OLG Köln 28. Juni 2021
2 Wx 184/21
BGB §§ 168, 745, 1960, 2038, 2040

Keine Nachlasspflegschaft bei Widerruf einer transmortalen Vollmacht des Erblassers durch einen Miterben

letzte Aktualisierung: 11.3.2022
OLG Köln, Beschl. v. 28.6.2021 – 2 Wx 184/21

BGB §§ 168, 745, 1960, 2038, 2040
Keine Nachlasspflegschaft bei Widerruf einer transmortalen Vollmacht des Erblassers
durch einen Miterben

1. Ist ein Teil der Erben bekannt, so kann es an einem Fürsorgebedürfnis für die Anordnung einer
Nachlasspflegschaft fehlen. Denn vor dem Hintergrund der Regelung des § 2038 Abs. 1 S. 2 Hs. 2
Halbsatz BGB kann die zur Erhaltung des Nachlasses notwendigen Maßregeln jeder Miterbe ohne
Mitwirkung der anderen treffen. Darüber hinausgehende Maßnahmen ordnungsgemäßer Verwaltung
– soweit es nicht um die Veräußerung von Nachlassgegenständen geht – kann überdies die Mehrheit
auf der Grundlage des § 2038 Abs. 2 i. V. m. § 745 BGB durchführen.
2. Auch wenn man die Ansicht vertritt, dass jeder Miterbe eine vom Erblasser erteilte
transmortale Vollmacht für seine eigene Person widerrufen kann, löst der Widerruf kein
Fürsorgebedürfnis zur Anordnung einer Nachlasspflegschaft aus, weil der Bevollmächtigte trotzdem
unter Zustimmung der weiteren Beteiligten dringende Handlungen vornehmen kann.

(Leitsätze der DNotI-Redaktion)

Gründe:

1.
Wegen des Sachverhalts und des Verfahrensgangs bis zum Beschluss des Senats vom
16.11.2020 (2 Wx 262/267/268/20) wird auf die Darstellung in den Gründen jenes
Beschlusses Bezug genommen (Bl. 119 f.). Durch jenen Beschluss hatte der Senat eine
vom Nachlassgericht angeordnete Nachlasspflegschaft aufgehoben.

Der ehemalige Nachlasspfleger sowie die Beteiligten zu 2. und 4. haben im Anschluss
angeregt, erneut eine Nachlasspflegschaft anzuordnen; dem ist der Beteiligte zu 5.
entgegengetreten.

Mit am 03.05.2021 erlassenem Beschluss vom 30.04.2021 hat die Nachlassrechtspflegerin
den "Antrag" der Beteiligten zu 2. auf erneute Anordnung einer Nachlasspflegschaft
zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die von der Erblasserin
erteilte Generalvollmacht könne im Außenverhältnis nur durch alle Erben gemeinsam
widerrufen werden, sodass der Bevollmächtigte unter Zustimmung der weiteren Beteiligten
dringende Handlungen vornehmen könne (Bl. 265 ff.).

Gegen den ihr zu Händen ihrer Verfahrensbevollmächtigten am 06.05.2021 zugestellten
(Bl. 272) Beschluss wendet sich die Beteiligte zu 2. mit ihrer "sofortigen" Beschwerde, die
durch einen am 19.05.2021 per Telefax bei dem Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz
eingelegt worden ist. Sie macht im Wesentlichen geltend, nach herrschender Ansicht sei
jeder Miterbe einzeln und für seine Person zum Widerruf der transmortalen Vollmacht
befugt, wodurch ihm die Verfügungsbefugnis für solche Rechtsgeschäfte entziehe, die der
Zustimmung der Miterben bedürften. Selbst wenn man der vom Amtsgericht vertretenen
Mindermeinung folgen würde, lägen die Voraussetzungen vor.

Der Beteiligte zu 5. ist der Beschwerde entgegengetreten.

2.
Die nach § 58 Abs. 1 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere
unter Einhaltung der Monatsfrist des § 63 Abs. 1 FamFG fristgerecht eingelegte
Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Amtsgericht hat mit Recht davon abgesehen, entsprechend den Anregungen zur
Sicherung des Nachlasses auf der Grundlage des § 1960 BGB eine Nachlasspflegschaft
anzuordnen. Die Einwände der Beschwerde führen zu keiner anderen Bewertung:
Auch bei Zugrundelegung der von der Beschwerde vertretenen Rechtsauffassung, dass
jeder Miterbe einzeln und für seine Person zum Widerruf einer vom Erblasser erteilten
transmortalen Vollmacht befugt ist, hat der Vollmachtswiderruf kein Fürsorgebedürfnis
ausgelöst: Das Nachlassgericht hat auch bei Zugrundelegung der von der Beschwerde
vertretenen Meinung Recht mit seiner Ansicht, dass der Bevollmächtigte unter
Zustimmung der weiteren Beteiligten dringende Handlungen vornehmen könne. Denn, wie
die Beschwerde zutreffend ausführt, lässt nach der von ihr verfochtenen Ansicht der
Widerruf nur einzelner Miterben das Vertretungsrecht hinsichtlich der übrigen Miterben
unberührt. Dies aber hat zur Folge, dass der Bevollmächtigte nicht schlechthin
handlungsunfähig wird, sondern für den Nachlass noch zusammen mit den widerrufenden
Miterben handeln kann (MünchKomm/Schubert, BGB, 8. Aufl. 2018, § 168 Rz. 54). Dass
die Beteiligte zu 2. (deren Miterbenstellung unterstellt) und die Beteiligte zu 4. hier zur
Sicherung des Nachlasses erforderlichen Maßnahmen nicht zustimmen würden, kann
insbesondere vor dem Hintergrund nicht angenommen werden, dass sie ausweislich ihrer
Anregungen ein Sicherungsbedürfnis sehen. Die Mitwirkungsbedürftigkeit eröffnet zugleich
die Möglichkeit einer Kontrolle.

Ein Fürsorgebedürfnis wird auch nicht durch die Rüge der Beschwerde begründet, eine
ordnungsgemäße Verwaltung durch den Beteiligten zu 5. könne nicht als gewährleistet
angesehen werden. Auch einem Nachlasspfleger obläge – mag es auch
Überschneidungen geben - nicht die ordnungsgemäße Verwaltung im Sinne des § 2038
Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz BGB, sondern lediglich die Sicherung des Nachlasses.
Unstimmigkeiten unter den Kindern der Erblasserin hinsichtlich der Verwaltung des
Nachlasses und Misstrauen begründen hier kein Fürsorgebedürfnis, weil dies nicht anders
wäre, wenn bereits sämtliche Erben feststünden. Denn bei der Nachlasspflegschaft
handelt es sich um eine subsidiäre Maßnahme staatlicher Fürsorge (OLG Schleswig
FamRZ 2015, 80).

Zudem sind die Erben nicht sämtlich unbekannt. Ob ein Erbe unbekannt i.S. des § 1960
Abs. 1 Satz 2 1. Alt. BGB ist, muss vom Standpunkt des Nachlassgerichts bei der
Entscheidung über die Anordnung der Nachlasspflegschaft beurteilt werden. Kann der
Tatrichter sich nicht ohne umfängliche Ermittlungen davon überzeugen, wer von mehreren
in Betracht kommenden Personen Erbe geworden ist, ist der Erbe unbekannt.

Ungewissheit über die Person des Erben besteht unter anderem, wenn konkrete Zweifel
an der Gültigkeit einer letztwilligen Verfügung bestehen, oder bei einem nicht offensichtlich
unbegründeten Streit mehrerer Erbprätendenten über die Erbfolge (BGH ZEV 2013, 36).
Hier indes steht aufgrund der insoweit nicht voneinander abweichenden Testamente
bereits jetzt fest, dass die Beteiligten zu 3. bis 5. Erben zu je zumindest ¼ Anteil geworden
sind. Lediglich hinsichtlich des verbleibenden ¼ Anteils steht in Rede, ob dieser aufgrund
des Einzeltestaments ebenfalls den Beteiligten zu 3. bis 5. oder aufgrund des
Ehegattentestaments der Beteiligten zu 2. zugefallen ist, sodass grundsätzlich allenfalls
eine auf den letztgenannten Anteil beschränkte Nachlasspflegschaft (dazu OLG Schleswig
FamRZ 2015, 80; Zimmermann, Die Nachlasspflegschaft, 5. Aufl. 2020, Rz. 41, 66) in
Betracht käme. Auch insoweit allerdings kann vor dem Hintergrund der Regelung des §
2038 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz BGB ein Fürsorgebedürfnis nicht erblickt werden, da nach
dieser Bestimmung die zur Erhaltung des Nachlasses notwendigen Maßregeln jeder
Miterbe ohne Mitwirkung der anderen treffen kann. Darüber hinausgehende Maßnahmen
ordnungsgemäßer Verwaltung – soweit es nicht um die Veräußerung von
Nachlassgegenständen geht - kann überdies die Mehrheit auf der Grundlage des § 2038
Abs. 2 i.V.m. § 745 BGB durchführen (zur Bedeutung des § 2038 BGB bei der Beurteilung
des Fürsorgebedürfnisses vgl. OLG Düsseldorf ZEV 1995, 111; OLG Schleswig FamRZ
2015, 80; Zimmermann, a.a.O. Rz. 67), wobei im vorliegenden Fall, wie ausgeführt, drei
von höchstens vier Miterben bereits feststehen. Damit ist die vorliegende Konstellation mit
dem von der Beschwerde angeführten, der Entscheidung OLG Karlsruhe vom 02.05.2003
– 14 Wx 3/03 – zugrundeliegenden Fall nicht vergleichbar, denn dort war der Erbe
schlechthin unbekannt, wobei zudem gegen den Bevollmächtigen staatsanwaltliche
Ermittlungen geführt worden waren.

Ob ein Gläubiger einen Antrag nach § 1961 BGB gestellt hat und die Voraussetzungen für
die Anordnung einer diesbezüglichen Nachlasspflegschaft vorliegen, ist nicht Gegenstand
des vorliegenden Beschwerdeverfahrens.

3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 FamFG
sind nicht erfüllt.

Den Beteiligten zu 2) bis 5) wird aufgegeben, dem Senat zwecks
Geschäftswertfestsetzung (§ 64 Abs.1 GNotKG) bis zum 20.07.2021 Angaben zum
Aktivwert des Nachlasses zu machen.

4.
Der Senat sieht es als sachdienlich an, das Amtsgericht auf folgende Gesichtspunkte
hinzuweisen:

Die Beschwerde vom 22.02.2021 gegen den Vergütungsbeschluss (Bl. 183 f.) ist – soweit
aus der übersandten Akte ersichtlich – vom Amtsgericht noch nicht bearbeitet worden.
Die Rechtsbehelfsbelehrung im angefochtenen Beschluss ist insoweit unzutreffend, als
dass hier nicht eine – binnen einer zweiwöchigen Frist einzulegende - sofortige
Beschwerde, sondern die Beschwerde nach §§ 58 ff. FamFG eröffnet ist.
Sinn und Zweck des auf der Beschwerdeschrift angebrachten, auf den 20.05.2021
datierten Eingangsstempels (Bl. 278) sind vor dem Hintergrund nicht nachvollziehbar, dass
der Schriftsatz ausweislich der Faxeingangskennung bereits am Vortag eingegangen war.
Falls mit einem derartigen Stempel etwas anderes als das für die Einhaltung einer Frist
maßgebliche Datum des Eingangs bei Gericht festgehalten werden soll, wäre zur
Vermeidung von Missverständnissen ein klarstellender Zusatz hinzuzufügen. Eine damit
nicht vereinbare Praxis des Amtsgerichts Bonn ist auch zumindest einem weiteren
Faxeingang in dieser Akte (Bl. 288) zu entnehmen.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Köln

Erscheinungsdatum:

28.06.2021

Aktenzeichen:

2 Wx 184/21

Rechtsgebiete:

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft
Sachenrecht allgemein
Vollmacht, Genehmigung, Ermächtigung
Erbengemeinschaft, Erbauseinandersetzung
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

BGB §§ 168, 745, 1960, 2038, 2040