BGH 19. Februar 2009
V ZR 184/08
SachenRBerG § 116 Abs. 1 Nr. 2; BGB §§ 1018, 1092

Anspruch auf Bestellung einer Dienstbarkeit nach Sachenrechtsbereinigungsgesetz auch für Ver- und Entsorgungsanlagen, die für spezifische Grundstücksnutzung erforderlich sind

DNotIDeutsches Notarinstitut
Dokumentnummer: 5zr184_04
letzte Aktualisierung: 8.5.2009
BGH, 20.2.2009 - V ZR 184/08
SachenRBerG § 116 Abs. 1 Nr. 2; BGB §§ 1018, 1092
Anspruch auf Bestellung einer Dienstbarkeit nach Sachenrechtsbereinigungsgesetz auch
für Ver- und Entsorgungsanlagen, die für spezifische Grundstücksnutzung erforderlich
sind
Der Erschließung eines Grundstücks im Sinne von § 116 Abs. 1 Nr. 2 SachenRBerG dienen
auch Ver- und Entsorgungsanlagen, die für die spezifische Nutzung des Grundstücks - hier:
Betrieb eines Zementwerks - erforderlich sind.


BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkündet am:
20. Februar 2009
Lesniak
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
V ZR 184/08
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
SachenRBerG § 116
Der Erschließung eines Grundstücks im Sinne von § 116 Abs. 1 Nr. 2
SachenRBerG dienen auch Ver- und Entsorgungsanlagen, die für die
spezifische Nutzung des Grundstücks - hier: Betrieb eines Zementwerks - erforderlich sind.
BGH, Urteil vom 20. Februar 2009 - V ZR 184/08 - OLG Brandenburg
LG Frankfurt (Oder)
vom 20. Februar 2009 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die
Richter Dr. Lemke und Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann und
den Richter Dr. Czub
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 24. Juli 2008 wird auf Kosten
der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin betreibt ein Zementwerk in Brandenburg. Wie schon ihr
Rechtsvorgänger, der VEB Z.
, entnimmt sie das erforderliche Kühlwasser einem nahe gelegenen See und leitet es zusammen mit
dem auf ihrem Betriebsgrundstück anfallenden Niederschlagswasser wieder
dorthin zurück. Die hierfür genutzten Leitungen wurden vor dem 3. Oktober
1990 verlegt; sie verlaufen über Grundstücke, die im Eigentum der Beklagten
stehen.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten, ihr eine Grunddienstbarkeit in
Form eines Leitungsrechts einzuräumen. Inhalt der Dienstbarkeit soll ferner
das Verbot sein, einen näher ausgewiesenen Schutzstreifen für die Leitungen
und zu betreten.
Die Klage ist in den Vorinstanzen überwiegend erfolgreich gewesen. Mit
der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung
die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht meint, die Klägerin könne die Dienstbarkeit auf
der Grundlage von § 116 Abs. 1 SachenRBerG beanspruchen. Bei dem Leitungssystem für das Kühlwasser handele es sich um eine Erschließungsanlage im Sinne dieser Vorschrift. Der Begriff erfasse nicht nur den Anschluss eines Grundstücks an das öffentliche Straßennetz sowie an Elektrizität und
Wasser, sondern alle für dessen konkrete Nutzung notwendigen Leitungen
oder Zuwegungen. Dabei könne es sich auch um eine gewerbliche oder industrielle Nutzung handeln. Die von der Klägerin unterhaltenen Leitungen seien für
den Betrieb des Zementwerks erforderlich, weil die Erschließung auf anderem
Wege, nämlich die Verwendung von Trinkwasser zur Kühlung, deutlich kostspieliger wäre. Eine erhebliche Beeinträchtigung der Grundstücke der Beklagten im Sinne des § 117 SachenRBerG sei nicht dargetan.
Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
Das Berufungsgericht bejaht zutreffend die Voraussetzungen des § 116
Abs. 1 SachenRBerG, wonach derjenige, der ein Grundstück in einzelnen Beziehungen nutzt oder auf diesem Grundstück eine Anlage unterhält, von dem
Eigentümer die Bestellung einer Grunddienstbarkeit verlangen kann, wenn die
Nutzung des Grundstücks vor Ablauf des 2. Oktober 1990 begründet wurde,
sie für die Erschließung oder Entsorgung des eigenen Grundstücks erforderlich
und ein Mitbenutzungsrecht nach den §§ 321 und 322 ZGB nicht bestellt worden ist.
1. Ohne Rechtsfehler geht das Berufungsgericht zunächst davon aus,
dass die Leitungen, auf die sich die zu bestellende Grunddienstbarkeit bezieht,
schon vor dem 3. Oktober 1990 über die Grundstücke der Beklagten verliefen
und dass hierfür kein Mitbenutzungsrecht der Klägerin nach den §§ 321, 322
ZGB begründet worden ist. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
2. Rechtsfehlerfrei ist aber auch die Annahme des Berufungsgerichts,
die Mitbenutzung der Grundstücke der Beklagten sei im Sinne von § 116
Abs. 1 Nr. 2 SachenRBerG für die Erschließung und Entsorgung des Grundstücks der Klägerin erforderlich.
a) Anders als die Revision meint, steht dem nicht entgegen, dass die
Leitungen nicht als grundstücksbezogene Erschließungsmaßnahmen im Sinne
der §§ 30 ff. BauGB (vgl. dazu BVerwG AgrarR 1996, 163) anzusehen sind,
sondern dem Betrieb des sich auf dem Grundstück befindlichen Zementwerks
dienen. Der in § 116 Abs. 1 Nr. 2 SachenRBerG verwendete Begriff der Erschließung erfasst zwar auch die Mindestvoraussetzungen einer sog. grundmit Elektrizität und Trinkwasser und an die Abwasserbeseitigung. Darin erschöpft er sich indessen nicht.
Bereits die den Anwendungsbereich des Gesetzes regelnde Vorschrift
des § 1 SachenRBerG deutet darauf hin, dass der Begriff der Erschließung
nicht in einem bauplanungsrechtlichen Sinne zu verstehen ist. Die - andernfalls
tautologische - Aufzählung in § 1 Abs. 1 Nr. 4 SachenRBerG ("bauliche
Erschließungs-, Entsorgungs- und Versorgungsanlagen") legt eher nahe, dass
der Gesetzgeber eine offenere oder, wie es die Revisionserwiderung bezeichnet, "untechnische" Formulierung wählen wollte. Zugleich ist davon auszugehen, dass die Vorschrift des § 116 Abs. 1 Nr. 2 SachenRBerG ohne Einschränkungen an § 1 Abs. 1 Nr. 4 SachenRBerG anknüpft, es sich bei der fehlenden Erwähnung der "Versorgung" in § 116 Abs. 1 Nr. 2 SachenRBerG also
um ein Redaktionsversehen handelt (ebenso Toussaint in Kimme, Offene
Vermögensfragen, § 116 SachenRBerG Rdn. 14; Egerland, NotBZ 2003, 332,
334).
Vor allem aber spricht der Zweck des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes gegen ein am Bauplanungsrecht orientiertes Verständnis des Begriffs der
Erschließung im Sinne des § 116 Abs. 1 Nr. 2 SachenRBerG. Während die
Vorschriften der §§ 30 ff. BauGB eine geordnete städtebauliche Entwicklung in
Bezug auf die Erschließung noch unbebauter Grundstücke gewährleisten sollen (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Oktober 2008, § 30 Rdn. 38), hat § 116 SachenRBerG den Zweck, Nutzungsverhältnisse zu schützen, deren rechtliche Absicherung zu DDR-Zeiten möglich
war, jedoch planwidrig unterblieben ist (sog. Nachzeichnungsprinzip, vgl. § 3
dass die Inanspruchnahme fremden Eigentums, obwohl sie nach der Verwaltungspraxis der DDR oder nach den DDR-typischen Gegebenheiten als rechtmäßig galt, nicht durch Einräumung eines Mitbenutzungsrechts (§§ 321 ff.
ZGB) abgesichert wurde (vgl. Senat, Urt. v. 9. Mai 2003, V ZR 388/02, VIZ
2003, 385; Urt. v. 14. November 2003, V ZR 28/03, VIZ 2004, 195; Urt. v.
12. Januar 2007, V ZR 148/06, NJW-RR 2007, 526). Betroffene Grundstückseigentümer sollen so gestellt werden, als wäre ihnen noch vor dem Beitritt ein
Mitbenutzungsrecht an dem fremden Grundstück eingeräumt worden (vgl. zur
Überleitung von Mitbenutzungsrechten: Art. 233 § 5 EGBGB).
Hiermit wäre die Annahme unvereinbar, der Begriff der Erschließung in
§ 116 Abs. 1 Nr. 2 SachenRBerG beschränke sich auf rein grundstückbezogene Anlagen (a.A. offenbar MünchKomm-BGB/Smid, 4. Aufl., § 116 SachenRBerG Rdn. 9; Prütting/Zimmermann/Heller, Grundstücksrecht Ost, § 116
Rdn. 15 f.). Der Gesetzgeber wollte betroffenen Eigentümern nicht lediglich
eine auf die Grundversorgung reduzierte Erschließung erhalten, sondern zum
Schutz der baulichen Investitionen auf ihren Grundstücken alle vorhandenen
Wege und Leitungen absichern, die für eine Fortführung der konkreten, vor
dem 3. Oktober 1990 begründeten Grundstücksnutzung notwendig sind (vgl.
BT-Drucks. 12/5992 S. 65, aber auch Senat, BGHZ 144, 25, 27). Das lässt sich
auch aus der in den §§ 1 Abs. 1 Nr. 4, 116 Abs. 1 Nr. 3 SachenRBerG enthaltenen Anknüpfung an das Mitbenutzungsrecht ableiten; dessen Einräumung
konnte verlangt werden, sofern dies im Interesse der ordnungsgemäßen Nutzung benachbarter Grundstücke erforderlich war (§ 321 Abs. 2 ZGB). § 116
Abs. 1 SachenRBerG greift hiervon in Nr. 2 nicht nur den Maßstab der Erforderlichkeit auf (Senat, BGHZ 144, 25, 27), sondern - unausgesprochen - auch den
Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine Anlage der Erschließung, Versorgung oder Entsorgung eines Grundstücks im Sinne von § 116 Abs. 1 Nr. 2
SachenRBerG dient, ist daher dessen konkrete Nutzung. Bei einer gewerblichen oder industriellen Nutzung, wie sie hier gegeben ist, kann der Eigentümer
deshalb auch die Absicherung von Anlagen beanspruchen, die für die Erschließung oder Versorgung des Gewerbe- oder Industriebetriebes noch heute
erforderlich sind. Dem entspricht es, dass durch § 116 SachenRBerG ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs auch die fehlende rechtliche Absicherung von Anlagen der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, von
denen angenommen werden kann, dass sie überwiegend der Erschließung
und Versorgung landwirtschaftlicher Betriebe dienen, bereinigt werden sollte
(vgl. BT/Drucks. 12/5992 S. 179).
b) Zu Recht hat das Berufungsgericht schließlich angenommen, dass
die Nutzung der Grundstücke der Beklagten erforderlich im Sinne von § 116
Abs. 1 Nr. 2 SachenRBerG ist, um das Grundstück der Klägerin mit Kühlwasser zu versorgen und dieses anschließend zu entsorgen. Maßgeblich ist insoweit, ob eine Alternativlösung unverhältnismäßig kostspieliger, technisch aufwendiger oder anderweit belästigender wäre (Senat, Urt. v. 12. Januar 2007,
V ZR 148/06, NJW-RR 2007, 526; Urt. v. 22. Oktober 2004, V ZR 70/04, ZOV
2005, 29, 30; Urt. v. 9. Mai 2003, V ZR 388/02, VIZ 2003, 385, 386). Dies hat
das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler auf der Grundlage der von der Revision nicht angegriffenen Feststellung bejaht, es verursachte erhebliche Mehrkosten, wenn Trinkwasser aus der öffentlichen Wasserversorgung als Kühlwasser
verwendet werden müsste.
Unbegründet ist die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe in
diesem Zusammenhang den Vortrag der Beklagten übergangen, die Klägerin
daher verkannt, dass jedenfalls die Rücklaufleitungen nicht mehr erforderlich
seien. Abgesehen davon, dass auch für die Benutzung des örtlichen Abwassersystems nicht unerhebliche Kosten entstehen dürften, widerspricht es jedenfalls der Lebenserfahrung, dass es möglich und zulässig wäre, allein die
Zulaufleitungen des Kühlwassersystems zu betreiben, dem See also regelmäßig große Mengen Wasser zu entnehmen, ohne ihm zum Ausgleich wieder
Wasser zuzuführen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Krüger
Lemke
SchmidtRäntsch
Stresemann
Czub
Vorinstanzen:

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

19.02.2009

Aktenzeichen:

V ZR 184/08

Rechtsgebiete:

Immobilienrechtliches Sonderrecht der neuen Bundesländer
Dienstbarkeiten und Nießbrauch

Erschienen in:

NJW-RR 2009, 1028-1029
NotBZ 2009, 186

Normen in Titel:

SachenRBerG § 116 Abs. 1 Nr. 2; BGB §§ 1018, 1092