BGH 03. Mai 2023
XII ZB 152/22
FamFG §§ 137, 142

Abänderung eines Titels über Kindesunterhalt während des Scheidungsverfahrens

letzte Aktualisierung: 3.7.2023
BGH, Beschl. v. 3.5.2023 – XII ZB 152/22

FamFG §§ 137, 142
Abänderung eines Titels über Kindesunterhalt während des Scheidungsverfahrens

Zur notwendigen interessengerechten Auslegung eines von einem Ehegatten während des
Scheidungsverfahrens anhängig gemachten Antrags auf Abänderung eines Titels über
Kindesunterhalt im Hinblick auf die (hier verneinte) Frage, ob dieser nur durch die Scheidung
bedingt gestellt werden soll.

Gründe:

I.
Die Beteiligten streiten über die vom Amtsgericht ausgesprochene Scheidung
ihrer Ehe.

Sie schlossen im Mai 1999 die Ehe, aus der eine inzwischen volljährige
Tochter und der im Mai 2006 geborene Sohn T. hervorgegangen sind. Sie trennten
sich im September 2016. Der Sohn blieb in der Obhut der Antragsgegnerin,
die mit ihm das im hälftigen Miteigentum der Beteiligten stehende Hausgrundstück
bewohnt.

Der Antragsteller verpflichtete sich im April 2017 durch Jugendamtsurkunde
zur Zahlung von Kindesunterhalt für T. in Höhe von 105 % des Mindestunterhalts
ab Februar 2017. Auf einen Abänderungsantrag der Antragsgegnerin
schlossen die Beteiligten im Oktober 2019 einen Vergleich, in dem der Kindesunterhalt
für die Zeit ab Juli 2017 auf 110 % des Mindestunterhalts erhöht wurde.
Ein weiterer Unterhaltsantrag der Antragsgegnerin richtet sich auf Zahlung von
Kindesunterhalt für die Zeit von Oktober 2016 bis Juni 2017.
Im vorliegenden Verfahren begehrt der Antragsteller die Scheidung der
Ehe. Der Scheidungsantrag ist der Antragsgegnerin im August 2017 zugestellt
worden.

Mit Antrag vom 5. Oktober 2021 verfolgt die Antragsgegnerin gestützt auf
einen Arbeitgeberwechsel des Antragstellers zum 1. September 2021 die Abänderung
des über den Kindesunterhalt geschlossenen Vergleichs vom Oktober
2019 im Wege des Stufenverfahrens. Der Antrag ist
kunft zum Kindesunterhalt und auf Abänderung eines Unterhaltstitels im isolier-
. Der in letzter Stufe angekündigte Abänderungsund
Zahlungsantrag
Das Verfahren ist insoweit vom Amtsgericht als isoliertes Verfahren geführt worden.
Die Antragsgegnerin hat dort die Aussetzung des Verfahrens wegen vom
Antragsteller in einem weiteren Verfahren geltend gemachter Nutzungsentschädigung
beantragt.

Mit am 25. November 2021 verkündetem Beschluss hat das Amtsgericht
- nach Aussetzung des Verfahrens in der Folgesache Versorgungsausgleich und
der Abtrennung vom Scheidungsverbund - die Ehe der Beteiligten geschieden.
Das Oberlandesgericht hat die gegen den Scheidungsbeschluss eingelegte
Beschwerde der Antragsgegnerin zurückgewiesen. Dagegen richtet sich
deren zugelassene Rechtsbeschwerde, mit welcher sie die Aufhebung des
Scheidungsbeschlusses und die Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht
zur gemeinsamen Entscheidung auch über den Kindesunterhaltsantrag erstrebt.

II.
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts, dessen Entscheidung in
FamRZ 2022, 1223 veröffentlicht ist, ist der Scheidungsbeschluss keine unzulässige
Teilentscheidung, weil der Abänderungsantrag nicht als Folgesache erhoben
worden sei, über die im Verbund mit der Scheidung entschieden werden
müsste.

Die Führung der Kindesunterhaltssache als isoliertes Verfahren durch das
Amtsgericht stehe deren Qualifizierung als Verbundverfahren zwar noch nicht
entgegen. Es komme allein darauf an, ob die Voraussetzungen des § 137 Abs. 2
Satz 1 Nr. 2 FamFG vorlägen. Ein Dispositionsrecht der Ehegatten bestehe insoweit
nicht. Auch Kindesunterhaltssachen könnten Folgesachen sein, wenn
eine Entscheidung nur für den Fall der Scheidung zu treffen sei, also der Antrag
nur hilfsweise für den Fall der Scheidung gestellt und eine durch die Scheidung
bedingte Regelung begehrt werde. Ob diese Voraussetzungen erfüllt seien,
müsse durch Auslegung ermittelt werden.

Vorliegend hätten die Beteiligten über den Kindesunterhalt bereits mehrfach
gerichtlich gestritten, was zeige, dass der Streitgegenstand jedenfalls bislang
nicht in Abhängigkeit von der Scheidung der Kindeseltern, sondern von der
Trennung und den damit einhergehenden Auseinandersetzungen stehe. Gleichwohl
könne grundsätzlich auch ein Abänderungsverfahren zum Kindesunterhalt
durch die Scheidung bedingt und von dieser abhängig gemacht werden und
dadurch in den Verbund fallen. Darauf deute der Wortlaut des Abänderungs- und
Zahlungsantrags hin, denn er verknüpfe die begehrte Wirkung mit der Rechtskraft
der Scheidung. Allerdings sei diese Verknüpfung bei Betrachtung der übrigen
Umstände des Verfahrens, die für die Auslegung ebenfalls heranzuziehen
seien, lediglich eine nicht begründete zeitliche, nicht aber eine inhaltliche. Aus
der Begründung des Abänderungsverlangens sei keinerlei Zusammenhang mit
der Scheidung herstellbar. Diese sei ausschließlich auf den Arbeitsplatzwechsel
des Antragstellers gestützt, auch der Zeitraum der Auskunftserteilung bereits ab
Oktober 2020 sei unverständlich und widersprüchlich zum Leistungsantrag, der
erst ab der Scheidung greife. Nachvollziehbar sei dagegen die Antragstellung im
isolierten Verfahren, die zwar rechtlich nicht bindend sei, aber ebenfalls zeige,
dass von der Antragsgegnerin gerade kein innerer Zusammenhang des Abänderungsbegehrens
mit der Scheidung hergestellt werde. In der Abhängigkeit von
der Scheidung könnte hingegen ein unverständlicher, dem Interesse des Sohns
widersprechender Verzicht auf höheren Kindesunterhalt liegen, insbesondere bei
zusätzlicher Verzögerung der Scheidung. Dem Sinn des Scheidungsverbunds
sei durch die erfolgte Titulierung des Kindesunterhalts bereits weitgehend Rechnung
getragen, sodass dieser einer Auslegung des Stufenantrags als nicht durch
die Scheidung bedingt nicht entgegenstehe.

2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
Der Scheidungsbeschluss ist in der Sache zu Recht ergangen und stellt
keine nach §§ 137 Abs. 1, 142 Abs. 1 Satz 1 FamFG unzulässige Teilentscheidung
dar.

a) Das Amtsgericht hat die Scheidung nach § 1565 Abs. 1 BGB zutreffend
auch ohne Zustimmung der Antragsgegnerin ausgesprochen, da die Ehe der Beteiligten
gescheitert ist. Nach § 1566 Abs. 2 BGB wird das Scheitern der Ehe unwiderlegbar
vermutet, wenn die Ehegatten seit drei Jahren getrennt leben, was
vorliegend in Anbetracht der im September 2016 erfolgten Trennung der Beteiligten
der Fall ist. Dass die Voraussetzungen der Scheidung vorliegen, wird von
der Rechtsbeschwerde auch nicht in Zweifel gezogen.

b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Amtsgericht
keine unzulässige Teilentscheidung erlassen. Denn das von der Antragsgegnerin
gesondert anhängig gemachte Abänderungsverfahren zum Kindesunterhalt ist
keine Folgesache, über die nach § 137 Abs. 1 FamFG nur zusammen mit der
Scheidung zu verhandeln und entscheiden wäre. Der von der Antragsgegnerin
erhobene Antrag ist vom Beschwerdegericht im Ergebnis zutreffend als nicht von
der Scheidung abhängig angesehen worden (ebenso Schwonberg NZFam 2023,
225).

aa) Zwar ist auch der Kindesunterhalt nach § 137 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
FamFG - auch als Abänderungsantrag (vgl. Senatsbeschluss vom 24. Januar
1996 - XII ZB 184/95 - FamRZ 1996, 543, 544 mwN) - taugliche Folgesache des
Scheidungsverfahrens, wenn eine Entscheidung für den Fall der Scheidung zu
treffen ist und die Familiensache spätestens zwei Wochen vor der mündlichen
Verhandlung im ersten Rechtszug in der Scheidungssache von einem Ehegatten
anhängig gemacht wird. Die Eigenschaft als Folgesache tritt - ohne Rücksicht auf
eine etwa abweichende Verfahrensführung durch das Gericht - kraft Gesetzes
ein und unterliegt als solche nicht der Disposition der Beteiligten (vgl. Senatsbeschluss
vom 21. Juli 2021 - XII ZB 21/21 - FamRZ 2021, 1521 Rn. 12 ff.).

bb) Ob nach dem Antrag eine Entscheidung für den Fall der Scheidung zu
treffen ist, bedarf indessen der Auslegung, wovon das Beschwerdegericht zutreffend
ausgegangen ist. Das gilt insbesondere beim Anspruch auf Kindesunterhalt,
der keine typische, durch die Scheidung bedingte Folge ist, sondern unabhängig
von dieser besteht.

Bei der Auslegung ist nicht allein auf den Wortlaut des Antrags abzustellen;
vielmehr ist im Zweifel dasjenige gewollt, was nach den Maßstäben der
Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht.
Das Rechtsbeschwerdegericht kann Verfahrenserklärungen uneingeschränkt
nachprüfen und die erforderliche Auslegung selbst vornehmen
(st. Rspr.; vgl. Senatsbeschluss vom 18. März 2020 - XII ZB 474/19 - FamRZ
2020, 1034 Rn. 17; BGH Beschluss vom 13. Dezember 2022 - VIII ZB 43/22 -
WuM 2023, 224 Rn. 10 f. mwN).

(1) Im vorliegenden Fall spricht die Formulierung des angekündigten Abänderungs-
und Zahlungsantrags zwar dafür, dass eine Entscheidung für den
Fall der Scheidung ergehen sollte (vgl. OLG Karlsruhe Beschluss vom 11. Dezember
2020 - 18 UF 85/20 - juris mwN). Dem widerspricht aber bereits die Überschrift
der Antragsschrift. Nach dieser soll der Antrag im isolierten Verfahren gestellt
werden, was den von den Beteiligten bis dahin zum Kindesunterhalt geführten
Verfahren entspricht. Das Beschwerdegericht hat zudem mit Recht auf die
Begründung des Abänderungsantrags hingewiesen, aus welcher sich ebenfalls
kein Bezug zur Scheidung ergibt. Vielmehr ist der Antrag mit dem schon zum
1. September 2021 erfolgten Arbeitgeberwechsel des Antragstellers begründet
worden.

Anders als etwa beim Anspruch auf Zugewinnausgleich (vgl. Senatsbeschluss
vom 21. Juli 2021 - XII ZB 21/21 - FamRZ 2021, 1521 Rn. 12 ff.) handelt
es sich beim Anspruch auf Kindesunterhalt nicht um einen von der Scheidung
abhängigen Anspruch. Im Unterschied zu dem in Trennungs- und Nachehelichenunterhalt
unterteilten Ehegattenunterhalt ist der Kindesunterhalt ein einheitlicher
Anspruch, der nicht durch die Scheidung beeinflusst wird und sowohl als
Folgesache als auch - wie regelmäßig - im Wege des isolierten Verfahrens geltend
gemacht werden kann.

Dabei legt eine interessengerechte Auslegung nahe, dass der Anspruch
im Zweifel im isolierten Verfahren geltend gemacht werden soll. Da die Geltendmachung
des Kindesunterhalts vorrangig im Interesse des Kindes erfolgt, sind
auch und gerade dessen Interessen in die Betrachtung einzubeziehen. Das Kind
hat vorliegend einen gegenüber dem abzuändernden Titel - unterstellt - erhöhten
Unterhaltsanspruch bereits ab Änderung der wesentlichen Verhältnisse, wofür
von der Antragsgegnerin der Wechsel der Arbeitsstelle durch den Antragsteller
und ein infolgedessen erhöhtes Einkommen angeführt werden. Da im Scheidungsverbund
in zulässiger Weise nur Unterhalt ab Rechtskraft der Scheidung
geltend gemacht werden und diese erst geraume Zeit später eintreten kann, entstünde
hinsichtlich der Erhöhungsbeträge eine - mitunter erhebliche - Unterhaltslücke.
Das gilt erst recht im Fall der Abweisung des Scheidungsantrags, wie sie
von der Antragsgegnerin vor dem Amtsgericht beantragt worden ist. Eine Folgesache
würde in diesem Fall nach § 142 Abs. 2 Satz 1 FamFG (grundsätzlich) gegenstandslos
und der Kindesunterhalt würde auf dem zu niedrigen Niveau des
abzuändernden Titels festgelegt bleiben.

(2) Zwar könnte entsprechend der auf die Zeit ab Rechtskraft der Scheidung
eingeschränkten Fassung des angekündigten Abänderungs- und Zahlungsantrags
auch im isolierten Verfahren eine Unterhaltslücke entstehen. Der Antragsgegnerin
steht es hier indessen nach Erledigung der Auskunftsstufe frei, den
- ohnedies zunächst nur unbestimmt formulierten - Antrag den Interessen des
Kindes entsprechend in zeitlicher Hinsicht zu erweitern und auch auf die Zeit vor
Rechtskraft der Scheidung zu erstrecken. Das wäre im Scheidungsverbund dagegen
nicht zulässig. Vielmehr müsste insoweit neben der Folgesache ein weiterer,
isolierter Unterhaltsantrag anhängig gemacht werden, was nicht nur wenig
prozessökonomisch, sondern insbesondere auch aus dem Blickwinkel der Kindesinteressen
nicht sinnvoll erschiene.

Dass die Antragsgegnerin eine Entscheidung über den Abänderungsantrag
unabhängig von der Scheidung verfolgen wollte, wird schließlich dadurch
bestätigt, dass sie gegenüber dem Amtsgericht keine Einwände gegen die Nichteinbeziehung
in den Verbund geltend gemacht hat. Im abschließenden Scheidungstermin
hat sie folgerichtig weder einen Antrag zum Kindesunterhalt gestellt
noch beanstandet, dass dieser nicht Gegenstand der Verhandlung gewesen ist.

cc) Die Auslegung des Beschwerdegerichts, das den Antrag zwar als zeitlich
befristet, nicht aber als durch die Scheidung bedingt angesehen hat, ist mithin
nicht zu beanstanden.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

03.05.2023

Aktenzeichen:

XII ZB 152/22

Rechtsgebiete:

Ehevertrag und Eherecht allgemein
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Nachlaßabwicklung (insbes. Erbschein, Nachlaßinventar)

Normen in Titel:

FamFG §§ 137, 142