehung des Erbscheins gerichtete, nach §§ 342 Abs. Nr.
6, 58 FamFG statthafte und gemäß
Beschwerde des Beteiligten zu 1) hat in der Sache Erfolg. Dies führt zu der Anweisung des
ausschließlich dafür zuständigen Amtsgerichts, den Erbschein vom 14.12.2021
einzuziehen.
Ein erteilter Erbschein ist gemäß
Unrichtigkeit des Erbscheins kann sich aus formellen oder materiellen Aspekten ergeben.
Beruht der Erbschein auf erheblichen Verfahrensverstößen im
Erbscheinerteilungsverfahren, ist er formell rechtsunwirksam und deshalb einzuziehen. Die
Vorschrift des
gebietet es, dass ein Erbschein, der unter Verstoß gegen elementare Verfahrensregeln
erlassen wurde, von Amts wegen wieder aus dem Rechtsverkehr gezogen
wird (Mayr in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPKBGB,
10. Aufl.,
Ein einziehungsrelevanter Verfahrensverstoß folgt hier daraus, dass der Rechtspfleger den
Erbschein erteilt hat. Ein Erbschein ist grundsätzlich im Sinn des § 2361 Abs. 1 Satz 1
BGB unrichtig, wenn er von einem unzuständigen Rechtspflegeorgan (Rechtspfleger statt
Richter) erteilt worden ist (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 28. April
1997 – 1Z BR 86/97 –, juris m.w.Nw.).
Der Rechtspfleger war hier für die Erteilung des Erbscheins nicht zuständig. Zwar sind
dem Rechtspfleger gemäß § 3 Nr. 2 c) RPflG auch die Nachlasssachen nach § 342 Abs. 1,
2 Nr. 2 FamFG übertragen, wozu gemäß § 342 Abs. 1 Nr. 6 auch die Erteilung von
Erbscheinen gehört. Diese Übertragung erfolgt jedoch gemäß
der in den §§ 14 bis 19 b des RPflG aufgeführten Ausnahmen. Hier greift der
Richtervorbehalt gemäß
Rechtspflegers u.a. dann funktional zuständig, wenn die Anwendung ausländischen
Rechts in Betracht kommt.
Wie schon aus dem angefochtenen Beschluss hervorgeht, ist das hier der Fall. Zwar
richtet sich die Erbfolge im vorliegenden Fall aufgrund des Art. 21 Abs. 1 EuErbVO nach
deutschem Recht, weil die Erblasserin in Deutschland im Zeitpunkt ihres Todes ihren
gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Im Rahmen der Feststellung der gesetzlichen Erbfolge und
der Erbquoten der Beteiligten kommt bezüglich des Güterrechts der im Jahr 2010 in
Jamaika geschlossenen Ehe die Anwendung ausländischen Erbrechts in Betracht, denn
dem Anwendungsbereich der Verordnung aus. Die Kollisionsnormen der EuGüVO finden
gemäß § 69 Abs. 3 EuGüVO auf die vor dem 29.01.2019 geschlossene Ehe der
Erblasserin und des Beteiligten zu 1) indessen keine Anwendung, so dass die
bestehenden Abgrenzungsfragen zwischen Erb- und Güterstatut unter Zugrundlegung der
Art. 14, 15 EGBGB a.F. gelöst werden müssen. Danach bestimmt sich das eheliche
Güterrecht vorbehaltlich einer Rück- oder Weiterverweisung nach objektiven
Anknüpfungspunkten, in erster Linie der Staatsangehörigkeit, ersatzweise dem
gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten bzw. die Verbundenheit der Ehegatten zu einem
Staat.
Wie der Rechtspfleger in dem angefochtenen Beschluss nachvollziehbar ausgeführt hat,
kommt danach in Betracht, dass sich das eheliche Güterrecht nach dem jamaikanischen
Marriage Act, mithin ausländischem Recht, richtet.
Da
ausländischem Recht differenziert, eine solche Differenzierung aber auch dem Sinn
und Zweck der Vorschrift widersprechen würde, weil die mit der Anwendung ausländischen
Rechts verbundenen Schwierigkeiten, die für die funktionelle Zuständigkeit des Richters
sprechen, in der Regel auch dann auftreten, wenn nur bezüglich der Vorfragen
ausländisches Recht in Betracht bzw. zur Anwendung kommt, greift der Richtervorbehalt
ein, so dass die Zuständigkeit des Rechtspflegers nach § 3 Nr. 2 c) RPflG entfällt (OLG
Köln, Beschluss vom 18. Mai 2020 – I-2 Wx 89/20 –, juris; Rellermeyer in: Arnold/Meyer-
Stolte/Rellermeyer/Hintzen/Georg, Rechtspflegergesetz, § 16 Rn. 33).
Im vorliegenden Fall greift auch die Regelung des § 1 Abs. 1 der Verordnung zur
Aufhebung von Richtervorbehalten und zur Übertragung von Aufgaben des
Rechtspflegerdienstes auf die Urkundsbeamtinnen und Urkundsbeamten der
Geschäftsstelle NRW vom 25. November 2021 (RichtVorAufhebV NW) in Verbindung mit §
19 Abs. 1 Nr. 5 RPflG nicht ein, denn nach § 1 Abs. 2 dieser Verordnung ist der
Richtervorbehalt erst für Verfahren, die nach dem 31.12.2021 anhängig geworden sind,
also nicht für das hier am 28.10.2021 eingeleitete Erbscheinverfahren, aufgehoben
worden.
Die Erteilung des Erbscheins war auch nicht auf den Rechtspfleger übertragbar, so dass
hier nicht die Ausnahme von der Unwirksamkeit der Erbscheinerteilung gemäß
§ 8 Abs. 4 S. 1 RPflG eingreift. Geschäfte, die der Richter nach dem RPflG auf den
Rechtspfleger übertragen kann, sind auch dann wirksam, wenn sie der Rechtspfleger
wahrgenommen hat, obwohl eine richterliche Übertragungsverfügung nicht vorlag oder
eine solche Verfügung zwar vorlag, aber ihre Voraussetzungen nicht gegeben
waren (Hintzen in: Arnold/Meyer-Stolte/Rellermeyer/Hintzen/Georg,
Rechtspflegergesetz, § 8 Rn. 13).
Die Voraussetzungen für eine Übertragung lagen jedoch nicht vor. Zwar kann der Richter
gemäß § 16 Abs. 3 Nr. 1 RPflG dem Rechtspfleger die Erteilung eines Erbscheins
übertragen. Voraussetzung ist dafür jedoch, dass trotz Vorliegens einer Verfügung von
Todes wegen die gesetzliche Erbfolge maßgeblich ist und deutsches Erbrecht
anzuwenden ist. Die Möglichkeit der Übertragung scheidet daher bereits dann schon aus,
wenn es – wie hier - an einer Verfügung von Todes wegen fehlt (OLG Köln, Beschluss vom
18. Mai 2020 – I-2 Wx 89/20 –, juris). Hat aber der Rechtspfleger ein ihm weder
übertragenes noch übertragbares Geschäft wahrgenommen, so ist das Geschäft
unwirksam,
Dezember 2019 – 3 W 129/19 –, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14. Dezember 2018
– 209 AR 12/18
–, juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. März 2018 – III-2 Ws 94/18 –, juris; OLG
Frankfurt, Beschluss vom 4. September 2013 – 5 WF 205/13 –, juris; Hintzen
in: Arnold/Meyer-Stolte/Rellermeyer/Hintzen/Georg, Rechtspflegergesetz, § 8 Rn.
16). In diesem Fall muss der von ihm erteilte Erbschein
- ohne Rücksicht auf dessen sachliche Richtigkeit - eingezogen werden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf
Grundsätzen billigen Ermessens vorliegend am besten, wenn für das
Einziehungsverfahren keine Gerichtskosten erhoben werden und wenn jeder Beteiligte
seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt.
Da Gerichtskosten nicht erhoben werden, ist eine Wertfestsetzung nicht veranlasst.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 FamFG
liegen nicht vor.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Hamm
Erscheinungsdatum:18.07.2024
Aktenzeichen:10 W 12/24
Rechtsgebiete:
Eheliches Güterrecht
Gesetzliche Erbfolge
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Nachlaßabwicklung (insbes. Erbschein, Nachlaßinventar)
FGPrax 2024, 232-233
Normen in Titel:BGB § 2361; RPflG §§ 8 Abs. 4, 16 Abs. 1