Erbscheinsantrag: Nichtangabe gesetzlich geforderter Beweismittel ohne Verschulden des Antragstellers
letzte Aktualisierung: 23.3.2023
BGH, Beschl. v. 8.2.2023 – IV ZB 16/22
BGB a. F. §§ 2356 Abs. 1, 2358;
Erbscheinsantrag: Nichtangabe gesetzlich geforderter Beweismittel ohne Verschulden des
Antragstellers
Ein Erbscheinsantrag ist nicht unzulässig, wenn der Antragsteller vom Gesetz geforderte
Beweismittel ohne Verschulden nicht angibt. Stattdessen setzt die Pflicht des Nachlassgerichts zur
Amtsermittlung gemäß
Gründe:
I. Die Beteiligte zu 2 war die Ehefrau, die Beteiligte zu 3 ist die Tochter
des am 11. November 2009 verstorbenen Erblassers.
Ein niederländisches Gericht verurteilte den Erblasser mit rechtskräftigem
Urteil vom 9. September 2009 zur Zahlung von 416.354,15
nebst Zinsen und Kosten an die Beteiligte zu 1. 2011 wurde das Urteil für
in Deutschland vollstreckbar erklärt und die Vollstreckungsklausel gegen
die "unbekannten Erben" des Erblassers erteilt sowie diese dem zwischenzeitlich
bestellten Nachlasspfleger zugestellt. Die Nachlasspflegschaft
wurde später wieder aufgehoben.
In der Sterbefallsanzeige des Ortsgerichts, deren Inhalt auf den Angaben
der Beteiligten zu 2 beruht, sind als Kinder des Erblassers die Beteiligte
zu 3 und "eine uneheliche Tochter L. , weiteres nicht bekannt,
wohnt in GB" angegeben. Die Beteiligten zu 2 und 3 schlugen die Erbschaft
aus und fochten die Annahme der Erbschaft wegen Irrtums an. Ein
Nachlassinsolvenzverfahren wegen Überschuldung des Nachlasses
wurde durchgeführt und nach der Schlussverteilung aufgehoben.
Die Beteiligte zu 1 hat die Erteilung eines Erbscheins mit dem Inhalt
beantragt, dass die Beteiligten zu 2 und 3 Erben zu je 1/2 seien. Das
Nachlassgericht hat darauf hingewiesen, dass, sofern die Angaben in der
Sterbefallsanzeige zuträfen, neben den Beteiligten zu 2 und 3, unabhängig
von der Wirksamkeit ihrer Ausschlagungserklärungen, auch die nichteheliche
Tochter Erbin sei, und um Mitteilung gebeten, ob den Verfahrensbeteiligten
hinsichtlich dieser Tochter Erkenntnisse vorlägen, die von den
Angaben in der Sterbefallsanzeige abwichen. Die Beteiligte zu 1 hat daraufhin
hilfsweise einen Erbschein beantragt, wonach der Erblasser zu 1/2
von der Beteiligten zu 2 und zu je 1/4 von der Beteiligten zu 3 und "L. ",
Nachname und Adresse unbekannt, beerbt worden sei. Das Nachlassgericht
hat den Erbscheinsantrag zurückgewiesen. Das Oberlandesgericht
hat die dagegen gerichtete Beschwerde zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die vom Oberlandesgericht zugelassene
Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1, mit der sie ihren Erbscheinsantrag
weiterverfolgt.
II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung
des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens und zur Zurückverweisung
der Sache an das Beschwerdegericht (§ 74 Abs. 6 Satz 2
Alt. 1 FamFG).
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, der Hauptantrag sei unzulässig,
weil die Beteiligte zu 1 ihre Angaben zu dem Verhältnis, auf dem
das Erbrecht beruhe, und zu dem etwaigen Wegfall einer Person, durch
die das Erbteil der Beteiligten zu 2 und 3 gemindert würde, nicht durch
öffentliche Urkunden nachgewiesen oder andere Beweismittel angegeben
habe. Sie habe keine Beweise dafür erbracht oder Beweismittel angegeben,
dass "L. " entweder nie existiert habe oder zumindest kein Abkömmling
des Erblassers im Rechtssinne gewesen oder weggefallen sei.
Mangels ordnungsgemäßen Erbscheinsantrags sei das Nachlassgericht
nicht verpflichtet gewesen, im Wege der Amtsermittlung selbst Nachforschungen
zur Existenz von "L. " anzustellen. Der Auffassung, dass die
Amtsermittlungspflicht bereits dann ausgelöst werde, wenn der Antragsteller
Beweismittel ohne Verschulden nicht vorlege, sei zumindest für das
frühere Recht (
könne, ob die Beteiligte zu 1 hier ohne Verschulden keine Beweismittel
habe vorlegen können. Der Hilfsantrag sei bereits deshalb unzulässig,
weil die Bezeichnung einer Erbin mit dem Vornamen ohne nähere
Identifizierung nicht Inhalt eines Erbscheins sein könne.
2. Das hält hinsichtlich der Zurückweisung des Hauptantrags der
rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der gegebenen Begründung
durfte das Beschwerdegericht den Erbscheinsantrag nicht ablehnen.
a) Ein Erbscheinsantrag ist nicht unzulässig, wenn der Antragsteller
vom Gesetz geforderte Beweismittel ohne Verschulden nicht angibt (vgl.
MünchKomm-BGB/Mayer, 6. Aufl. § 2356 Rn. 2; Zimmermann in Soergel,
BGB 13. Aufl. § 2356 Rn. 26; ders. in Sternal, FamFG 21. Aufl. § 352
Rn. 61; a.A. OLG Düsseldorf
objektiver Unmöglichkeit). Stattdessen setzt die Pflicht des Nachlassgerichts
zur Amtsermittlung gemäß
Staudinger/Herzog, BGB (2016) § 2353 Rn. 58; Zimmermann in Soergel
aaO Rn. 2; BeckOK-FamFG/Schlögel, § 352 Rn. 17 [Stand: 1. Oktober
2022]; MünchKomm-BGB/Mayer, 6. Aufl. 2013, BGB § 2354 Rn. 3 f.). Das
ergibt die Auslegung des bis zum 16. August 2015 geltenden § 2356
Abs. 1 BGB (im Folgenden:
Abs. 3 FamFG entspricht.
b)
dieses Verfahren weiter anwendbar ist, bestimmt die vorzulegenden Beweise
zu den im Erbscheinsantrag erforderlichen Angaben. Diese Beweismittel
"hat" der Antragsteller anzugeben; das ist daher grundsätzlich Voraussetzung
eines zulässigen Antrags. Jedoch steht dies unter dem ungeschriebenen
Vorbehalt, dass der Antragsteller solche Beweismittel bei
pflichtgemäßem Bemühen überhaupt angeben kann. Dabei ist zu berücksichtigen,
dass die Beweisanforderungen des
der Mitwirkungspflichten im Erbscheinsverfahren sind (vgl. MünchKomm-
BGB/Mayer, 6. Aufl. § 2354 Rn. 1). Die allgemeine Mitwirkungspflicht im
Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach
jedoch (nur), dass die Parteien durch Angaben von Tatsachen und Beweismitteln
eine gerichtliche Aufklärung ermöglichen sollen, soweit sie
dazu in der Lage sind (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 186). Eine verweigerte
Mitwirkung beeinflusst dann den Umfang gerichtlicher Ermittlungen, wenn
sie zumutbar war (vgl. aaO). Das Gesetz geht dementsprechend davon
aus, dass die Mitwirkungspflichten schuldhaft verletzt werden können (vgl.
einschließt. Im Erbscheinsverfahren kann daher eine Unkenntnis der tatsächlichen
oder rechtlichen Verhältnisse verschuldet oder unverschuldet
sein (vgl. dazu als Aspekt der Kostenentscheidung Senatsbeschluss vom
18. November 2015 - IV ZB 35/15,
c) Das steht im Einklang mit dem Zweck des
Die besonderen Regelungen zur Mitwirkungspflicht im Erbscheinsverfahren
sollen sicherstellen, dass in diesem vom Amtsermittlungsgrundsatz
geprägten Verfahren die Ermittlungslast nicht allein beim Nachlassgericht
liegt, da die Ermittlung der den Antrag begründenden Tatsachen in erster
Linie im Interesse des Antragstellers liegt und dieser regelmäßig den zu
ermittelnden Sachverhalt besser kennt als das Nachlassgericht und über
einen besseren Zugang zu bestimmten Beweismitteln verfügt (vgl. jurisPKBGB/
Lange, 7. Aufl. § 2354 Rn. 2; zur besseren Kenntnis auch OLG
Naumburg
BGB-E Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch
für das Deutsche Reich, Band V S. 299). Deswegen muss zunächst der
Antragsteller selbst nach Kräften bemüht sein, sein behauptetes Erbrecht,
so wie er es im Erbschein bezeugt haben will, nachzuweisen (vgl. OLG
Frankfurt
1981, 65 [juris Rn. 6];
finden die Pflichten des Antragstellers ihre Grenze an seinen Möglichkeiten
zur Angabe von Beweismitteln.
d) Auch aus der Regelung des
das Nachlassgericht "unter Benutzung der von dem Antragsteller angegebenen
Beweismittel" von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen
erforderlichen Ermittlungen durchzuführen hat, ergibt sich nicht, dass
ohne solche Angaben ein Erbscheinsverfahren nicht eingeleitet werden
kann bzw. ein gleichwohl gestellter Antrag unzulässig wäre. Nach dem
Willen des Gesetzgebers war diese Vorschrift insgesamt Ausdruck der
"Offizialmaxime", d.h. des Amtsermittlungsgrundsatzes (vgl. zu § 2070
BGB-E Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch
für das Deutsche Reich, Band V S. 300). Die Regelung ist mit der Überführung
der Vorschriften zum Erbscheinsverfahren in das FamFG ersatzlos
gestrichen worden, da der Gesetzgeber davon ausging, dass sich die
entsprechenden Grundsätze bereits aus
mit dem dort nicht enthaltenen Zusatz "unter Benutzung der von dem Antragsteller
angegebenen Beweismittel" keine inhaltliche Einschränkung
der Amtsermittlungspflicht verbunden sei (vgl. BT-Drucks. 18/4201 S. 61).
Das Nachlassgericht ist daher bei der Tatsachenfeststellung weder auf die
von den Beteiligten angegebenen Beweismittel beschränkt noch muss es
stets allen Beweisanträgen nachgehen (vgl. Staudinger/Herzog, BGB
(2010) § 2358 Rn. 7), so dass auch das Fehlen von Beweisangeboten zu
bestimmten Umständen dem Verfahren nicht entgegensteht.
e) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts ist es dem Nachlassgericht
auch möglich, das Verschulden des Antragstellers zu beurteilen.
Dieser hat substantiiert darzulegen, warum er zur Angabe der Beweismittel
nicht in der Lage ist (vgl. Zimmermann in Sternal, FamFG 21. Aufl.
§ 352 Rn. 61). Bei den an diese Entschuldigung zu stellenden Anforderungen
kann zu berücksichtigen sein, wie nah der Antragsteller dem Erblasser
stand; insbesondere ein Gläubiger des Erblassers wird regelmäßig weniger
Kenntnisse und einen schlechteren Zugang zu bestimmten Beweismitteln
haben (vgl. LG Flensburg
Soergel, BGB 13. Aufl. § 2358 Rn. 1; ders. in Sternal aaO).
3. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts erweist sich auch
nicht aus anderen Gründen als richtig (
kann nicht deswegen zurückgewiesen werden, weil die Beteiligte
zu 1 bisher in den Vorinstanzen die unterbliebene Angabe von Beweismitteln
für die Existenz oder Nichtexistenz einer weiteren Erbin nicht
entschuldigt hat. Nachdem die Beteiligte zu 1 in ihrer Beschwerdeschrift
mitgeteilt hatte, sie versuche die angebliche weitere Tochter zu ermitteln,
hat das Beschwerdegericht die Beschwerde zurückgewiesen. Im Rahmen
der im Erbscheinsverfahren geltenden Amtsermittlungspflicht (§ 26
FamFG) hat das Gericht aber die Beteiligten zur Mitwirkung zu veranlassen
und auf eine Ergänzung des tatsächlichen Vorbringens hinzuwirken
(vgl. BayObLG
die Notwendigkeit, zu den Hinderungsgründen vorzutragen, hat das Beschwerdegericht
- aus seiner Sicht konsequent - bisher nicht erteilt.
4. Soweit die Beschwerdeentscheidung die Zurückweisung des
Hilfsantrags betrifft, wird sie von der Rechtsbeschwerde zu Recht nicht
angegriffen.
III. Die Sache ist daher zur erneuten Prüfung und Entscheidung an
das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (
Dieses wird für die Frage der Zulässigkeit des Erbscheinsantrags Feststellungen
dazu zu treffen haben, ob die Beteiligte zu 1 ein Verschulden
an der bisher unterbliebenen Angabe von Beweismitteln für die Existenz
oder Nichtexistenz einer weiteren Erbin trifft. In diesem Zusammenhang
trifft die Beteiligte zu 1 keine Verpflichtung zur Einschaltung eines Erbenermittlers
oder Privatdetektivs. Von einem Antragsteller kann die Beschaffung
weiterer Informationen nur verlangt werden, wenn dies für ihn mit
- auch finanziell - vertretbarem Aufwand möglich ist. Dazu gehören die
vergütungspflichtigen Leistungen eines Erbenermittlers oder Privatdetektivs
in der Regel nicht. Grundsätzlich hat nämlich das Nachlassgericht die
erforderlichen Ermittlungen gemäß
Amts wegen durchzuführen (vgl. OLG Hamm
Rn. 16]).
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:08.02.2023
Aktenzeichen:IV ZB 16/22
Rechtsgebiete:
Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Nachlaßabwicklung (insbes. Erbschein, Nachlaßinventar)
BGB a. F. §§ 2356 Abs. 1, 2358; FamFG § 26