Eignung und Auswahl des Betreuers; Bedeutung der familiären Beziehung; Gefahr von Interessenkonflikten
letzte Aktualisierung: 2.5.2025
BGH, Beschl. v. 5.3.2025 – XII ZB 260/24
BGB § 1816
Eignung und Auswahl des Betreuers; Bedeutung der familiären Beziehung; Gefahr von
Interessenkonflikten
a) Schlägt der Betroffene niemanden vor, der zum Betreuer bestellt werden kann, so sind nach
insbesondere zum Ehegatten, zu Eltern und zu Kindern, seine persönlichen Bindungen sowie die
Gefahr von Interessenkonflikten zu berücksichtigen. Ein Angehöriger, der zur Übernahme der
Betreuung bereit ist, darf grundsätzlich nur dann zugunsten eines Berufsbetreuers übergangen
werden, wenn er hierfür nicht geeignet ist.
b) Nicht geeignet für eine konkrete Betreuung ist nach
willens oder in der Lage ist, in dem gerichtlich angeordneten Aufgabenkreis nach Maßgabe des
umzusetzen und in dem hierfür erforderlichen Umfang persönlichen Kontakt mit dem Betreuten zu
halten (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 28. Februar 2024 – XII ZB 213/23 – FamRZ 2024,
963).
Gründe:
I.
Der Beteiligte zu 4 wendet sich dagegen, dass zum Betreuer für die Betroffene
nicht er als ihr einziger Sohn, sondern der Beteiligte zu 1, ein Berufsbetreuer,
bestellt worden ist.
Die im Jahr 1934 geborene Betroffene leidet an einer Aphasie und schweren
psychischen Störungen aufgrund einer Schädigung oder Funktionsstörung
des Gehirns nach Reanimation, Intubation und Beatmung, derentwegen sie ihre
Angelegenheiten rechtlich nicht mehr besorgen kann. Das Amtsgericht hat deshalb
eine Betreuung mit einem umfassenden Aufgabenkreis eingerichtet und den
Beteiligten zu 1 zum beruflichen Betreuer sowie die Beteiligte zu 2 zur beruflichen
Verhinderungsbetreuerin für die Betroffene bestellt. Den zuvor für einige Aufgabenbereiche
zum vorläufigen Betreuer bestellten Sohn der Betroffenen hat das
Amtsgericht als zur Führung der Betreuung nicht geeignet erachtet.
Die auf die Betreuerauswahl beschränkte Beschwerde des Sohnes der
Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde
erstrebt er weiterhin seine Bestellung zum Betreuer.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung
des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das
Landgericht.
1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt,
der Sohn der Betroffenen sei als Betreuer nicht geeignet. Diese Annahme gründe
sich auf das in der Vergangenheit zu Tage getretene Verhalten des Sohnes, das
dieser selbst als wenig vernünftig beschrieben habe. Zum einen habe er die Pflegeeinrichtung,
in der sich seine Mutter aufhalte, zur Unzeit - sogar in den Nachtstunden
- aufgesucht und dort den geregelten Ablauf gestört. Zum anderen habe
er im Beisein der Verfahrenspflegerin wiederholt die Bettdecke seiner Mutter
hochgehoben und an ihrer Windel genestelt. Übergriffig wirke auch die Schilderung
des Sohnes, er habe in der Vergangenheit mit seiner Mutter das Bett geteilt.
Zwar möge die Notwendigkeit der Hilfeleistung beim nächtlichen Toilettengang
der Mutter bestanden haben, jedoch bedinge dies nicht das gemeinsame
Übernachten in einem Bett. Eine andere Einschätzung rechtfertige auch nicht
der Einwand des Sohnes, sein Verhalten habe sich nach der Verbesserung des
Zustands seiner Mutter geändert und er wolle sich in künftigen Ausnahmesituationen
vernünftiger verhalten. Denn dabei handele es sich nur um eine Absichtserklärung
und es stehe nicht fest, dass sich der Sohn auch tatsächlich entsprechend
umsichtig verhalten werde. Ein geeigneter ehrenamtlicher Betreuer stehe
mithin nicht zur Verfügung, so dass die Entscheidung des Amtsgerichts, den Beteiligten
zu 1 als beruflichen Betreuer und die Beteiligte zu 2 als berufliche Verhinderungsbetreuerin
für die Betroffene zu bestellen, nicht zu beanstanden sei.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die
Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die Betreuerauswahl auf verfahrensfehlerhaften
Feststellungen beruht.
a) Gemäß
eine bestimmte Person zum Betreuer zu bestellen, zu entsprechen, es sei denn,
diese Person ist zur Führung der Betreuung nicht geeignet. Hat der Betroffene
- wie hier - niemanden als Betreuer vorgeschlagen, sind bei der Betreuerauswahl
nach
zum Ehegatten, zu Eltern und zu Kindern, seine persönlichen Bindungen
sowie die Gefahr von Interessenkonflikten zu berücksichtigen (vgl. Senatsbeschluss
vom 30. September 2015 - XII ZB 53/15 -
Vorgängernorm des § 1897 Abs. 5 BGB aF). Durch diese Regelung wird dem
Schutz der Familie auch bei der Betreuerbestellung Rechnung getragen (vgl. Senatsbeschluss
vom 1. März 2023 - XII ZB 285/22 -
Erklärt sich ein Familienangehöriger bereit, die Betreuung zu übernehmen und
steht dem kein (gemäß
entgegen, muss die Bestellung eines familienfremden Betreuers daher unter Be-
rücksichtigung der in
auf den konkret in Rede stehenden Aufgabenkreis und die Erfordernisse
einer persönlichen Betreuung begründet werden (BVerfG
Rn. 19 mwN zu den Regelungen in den Vorgängernormen der §§ 1897 Abs. 4
und 5, 1899 Abs. 1 Satz 1 BGB aF).
Wie sich auch aus dem Zusammenspiel mit dem in § 1816 Abs. 5 Satz 1
BGB normierten Vorrang der ehrenamtlichen Betreuung vor einer beruflich geführten
Betreuung (vgl. Senatsbeschlüsse vom 22. Januar 2020 - XII ZB 329/19 -
1772 Rn. 6 ff., jeweils zur Vorgängernorm des
darf ein Angehöriger, der zur Übernahme der Betreuung bereit ist, grundsätzlich
nur dann zugunsten eines Berufsbetreuers übergangen werden, wenn er hierfür
nicht geeignet ist. Nicht geeignet für eine konkrete Betreuung ist nach § 1816
Abs. 1 BGB derjenige, der nicht willens oder in der Lage ist, in dem gerichtlich
angeordneten Aufgabenkreis nach Maßgabe des
den mutmaßlichen Willen des Betreuten zu ermitteln und adäquat umzusetzen
und in dem hierfür erforderlichen Umfang persönlichen Kontakt mit dem Betreuten
zu halten. Von einer fehlenden persönlichen Eignung ist danach insbesondere
auszugehen, wenn das Gericht anhand konkreter Tatsachen erhebliche Interessenkonflikte
feststellt oder wenn ein Missbrauch eines zu der betroffenen
Person bestehenden Vertrauensverhältnisses durch den potentiellen Betreuer zu
befürchten ist. Besteht in einem solchen Fall die konkrete Gefahr, dass die als
Betreuer in Betracht kommende Person nicht gewillt oder in der Lage ist, die Betreuung
nach Maßgabe des
Betreuer mangels Eignung abzusehen (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Februar
2024 - XII ZB 213/23 -
Bei der Frage, ob eine Person als ungeeignet erscheint, darf der Tatrichter
sich nicht auf eine Gewichtung einzelner Tatsachen oder Vorfälle beschränken.
Er hat vielmehr eine Gesamtschau all derjenigen Umstände vorzunehmen, die
für und gegen eine Eignung sprechen könnten, und eine Prognoseentscheidung
dahingehend zu treffen, ob die in Frage stehende Person die aus der konkreten
Betreuung erwachsenden Aufgaben (
in tatrichterlicher Verantwortung vorgenommene Beurteilung der Eignung einer
Person als Betreuer kann im Rechtsbeschwerdeverfahren zwar nur auf Rechtsfehler
überprüft werden. Sie ist indessen rechtlich fehlerhaft, wenn der Tatrichter
den unbestimmten Rechtsbegriff der Eignung verkannt, relevante Umstände in
unvertretbarer Weise bewertet oder bei der Subsumtion wesentliche Umstände
unberücksichtigt gelassen hat (vgl. Senatsbeschlüsse vom 6. November 2024
- XII ZB 176/24 -
- XII ZB 213/23 -
b) Auch nach diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab ist die getroffene
Betreuerauswahl zu beanstanden. Zwar hat das Landgericht den zur Übernahme
der Betreuung bereiten Sohn der Betroffenen zutreffend als bei der Auswahl vorrangig
zu berücksichtigenden Angehörigen erachtet. Die Annahme der Ungeeignetheit
des Sohnes beruht jedoch auf verfahrensfehlerhaften Feststellungen.
Das Landgericht hat maßgeblich auf das Verhalten des Sohnes in der Vergangenheit
abgestellt, als er die Pflegeeinrichtung zur Unzeit aufgesucht und gegenüber
seiner Mutter ein übergriffiges Verhalten gezeigt habe. Einer Absichtserklärung
des Sohnes, sich in künftigen Ausnahmesituationen anders verhalten
zu wollen, hat es keine Bedeutung beigemessen. Die Rechtsbeschwerde rügt mit
Recht, dass das Landgericht in seine Prognoseentscheidung eine aktuelle Bescheinigung
der Pflegeeinrichtung nicht einbezogen hat. Danach sei der Sohn
zwar zu Beginn der Behandlung seiner Mutter emotional sehr betroffen und um
ihre Gesundheit besorgt gewesen. Aufgrund der vorgefallenen Ereignisse und
gesundheitlichen Rückschläge seiner Mutter im Krankenhaus habe er sich in einer
emotionalen Notsituation befunden. Er habe sich aber schnell an die vorliegende
Situation angepasst sowie Vertrauen in das Pflegeheim und das Betreuungspersonal
gefasst, was zu einer wesentlichen Entspannung der Situation für
ihn und seine Mutter geführt habe. Der Sohn sei gerne in der Einrichtung gesehen,
da er das Pflegepersonal wesentlich bei der schweren und belastenden Arbeit
entlaste und sich fürsorglich und beispielhaft um seine Mutter kümmere.
Diese Ausführungen legen nahe, dass es - entgegen der Annahme des
Landgerichts - tatsächlich bereits zu einer Verhaltensänderung gekommen ist,
insoweit also gerade nicht lediglich eine bloße Absichtserklärung des Sohnes der
Betroffenen vorliegt. Sofern das Landgericht diesen Schluss nicht allein aus der
Bescheinigung der Pflegeeinrichtung hätte ziehen können oder wollen, wären
nach
Klarheit darüber zu verschaffen, ob auch das aktuelle Verhalten des Sohnes noch
Anhaltspunkte für die Annahme bietet, er werde die aus der konkreten Betreuung
erwachsenden Aufgaben in Zukunft nicht erfüllen können.
3. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und die Sache ist
an das Landgericht zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif
ist (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG). Das Landgericht wird sich erneut mit der Frage
der Eignung des Sohnes der Betroffenen zu befassen und insoweit weitere Ermittlungen
durchzuführen haben.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74
Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen
grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:05.03.2025
Aktenzeichen:XII ZB 260/24
Rechtsgebiete:
Vormundschaft, Pflegschaft (familien- und vormundschaftsgerichtliche Genehmigung)
Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
BGB § 1816