OLG Schleswig 30. Dezember 2022
2 Wx 29/22
GBO § 35

Zusammentreffen eines öffentlichen und eines privatschriftlichen Testaments; Erforderlichkeit eines Erbscheins im Grundbuchverfahren; Bedeutung einer Verwirkungsklausel

letzte Aktualisierung: 22.2.2023
OLG Schleswig, Beschl. v. 30.12.2022 – 2 Wx 29/22

GBO § 35
Zusammentreffen eines öffentlichen und eines privatschriftlichen Testaments;
Erforderlichkeit eines Erbscheins im Grundbuchverfahren; Bedeutung einer
Verwirkungsklausel

1. Liegt neben dem öffentlichen Testament ein eigenhändiges Testament vor, bleibt es bei der Regel
des § 35 Abs. 1 S. 1 GBO, sofern die Erbfolge nicht ausschließlich auf dem öffentlichen Testament,
sondern (auch) auf dem privatschriftlichen Testament beruht. Existiert neben dem öffentlichen
Testament ein späteres privatschriftliches Testament, ist neben Widerruf (§§ 2254 bis 2256 BGB)
und Widerspruch zu dem früheren öffentlichen Testament (§ 2258 BGB) auch jede andere
Beschwerung mit Bezug zur Erbeinsetzung (etwa Nacherbfolge, Testamentsvollstreckung) zu
beachten.
2. Bei Konkurrenz zwischen einem öffentlichen Testament und einer später errichteten
privatschriftlichen Verfügung von Todes wegen kann das Grundbuchamt daher regelmäßig bereits
dann auf der Vorlage eines Erbscheins bestehen, wenn das eigenhändige Testament nicht offenbar
ungültig, widerrufen oder für die Erbfolge bedeutungslos ist.
3. Wird in einem späteren privatschriftlichen Testament eine Verwirkungsklausel eingefügt, ist diese
für die Erbfolge von Bedeutung, weil sie geeignet ist, die in der öffentlichen Urkunde getroffene
Erbfolgeanordnung zu modifizieren oder zu beseitigen. Eine Verwirkungsklausel führt zum Verlust
des Erbrechts für denjenigen oder diejenigen Erben, die gegen die sanktionsbewehrte
Verhaltensanordnung verstoßen, sodass die nachträgliche Einfügung einer solchen auflösenden
Bedingung für die Erbfolge von Bedeutung ist.

Gründe

I.
Im Grundbuch von U Blatt … des Amtsgerichts X ist der am …2017 verstorbene G1 (im
Folgenden: Erblasser) in Abteilung I eingetragen.

Der Erblasser setzte durch notarielles Testament vom ...2014 (UR-Nr. ... der Notarin S1 aus Y)
seine drei Söhne, die Beteiligten zu 1-3, zu je 1/3 als Erben ein. Durch zwei privatschriftliche
Testamente vom ...04.2017 sowie vom ...09.2017 änderte er sein Testament vom ...2014.
Während in dem Testament vom ...04.2017 lediglich Änderungen mit Blick auf die
Vermächtnisse enthalten waren, beinhaltete das Testament vom ...09.2017 neben einer weiteren
Regelung die Vermächtnisse betreffend folgende Änderung zum Testament vom ...2014:
„Dieses Testament habe ich niedergeschrieben in der Erwartung, dass meine Söhne mögliche
Meinungsverschiedenheiten einvernehmlich beilegen oder gegebenenfalls den
Einigungsvorschlag des Testamentsvollstreckers annehmen. Ein Erbe, der Klage erhebt, hat nur
Anspruch auf den Pflichtteil“
Alle drei Testamente wurden vor dem Amtsgericht … eröffnet.

Zunächst haben die Antragsteller am 02.08.2019 beantragt, die Beteiligten zu 1-3 als Eigentümer
in Erbengemeinschaft im Grundbuch einzutragen und unter anderem einen
Erbauseinandersetzungsvertrag vom …2019 (UR-Nr. … der Notarin S1 aus Y) beigefügt.
Hierauf hat das Grundbuchamt des Amtsgerichts nach weiterem Schriftwechsel mit
Zwischenverfügung vom 09.12.2019 aufgegeben, einen Erbschein vorzulegen. Das spätere
privatschriftliche Testament sei für die Erbfolge nicht unerheblich.

Daraufhin haben die Antragsteller den Antrag mit Schriftsatz vom 14.04.2020 zurückgenommen
und die Eigentumsumschreibung auf die Beteiligten zu 1-3 als Miteigentümer zu je 1/3
beantragt. Unter Ziffer II der beigefügten „Änderung zum Erbauseinandersetzungsvertrag vom
...2019“, datierend auf den …02.2020 (UR-Nr. … der Notarin S1 aus Y) ist die Übertragung des
verfahrensgegenständlichen Grundstückes durch den Testamentsvollstrecker auf die Beteiligten
zu 1-3 zu je 1/3 Miteigentumsanteil geregelt.

Mit Schreiben vom 22.04.2020 hat das Grundbuchamt des Amtsgerichts darauf hingewiesen,
dass die nicht entgeltliche Verfügung des Testamentsvollstreckers der Zustimmung aller Erben
bedürfe, hierzu bedürfe es des Erbnachweises, auf die Zwischenverfügung vom 09.12.2020
werde Bezug genommen.

In der Folge haben die Antragsteller mit Schreiben vom 16.03.2021 den Antrag vom 14.04.2021
zurückgenommen und zugleich beantragt, die Beteiligten zu 1-3 als Eigentümer in
Erbengemeinschaft einzutragen. Beigefügt war die Vereinbarung vom ...02.2021 (UR-Nr. … der
Notarin S1 aus Y), mit der die Urkunde „Änderung zum Erbauseinandersetzungsvertrag vom
...2019“, datierend auf den ...02.2020, wiederum aufgehoben wurde. Gleichzeitig wurde das
Grundstück durch den Testamentsvollstrecker freigegeben. Die Notarin solle den
zwischenzeitlich gestellten Antrag zurücknehmen und einen Antrag auf Grundbuchberichtigung
(Eintragung der Erben als Eigentümer in Erbengemeinschaft) stellen. In der Urkunde enthalten
ist eine eidesstattliche Versicherung, die unter anderem die Erklärung beinhaltet, dass keiner der
in dem notariellen Testament vom ...2014 (UR-Nr. ... der Notarin S1 aus Y) genannten drei
Erben Klage erhoben hat. Die in der notariellen Urkunde enthaltenen Erklärungen wurden
durch den Testamentsvollstrecker und eine Angestellte der Notarin abgegeben, wobei die
Letztgenannte namens und in Vollmacht der Beteiligten zu 1-3 handelte.

Nach weiterem Schriftwechsel hat das Grundbuchamt des Amtsgerichts X am 04.03.2022 die
angegriffene Zwischenverfügung erlassen und die Vorlage eines Erbscheins aufgegeben. Die
spätere privatschriftliche Verfügung sei für die Erbfolge erheblich, da ein Erbe, der Klage
erhebe, nur einen Pflichtteilsanspruch habe und von der Erbfolge ausgeschlossen sei. Die
Vorlage der eidesstattlichen Versicherung schließe die Nachweiskette nicht, weil die
Verwirkungsklausel auf der späteren privatschriftlichen Verfügung beruhe. Dabei hat das
Grundbuchamt auf die Entscheidung des OLG Frankfurt, Beschluss vom 30. November 2004 –
20 W 223/2004 –, juris, Bezug genommen.

Hiergegen haben die Antragsteller Beschwerde erhoben. Es handele sich um eine
Verwirkungsklausel mit eindeutiger Verhaltensanforderung (vgl. BGH Beschluss vom 2. Juni
2016 – V ZB 3/14). Auch in einem Erbscheinsverfahren vor dem Nachlassgericht würde nichts
anderes verlangt werden als die bereits dem Grundbuchamt vorliegende eidesstattliche
Versicherung, dass keiner der Erben Klage erhoben habe. Die Erben würden diese Erklärung
kennen und hätten sie sich durch den fehlenden Protest zu eigen gemacht. Die vom
Grundbuchamt zitierte Entscheidung des OLG Frankfurt sei nicht übertragbar.
Das Grundbuchamt des Amtsgerichts X hat der Beschwerde durch Beschluss vom 04.05.2022
nicht abgeholfen und die Beschwerde dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht
vorgelegt.

II.
Die gemäß §§ 71 ff. GBO zulässige Beschwerde gegen die nach § 18 GBO ergangene
Zwischenverfügung ist unbegründet.
Das Grundbuchamt hat den Antragstellern mit der angegriffenen Zwischenverfügung zurecht
aufgegeben, einen Erbschein zum Nachweis der Erbfolge vorzulegen, § 35 Abs. 1 S. 1 GBO,
bevor die Beteiligten zu 1-3 als Eigentümer in Erbengemeinschaft im Wege der
Grundbuchberichtigung eingetragen werden.

Gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 GBO ist der Nachweis der Erbfolge durch Vorlage eines Erbscheins zu
führen. Der Vorlage eines Erbscheins bedarf es dann nicht, wenn die Erbfolge auf einer
Verfügung von Todes wegen beruht, die in einer öffentlichen Urkunde enthalten ist, § 35 Abs. 1
S. 2 GBO.

Vorliegend beruht die Erbfolge nicht allein auf dem notariell beurkundeten Testament, weil ein
späteres privatschriftliches Testament des Erblassers existiert, welches die Erbfolge berührt.
Liegt neben dem öffentlichen Testament ein eigenhändiges Testament vor, so bleibt es bei der
Regel des § 35 Abs. 1 S. 1 GBO sofern die Erbfolge nicht mehr ausschließlich auf dem
öffentlichen Testament, sondern (auch) auf dem privatschriftlichen Testament beruht (vgl.
Volmer in: Keller/Munzig, KEHE Grundbuchrecht, § 35 Rn. 95). Existiert neben dem
öffentlichen Testament ein späteres privatschriftliches Testament, ist - auch wenn kein Widerruf
gemäß §§ 2254 -2256 BGB vorliegt - insbesondere § 2258 BGB zu beachten, demzufolge ein
früheres Testament insoweit aufgehoben wird, als das spätere Testament mit dem früheren in
Widerspruch steht (vgl. OLG München, Beschluss vom 21. Oktober 2016 – 34 Wx 331/16 –,
Rn. 15, juris; Senat, Beschluss vom 12.06.2018 - 2 Wx 38/18). Andere Beschwerungen mit
Bezug zur Erbeinsetzung (etwa Nacherbfolge, Testamentsvollstreckung) können ebenfalls die
Erbfolge beeinträchtigen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 6. September 2012 – I-15 W 260/12
–, Rn. 3, juris, für die spätere Änderung der Anordnung einer Testamentsvollstreckung durch
privatschriftliches Testament).

Bei Konkurrenz zwischen einem öffentlichen Testament und einer später errichteten
privatschriftlichen Verfügung von Todes wegen kann das Grundbuchamt daher regelmäßig
bereits dann auf der Vorlage eines Erbscheins bestehen, wenn das eigenhändige Testament nicht
offenbar ungültig, widerrufen oder für die Erbfolge bedeutungslos ist (OLG München,
Beschluss vom 21. Oktober 2016 – 34 Wx 331/16 –, Rn. 14, juris; Senat, Beschlüsse vom
12.06.2018 - 2 Wx 38/18 und vom 10.07.2017 - 2 Wx 41/16; OLG Hamm, Beschluss vom 6.
September 2012 – I-15 W 260/12 –, Rn. 3, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 30. November
2004 – 20 W 223/2004 –, Rn. 15, juris; Böhringer ZEV 2017, 68 (70); vgl. auch Volmer in:
Keller/Munzig, KEHE Grundbuchrecht, § 35 Rn. 95).

Vorliegend ist das privatschriftliche Testament nicht offensichtlich unwirksam oder widerrufen.
Es kann auch für die Erbfolge Bedeutung erlangen, weil es geeignet ist, die in der öffentlichen
Urkunde getroffene Erbfolgeanordnung zu modifizieren oder zu beseitigen (vgl. OLG
München, Beschluss vom 21. Oktober 2016 – 34 Wx 331/16 –, Rn. 14, juris). Die Auswirkung
auf die Erbfolge ergibt sich aus der in der privatschriftlichen Verfügung enthaltenen Regelung,
dass derjenige Erbe, der Klage erhebt, lediglich Anspruch auf seinen Pflichtteil haben soll. Eine
derartige Verwirkungsklausel führt zum Verlust des Erbrechts für denjenigen oder diejenigen
Erben, die gegen die sanktionsbewehrte Verhaltensanordnung verstoßen. Die nachträgliche
Einfügung einer solchen auflösenden Bedingung ist für die Erbfolge von Bedeutung.
Soweit die Antragsteller auf die Entscheidung des BGH vom 2. Juni 2016 – V ZB 3/14 – Bezug
nehmen, übersehen sie, dass bei dem der zitierten Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt
die Verwirkungsklausel in dem notariell beurkundeten Testament enthalten war. Schon aus
diesem Grund vermögen sie das von ihnen verfolgte Ziel einer Eintragung ohne Vorlage eines
Erbscheins nicht auf diese Entscheidung zu stützen.

In diesem Zusammenhang merkt der Senat - ohne dass es nach den vorstehenden
Ausführungen hierauf noch ankäme - an, dass die vorliegende eidesstattliche Versicherung
seitens des Testamentsvollstreckers und der durch die Beteiligten zu 1-3 bevollmächtigten
Notarfachangestellten auch dann nicht ausgereicht hätte, wenn die Verwirkungsklausel bereits in
dem notariell beurkundeten Vertrag enthalten gewesen wäre. In diesem Fall hätte es einer
entsprechenden eidesstattlichen Versicherung zumindest seitens aller Beteiligter bedurft
(Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 13. Dezember 2021 – 5 W
70/21 –, Rn. 13, juris; Volmer in: Keller/Munzig, KEHE Grundbuchrecht, § 35 Rn. 123; OLG
Frankfurt, Beschluss vom 17. Januar 2013 – 20 W 413/12 –, Rn. 14, juris: eidesstattliche
Versicherungen sämtlicher (bedingt eingesetzter) Schlusserben, ebenso: Böhringer ZEV 2017,
68 (71)). Die eidestattliche Versicherung der bevollmächtigten Notarfachangestellten vermag
eine Erklärung der beteiligten Erben nicht zu ersetzen, weil es sich bei der Erklärung, dass
keiner der Erben Klage erhoben hat, nicht um eine Willenserklärung handelt, sondern um eine
die festzustellende Tatsachengrundlage betreffende Wissenserklärung.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Schleswig

Erscheinungsdatum:

30.12.2022

Aktenzeichen:

2 Wx 29/22

Rechtsgebiete:

Grundbuchrecht
Testamentsform

Normen in Titel:

GBO § 35