Rechtsmissbräuchliche Stimmrechtsausübung eines Aktionärs
letzte Aktualisierung: 7.7.2021
OLG Köln, Urt. v. 6.5.2021 – 18 U 133/20
AktG §§ 241 Nr. 3 u. 4, 262 Abs. 1 Nr. 2
Rechtsmissbräuchliche Stimmrechtsausübung eines Aktionärs
1. Zur Verpflichtung des einzelnen Aktionärs, der Auflösung einer Gesellschaft zuzustimmen bzw.
sie nicht durch Ablehnung zu verhindern, wenn die Erreichung des Gesellschaftszwecks dauerhaft
unmöglich geworden ist.
2. Stellt sich die Lage einer Gesellschaft in Ermangelung einer realistischen Fortführungs- und
Ertragsprognose bei Beschlussfassung so dar, dass etwaig vorhandene Vermögenswerte bei einer
Verzögerung der Auflösung und Liquidation weiter abschmelzen und sinnlos aufgezehrt würden,
kann sich wegen der damit letztlich drohenden Verschlechterung der Zerschlagungswerte die
Stimmrechtsausübung durch einen ablehnenden Aktionär als rechtsmissbräuchlich erweisen.
Gründe:
I.
1. Die Parteien streiten über die Frage, ob ein in der Hauptversammlung vom
3. September 2019 gefasster Beschluss über die Auflösung der Beklagten wirksam und
rechtmäßig ist.
Die Klägerin ist eine von insgesamt drei Aktionären der Beklagten, deren Grundkapital
(75.000 €) in 75.000 Stückaktien zu einem Nennwert von jeweils 1 € eingeteilt ist und
deren satzungsmäßiger Unternehmensgegenstand die Beratung von „Banken und
Grundpfandrechtsgläubigern bei der Umsetzung und Sanierung von Krediten“ ist. Die
Aktionäre halten jeweils 25.000 Aktien.
In der am 3. September 2019 abgehaltenen ordentlichen Hauptversammlung der
Beklagten, bei der alle Aktionäre vertreten waren, wurde mit den Stimmen der beiden
Aktionäre A und der B GmbH zum Tagesordnungspunkt 4 ein Liquidationsbeschluss mit
folgendem Wortlaut gefasst:
„TOP 4 Auflösung der Gesellschaft
1. Die Aktiengesellschaft ist mit Ablauf des 30.9.2019 aufgelöst.
2. Das Geschäftsjahr während der Abwicklung ist das Kalenderjahr. Das erste
(Abwicklungs-)Geschäftsjahr ist ein Rumpfgeschäftsjahr und endet am 31.12.2019.
3. Der Beschluss über die Erhöhung des Kapitals der Gesellschaft vom 30.8.2016
und die Durchführung dieser Kapitalerhöhung bleiben unberührt. Die Durchführung der
Kapitalerhöhung ist jedoch einzustellen, wenn diese nicht spätestens am 30.11.2020 im
Handelsregister eingetragen ist.“
Im Anschluss an die Abstimmung stellte der Versammlungsleiter trotz der Ablehnung der
Klägerin den Beschluss als angenommen fest und führte zur Begründung aus, er habe die
Gegenstimmen der Klägerin als treuwidrig bewertet und daher bei der Stimmauszählung
nicht berücksichtigt.
Die Klägerin, die ihren Widerspruch gegen den vorgenannten Beschluss zur
Versammlungsniederschrift erklärt hat und wegen des Verfehlens der erforderlichen
qualifizierten Mehrheit einen Verstoß gegen
Instanz beantragt,
1. den Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten vom 3. September 2019
zum Tagesordnungspunkt 4, durch welchen die Auflösung der Beklagten mit Ablauf des
30. September 2019 beschlossen wurde, für nichtig zu erklären;
2. hilfsweise, festzustellen, dass der Beschluss der Hauptversammlung der
Beklagten vom 3. September 2019 zum Tagesordnungspunkt 4, durch welchen die
Auflösung der Beklagten mit Ablauf des 30. September 2019 beschlossen wurde, nichtig
ist.
Die Erhebung der Klage erfolgte am 27. September 2019 beim Landgericht Düsseldorf,
das den Rechtsstreit durch Beschluss vom 14. Januar 2020 an das Landgericht Köln
verwiesen hat.
2. Mit dem von der Berufung angegriffenen Urteil vom 24. Juli 2020 (GA 138 ff.),
auf dessen Feststellungen wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sachund
Streitstandes gemäß
Landgericht die Klage abgewiesen. Seine Entscheidung hat es – soweit für die Berufung
von Interesse – im Wesentlichen wie folgt begründet.
a) Die Klage sei zwar zulässig. Die Anfechtungsfrist des
obwohl die Klage zunächst beim unzuständigen Landgericht Düsseldorf eingereicht
worden sei. Etwas anderes gelte dann, wenn der Kläger bei Einreichung der Klage um die
Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts wisse und dieses nur als
Postweiterleitungsstelle missbrauche. Dies sei hier jedoch nicht der Fall. Es könne nicht
davon ausgegangen werden, dass die Klägerin ihre Klage bewusst und missbräuchlich
beim Landgericht Düsseldorf eingereicht habe. Die Klägerin sei aufgrund der unter dem
7. November 2018 erfolgten Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes
fälschlicherweise von einer Sitzverlegung ausgegangen, ohne dass ihr Vorsatz oder
Missbrauch unterstellt werden könne.
b) Indes sei die Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklage unbegründet. Der
angegriffene Hauptversammlungsbeschluss sei weder anfechtbar noch nichtig.
aa) Der Beschluss verstoße nicht gegen die guten Sitten im Sinne von § 241 Nr. 4
AktG. Der Umstand, dass bei Beschlussfassung der Bericht des Sonderprüfers noch nicht
vorgelegen habe, begründe keine Sittenwidrigkeit des Auflösungsbeschlusses. Etwaige
sich aus dem Bericht ergebende Ansprüche gegen Gesellschaftsorgane könnten im
Rahmen der Liquidation der Beklagten ohne Weiteres berücksichtigt werden; der
Beschluss stehe der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen nicht entgegen.
bb) Des Weiteren verletze der Beschluss auch nicht im öffentlichen Interesse
liegende Vorschriften gemäß
der Beschluss habe darauf abgezielt, den Bericht des Sonderprüfers obsolet werden zu
lassen und die Klägerin in ihren Kontrollrechten zu beschneiden, sei unbegründet.
Tatsächlich sei der Sonderprüfungsbericht vom 31. Dezember 2019, den die Beklagte
auch im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits vollständig vorgelegt habe,
ordnungsgemäß nach § 145 Abs. 6 Satz 3 AktG beim Handelsregister eingereicht worden.
cc) Schließlich sei der in Rede stehende Beschluss auch nicht wegen Verstoßes
gegen
erforderlichen Stimmmehrheit gefasst worden, weil die Stimmabgabe der Klägerin
treuwidrig und daher nicht zu berücksichtigen gewesen sei.
(1) Zwar könnten sich für Gesellschafter positive Stimmpflichten aus der
gesellschaftsrechtlichen Treupflicht nur ausnahmsweise ergeben, wenn das
Abstimmungsermessen der Aktionäre aus Rechtsgründen auf Null reduziert und eine
Beschlussablehnung pflichtwidrig sei. Die Treuepflicht begründe für den einzelnen Aktionär
eine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Gesellschaft und der Mitaktionäre,
ohne dass damit eine gerichtliche Inhaltskontrolle einhergehe. Vielmehr sei der Aktionär
bei der Abstimmung grundsätzlich frei und könne er sein Stimmverhalten an
unternehmerischen Interessen orientieren, die regelmäßig nicht nur eine bestimmte
Entscheidung als richtig erscheinen ließen. Zu einer Einschränkung bei der
Stimmrechtsausübung könne die Treupflicht nur führen, wenn einzig und allein eine
bestimmte Entscheidung dem Wohl der gesamten Gesellschaft diene und jede andere
Entscheidung ihr schweren Schaden zufüge. Dabei habe auch eine Aktionärsminderheit
unter Berücksichtigung des Gesellschaftszwecks auf die gesellschaftsbezogenen Belange
der Mehrheit der Gesellschafter angemessen Rücksicht zu nehmen, wobei dies unter dem
Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit stehe. Für den Fall, dass eine
Gesellschaft sanierungsbedürftig sei, werde daraus der Schluss gezogen, dass die
Treuepflicht dem einzelnen Gesellschafter verbiete, eine sinnvolle und mehrheitlich
angestrebte Sanierung aus eigennützigen Gründen zu verhindern. Seien jedoch eine
Änderung des satzungsmäßigen Gegenstandes und eine Sanierung aussichtslos, könne
die Treuepflicht des Gesellschafters auch gebieten, einer alternativlosen Auflösung der
Gesellschaft zuzustimmen.
(2) Vor diesem Hintergrund sei hier der gefasste Auflösungsbeschluss zur
Erhaltung wesentlicher Werte der Beklagten bzw. zur Vermeidung erheblicher Verluste der
Gesellschafter oder der Gesellschaft objektiv unabweisbar erforderlich. Für die Klägerin
habe es keinen vertretbaren Grund für die Verweigerung ihrer Zustimmung gegeben. Die
Beklagte habe keine wirtschaftliche Perspektive und erwirtschafte dauerhaft nur Verluste.
Bisherige Sanierungsversuche seien gescheitert und weitere Sanierungskonzepte seien
nicht in Sicht.
Dass die Ertrags-, Finanz- und Vermögenslage der Beklagten dauerhaft negativ sei,
bestreite auch die Klägerin nicht. Die Fortführungsprognose der Beklagten sei negativ; sie
werde zudem wegen der zwischen den Parteien regelmäßig geführten Rechtsstreite mit
Kosten belastet. Versuche der Beklagten, den satzungsmäßigen Geschäftsgegenstand zu
ändern bzw. zu erweitern, seien ebenso gescheitert wie Bemühungen, neue Kunden zu
gewinnen und Aufträge zu generieren.
Die von der Beklagten dargelegten Gründe seien nachvollziehbar. Auch die Klägerin habe
auf vorgerichtliche und gerichtliche Aufforderung nicht darlegen können, wie die Beklagte
in der Lage sein solle, künftig Erträge zu erwirtschaften und weitere Verluste zu vermeiden.
Die als Alternative in Betracht kommende Durchführung eines geordneten
Insolvenzverfahrens bringe gegenüber der beschlossenen Auflösung keine Vorteile. Die
Klägerin verkenne hierbei, dass auch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bzw. die
Verweigerung der Eröffnung eines solchen mangels Masse gesetzlich Auflösungsgründe
darstellten.
Die hier gegebene Stimmpflicht der Klägerin werde auch nicht dadurch in Frage gestellt,
dass zum Zeitpunkt der Hauptversammlung der Sonderprüfungsbericht noch nicht
vorgelegen habe. Der Bericht sei für die Frage der Auflösung ohne Belang, da er
ausschließlich die Prüfung etwaiger Pflichtverletzungen einzelner Vorstandsmitglieder und
etwaiger damit verbundener Schadensersatzansprüche der Gesellschaft zum Gegenstand
gehabt habe. Solche Ansprüche seien auch nach Auflösung der Beklagten durch den
Abwickler zu verfolgen.
Unabhängig davon habe außer Frage gestanden, dass die Vermögenslage der Beklagten
seit fünf Jahren dauerhaft negativ sei und seit 2018 keine Erträge erzielt würden. Auch
sich aus dem Sonderprüfungsbericht ergebene mögliche Forderungen der Beklagten
gegen ihre Vorstände seien nicht geeignet, die negative Fortführungsprognose zu
beseitigen. Durch Ansprüche gegen Vorstandsmitglieder hätte sich allenfalls das
Aktivvermögen der Beklagten erhöht, das bei deren Fortführung jedoch wegen dauerhaft
fehlender Umsätze kurzfristig abschmelzen werde. Langfristig sei der Eintritt weiterer
Verluste bis hin zur Vermögenslosigkeit der Beklagten selbst dann nicht zu vermeiden,
wenn erhebliche Schadensersatzansprüche gegen die Vorstandsmitglieder unterstellt
würden; es habe sich allenfalls die Insolvenzantragspflicht der Beklagten hinauszögern
lassen. Das nutzlose Aufzehren liquider Mittel begründe indes kein beachtenswertes
Interesse der Klägerin. Der Hinweis auf ein Bankkonto, das Barvermögen in Höhe von
knapp 630.000 € aufweise, verfange nicht. Denn unabhängig von der temporären
Erhöhung des Barvermögens bleibe die Auflösung der Beklagten wegen der negativen
Fortführungsprognose zur Vermeidung weiterer Verluste alternativlos.
Auch die zwischen dem Mitaktionär A und der Beklagten getroffene
Liquidationsvereinbarung stehe der Auflösung bzw. der Annahme einer entsprechenden
Stimmpflicht der Klägerin nicht entgegen. Dieser Vereinbarung komme im Verhältnis der
Aktionäre zueinander keine Verbindlichkeit zu, so dass die Klägerin hieraus keine Rechte
herleiten könne.
Schließlich gehe auch der Einwand der Klägerin, dass die Aufsichtsratsmitglieder nach
dem für sie ungünstigen Ergebnis des Sonderprüfungsberichts als Abwickler nicht in
Betracht kämen, ins Leere. Denn die Bestellung von Liquidatoren sei nicht Gegenstand
des angegriffenen Hauptversammlungsbeschlusses.
3. Hiergegen wendet sich die Berufung der Klägerin (Bl. 41 ff. eA), mit der sie ihr
erstinstanzliches Begehren weiter verfolgt. Sie wendet sich gegen die landgerichtliche
Annahme eines treuwidrigen Stimmverhaltens.
Sie rügt, dass allein der Umstand, dass die Ertrags-, Finanz- und Vermögenslage seit
Jahren negativ gewesen sei und keine Umsätze erwirtschaftet worden seien, die Annahme
einer Ermessensreduzierung auf Null nicht rechtfertige. Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs genüge es für den Vorwurf der Treuwidrigkeit nicht, dass der
Gesellschafter eine Maßnahme ablehne, die im Interesse der Gesellschaft liege, ihre
Zwecke fördere oder die Zustimmung zumutbar sei. Vielmehr sei erforderlich, dass die zu
beschließende Maßnahme zur Vermeidung erheblicher Verluste notwendig sei und es
keinen vertretbaren Grund gebe, die Entscheidung abzulehnen.
Konkrete Verluste von erheblichem Gewicht, die den Beklagten oder Gesellschaftern aus
dem ablehnenden Stimmverhalten der Klägerin drohten, habe das Landgericht nicht
festgestellt, sondern sich auf Vermutung und Spekulation gestützt. Unstreitig seien der
Beklagten aufgrund des Sonderprüfungsberichts weitere Barmittel zugeflossen.
Darüber hinaus habe das Landgericht verkannt, dass sich das Ermessen trotz erheblicher
Verluste im Fall der Ablehnung einer Maßnahme auch dann nicht auf Null reduziere, wenn
dem Gesellschafter für sein Stimmverhalten ein vertretbarer Grund zur Seite stehe. So
liege der Fall hier. Denn zum Zeitpunkt der Hauptversammlung habe der Bericht des
Sonderprüfers noch nicht vorgelegen. Es sei vertretbar, die Entscheidung der Liquidation
vom Vorliegen des Sonderprüfungsberichts abhängig zu machen; insoweit habe das
Landgericht übersehen, dass ausweislich der zwischen ihr und dem Mitaktionär A
getroffenen Liquidationsvereinbarung auch die Beklagte die Entscheidung über die
Liquidation erst nach dem Vorliegen des Sonderprüfungsberichts habe treffen wollen.
Schließlich habe das Landgericht keine Feststellung getroffen, dass eine
Beschlussfassung über die Liquidation in der Hauptversammlung am 3. September 2019
unabweisbar erforderlich gewesen sei, sondern habe es sich darauf beschränkt, die von
der Beklagten für die Liquidation angeführten Gründe als nachvollziehbar zu werten, was
für eine Ermessensreduzierung auf Null nicht ausreiche.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Köln vom 29. Juli 2020 den Beschluss der
Hauptversammlung der Beklagten vom 3. September 2019 zum Tagesordnungspunkt 4,
durch welchen die Auflösung der Beklagten mit Ablauf des 30. September 2019
beschlossen wurde, für nichtig zu erklären;
hilfsweise,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Köln vom 29. Juli 2020 festzustellen, dass
der Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten vom 3. September 2019 zum
Tagesordnungspunkt 4, durch welchen die Auflösung der Beklagten mit Ablauf des
30. September 2019 beschlossen wurde, nichtig ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angegriffene Urteil (Bl. 62 ff. eA).
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die wechselseitig zu der Verfahrensakte
gereichten Schriftsätze nebst Anlagen und auf den übrigen Inhalt der Verfahrensakte
verwiesen.
II.
1. Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg, weshalb sie
zurückzuweisen ist. Das Landgericht hat die Klage mit Recht als unbegründet abgewiesen.
a) Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass die materiell-rechtliche
Ausschlussfrist des
Klage innerhalb der Monatsfrist beim unzuständigen Landgericht Düsseldorf eingereicht
hat, steht dem nicht entgegen und stellt sich insbesondere nicht als rechtsmissbräuchlich
dar. Der Senat tritt den zugrunde liegenden Erwägungen des angegriffenen Urteils
inhaltlich bei. Die der Klageerhebung vor dem Landgericht Düsseldorf zugrunde liegende
Annahme der Klägerin, mit der unter dem 7. November 2018 erfolgten Verlegung des
tatsächlichen Verwaltungssitzes der Beklagten nach Düsseldorf sei eine Änderung der
örtlichen Zuständigkeit einher gegangen, trifft zwar nicht zu, doch begründet die
unzutreffende Rechtsauffassung der Klägerin noch kein rechtsmissbräuchliches Verhalten.
Es ist nicht ersichtlich, welchen Vorteil die Klägerin mit der Anrufung des Landgerichts
Düsseldorf erstrebt haben soll.
b) Die Klage ist jedoch unbegründet. Der in der Hauptversammlung der Beklagten
zu TOP 4 gefasste Auflösungsbeschluss ist weder nichtig (dazu aa) noch anfechtbar
(dazu bb).
aa) Der Beschluss ist nicht nichtig. Gegen diese zutreffende rechtliche Bewertung
des Landgerichts bringt die Berufung, die insoweit lediglich auf das erstinstanzliche
Klagevorbringen verweist, auch nichts vor.
(1) Der Beschluss verstößt nicht durch seinen Inhalt gegen die guten Sitten gemäß
§ 241 Nr. 4 AktG. Die Erwägung der Klägerin, es verstoße gegen das Anstandsgefühl aller
billig und gerecht Denkenden, wenn der als Hauptversammlungsleiter agierende
Aufsichtsrat einen Treuverstoß der Klägerin bei der Ausübung ihres Stimmrechts zu einem
Zeitpunkt feststelle, zu dem der Sonderprüfungsbericht noch nicht vorgelegen habe,
weshalb nicht festgestanden habe, ob der Aufsichtsrat seine Aufsichtspflichten verletzt
habe und der Beklagten daraus Schadensersatzansprüche gegen ihre Organe erwachsen
seien, trägt den von der Klägerin erhobenen Vorwurf nicht. Der Vorwurf stützt sich schon
nicht auf den Inhalt des Hauptversammlungsbeschlusses als solches, sondern vielmehr
auf das zur Feststellung des Beschlusses führende Verhalten des gemäß § 17 Nr. 1 der
Satzung zum Hauptversammlungsleiter berufenen Aufsichtsratsvorsitzenden. Der in § 241
Nr. 4 AktG festgeschriebene Nichtigkeitsgrund setzt jedoch voraus, dass der Beschluss für
sich allein genommen, d. h. wegen seines Inhalts, sittenwidrig sein muss (vgl. nur
Drescher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl.,
in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl., § 241 Rn. 19; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 15. Aufl., § 241
Rn. 21; jeweils m.w.N.). Daran fehlt es hier.
(2) Der Beschluss ist auch nicht nach § 241 Nr. 3 Var. 3 AktG nichtig. Denn er
verstößt durch seinen Inhalt nicht gegen Vorschriften, die sonst im öffentlichen Interesse
gegeben sind. Der durch die Klägerin erhobene Vorwurf, der Beschluss habe gerade
darauf abgezielt, den Bericht des Sonderprüfers obsolet werden zu lassen und damit die
Klägerin in ihren Kontrollrechten zu beschneiden, lässt sich dem Beschluss nicht
entnehmen und entbehrt auch sonst jeder Grundlage. Vielmehr ergibt sich aus dem als
Anlage B 9 vorgelegten Anschreiben der Beklagten an die Klägerin vom 18. Juni 2019
(AnlH 201 ff.), dass im Zusammenhang mit dem seinerzeit für Juli 2019 angekündigten
Sonderprüfungsbericht der – zutreffende – Hinweis darauf erfolgte, dass die
Geltendmachung etwaiger darin angelegter Ansprüche von einer Liquidation der Beklagten
unberührt bliebe, was gegen die Annahme der Klägerin spricht.
Abgesehen davon lässt der Vorwurf unberücksichtigt, dass die Veröffentlichung des
Prüfberichts und dessen Einreichung zum Handelsregister dem bestellten Sonderprüfer
obliegt (vgl. § 145 Abs. 6 Satz 3 AktG) und nicht der Entscheidung der Hauptversammlung
überantwortet ist. Es fügt sich in das Gesamtbild, dass auch vorliegend der
Sonderprüfungsbericht vom 31. Dezember 2019 (Anlage B 16, AnlH 256 ff.) durch den
Sonderprüfer zeitnah beim Handelsregister eingereicht worden ist und die Beklagte den ihr
in der 2. KW 2020 zur Verfügung gestellten Bericht mit Schriftsatz vom 10. Januar 2020
(GA 63 ff.) umgehend zur Verfahrensakte gereicht und damit auch der Klägerin zugänglich
gemacht hat.
bb) Der zu TOP 4 festgestellte Auflösungsbeschluss ist auch nicht wegen eines
angeblichen Verstoßes gegen
Auflösungsbeschluss ist mit der erforderlichen Stimmenmehrheit von drei Vierteln des
vertretenen Grundkapitals gefasst worden. Der zugrunde liegende Standpunkt des
Landgerichts, die Klägerin habe bei ihrer Stimmabgabe treuwidrig gehandelt, so dass das
von ihr vertretene Grundkapital und ihre Stimmen bei der Feststellung des zu TOP 4
gefassten Auflösungsbeschlusses nicht zu berücksichtigen gewesen seien, ist zutreffend.
(1) (a) Im Ausgangspunkt ist der Klägerin dahin beizupflichten, dass
Aktionäre in ihrem Abstimmungsverhalten grundsätzlich frei sind und sie sich an
unternehmerischen Interessen orientieren können, die in der Regel nicht nur eine
bestimmte Entscheidung als richtig erscheinen lassen. Eine Beschränkung der
Stimmrechtsausübungsfreiheit bleibt auf Ausnahmefälle beschränkt. Sie kann sich aus der
gesellschafterlichen Treuepflicht ergeben, wenn das Abstimmungsermessen der Aktionäre
aus Rechtsgründen auf Null reduziert und eine Beschlussablehnung pflichtwidrig ist (vgl.
BGH, Urteil vom 20. März 1995 – II ZR 205/94 –,
vom 23. Juli 2003 – 20 U 5/03 –,
MünchKommAktG, 5. Aufl., vor § 53a Rn. 45). Die an eine solche Beschränkung der
Stimmrechtsausübungsfreiheit zu stellenden Anforderungen hat der Bundesgerichtshof in
einer zum GmbH-Recht ergangenen Entscheidung konkretisiert, deren Grundsätze auch
auf Aktiengesellschaften übertragbar sind (vgl. Götze, in: MünchKommAktG, 5. Aufl., vor
§ 53a Rn. 51; Paefgen,
nur dann in einem bestimmten Sinn abgestimmt werden, wenn die zu beschließende
Maßnahme zur Erhaltung wesentlicher Werte, die die Gesellschafter geschaffen haben,
oder zur Vermeidung erheblicher Verluste, die die Gesellschaft bzw. die Gesellschafter
erleiden könnten, objektiv unabweisbar erforderlich und den Gesellschaftern unter
Berücksichtigung ihrer eigenen schutzwürdigen Belange zumutbar ist, also wenn der
Gesellschaftszweck und das Interesse der Gesellschaft gerade diese Maßnahme
zwingend gebieten und der Gesellschafter seine Zustimmung ohne vertretbaren Grund
verweigert (BGH, Urteil vom 12. April 2016 – II ZR 275/14 –,
m.w.N.). Es kommt mithin eine Beschränkung nur im Ausnahmefall in Betracht, wenn der
Gesellschaftszweck objektiv eine bestimmte Maßnahme zwingend gebietet, also die zu
beschließende Maßnahme zur Erhaltung des Geschaffenen oder zur Vermeidung von
Verlusten dringend geboten ist, und dem Gesellschafter die Zustimmung zumutbar ist
(BGH a.a.O. Rn. 16).
(b) (aa) Dabei ist allerdings zu beachten, dass die vorstehend skizzierten
Vorgaben des Bundesgerichtshofs vornehmlich auf Geschäftsführungsmaßnahmen und
Satzungsänderungen in Gesellschaften zugeschnitten sind, deren Fortsetzung sinnvoll und
beabsichtigt ist. Anders liegt der Fall, wenn – wie hier – die Auflösung und Liquidation
einer Gesellschaft in Rede steht. Mit einer solchen Maßnahme sind, was auch die Klägerin
auf Seite 2 ihres Schriftsatzes vom 23. März 2020 (GA 99) zutreffend anmerkt, die durch
den Bundesgerichtshof aufgestellten Anforderungen denklogisch schwerlich in Einklang zu
bringen sind, führt doch eine Liquidation im Ergebnis dazu, dass die Gesellschaft
– gegebenenfalls nach Verteilung aller Vermögenswerte – aufhört zu existieren. Damit
werden streng genommen weder von den Gesellschaftern geschaffene Werte erhalten
noch Verluste für die Gesellschaft oder die Gesellschafter vermieden.
Allerdings scheidet eine (von der Berufung der Sache nach vertretene) unbesehene
Übertragung der durch den Bundesgerichtshof aufgestellten Leitlinien auf den – hier
gegebenen – Fall der Auflösung einer Gesellschaft aus, andernfalls eine aus der
gesellschafterlichen Treuepflicht hergeleitete Beschränkung der
Stimmrechtsausübungsfreiheit im Zusammenhang mit einer Gesellschaftsauflösung durch
Hauptversammlungsbeschluss praktisch nicht in Betracht käme. Es erscheint nicht
sachgerecht, die Treuepflicht der Gesellschafter gerade in einer Krise der Gesellschaft,
aus der die Notwendigkeit einer Auflösung erwächst, nur eingeschränkt zur Anwendung zu
bringen.
(bb) Dem entspricht es, dass der Bundesgerichtshof gerade für den Fall einer
unhaltbar gewordenen wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft und die sich bei objektiver
Beurteilung daraus ergebende Notwendigkeit einer Aufgabe des Geschäftsbetriebs eine
aus seiner gesellschafterlichen Treupflicht herrührende Rechtspflicht des einzelnen
Gesellschafters zur Ergreifung der insoweit notwendigen Maßnahmen angenommen hat
(vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 1959 – II ZR 81/59 –,
Dieser zur Kommanditgesellschaft eingenommene Standpunkt wird auch im Schrifttum
und in der obergerichtlichen Rechtsprechung für das Recht der Kapitalgesellschaften
geteilt (vgl. Bachmann, in: BeckOGK-AktG, Stand 1. Februar 2021, § 262 Rn. 33 f.;
Drescher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl., AktG § 262 Rn. 4; K. Schmidt,
in: GroßKommAktG, 5. Aufl., § 262 Rn. 2, 25; Riesenhuber, in: K. Schmidt/Lutter, AktG,
4. Aufl., § 262 Rn. 11; Servatius, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl., § 262 Rn. 11; ebenso für die
GmbH: OLG München, Beschluss vom 15. Januar 2015 – 23 U 2469/14 –, BeckRS 2016,
5420 Rn. 8 f.; Berner, in: MünchKommGmbHG, 3. Aufl., § 60 Rn. 98 f.; Casper, in:
Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl., § 60 Rn. 44; Lorscheider, in: BeckOK-GmbHG,
47. Ed. [Stand: 1. Februar 2021], § 60 Rn. 7a.1; Scheller, in: Scholz, GmbHG, 12. Aufl.,
§ 60 Rn. 24; Seibt, in: Scholz, GmbHG, 12. Aufl., § 14 Rn. 109; Verse, in: Henssler/Strohn,
Gesellschaftsrecht, 5. Aufl., GmbHG § 14 Rn. 106). Danach soll sich ausnahmsweise aus
der Treuepflicht eines jeden Gesellschafters die Verpflichtung ergeben, der Auflösung der
Gesellschaft zuzustimmen bzw. sie nicht durch Ablehnung zu verhindern. Das sei
anzunehmen, wenn die Erreichung des Gesellschaftszwecks offensichtlich unmöglich
geworden sei (vgl. Casper, Verse; Scheller; jeweils a.a.O.), insbesondere wenn der
dauerhafte Misserfolg der Geschäftsidee evident sei (vgl. Bachmann a.a.O. Rn. 33;
K. Schmidt a.a.O. Rn. 2; Servatius a.a.O. [keine dauerhafte Erwirtschaftung einer positiven
Eigenkapitalrendite möglich]; Berner a.a.O. Rn. 99) und dementsprechend
Substanzverzehr drohe (Seibt a.a.O.), und wenn die Ablehnung der Auflösung
rechtsmissbräuchlich erscheine, etwa weil der Gesellschafter nur versuche, den
Mitgesellschaftern zu schaden (vgl. Bachmann a.a.O. Rn. 33), was zu anzunehmen sei,
wenn sich durch ein Zuwarten mit der Liquidation die Zerschlagungswerte zu
verschlechtern drohten (vgl. OLG München a.a.O. Rn. 9; Casper a.a.O.). Vereinzelt wird
bei der Würdigung unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität auch darauf abgestellt, dass
das Desinvestitionsinteresse der Gesellschafter nicht über den Kapitalmarkt verwirklicht
werden könne, weil es etwa keine fungiblen Märkte mehr für die Aktien gebe (vgl.
Servatius a.a.O.).
Der Senat teilt diese Auffassung. Danach ist die Annahme einer Verpflichtung des
einzelnen Gesellschafters, der Auflösung der Gesellschaft zuzustimmen bzw. sie nicht
durch Ablehnung zu verhindern, dann möglich, wenn die Erreichung des
Gesellschaftszwecks dauerhaft unmöglich geworden ist und die Ablehnung der Auflösung
durch den Gesellschafter rechtsmissbräuchlich erscheint. Dies lässt sich durchaus mit den
strengen Kriterien, die der Bundesgerichtshof in seiner vorzitierten Entscheidung vom
12. April 2016 (
Erhaltung geschaffener Vermögenswerte darin sehen, dass mit der Entscheidung
zugunsten der Auflösung etwaige verbliebene Barmittel der Gesellschaft zum Zwecke der
Liquidation genutzt werden sollen, während sie ohne Liquidation bei einer Gesellschaft
ohne positive Fortführungs- oder Ertragsprognose nach und nach abschmelzen und
sinnlos vernichtet werden würden. Mit der angestrebten Erhaltung von Vermögenswerten
einher geht zugleich eine Vermeidung von Verlusten jedenfalls dann, wenn zum Zeitpunkt
der Beschlussfassung (noch) eine Auskehrung im Sinne des
kommt und ein Zuwarten den Auskehrungserlös verringern oder einen Anspruch gänzlich
vereiteln würde (vgl. Berner a.a.O. Rn. 99).
Der von der Klägerin unter Verweis auf eine Publikation (Reichert,
mit Schriftsatz vom 26. April 2021 eingenommene Standpunkt, die Erreichung des
Quorums durch Verwerfung ihrer Gegenstimmen als treuwidrig verkenne die Intention des
§ 262 AktG, verfängt nicht. Die in Bezug genommenen Ausführungen Reicherts befassen
sich mit einer Konstellation, die von dem Sachverhalt, der dem Senat zur Entscheidung
unterbreitet ist, abweicht. Es geht dort gerade um den umgekehrten Fall eines zwar mit
qualifizierter Mehrheit, aber ohne beachtenswerten Grund gefassten
Liquidationsbeschlusses.
(2) Nach dieser Maßgabe stellt sich die Ablehnung der zur Abstimmung gestellten
Auflösung der Beklagten durch die Klägerin als treuwidrig dar, weshalb sie bei der
Feststellung des Auflösungsbeschlusses nicht zu berücksichtigen war. Die dieser
Annahme zugrunde liegenden Tatsachen hat das Landgericht als unstreitig festgestellt,
weshalb der Senat an diese gebunden ist und sie bei seiner Entscheidung zugrunde zu
legen hat (§ 529 Nr. 1 ZPO).
(a) Danach ist davon auszugehen, dass die Fortführung des
Unternehmensgegenstandes und damit die Erreichung des Gesellschaftszwecks schon bei
Beschlussfassung offensichtlich unmöglich war (und immer noch ist).
Die Finanz-, Vermögens- und Ertragslage ist aus den durch das Landgericht zutreffend
festgestellten Gründen seit mehr als fünf Jahren dauerhaft negativ; dies stellt auch die
Berufung nicht Abrede, weshalb insoweit auf die diesbezüglichen Feststellungen des
angegriffenen Urteils verwiesen wird.
Hinzu kommt, dass nach den weiter gehenden – jedoch von der Berufung unkommentiert
gebliebenen – Feststellungen des Landgerichts die Fortführungs- und Ertragsprognose der
Beklagten negativ ist und noch vorhandene Vermögenswerte unweigerlich abschmelzen
werden. Die Beklagte, deren Auftragslage seit dem Jahr 2012 stark rückläufig ist und die
trotz entsprechender Bemühungen in ihrem satzungsmäßigen Geschäftsfeld seit mehreren
Jahren keine Neugeschäfte mehr hat generieren können, hat ihren Betrieb faktisch
eingestellt. Dies hat zur Folge, dass der Wert der Aktien nachhaltig negativ ist und ein
Markt, auf dem die Aktionäre ihr Desinvestitionsinteresse realisieren könnten, nicht
existiert. Die Ausführungen der Klägerin unter Ziffer 2 des Schriftsatzes vom 24. März
2021 (Bl. 155 ff. eA) stehen dem nicht entgegen, denn sie ändern nichts an dem
tatsächlich zu verzeichnenden Umsatzrückgang. Auch der damit verbundene Hinweis
darauf, die Beklagte habe auf dem einträglichen Geschäftsfeld des „Asset-Management“
Leistungen für Privatpersonen erbringen können und müssen, verfängt nicht. Diese
Leistungen werden nicht vom satzungsmäßigen Gegenstand erfasst, weshalb sie einer
Satzungsänderung bedürfen, die von der Aktionärsmehrheit nicht gewollt ist und auf die
die Klägerin keinen Anspruch hat.
Die negative Ertragsprognose fällt auch unter Berücksichtigung etwaiger
Sanierungsmöglichkeiten nicht besser aus. Ein im Jahr 2016 unternommener Versuch
einer Kapitalerhöhung ist an der mit der fehlenden Geschäftstätigkeit der Beklagten
begründeten Ablehnung der Beklagten gescheitert. Entsprechend verhält es sich für den
Versuch der Beklagten, den satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand durch
Satzungsänderung auf das Geschäftsfeld „Mezzanine-Kapital“ zu erweitern. Andere
Sanierungsmöglichkeiten kommen aus Sicht der Beklagten nicht in Betracht.
Die Klägerin hat weder vorgerichtlich noch im Verfahren erster Instanz konkrete
Sanierungsvorschläge bzw. Vorschläge zur Unternehmensfortführung gemacht. Daran hat
sich auch in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat nichts geändert.
Denn die Klägerin ist auch dort eine Darstellung oder zumindest Skizzierung eines
konkreten und in absehbarer Zeit umsetzbaren Konzeptes für die Fortführung der
Gesellschaft schuldig geblieben; die von der Klägerin im nicht nachgelassenen Schriftsatz
vom 26. April 2021 behauptete ausführliche und detaillierte Darstellung der aus ihrer Sicht
für die Fortführung der Gesellschaft sprechenden Gründe deckt sich nicht mit der
Wahrnehmung des Senats. Vielmehr hat sich die Vertreterin der Klägerin auf ganz
allgemeine Ausführungen zu möglichen künftigen Geschäftsfeldern beschränkt. Auf die
Nachfrage nach konkreten Umsetzungsmöglichkeiten ergab sich, dass diese auch von der
Klägerin nicht gesehen werden, weil diese jeweils die Mitwirkung der beiden weiteren
Aktionäre erfordert, mit denen allerdings bislang keinerlei konkrete Gespräche geführt
wurden. Angesichts des gegenläufigen Interesses dieser Aktionäre, das dahin geht, die
Beklagte nicht weiterzuentwickeln, sondern zu liquidieren, ist dies auch in Zukunft nicht
ansatzweise zu erwarten.
Auch der Umstand, dass die Klägerin in diesem Schriftsatz unter Hinweis auf den ihr seit
Januar 2020 vorliegenden und in einer ordentlichen Hauptversammlung vom
11. November 2020 bestätigten Sonderprüfungsbericht vom 31. Dezember 2019 und die
darin festgestellten Pflichtverletzungen von Vorstandsmitgliedern angekündigt hat,
nunmehr die Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung zu beantragen, um
den Vorstandsmitgliedern das Vertrauen zu entziehen, verhilft der Berufung nicht zum
Erfolg. Abgesehen davon, dass der seit Erhalt des Sonderprüfungsberichts verstrichene
Zeitraum von mehr als fünfzehn Monaten das Fehlen eines Fortführungskonzeptes
indiziert, gibt auch der von der Klägerin angestrebte bloße Austausch der
Vorstandsmitglieder keinen Anlass zu der Annahme, die Beklagte könnte – anders als in
den zurückliegenden Jahren – auf ihrem satzungsmäßigen Geschäftsfeld Fuß fassen.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Vielzahl der in der Vergangenheit
zwischen der Klägerin auf der einen Seite und der Beklagten oder ihren Organen auf der
anderen Seite geführten Rechtsstreitigkeiten dazu geführt hat, dass das Verhältnis
zwischen der Klägerin zu den beiden Mitaktionären als zerrüttet angesehen werden muss
und die Beklagte neben den laufenden Verwaltungskosten mit erheblichen
Rechtsverfolgungskosten belastet ist, was insgesamt eine einvernehmliche
Unternehmensführung nicht erwarten lässt.
An der fehlenden unternehmerischen Perspektive der Beklagten ändert auch der von der
Berufung auf Seite 5 ihrer Begründung angesprochene Zufluss von 500.000 €, von denen
bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht rund 320.000 € an die
Beklagte gezahlt waren, nichts. Dieser Zufluss, der aus einer gegenüber den
Vorstandsmitgliedern geltend gemachten und von diesen anerkannten
Schadensersatzforderung der Beklagten herrührt, führt allenfalls zu einer
vorübergehenden Verbesserung der Liquidität der Beklagten, deren insolvenzrechtliche
Überschuldung nur durch qualifizierte Rangrücktrittserklärungen in Höhe von insgesamt
795.000 € vermieden wird. Als einmalige Einnahme eröffnet dieser Betrag für die Beklagte
jedoch kein neues Geschäftsfeld, worauf das Landgericht in seinem Urteil (bei Rn. 43 f.)
zutreffend hingewiesen hat.
Auch ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte aufgrund dieses einmaligen Betrages auf dem
satzungsmäßigen Geschäftsfeld konkurrenzfähig werden kann. Ihre Vermögens- und
Finanzlage hat sich seit dem (gescheiterten) Versuch einer Kapitalerhöhung aus dem Jahr
2016 deutlich verschlechtert. Neben einem Jahresfehlbetrag, der sich nach dem
unbestritten gebliebenen Vorbringen auf den Seiten 5 f. der Klageerwiderung seit 2016
vervielfacht hat, ist die Beklagte zur Rückzahlung der auf die (gescheiterte)
Kapitalerhöhung geleisteten Einlagen in Höhe von insgesamt 800.000 € verpflichtet, die
jedoch durch die mit der Klägerin geführten Rechtsstreitigkeiten bereits zu einem großen
Teil aufgezehrt sind.
Vor diesem Hintergrund stellte sich die Lage der Beklagten in Ermangelung einer
realistischen Fortführungs- und Ertragsprognose bereits im maßgeblichen Zeitpunkt der
Beschlussfassung so dar, dass etwaig vorhandene Vermögenswerte der Beklagten bei
einer Verzögerung einer Auflösung und Liquidation weiter abschmelzen und sinnlos
aufgezehrt würden. Aufgrund der damit letztlich drohenden Verschlechterung der
Zerschlagungswerte stellt sich die Stimmrechtsausübung der Klägerin auch als
rechtsmissbräuchlich dar (vgl. OLG München, Beschluss vom 15. Januar 2015 – 23 U
2469/14 –,
2. Aufl., § 60 Rn. 44).
(b) Ein Grund, der das Stimmrechtsverhalten der Klägerin unter den gegebenen
Umständen als vertretbar und damit nicht treuwidrig erscheinen lassen könnte, ist nicht
gegeben.
(aa) Soweit die Klägerin einwendet, sie habe die zur Abstimmung gestellte
Auflösung der Beklagten ablehnen dürfen, weil zum Zeitpunkt der Beschlussfassung der
Sonderprüfungsbericht noch nicht vorgelegen habe, vermag sie daraus keinen
vertretbaren Grund für die Verhinderung der Auflösung und Liquidation der Beklagten
herzuleiten.
Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass ein vertretbarer Grund der zu beschließenden
Maßnahme nicht zwingend entgegenstehen muss. Allerdings genügt es für die Annahme
eines vertretbaren Grundes nicht, wenn der Gesellschafter, der eine zur Abstimmung
gestellte Maßnahme ablehnt und hierfür einen Grund anführt, der den
Beschlussgegenstand nicht oder nur unwesentlich betrifft.
So liegt der Fall auch hier, denn es fehlt – wie das Landgericht zutreffend ausführt – an
einem hinreichenden Bezug zum Beschlussgegenstand. Der dem Sonderprüfer erteilte
Auftrag umfasste ausweislich der als Anlage K 4 vorgelegten Niederschrift der
außerordentlichen Hauptversammlung vom 2. Februar 2015 (AnlH I Bl. 13 ff.) lediglich die
Prüfung etwaiger Pflichtverstöße von Vorstandsmitgliedern. Eine Rettung oder Änderung
des Geschäftsmodells oder Pläne für eine Sanierung waren demgegenüber weder
unmittelbar noch mittelbar vom Prüfungsgegenstand erfasst, so dass die Klägerin nicht in
vertretbarer Weise davon ausgehen konnte, der Bericht könne als Grundlage für die
Fortführungsprognose der Beklagten dienen. An dieser Bewertung ändert sich auch dann
nichts, wenn man im Sinne der Klägerin unterstellt, dass sie sich ein Bild über die Höhe
etwaiger Ersatzansprüche machen wollte und auf Ansprüche in erheblicher Höhe gehofft
hat. Denn ihr musste im Hinblick auf die seinerzeit gegebene Finanz-, Vermögens- und
Ertragslage (vgl. oben unter [a]) wie den übrigen Aktionären klar sein, dass eine einmalige
„Finanzspritze“ keine nennenswerten Auswirkungen auf die schlechte
Fortführungsprognose der Beklagten haben werde. Dass eine Realisierung hoher
Ersatzansprüche aus der ex ante-Sicht Sanierungs- oder Umstrukturierungsmöglichkeiten
eröffnet hätte, hat auch die Klägerin bis heute nicht dargetan. Es fügt sich in das
Gesamtbild, dass die Klägerin weder im Vorfeld der Hauptversammlung vom 3. September
2019 noch in dieser selbst noch im vorliegenden Verfahren Alternativen zu einer
Liquidation vorgebracht oder erläutert hat, was sie sich von einem Abwarten des
Prüfungsberichts erhofft hatte. Dazu gab es jedoch hinreichend Anlass, war ihr doch schon
mit Vorstandsschreiben vom 18. Juni 2019 (Anlage B 9, AnlH II Bl. 201 ff.) kommuniziert
worden, dass und aus welchen Gründen auch mögliche Ersatzansprüche gegen ihre
Vorstandsmitglieder die Beklagte wirtschaftlich nicht retten könnten, sondern lediglich eine
positive Auswirkung auf eine Liquidation hätten.
(bb) Auch der – zuletzt mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 26. April 2021
wiederholte – Einwand der Beklagten, das Abwarten des Sonderprüfungsberichts sei
vertretbar, weil der Mitaktionär A und die Beklagte unter Ziffer 1.1 der zwischen ihnen
getroffenen Liquidationsvereinbarung vom 18. Juni 2019 (Anlage B 5, AnlH I Bl. 167 ff.)
festgelegt hätten, dass die Liquidation der Beklagten erst nach Vorlage des
Sonderprüfungsberichts beschlossen werden solle, greift nicht durch.
Indem die Klägerin eine Vereinbarung des vorstehenden Inhalts suggeriert, gibt sie den
Inhalt der Vereinbarung verkürzt und unzutreffend wieder. Zwar trifft es zu, dass nach
Ziffer 1.1 die „unverzüglich nach der Vorlage des Berichts des Sonderprüfers eine
Hauptversammlung ..., die spätestens im Oktober 2019 stattfindet“ einberufen werden
sollte. Doch lässt sich daraus nicht der Schluss ziehen, die Einberufung der
Hauptversammlung (auch) zum Zwecke der Beschlussfassung über die Auflösung habe
ausnahmslos nach Vorlage des Prüfberichts erfolgen sollen. Im Gegenteil ist unter
Buchstabe (C) der Vertragspräambel dokumentiert, dass es den Parteien der
Liquidationsvereinbarung in erster Linie darum ging, zum Schutz vorhandener liquider
Mittel vor einer nutzlosen Aufzehrung „schnellstmöglich eine Auflösung der Gesellschaft zu
beschließen und sie abzuwickeln.“ Dieses Anliegen hat sich auch in den unter Ziffer 3 der
Liquidationsvereinbarung festgelegten auflösenden Bedingungen niedergeschlagen, die
auf die Gewährleistung einer einfachen, zügigen und kostengünstigen Abwicklung der
Beklagten abzielen. Darüber hinaus ergibt sich aus dem an die Klägerin gerichteten
Vorstandsschreiben vom 18. Juni 2019 (Anlage B 9, AnlH II 201 ff.), dem die
Liquidationsvereinbarung als Anlage beigefügt war, dass der Liquidationsvereinbarung die
Annahme der Vertragsparteien zugrunde lag, der Sonderprüfer werde seinen Bericht
zeitnah (im Juli 2019) vorlegen, weshalb ein Abwarten für noch vertretbar erachtet wurde.
Das Primat einer zügigen Abwicklung kommt letztlich darin zum Ausdruck, dass wegen der
nachfolgend erfolgten Verschiebung des Termins für die Fertigstellung des Berichts und
des nicht absehbaren Vorlagezeitpunkts die Anberaumung der Hauptversammlung mit
dem Auflösungsbeschluss unter TOP 4 ohne weiteres Zuwarten erfolgt ist, um das
vorrangige Ziel einer zügigen Abwicklung nicht zu gefährden.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die von der Klägerin auf Seite 5 des nicht
nachgelassenen Schriftsatzes vom 26. April 2021 formulierte Rechtsfrage nicht, weshalb
sie durch den Senat auch nicht zu entscheiden ist.
(cc) Sonstige Gründe, die das Abstimmungsverhalten der Klägerin als vertretbar
erscheinen lassen könnten, sind weder dargetan noch ersichtlich.
Vielmehr ist der Klägerin die Förderung der Auflösung und der Liquidation auch zumutbar
gewesen, weil eine Liquidation für sie nicht nachteiliger wäre als die Fortführung der
Beklagten, die nach den getroffenen Feststellungen in deren Insolvenz münden würde, die
– nicht zuletzt mit Blick auf die Kosten für den Insolvenzverwalter – teurer wäre als eine
Liquidation.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf
3. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 711
ZPO.
4. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen gemäß § 543
Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht gegeben sind.
III.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 247 Abs. 1 AktG. Den Streitwert für
aktienrechtliche Anfechtungsklagen bemisst das Prozessgericht nach billigem Ermessen.
Maßgeblich ist die Bedeutung der Sache für beide Parteien sowie für die anderen
Aktionäre, die von einer Urteilswirkung nach
Hüffer/Koch, AktG, 15. Aufl., § 247 Rn. 6). Die Bedeutung der Anfechtung des
Auflösungsbeschlusses orientiert sich einerseits am Interesse der Klägerin, die mit einem
Drittel am Grundkapital der Beklagten von insgesamt 75.000 € beteiligt ist, andererseits an
dem Interesse der Beklagten und der übrigen Aktionäre an der Aufrechterhaltung des
Beschlusses. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Geschäftsbetrieb praktisch eingestellt
ist. Vor diesem Hintergrund ist die Bedeutung der Sache für beide Parteien nicht über zu
bewerten und erweist sich deren Bewertung mit je 25.000 € als sachgerecht.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Köln
Erscheinungsdatum:06.05.2021
Aktenzeichen:18 U 133/20
Rechtsgebiete:
Aktiengesellschaft (AG)
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)
AktG §§ 241 Nr. 3 u. 4, 262 Abs. 1 Nr. 2