Auslegung einer Vollmacht im Hinblick auf deren Fortbestand über den Tod des Vollmachtgebers hinaus
letzte Aktualisierung: 20.11.2023
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 17.8.2023 – 19 W 60/23 (Wx)
BGB §§ 168, 672
Auslegung einer Vollmacht im Hinblick auf deren Fortbestand über den Tod des
Vollmachtgebers hinaus
Für die Frage, ob eine Vollmacht über den Tod des Vollmachtgebers hinaus fortbesteht, ist gem.
Geschäftsbesorgung gilt die Auslegungsregel des
Fortbestand auszugehen ist.
(Leitsatz der DNotI-Redaktion)
Gründe
I.
Die Beteiligten wenden sich gegen eine Zwischenverfügung, durch die der Vollzug von
Grundbuchanträgen von der Vorlage von Erbnachweisen und einer Bewilligung des oder der
Erben abhängig gemacht wird; die Beteiligten halten dies wegen einer nach ihrer Auffassung als
transmortal aufzufassenden Vollmacht nicht für erforderlich.
Die Beteiligte zu 2 und ihr verstorbener Ehemann - der Beteiligte zu 1 - sind je zur Hälfte als
Eigentümer des im Rubrum näher bezeichneten Grundbesitzes eingetragen.
Mit einer als „Vorsorgevollmacht“ überschriebenen, notariell unterschriftsbeglaubigten
Erklärung vom 3. Dezember 2012 stellten sich die Beteiligten zu 1 und 2 gegenseitig eine
Generalvollmacht aus, die sowohl Vermögensgeschäfte als auch die Gesundheitsvorsorge
umfasste. Unter § 2 sind beispielhafte Vermögensgeschäfte und unter § 5 einzelne
Angelegenheiten der gesundheitlichen Vorsorge aufgelistet. In § 7 der Vollmacht ist unter der
Überschrift „Vorrang vor der Betreuung“ folgende Regelung getroffen:
„Die jeweilige Vollmacht bleibt auch im Falle der Geschäftsunfähigkeit eines Vollmachtgebers
gültig. Der jeweilige Vertreter unterliegt nicht den gesetzlichen Beschränkungen eines Betreuers.
Wird für Rechtsgeschäfte, für die ein Vertreter keine Vollmacht hat, ein Betreuer bestellt, so
bleibt die Vollmacht im übrigen bestehen.“
Weiter enthält die Vollmacht in § 9 Satz 2 folgende Erklärung:
„Ferner hat mich der Notar darauf hingewiesen, dass diese Vollmacht über den Tod hinaus
wirkt, jederzeit widerruflich ist und dass bei Widerruf darauf zu achten ist, dass sämtliche
Ausfertigungen der Vollmacht vom Bevollmächtigten herausgegeben werden."
Mit notariellem Kaufvertrag vom 29. März 2023 verpflichtete sich die Beteiligte zu 2 sowohl im
eigenen Namen als auch als Bevollmächtigte des verstorbenen Beteiligten zu 1, ihr Eigentum am
im Rubrum näher bezeichneten Grundstück an die Beteiligten zu 3 und 4 zu übertragen. Die
Beteiligte zu 2 bewilligte die Eintragung einer Auflassungsvormerkung. In einer am gleichen Tag
errichteten Urkunde wurde eine Grundschuld zugunsten der Sparkasse K. bestellt.
Der Urkundsnotar beantragte am 3. April 2023 die Eintragung einer Auflassungsvormerkung
und der Grundschuld.
Durch Zwischenverfügung vom 3. Juli 2023 hat das Grundbuchamt den Vollzug von der
Vorlage eines Erbnachweises auf Ableben des Beteiligten zu 1 nebst entsprechendem formlosen
Berichtigungsantrag eines Erben sowie der Genehmigung der durch die Beteiligte zu 2
errichteten Urkunde durch die Erben in öffentlich beglaubigter Form abhängig gemacht. Der
verstorbene Beteiligte zu 1 werde von der Beteiligten zu 2 mangels ausreichender Vollmacht
nicht wirksam vertreten. Das Ziel der erteilten Vorsorgevollmacht sei in erster Linie die
Vermeidung einer Betreuung. Ihrem Inhalt nach sei nicht erkennbar, dass die
Vertretungsbefugnis auch für die Zeit nach dem Tod des Vollmachtgebers bestehen bleiben
solle. Es sei somit anzunehmen, dass diese mit dem Tod des Beteiligten zu 1 erloschen sei.
Gegen diese Zwischenverfügung richtet sich die durch den Urkundsnotar eingelegte
Beschwerde. Die transmortale Vollmacht sei - wie sich aus der zum Grundgeschäft in § 672
BGB getroffenen Regelung ergebe - der gesetzliche Regelfall. Anhaltspunkte für einen
abweichenden Willen des Beteiligten zu 1 ergäben sich aus der Vollmacht nicht. Das
Grundbuchamt habe insbesondere verkannt, dass die Urkundsbeteiligten in § 9 der Vollmacht
eine Eigenerklärung abgegeben hätten; insoweit enthalte die Vollmacht nicht lediglich eine
notarielle Belehrung. Den von dem Grundbuchamt herangezogenen Entscheidungen liege kein
vergleichbarer Sachverhalt zugrunde.
Das Grundbuchamt hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Es sei davon auszugehen, dass der
Hinweis in § 9 der Vollmacht auf die Wirkungen einer Vollmacht über den Tod hinaus lediglich
versehentlich nicht aus einem Entwurf einer Vollmacht gestrichen worden sei; dafür spreche,
dass weitere Formulierungen verwendet worden seien, die nur bei einer beurkundeten, nicht
aber bei einer lediglich unterschriftsbeglaubigten Vollmacht sinnvoll seien. Notarielle Urkunden
sollten nicht ausgelegt werden müssen, sondern den Willen der Beteiligten klar zum Ausdruck
bringen.
II.
Die nach § 71 Absatz 1 GBO in Verbindung mit § 11 Absatz 1 RPflG zulässige Beschwerde hat
auch in der Sache Erfolg.
A.
Die Beschwerde ist mangels anderweitiger Angaben interessengerecht dahin auszulegen, dass sie
der Notar - dessen Vollmacht gemäß § 15 Absatz 2 GBO vermutet wird (zur Anwendung auf
das Beschwerdeverfahren vgl. etwa Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 16. Auflage 2020, Rn.
189) - für alle Antragsberechtigten, also sowohl für die Veräußerer als auch für die Erwerber des
Grundstücks eingelegt hat.
B.
Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Die Anträge können nicht mit der Begründung
zurückgewiesen werden, dass es der Beteiligten zu 2 an einer Vollmacht zur Vertretung des
verstorbenen Beteiligten zu 1 fehle. Die von ihr vorgelegte Vorsorgevollmacht ist entgegen der
Auffassung des Grundbuchamts dahin auszulegen, dass sie die Beteiligte zu 2 zu
Rechtsgeschäften auch über den Tod hinaus bevollmächtigte.
1. Das Beschwerdegericht hat - wie auch das Grundbuchamt - die Wirksamkeit einer Vollmacht
und deren Umfang selbständig zu prüfen, auch wenn der Notar die Vollmacht für ausreichend
erachtet hat. Ist die Vollmacht ihrem Inhalt nach nicht eindeutig, ist sie nach den allgemeinen
Regeln für Grundbucherklärungen auszulegen. Führt dies zu keinem eindeutigen Ergebnis, so
gilt der Grundsatz, dass der geringere Umfang der Vollmacht anzunehmen ist, wenn sich der
Größere nicht nachweisen lässt (OLG München
2. Was die Fortdauer der Vollmacht über den Tod des Vollmachtgebers hinaus angeht, ist
gemäß
Im Fall nachgewiesener Geschäftsbesorgung gilt die Auslegungsregel des
Grundsatz vom Fortbestand auszugehen ist, wenn nicht die konkrete Vertragsauslegung ergibt,
dass die Besorgung des Geschäfts nur für den noch lebenden Auftraggeber bedeutsam ist. Ist
dies der Fall, muss das Grundbuchamt neben dem Erbennachweis gemäß
Bewilligung der Erben für das Geschäft nach
w. N.).
a) Rechtsprechung und Schrifttum haben für die Beurteilung der Frage, ob von einer über den
Tod hinausgehenden Vollmacht auszugehen ist, Auslegungsregeln aufgestellt. Diese lassen sich
dahin zusammenfassen, dass je mehr der Auftragsgegenstand auf die Person und die
persönlichen Verhältnisse und nicht nur auf das Vermögen des Auftraggebers ausgerichtet ist,
desto eher das Erlöschen des Auftrags mit dem Tode des Auftraggebers anzunehmen ist (vgl.
etwa OLG Hamm, Beschluss vom 17. September 2002 – 15 W 338/02 –, juris-Rn. 13; OLG
München
Vorsorgevollmachten wird zum Teil als Leitlinie genannt, dass diese „in der Regel“ mit dem Tod
des Vollmachtgebers erlösche (MüKoBGB/Schubert, 9. Aufl. 2021,
Staudinger/Schilken [2019]
Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl,
2014, 617).
b) Legt man diese Grundsätze zugrunde, ist im vorliegenden Einzelfall von einem Fortbestand
der Vollmacht über den Tod des Beteiligten zu 1 hinaus auszugehen, ohne dass es der
abschließenden Klärung bedarf, ob bei Vorsorgevollmachten ein Regel-Ausnahme-Verhältnis
zugunsten des Erlöschens gemäß der überwiegend vertretenen Auffassung besteht.
aa) Allerdings streitet für die Auffassung des Grundbuchamts, dass die Vollmacht mit der
Überschrift „Vorsorgevollmacht“ versehen worden ist und in ihr (auch) höchstpersönliche
Angelegenheiten der beiden Vollmachtgeber angesprochen sind, namentlich die
Gesundheitsvorsorge. Ferner spricht für dessen Beurteilung, dass die Vollmacht - wie die in § 7
getroffene Regelung zeigt - ersichtlich auch dazu diente, die Einrichtung einer gesetzlichen
Betreuung für einen der Vollmachtgeber zu vermeiden; insoweit liegt ein der Entscheidung des
Oberlandesgerichts Hamm (a. a. O.) vergleichbarer Sachverhalt vor. Den Schwerpunkt der
Vollmachtserteilung bildet jedoch - wie schon die ausführliche und an den Beginn der
Vollmacht gestellte beispielhafte Aufzählung in § 2 der Vollmacht zeigt - die Bevollmächtigung
für Vermögensgeschäfte. Es kommt hinzu, dass die Befugnis, von der Vollmacht Gebrauch zu
machen, nach ihrem Wortlaut weder im Außen- noch im Innenverhältnis von bestimmten
Voraussetzungen abhängig gemacht worden ist, insbesondere nicht davon, dass eine Unfähigkeit
des Vollmachtgebers medizinisch festgestellt wird, seine eigenen Angelegenheiten zu besorgen.
Die in § 7 der Vollmacht vorgenommene Klarstellung, dass die Vollmacht „auch im Falle der
Geschäftsunfähigkeit“ gültig bleiben solle, zeigt vielmehr, dass die Beteiligten zu 1 und 2 gerade
nicht (nur) für den Fall der Geschäftsunfähigkeit eine Regelung treffen wollten.
bb) Bei der Auslegung kann zudem nicht außer Betracht bleiben, dass § 9 der Vollmacht den
Hinweis der Vollmachtgeber enthält, dass ihnen der Bestand der Vollmacht über den Tod
hinaus verdeutlicht worden sei. Zwar ist dem Grundbuchamt darin zuzustimmen, dass damit
keine ausdrückliche Erteilung einer transmortalen Vollmacht zu sehen ist. Eine solche ist aber -
wenn sie auch empfehlenswert sein mag (BeckOGK/Huber, 1.11.2021,
Dietz in: Beck'sches Notarhandbuch, 7. Auflage 2019, § 17 Rn. 357) - auch nicht erforderlich.
Der Hinweis ist ein bei der Auslegung zu beachtendes - deutlich für eine transmortale Vollmacht
sprechendes - Indiz.
(1) Hätten die Beteiligten zu 1 und 2 nicht gewollt, dass die wechselseitig erteilten Vollmachten
auch über den Tod der anderen Partei hinaus gelten, wäre zu erwarten gewesen, dass sie diesen
Hinweis im Rahmen der Prüfung eines ihnen vorgelegten Vollmachtsentwurfs ansprechen; dies
hätte dann - falls der Hinweis versehentlich etwa auf der Grundlage eines Musters
aufgenommen worden ist - zu einer Korrektur des Entwurfs geführt. Die für den Hinweis
gewählte Formulierung ist auch nicht so gestaltet, dass für ihr Verständnis besondere
Rechtskenntnisse erforderlich waren, die von den Urkundsbeteiligten nicht ohne weiteres
erwartet werden konnten.
(2) Das Grundbuchamt weist zu Recht darauf hin, dass weitere in § 9 der Vollmacht verwendete
Formulierungen die Annahme stützen könnten, dass ohne hinreichende redaktionelle Prüfung
ein Vollmachtsmuster verwendet worden ist; so werden bei Unterschriftsbeglaubigungen keine
„Ausfertigungen“ erteilt; auch ist eine auf den Inhalt bezogene Belehrung durch den Notar nicht
vorgesehen (vgl. die eingeschränkten Prüfungsbefugnisse bei Unterschriftsbeglaubigungen, § 40
Absatz 2 BeurkG). Dabei handelt es sich aber - anders als bei dem unter (1) besprochenen
Umstand - um Unterschiede zwischen beurkundeten und unterschriftsbeglaubigten
Erklärungen, die einem juristischen Laien nicht ohne weiteres bewusst sein werden.
cc) Soweit das Grundbuchamt mit dem Nichtabhilfebeschluss darauf hinweist, dass notarielle
Urkunden nicht auslegungsbedürftig sein, sondern den Willen der Beteiligten „ohne Weiteres
klar zum Ausdruck bringen“ sollten, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Im Streitfall liegt
keine beurkundete, sondern (lediglich) eine unterschriftsbeglaubigte Vollmacht vor. Auch wenn
man die notarielle Pflicht zur klaren und eindeutigen Wiedergabe der Erklärungen (§ 17
Absatz 1 Satz 1 BeurkG) auf einen vom Notar gefertigten Entwurf zur
Unterschriftsbeglaubigung vorgesehener Urkunden übertragt, ändert dies nichts daran, dass
auch formbedürftige Erklärungen der Auslegung zugänglich sind (vgl. etwa BeckOGK/Möslein,
1.10.2020, BGB § 133 Rn. 82 ff.).
dd) Auch die vom Grundbuchamt geäußerten Zweifel daran, dass der Bevollmächtigung ein
über den Tod hinaus fortdauerndes Rechtsverhältnis zugrunde liegt, führen zu keinem anderen
Ergebnis. Für die Annahme, dass die Parteien ein - im Umfang mit der Vollmacht identisches -
Grundverhältnis zugrunde gelegt haben, spricht der Umstand, dass sie sich in § 10 der
Vollmacht veranlasst gesehen haben, eine Vergütungspflicht auszuschließen; das wäre bei einer
isolierten Vollmacht nicht erforderlich gewesen.
III.
1. Einer Kostenentscheidung und einer Festsetzung des Beschwerdewerts bedurfte es nicht, weil
für Beschwerden in Grundbuchsachen Gebühren nur dann anfallen, wenn diese verworfen oder
zurückgewiesen werden (Ziffer 14510 des Kostenverzeichnisses zum GNotKG).
2. Mangels eines beschwerten Beteiligten kommt die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht in
Betracht; die Zulassungsvoraussetzungen liegen im Übrigen auch deshalb nicht vor, weil die
Entscheidung von der im Einzelfall zu treffenden Entscheidung abhängig war, wie die von der
Beteiligten zu 2 vorgelegte Vorsorgevollmacht auszulegen war.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Karlsruhe
Erscheinungsdatum:17.08.2023
Aktenzeichen:19 W 60/23 (Wx)
Rechtsgebiete:
Vollmacht, Genehmigung, Ermächtigung
Grundbuchrecht
BGB §§ 168, 672