OLG Frankfurt a. Main 21. Dezember 2023
21 W 91/23
GG Art. 14; BGB § 134; BO-Ä § 32

Wirksamkeit eines Testaments zugunsten des Hausarztes

letzte Aktualisierung: 25.3.2024
OLG Frankfurt, Beschl. v. 21.12.2023 – 21 W 91/23

GG Art. 14; BGB § 134; BO-Ä § 32
Wirksamkeit eines Testaments zugunsten des Hausarztes

1. Ein Verstoß gegen § 32 BO-Ä führt nicht zur Nichtigkeit eines Testaments zugunsten des
behandelnden Arztes.
2. Zwar stellen die Regelungen in den §§ 30 ff. der Berufsordnungen der Ärztekammern
Verbotsgesetze i. S. d. § 134 BGB dar. Ein Verstoß des Arztes führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit
einer offenen Testierung eines Dritten, da dies eine unverhältnismäßige Einschränkung einer
Testierfreiheit begründen würde.

Gründe

I.
Die Erblasserin war verwitwet und kinderlos. Die einzige Schwester der Erblasserin verstarb
im November 2016. Bei den Beteiligten zu 1) und 4) handelt es sich um Cousins der Erblasserin,
die Beteiligte zu 6) ist die Ehefrau des Beteiligten zu 1). Der Beteiligte zu 2) war seit
1997 der Hausarzt der Erblasserin. Diese hatte dem Beteiligten zu 2) im Jahr 2017 eine Betreuungsverfügung
und Vorsorgevollmacht erteilt (Bl. 251 R d.A.). Der Beteiligte zu 3) ist ein
Nachbar der Erblasserin, dessen Tochter die Erblasserin pflegerisch unterstützt hatte. Die Beteiligte
zu 5) ist eine Freundin der Erblasserin, die sich in den letzten Monaten um die Erblasserin
gekümmert hatte.

Die Erblasserin hatte verschiedene handschriftliche Testamente errichtet.

Ein mit ihrem vorverstorbenen Ehemann errichtetes gemeinschaftliches Testament vom
20.05.2011 enthielt keine Regelungen für den Tod des Längstlebenden (Bl. 17 d. Beiakte)
Nach dem Tod ihrer noch im Testament vom 08.12.2014 (Bl. 177 d.A.) als Erbin vorgesehenen
Schwester hatte die Erblasserin mit Testament vom 30.06.2017 u.a. die Beteiligten zu
1), 4) und 6) in Höhe von 20 % und den Beteiligten zu 2) in Höhe von 10 % als Erben berücksichtigt.
Wegen der Verfügungen im Einzelnen wird auf das Testament (Bl. 41,112 d.A.)
Bezug genommen, welches nur noch in Kopie vorliegt und nicht eröffnet wurde (Bl. 113 R
d.A.).

Ein in Kopie vorliegendes Testaments vom 09.09.2018 enthielt Verfügungen zugunsten von 5
Miterben zu jeweils 20 %, darunter die Beteiligten zu 1), 2), 4) und 6) (Bl. 168, 321 d.A.).
Ein privatschriftliches Testament vom 31.07.2019 wurde am 12.10.2021 aus der amtlichen
Verwahrung genommen (Bl. 7,8 d.A.) und liegt noch in Kopie vor (Bl. 169 d.A.). Darin waren
die Beteiligten zu 1) und 4) als Miterben zu 30 % sowie die Beteiligten zu 2) und 5) als Miterben
zu 20 % vorgesehen.

In dem den Gegenstand des nunmehrigen Beschwerdeverfahrens bildenden Testament vom
20.09.2021 hatte die Erblasserin die Beteiligten zu 1) bis 5) jeweils zu Erben in Höhe von 20
% eingesetzt. Auf dem Testament hatte der Beteiligte zu 2) bestätigt, dass die Erblasserin
das Testament im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte angefertigt hat (Bl. 60 d.A.). Dieses Testament
hatte die Erblasserin in amtliche Verwahrung gegeben (Bl. 4, 61 d.A.) und es wurde am
04.10.2022 eröffnet (Bl. 59 d.A.). Der Beteiligte zu 1) war im Besitz einer weiteren Version
des Testaments vom 20.09.2021 ohne den Bestätigungsvermerk und einer Korrektur des Datums,
welches in Kopie vorliegt (Bl. 40 d.A.).

Desweiteren hatte die Erblasserin am 16.07.2018 dem Beteiligten zu 2) mit der Bezeichnung
als Betreuer eine Vollmacht über ihr Barvermögen erteilt und Anordnungen für die Verteilung
verbliebenen Geldes nach ihrem Tode getroffen (Bl. 153 d.A.), worauf in dem Testament vom
20.09.2021 Bezug genommen wurde.

Noch vor dem Tod der Erblasserin hatte der Beteiligte zu 5) in einer seiner Tochter übergebenen
Erklärung vom 15.07.2022 ausgeführt, auf ein Erbe nach der Erblasserin zugunsten seiner
Tochter zu verzichten (Bl. 24 d.A.).

Der Beteiligte zu 1) erklärte mit Schreiben vom 13.09.2022 (Bl. 37 d.A.) die Anfechtung des
Testaments vom 20.09.2021 und beantragte einen Erbschein über 50 %. Hierbei hat er Zweifel
an der Testierfähigkeit der Erblasserin geäußert und die Auffassung vertreten, dass Betreuer
kein Erbe antreten dürften. Die Erblasserin sei zunehmend verwirrt gewesen und habe
sich bestohlen gefühlt und Angst gehabt, vergiftet zu werden. Zudem würde es zwei Testamente
vom 20.09.2021 geben, eines mit den Zusätzen des Arztes und ohne durchgestrichenem
Tag und eines ohne Zusätze des Arztes aber mit durchgestrichenem Tag. Des Weiteren
läge hinsichtlich der Einsetzung des Beteiligten zu 2) ein Verstoß gegen § 32 der ärztlichen
Berufsordnung (BO-Ä) vor.

Sodann beantragte der Beteiligte zu 1) mit notarieller Urkunde vom 24.10.2022 (Bl. 85 ff
d.A.) die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins auf der Grundlage des Testaments
vom 30.06.2017 unter Hinweis auf seine erklärte Anfechtung des Testaments vom
20.09.2021.

Die Beteiligten zu 2), 3) und 5) beantragten ihrerseits mit notarieller Urkunde vom
06.11.2022 (Bl. 137 d.A.) die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins auf der Grundlage
des Testaments vom 20.09.2021. Der Beteiligte zu 2) hat geltend gemacht, der körperliche
und geistige Gesundheitszustand der Erblasserin sei bis März 2022 altersentsprechend
gewesen und sie habe erst nach einem Krankenhausaufenthalt im April 2022 im AKrankenhaus
abgebaut. Daraufhin sei sie in ein Altenheim zur Kurzzeitpflege gebracht worden.
Nach Erholung sei sie ihrem Wunsch entsprechend in die Wohnung zurückgekehrt, wo
die Tochter des Beteiligten zu 3) diese unter Einbeziehung eines Pflegedienstes betreut habe.
Ende Juli 2022 sei sie im Anschluss an eine Corona Erkrankung erneut in ein Pflegeheim verbracht
worden. Bei dem Termin vor der Rechtspflegerin am 12.10.2021 habe diese nach einem
Gespräch keinen Zweifel an der Testierfähigkeit gehabt.

Nach wechselseitigen Widersprüchen und einem Hinweis des Nachlassgerichts zu den Erfolgsaussichten
der Erbscheinsanträge mit Verfügung vom 12.12.2022 (Bl. 181 d.A.) hat das
Nachlassgericht mit dem angefochtenen Beschluss beide Erbscheinsanträge zurückgewiesen.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, das Testament aus dem Jahr 2017 sei
durch das Testament aus dem Jahr 2021 wirksam widerrufen worden. Hinreichend konkrete
Anhaltspunkte für eine Testierunfähigkeit der Erblasserin, die Anlass zu Ermittlungen von
Amts wegen geben würden, lägen nicht vor. Das Testament aus dem Jahr 2021 sei allerdings
teilweise unwirksam, da die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 2) gemäß § 32 Berufsordnung
der Ärzte i.V.m. §§ 17,19 Hessisches Heilberufsgesetz gegen ein gesetzliches Verbot i.S.d.
§ 134 BGB verstoßen würde. Hinsichtlich der Auslegung des § 32 der Berufsordnung der Ärzte
seien die zu § 14 HeimG entwickelten Grundsätze anzuwenden. Dem Beteiligten zu 2) sei
seine Erbeinsetzung bekannt gewesen. Die Teilunwirksamkeit führe gemäß § 2085 BGB nicht
zur Unwirksamkeit des Testaments im Übrigen, da keine Anhaltspunkte dafür vorliegen würden,
dass die Erblasserin die übrigen Verfügungen ohne die Erbeinsetzung des Beteiligten zu
2) nicht getroffen haben würde. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf den Beschluss
vom 24.05.2023 (Bl. 293 d.A.) Bezug genommen.

Gegen diesen Beschluss, der dem Beteiligten zu 2) am 12.06.2023 zugestellt worden ist (Bl.
302 d.A.), hat dieser am 12.07.2023 Beschwerde eingelegt (Bl. 308,309 ff d.A.). Er macht
geltend, es sei schon zweifelhaft, ob der Berufsordnung Gesetzesqualität i.S.d. § 134 BGB
zukomme. Keinesfalls habe er jedoch den Eindruck erweckt, dass die Unabhängigkeit der
ärztlichen Entscheidung beeinträchtigt werde. Eine Beeinflussung der Erblasserin sei nicht erfolgt,
diese sei von sich aus bei ihm mit dem Testament vorstellig geworden und habe um
Bestätigung gebeten. Er sei für die Erblasserin eine wichtige Vertrauensperson und insoweit
bereits im Testament aus dem Jahr 2018 bedacht gewesen. Dass durch den Zusatz auf dem
Testament im Jahr 2021 die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst werde,
sei daher bereits abwegig. Des Weiteren hat er die Betreuungsverfügung vom 28.11.2017
(Bl. 324 d.A.) sowie einen - verschlüsselten - Ausdruck der Patientenakte der Erblasserin
vorgelegt.

Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 24.07.2023 nicht abgeholfen,
sondern das Verfahren dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 327 d.A.). Zur
Begründung hat es ausgeführt, es komme nicht darauf an, ob es tatsächlich zu einer Beeinflussung
gekommen sei.

Der Beteiligte zu 1) ist der Beschwerde entgegengetreten. Er ist der Auffassung, diese setze
sich schon nicht mit der Entscheidung auseinander, welches zur Unzulässigkeit führe. Der Beteiligte
zu 2) habe standeswidrig gehandelt.

Nach einem Hinweis der Berichterstatterin vom 28.08.2023 zu den Erfolgsaussichten der Beschwerde
(Bl. 339 ff d.A.) hat der Beteiligte zu 2) einen unverschlüsselten Ausdruck der Patientenakte
für die Jahre 2021 und 2022 vorgelegt.

Der Beteiligte zu 1) hat die Vollständigkeit der Patientenakte wegen vorgenommener Filterungen
angezweifelt. Zudem wäre der Befund des A-Krankenhaus vom 28.01.2022 nicht vorgelegt
worden, aus dem hervorgehe, dass der Erblasserin eine häusliche Versorgung empfohlen
worden sei.

Wegen des weiteren Vorbringens im Beschwerdeverfahren wird auf die eingereichten Schriftsätze
verwiesen.

II.
Auf die zulässige Beschwerde war der Beschluss des Nachlassgerichts abzuändern.
Die Erbfolge richtet sich nach dem Testament vom 20.09.2021, so dass dem Erbscheinsantrag
der Beteiligten zu 2), 3) und 5) zu entsprechen war.

1. Die gemäß § 58 FamFG statthafte Beschwerde des Beteiligten zu 2) ist zulässig und insbesondere
fristgerecht innerhalb eines Monats nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses
beim Nachlassgericht eingegangen, § 63 FamFG. Zudem ist der Beteiligte zu 2) als Mit-
Antragsteller und Erbprätendent beschwerdebefugt (vgl. Sternal/Jokisch, FamFG, 2023, § 59
Rn 79).

2. Sie hat auch in der Sache Erfolg.
a) Das Testament vom 20.09.2021 ist von der Erblasserin wirksam errichtet worden. Es bestehen
keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung
des Testaments testierunfähig i.S.d. § 2229 BGB gewesen war.

Von einer Testierunfähigkeit ist nach § 2229 Abs. 4 BGB auszugehen, wenn der Erblasser wegen
krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung
nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung
einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Da die Störung der Geistestätigkeit die
Ausnahme bildet, ist ein Erblasser unabhängig vom Alter bis zum Beweis des Gegenteils als
testierfähig anzusehen. Daher muss die Testierunfähigkeit zur vollen Überzeugung des Gerichts
feststehen (Grüneberg/Weidlich, BGB, 82. Auflage 2023, § 2229, Rn. 11).

Konkrete Anhaltspunkte für eine Testierunfähigkeit begründen zunächst nur die Notwendigkeit
von Ermittlungen von Amts wegen und gegebenenfalls zur Einholung eines Sachverständigengutachtens,
soweit hinreichend belastbare medizinische Erkenntnisse vorliegen (Grüneberg/
Weidlich, BGB, 2023, § 2229, Rn. 12). Für die Feststellung der Testierunfähigkeit ist
auch nicht allein die Diagnose einer krankhaften Störung ausreichend, sondern es ist darüberhinausgehend
erforderlich, dass aufgrund der krankhaften Störung eine Einsichtsfähigkeit
nicht mehr gegeben ist. Insbesondere begründet die Diagnose einer Demenz als solcher
keinen Beweis für eine Testierunfähigkeit. Regelmäßig kommt auch bei einer gesicherten Diagnose
einer Demenz die Annahme einer Testierunfähigkeit erst in Betracht, wenn der Erblasser
konkrete Verhaltensauffälligkeiten aufweist, die den sicheren Schluss auf eine mangelnde
Einsichtsfähigkeit zulassen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 23.01.2018 - 20 W 4/16, juris Rn.
42; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.04.2014, 3 Wx 115/12, juris Rn. 9). Zwar kann aus
dokumentierten Befunden und Verhaltensbeobachtungen vor und nach der Testamentserrichtung
das Vorliegen einer Testierunfähigkeit bei Demenzerkrankungen im Zeitpunkt der Testamentserrichtung
abgeleitet werden. Erforderlich hierfür ist jedoch, dass mindestens für einen
Zeitpunkt vor und mindestens einen Zeitpunkt nach der fraglichen Testamentserrichtung
krankheitswertige Zustände belegt sein müssen, bei denen die Voraussetzungen für eine freie
Willensbildung nicht mehr gegeben waren (OLG Hamburg, Beschluss vom 20.02.2018 - 20 W
63/17, juris Rn. 38; Cording, ZEV 2010, 115, 120).

Gemessen an diesen Grundsätzen bestehen vorliegend schon keine hinreichend konkreten
Anhaltspunkte dafür, dass die Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung im September
2021 unter einer die Einsichtsfähigkeit beeinträchtigenden krankhaften Störung der
Geistestätigkeit i.S.d. § 2229 Abs. 4 BGB gelitten hatte. Eine entsprechende Diagnose, etwa
einer dementiellen Entwicklung, ist nicht dokumentiert. Die Erblasserin wird in den vorgelegten
ärztlichen Befundberichten jeweils als „orientiert“ beschrieben. Die zeitlich nach der Testamentserrichtung
liegenden Befunde des A-Krankenhauses vom 23.03.2022 sowie vom
11.04.2022 bieten keine konkreten Anhaltspunkte für eine etwaige Veränderung der kognitiven
Fähigkeiten der Erblasserin. Vielmehr wird in beiden Befunden ein Gespräch mit der Erblasserin
betreffend die häusliche Pflegesituation dargestellt, ohne dass in diesem Zusammenhang
Zweifel an dem Erfassen der Situation angeführt worden wären. Der Befund des Klinikums
Stadt1 vom 01.06.2022 beschreibt die Erblasserin weiterhin als „orientierte Patientin“.
Der von dem Beteiligten zu 1) vorgelegte Befund des A-Krankenhauses vom 28.01.2022 enthält
ebenfalls die Angabe „orientiert“. Der Umstand, dass der schwer herzkranken Erblasserin
eine häusliche Pflege empfohlen wurde, ist ohne weiteres nachvollziehbar und bietet keinen
Anlass für Zweifel an den geistigen Fähigkeiten der Erblasserin. Aus der Patientenakte der
Erblasserin für die Jahre 2021 und 2022 lassen sich keine Anhaltspunkte für neurologische
Defizite oder in diesem Zusammenhang veranlasste Untersuchungen entnehmen. Dabei hat
der Senat keine Zweifel daran, dass es sich bei dem Ausdruck um die vollständige Patientenakte
handelt, welche einmal gefiltert nach Dauerdiagnosen und einmal gefiltert nach sonstigen
Diagnosen vorgelegt wurde.

Die Rechtspflegerin bei dem Nachlassgericht hatte anlässlich des Termins am 12.10.2021 nur
3 Wochen nach der Testamentserrichtung keinen Anlass zu Zweifeln an der Testierfähigkeit
gesehen, auch wenn den Wahrnehmungen medizinischer Laien nur eine begrenzte Aussagekraft
zukommt. Der Inhalt und die Ausgestaltung des Testamentes bieten ebenfalls keinen
Anlass, Zweifel aufkommen zu lassen. Dieses entspricht im Kern den vorangegangenen Testamenten,
mit denen jeweils einzelne Miterben sowie Erbquoten verändert wurden, ohne
dass sich die Testierung insgesamt wesentlich verändert hätte. Konkrete Verhaltensauffälligkeiten
der Erblasserin im September 2021 werden von dem Beteiligten zu 1) schon nicht vorgetragen.
Soweit einzelne Episoden aus der Vergangenheit geschildert wurden, bei denen die
Erblasserin sich bestohlen gefühlt hatte oder durch den Tod der Schwester psychisch belastet
war, sind solche singulären Ereignisse nicht geeignet, eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit
i.S.d. § 2229 Abs. 4 BGB im Zeitpunkt der Testamentserrichtung begründen zu können.
Vor diesem Hintergrund bestehen schon keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für das
Vorliegen einer geistigen Beeinträchtigung der Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung.
Weitere Ermittlungen von Amts in diesem Zusammenhang sind nicht veranlasst.

b) Das Testament vom 20.09.2021 ist entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts insgesamt
wirksam und nicht gemäß § 134 BGB i.V.m. § 32 der Berufsordnung der hessischen
Ärztekammer (BO-Ä) betreffend die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 2) teilnichtig. Zwar ist
§ 32 BO-Ä als Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB anzusehen. Allerdings ergibt eine verfassungskonforme
Auslegung, dass ein etwaiger Verstoß des Arztes nicht die Nichtigkeit der Testierung
durch den Erblasser nach sich zieht.

aa) Gemäß § 32 Abs. 1 BO-Ä ist es „Ärztinnen und Ärzten nicht gestattet, von Patientinnen
und Patienten (…) Geschenke oder andere Vorteile (…) sich versprechen zu lassen oder anzunehmen,
wenn hierdurch der Eindruck erweckt wird, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen
Entscheidung beeinflusst wird“.

Dabei ist eine testamentarische Zuwendung - entsprechend der zu § 14 HeimG entwickelten
Grundsätze - als „anderer Vorteil“ anzusehen, wobei die Zuwendung dann einen Verstoß darstellen
kann, wenn diese dem Arzt bekannt und er mit dieser einverstanden war (BerufsG
Berlin, BeckRS 2015,54659; Plantzholz/Rochon, FamRZ 2001, 270, Ziff. III 2).
bb) § 32 BO-Ä ist in Übereinstimmung mit dem Nachlassgericht als Verbotsgesetz i.S.d.
§ 134 BGB anzusehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können auch Vorschriften
berufsständischer Satzungen von Selbstverwaltungskörperschaften Verbotsgesetze
i.S.d. § 134 BGB sein. Dies hat der Bundesgerichtshof für die Regelung in § 31 der BO der
Ärztekammer Westfalen-Lippe (BGH NJW-RR 2003,1175, zit. nach juris Rn. 8) und § 8 Abs. 5
der BO für die bayerischen Zahnärzte (BGH NJW-RR 2022, 336) bejaht. Dabei beruhen die
landesgesetzlichen Regelungen jeweils auf einer einheitlichen Musterordnung, so dass diese
in den Ländern im Wesentlichen inhaltlich übereinstimmen. Entsprechend ist auch § 32 BO-Ä
als Verbotsgesetz einzustufen, da die §§ 31,32 BO-Ä beide Konkretisierungen der allgemeinen
Vorschrift des § 30 BO-Ä darstellen, die auf die Sicherung der Unabhängigkeit der ärztlichen
Entscheidung gerichtet sind.

Gemäß § 30 BO-Ä sind Ärztinnen und Ärzte verpflichtet, in allen vertraglichen und sonstigen
beruflichen Beziehungen zu Dritten ihre ärztliche Unabhängigkeit für die Behandlung der Patientinnen
und Patienten zu wahren. Nach § 31 BO-Ä ist die Zuweisung von Patienten gegen
Gewährung von Vorteilen untersagt. Schutzzweck dieser Vorschrift ist, dass sich der Arzt in
seiner Entscheidung, welchem anderen Arzt er Patienten zuweist, nicht von vornherein gegen
Entgelt bindet, sondern diese Entscheidung allein aufgrund medizinischer Erwägungen im Interesse
des Patienten trifft (BGH NJW 1986, 2360). Schutzgut der Regelung in § 32 BO-Ä ist
ebenfalls das auf die Ärzteschaft allgemein bezogene Vertrauen in die Freiheit und Unabhängigkeit
ärztlicher Entscheidungen und damit auch das Ansehen und die Integrität der Ärzteschaft
im Allgemeinen (Ärztegerichtshof des Saarlandes, MedR 2011,752, zit. nach juris Rn.
21; Spickhoff/Scholz, Medizinrecht, 4. Aufl. 2022, MBO-Ä 1997 § 32 Rn. 1).

cc) Es kann dahinstehen, ob dem Beteiligten zu 2) ein standesrechtlicher Verstoß gegen § 32
BO-Ä vorzuwerfen wäre. Zwar hatte er Kenntnis von der Erbeinsetzung,
da er auf dem Testament die Testierfähigkeit der Erblasserin auf deren Wunsch hin bestätigt
hatte. Darin ist auch zugleich die Erklärung seines Einverständnisses zu sehen, so dass er
sich einen Vorteil hat „versprechen lassen“. Ob die Zuwendung geeignet war, den Eindruck zu
erwecken, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird, kann vorliegend
indes offenbleiben.

dd) Denn ein Verstoß des Beteiligten zu 2) gegen § 32 BO-Ä würde nicht zur Nichtigkeit des
Testaments führen. § 32 BO-Ä kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass dieses ein
auch an den Testierenden gerichtetes Testierverbot enthält. Eine solche Auslegung würde einen
unangemessenen Eingriff in die durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Testierfreiheit darstellen.
Ob der Verstoß gegen das Verbotsgesetz die Nichtigkeitsfolge auslöst, ist durch Auslegung zu
ermitteln, wobei dem Normzweck eine entscheidende Rolle zukommt (Grüneberg/Ellenberger,
BGB, 2023, § 134 Rn. 6; BeckOGK/Vossler, Stand 01.06.2023, § 134 Rn. 51).

Für den Bereich der Heimpflege ist anerkannt, dass § 14 HeimG aF und ihm folgend die entsprechenden
landesgesetzlichen Regelungen - für Hessen derzeit § 6 HBPG - Verbotsgesetze
i.S.d. § 134 BGB darstellen und ein Verstoß die Nichtigkeitsfolge auslösen kann. So hat das
Bundesverfassungsgericht das in § 14 HeimG enthaltene Testierverbot bzw. das Verbot der
testamentarischen Vorteilsnahme als verhältnismäßige Einschränkung der Testierfreiheit bestätigt
(BVerfG, NJW 1998, 2964, juris Rn. 7). Dies hat es zum einen mit dem Schutzzweck
des § 14 HeimG begründet, welcher gerade auch die Testierfreiheit selbst schützen soll. Denn
mit diesem solle verhindert werden, dass die Hilf- oder Arglosigkeit alter und pflegebedürftiger
Menschen in finanzieller Hinsicht ausgenutzt wird und das Recht auf freie Verfügung von
Todes wegen durch offenen oder versteckten Druck faktisch gefährdet wird. Zudem solle der
Heimfriede geschützt werden (BVerfG, aaO, Rn. 8). Desweiteren hat das Bundesverfassungsgericht
die Regelung auch deshalb als verhältnismäßig im engeren Sinne angesehen, weil es
zum einen einer „stillen“ Anordnung nicht entgegensteht zum anderen aber für den Fall, dass
der Testierende seinen Willen mitteilen möchte, eine Erlaubnis der Zuwendung beantragt
werden kann. Da der Betroffene einen Anspruch auf Genehmigung habe, wenn seine Zuwendung
nicht dem Zweck des § 14 HeimG widerspricht, stelle die Durchführung eines solchen
vorherigen Erlaubnisverfahrens keine unzumutbare Belastung dar, zumal die Einschaltung der
Heimaufsichtsbehörde auch der Überprüfung der Freiwilligkeit des Testierentschlusses diene
(BVerfG, aaO, Rn. 10).

Diese zur Heimpflege entwickelten Grundsätze sind auf die Auslegung der standesrechtlichen
Vorschriften der Ärztekammer jedoch nicht in gleichen Umfang übertragbar. Der Schutzzweck
des § 14 HeimG berührt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Testierfreiheit
selbst. § 32 BO-Ä richtet sich an den Arzt und soll dessen Beeinflussung durch
den Patienten - oder Dritte - ausschließen und gewährleisten, dass der Arzt sich bei seinen
Entscheidungen von medizinischen und nicht von finanziellen Erwägungen leiten lässt. Damit
zielt er in erster Linie auf das Verbot der Annahme durch den Arzt ab.

Die mögliche Nichtigkeitsfolge bei einem zweiseitigen Rechtsgeschäft hängt auch davon ab,
ob sich ein gesetzliches Verbot gegen beide Vertragsparteien oder gegen nur einen der an
dem Rechtsgeschäft Beteiligten richtet. Soweit beide Vertragsteile Adressat der Verbotsnorm
sind, ist grundsätzlich von der Nichtigkeit auszugehen, während bei einem einseitigen Verstoß
die Wirksamkeit in der Regel unberührt bleiben soll (BGH NJW 2014, 3568). Überträgt
man diesen Grundsatz auf die Testamentserrichtung im Einvernehmen mit dem Erben, so ist
ausgehend von der Adressierung der berufsständischen Regelungen an die Ärzte als Mitglieder
der Ärztekammer, eine Nichtigkeit der Testierung nicht zu rechtfertigen. Insoweit besteht
auch keine Vergleichbarkeit mit den Regelungen in § 14 HeimG a.F. bzw. § 6 HBPG, von deren
Schutzzweck auch die Testierenden erfasst werden und insoweit Adressat der Regelungen
sind. Eine Berufsordnung ist nicht geeignet, einen Eingriff in die Testierfreiheit außenstehender
Dritter zu begründen.

Würde man § 32 BO-Ä auch als gegenüber dem Testierenden wirkendes Testierverbot auslegen,
dann würde diesem zudem die Möglichkeit, ein offenes Testament zu errichten, versagt
werden. Eine Genehmigung der Zuwendung durch die Aufsichtsbehörde ist nicht vorgesehen.
Dann wäre nur eine stille Testierung zulässig. Dies würde bereits eine unverhältnismäßige
Einschränkung der Testierfreiheit begründen (vgl. zur etwaigen Verfassungswidrigkeit landesgesetzlicher
Heimgesetzregelungen ohne Genehmigungsvorbehalt: Kroiß/Horn/Solomon,
Nachfolgerecht, 2. Aufl. 2019, § 14 HeimG, Rn. 7 mwN).

§ 32 BO-Ä ist daher verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass dieses kein Testierverbot
gegenüber der ein Testament errichtenden Person enthält und ein Verstoß des Arztes
nicht zur Nichtigkeit des Testaments führt (ebenso Plantzolz/Rochon, FamRZ 2001, 270, 272;
für Testamente Spickhoff/Scholz, aaO, Rn. 2 - anders bei Erbvertrag als zweiseitiges Rechtsgeschäft).
dd) Die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 2) ist auch nicht als sittenwidrig i.S.d. § 138 BGB
anzusehen. Dies kann bereits nur in besonderen Ausnahmefällen angenommen werden. Hierfür
reicht ein etwaiges standeswidriges Verhalten nicht aus. Es bestehen darüber hinaus keinerlei
Anhaltspunkte dafür, dass der Beteiligte zu 2) eine Zwangslage, die Unerfahrenheit
oder eine Willensschwäche der Erblasserin ausgenutzt und diese zu der entsprechenden Testierung
veranlasst hätte. Hiergegen spricht, dass die Erblasserin den Beteiligten zu 2) als
Vertrauten angesehen hat, wie sich aus den ihm bereits seit vielen Jahren erteilten Vollmachten
ergibt. Hiervon ausgehend hat die Erblasserin den Beteiligten zu 2) nicht in erster Linie in
seiner Rolle als Arzt, sondern als Vertrauten zum Erben eingesetzt. Dies spiegelt sich auch
darin wieder, dass der Beteiligten zu 2) bereits seit dem Testament vom 30.06.2017 als Erbe
eingesetzt war, ohne hiervon Kenntnis erlangt zu haben.

c) Die Erbfolge richtet sich daher insgesamt nach dem wirksamen Testament vom
20.09.2021. Der Beteiligte zu 3) hat, wie bereits das Nachlassgericht zutreffend ausgeführt
hat, mit seiner handschriftlichen Erklärung nicht wirksam auf seinen Erbanteil verzichtet.
Es liegen auch nicht zwei verschiedene, sondern zwei inhaltsgleiche Testamente vom
20.09.2021 vor. Das Originaltestament ist erkennbar das von dem Beteiligten zu 2) bestätigte
Testament. Dieses wollte die Erblasserin als ihren letzten Willen ansehen. Die weitere Ausfertigung,
die sich im Besitz des Beteiligten zu 1) befunden hat, ist zudem inhaltlich identisch,
so dass sich aus dieser nichts anderes ergibt.

Da die Erteilung des Erbscheins dem Nachlassgericht obliegt, war dieses entsprechend anzuweisen.
Der hiervon abweichende Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1) war danach zurückzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung beruht für beide Instanzen auf § 81 Abs. 1 und 2 FamFG.
Danach entspricht es billigem Ermessen, die erstinstanzlich entstandenen gerichtlichen Kosten
zu teilen. Die Beteiligten zu 2), 3) und 5) haben als Antragsteller die für die Erteilung des
Erbscheins entstehenden gerichtlichen Kosten als Gesamtschuldner zu tragen (§§ 22,32
GNotKG), während der Beteiligte zu 1) mit der Zurückweisung seines Erbscheinsantrag unterlegen
ist. Angesichts des Erfolgs der Beschwerde war von der Erhebung von Gerichtskosten
für das Beschwerdeverfahren abzusehen. Im Übrigen entspricht es billigem Ermessen,
dass die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst tragen. Dabei war in beiden
Instanzen zu berücksichtigen, dass es sich im vorliegenden Verfahren um eine offene Rechtsfrage
gehandelt hat und der Ausgang des Verfahrens für alle Beteiligten ungewiss war.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen. Die Frage, ob ein Verstoß des Arztes gegen § 32 BOÄ
zur Nichtigkeit einer testamentarischen Erbeinsetzung führt, hat grundsätzliche Bedeutung
für eine Vielzahl von Verfahren. Sie ist bislang obergerichtlich noch nicht entschieden worden
(offengelassen für einen Erbvertrag: OLG Hamm, Beschluss vom 28.12.2021 - 10 W 125/19,
juris Rn. 81).

Die Festsetzung eines Geschäftswertes für das Beschwerdeverfahren ist nicht veranlasst.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Frankfurt a. Main

Erscheinungsdatum:

21.12.2023

Aktenzeichen:

21 W 91/23

Rechtsgebiete:

Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Kostenrecht
Testierfähigkeit
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

GG Art. 14; BGB § 134; BO-Ä § 32