Darlegungslast bei Valutierung eines Darlehens
letzte Aktualisierung: 19.5.2021
BGH, Beschl. v. 12.11.2020 – IX ZR 214/19
GG Art. 103 Abs. 1; ZPO §§ 296 Abs. 1, 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3
Darlegungslast bei Valutierung eines Darlehens
Die Substantiierungsanforderungen verlangen nicht, dass derjenige, der sich auf die Auszahlung
eines Darlehens beruft, im Einzelnen darlegen muss, wann, wo und wie die Valutierung des
streitbefangenen Darlehens erfolgt sein soll.
(Leitsatz der DNotI-Redaktion)
Gründe:
I.
Aus abgetretenem Recht nimmt der Kläger den Beklagten auf (restliche)
Rückzahlung eines Darlehens über 650.000 in Anspruch. Der dem Darlehen
zugrundeliegende Vertrag wurde schriftlich mit Datum vom 10. Juni 2013 zwischen
der Mutter des Beklagten als Darlehensgeberin und dem Beklagten als
Darlehensnehmer geschlossen. Die Mutter (nachfolgend Erblasserin) verstarb im
September 2017 und wurde von ihrem Ehemann - dem Vater des Klägers - beerbt.
Die Parteien streiten darum, ob das Darlehen (in voller Höhe) zur Auszahlung
gelangt ist.
Der Kläger weiß nicht, auf welchem Wege die von ihm behauptete Auszahlung
des Darlehens erfolgt ist. Er vermutet, die Erblasserin könne das Geld in
bar dem häuslichen Tresor entnommen und dem Beklagten übergeben haben.
Der Kläger verfügt weder über eine Urkunde, die den behaupteten Auszahlungsvorgang
belegt, noch kennt er einen Zeugen, welcher bei der Auszahlung zugegen
war. Der Beklagte bestreitet die Auszahlung. Er habe mit der Erblasserin
insgesamt drei Darlehensverträge abgeschlossen. Der hier streitbefangene Vertrag
vom 10. Juni 2013 habe die ersten beiden Verträge zusammengefasst und
einen Darl
ausbezahlt worden sei.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat
das Oberlandesgericht durch Beschluss nach
Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde begehrt der Kläger die Zulassung
der Revision, um sein Klagebegehren weiterzuverfolgen.
II.
Die Revision ist zuzulassen und begründet, weil der angefochtene Beschluss
den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus
in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Kläger habe nicht hinreichend
substantiiert zur Valutierung des Darlehens vorgetragen. Er habe insbesondere
nicht dargelegt, wann, wo und wie eine Valutierung erfolgt sein soll. Es sei augenfällig,
dass dies dem Kläger nicht möglich sei, weil er es nicht wisse. Es reiche
nicht aus, eine Valutierung lediglich mit einer Aneinanderreihung von Indizien
plausibel zu machen. Überdies sei es dem Kläger nicht gelungen, die Feststellung
des Landgerichts erfolgreich anzugreifen, dass eine Valutierung des Darlehens
nicht nachgewiesen sei.
Der neue Vortrag des Klägers in seiner Stellungnahme zu dem Hinweis
des Berufungsgerichts gemäß
sei nach § 530 in Verbindung mit
Der Kläger habe die Verspätung nicht genügend entschuldigt. Dies gelte auch
dann, wenn man davon ausgehe, dass dem Kläger und seinen Instanzbevollmächtigten
der neu vorgetragene Sachverhalt zuvor unbekannt gewesen sei.
Von einem Verschulden sei auch dann auszugehen, wenn die Partei unschwer
in der Lage gewesen wäre, sich durch Erkundigungen bei Dritten über eine für
die Entscheidung des Rechtsstreits wesentliche Frage Gewissheit zu verschaffen
oder Namen und Anschrift eines Zeugen zu erfahren. So liege der Streitfall. Deshalb
habe der Kläger auch nachlässig gehandelt, so dass einer Zulassung des
neuen Sachvortrags
2. Das hält rechtlicher Prüfung nicht stand und verletzt den Anspruch des
Klägers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise.
a) Das Berufungsgericht hat die von ihm herangezogenen Vorschriften
über die Zurückweisung und Zulassung neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel
im zweiten Rechtszug falsch angewendet. Seine Ausführungen tragen weder die
Annahme, der Kläger habe die Verspätung seines neuen, durch Beweisantritte
unterlegten Vorbringens nicht genügend entschuldigt (§ 530 iVm § 296 Abs. 1
ZPO), noch die Einschätzung, einer Zulassung des Vorbringens stehe § 531
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO entgegen.
aa) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind im zweiten Rechtszug nur
eingeschränkt zulässig.
die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel einen Gesichtspunkt betreffen, der
vom Gericht des ersten Rechtszugs erkennbar übersehen oder für unerheblich
gehalten worden ist (
Verteidigungsmittel infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht
geltend gemacht worden sind (
unterblieben ist, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht
(
Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel, die nach
sind, können nach § 530 in Verbindung mit
sein, wenn sie innerhalb des zweiten Rechtszugs verspätet vorgebracht
werden. Anknüpfungspunkte für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit sind die Frist
zur Berufungsbegründung (
ZPO möglichen Fristen zur Berufungserwiderung und zur Stellungnahme auf die
Berufungserwiderung.
Wird - wie hier - ein Angriffsmittel nicht schon im ersten Rechtszug und
erst nach Ablauf der Frist zur Berufungsbegründung vorgebracht, bestimmt letztlich
derselbe Maßstab, ob dies auf einer Nachlässigkeit der Partei im Sinne des
gemäß
schadet jeweils schon ein einfach fahrlässiger Verstoß gegen die
prozessuale Sorgfaltspflicht (zu
8. Juni 2004 - VI ZR 199/03,
Komm-ZPO/Prütting, 6. Aufl., § 296 Rn. 133; Musielak/Voit/Huber, ZPO,
17. Aufl., § 296 Rn. 24; Stein/Jonas/Thole, ZPO, 23. Aufl., § 296 Rn. 86).
bb) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts beruht es nicht auf
einer Nachlässigkeit des Klägers, dass sein neues Vorbringen nebst Beweisantritten
nicht schon im ersten Rechtszug geltend gemacht worden ist. Es kann
auch nicht davon ausgegangen werden, der Kläger habe die Verspätung innerhalb
des Berufungsverfahrens nicht hinreichend entschuldigt.
(1) Das Berufungsgericht hat zugunsten des Klägers unterstellt, dass bis
zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist weder dieser noch dessen Instanzbevollmächtigte
Kenntnis von dem neuen Vorbringen nebst Beweisantritten hatten.
Davon ist auch in der Revisionsinstanz auszugehen.
(2) Vor diesem Hintergrund kommen die Annahme einer Nachlässigkeit im
Sinne des
Abs. 1 ZPO nur in Betracht, wenn der Kläger oder seine Instanzbevollmächtigten
(
mussten. Dies ist nicht der Fall.
(3) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gebietet es
die prozessuale Sorgfaltspflicht grundsätzlich nicht, tatsächliche Umstände, die
der Partei nicht bekannt sind, erst zu ermitteln (BGH, Beschluss vom 10. Juni
2010 - Xa ZR 110/09,
339/12,
2018, 890 Rn. 17; jeweils mwN). Nur ausnahmsweise können Ermittlungen geboten
sein, wenn besondere Umstände dies rechtfertigen (BGH, Beschluss vom
10. Juni 2010, aaO; vom 30. Oktober 2013, aaO; vom 13. Dezember 2017, aaO).
Die Annahme solch besonderer Umstände kommt in Betracht, wenn die
Partei unschwer in der Lage gewesen ist, sich durch Erkundigungen bei Dritten
über eine für die Entscheidung des Rechtsstreits wesentliche Frage Gewissheit
zu verschaffen, und die Prozesslage Anlass zu solchen Erkundigungen gibt
(BeckOK-ZPO/Bacher, 2020, § 296 Rn. 54; vgl. BGH, Urteil vom 25. März 1987
- IVa ZR 224/85,
sich rückblickend herausstellt, dass die Partei die benötigten Informationen ohne
weiteres auch schon früher hätte erlangen können. Notwendig ist vielmehr, dass
sich die konkrete Ermittlungsmaßnahme vom Standpunkt der Partei aus der Sicht
ex ante aufdrängte.
Das ist hier nicht der Fall. Die Informationen, die zu dem neuen Vorbringen
nebst Beweisantritten geführt haben, sollen von dem Zeugen G. stammen. Dieser
war den Instanzbevollmächtigten des Klägers schon vor Erhebung der Klage
bekannt. Die Instanzbevollmächtigten wussten auch um die Zusammenarbeit
zwischen dem Zeugen und dem Beklagten im Blick auf das Bauvorhaben
. Anhaltspunkte dafür, dass der Zeuge G. Informationen über die Auszahlung
des streitbefangenen Darlehens haben könnte, ergaben sich daraus
nicht. Erst recht musste sich den Instanzbevollmächtigten eine Nachfrage bei
dem Zeugen nicht aufdrängen.
b) Die Nichtzulassung des neuen Vorbringens des Klägers nebst Beweisantritten
und dessen Zurückweisung als verspätet verletzen den Anspruch des
Klägers auf rechtliches Gehör (
Weise.
Bei Auslegung und Anwendung der Präklusionsvorschriften sind die Gerichte
einer strengeren verfassungsrechtlichen Kontrolle unterworfen als dies üblicherweise
bei der Anwendung einfachen Rechts geschieht. Die Überprüfung
geht insoweit über eine bloße Willkürkontrolle hinaus. Das Gebot aus Art. 103
Abs. 1 GG, rechtliches Gehör zu gewähren, ist daher bereits dann verletzt, wenn
das Berufungsgericht neues Vorbringen unter offensichtlich fehlerhafter Anwendung
der Präklusionsvorschriften unberücksichtigt lässt (BGH, Beschluss vom
13. Dezember 2017, aaO Rn. 10 mwN). So liegt der Streitfall. Das Berufungsgericht
hat § 530 in Verbindung mit
Nr. 3 ZPO in Verkennung der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichthofs
zur prozessualen Pflicht der Partei, ihr unbekannte Umstände zu ermitteln, und
daher offensichtlich fehlerhaft angewandt. Der Gehörsverstoß ist auch entscheidungserheblich.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Berücksichtigung
des neuen Vorbringens nebst Beweisantritten der Berufung des Klägers
zum Erfolg verholfen hätte.
III.
Der angefochtene Beschluss kann folglich keinen Bestand haben. Er ist
aufzuheben. Der Rechtsstreit ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an
das Berufungsgericht zurückzuverweisen (
Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Das Klagevorbringen ist schlüssig. Das Berufungsgericht überspannt
die Substantiierungsanforderungen, wenn es verlangt, der Kläger müsse im Einzelnen
darlegen, wann, wo und wie die Valutierung des streitbefangenen Darlehens
erfolgt sein soll.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Sachvortrag
zur Begründung eines Anspruchs schlüssig, wenn die Partei Tatsachen
vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind,
das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen
zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für
die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage
versetzt werden, auf Grund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden,
ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten
Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des
Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten
Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu
befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu
unterbreiten (BGH, Urteil vom 29. Februar 2012 - VIII ZR 155/11, NJW 2012,
1647 Rn. 16; vom 17. September 2019 - VI ZR 396/18,
jeweils mwN).
b) Diesen Anforderungen genügt der Vortrag des Klägers. Er hat unter
Vorlage des schriftlichen Vertrags vom 10. Juni 2013 behauptet, dass die Erblasserin
dem Beklagten am 1. Juni 2013 ein Darleh
gezahlt hat. Im Darlehensvertrag ist ein Jahreszins in Höhe von 5 vom Hundert
geregelt sowie eine Laufzeit des Darlehens von einem Jahr und eine Rückzahlungspflicht
auf Voraussetzungen
des mit der Klage geltend gemachten Anspruchs aus § 488 Abs. 1 Satz 2
BGB.
2. Das Berufungsgericht wird in die Beweisaufnahme einzutreten haben.
Dabei ist das neue Vorbringen des Klägers nebst Beweisantritten zu berücksichtigen,
wenn es das Berufungsgericht für glaubhaft erachtet, dass bis zum Ablauf
der Berufungsbegründungsfrist weder der Kläger noch seine Instanzbevollmächtigten
Kenntnis von dem neuen Vorbringen hatten. Auch die schon zuvor vorgetragenen
Hilfstatsachen werden noch einmal eingehend zu würdigen sein. Ob
das Berufungsgericht das Gewicht dieser Tatsachen schon hinreichend berücksichtigt
hat, erscheint zweifelhaft.
Dies gilt insbesondere für das eigene - vorprozessuale wie prozessuale -
Vorbringen des Beklagten. Vorprozessual (und ersichtlich vor anwaltlicher Beratung)
hat der Beklagte die (vollständige) Auszahlung des Darlehens nicht bestritten.
Mit E-Mail vom 24. Januar 2017 hat er das Darlehen vielmehr ausdrücklich
als "gegeben" bezeichnet. Es habe sich um eine Geldanlage der Erblasserin aus
ihrem Ersparten gehandelt, die er zum größten Teil getilgt habe. Den Widerspruch
zwischen diesem Vorbringen und seinem prozessualen Vortrag hat der
Beklagte ersichtlich nie aufgeklärt. Aber auch das prozessuale Vorbringen für
sich genommen erscheint nicht widerspruchsfrei. Es leuchtet nicht ein, dass mit
dem Vertrag vom 10. Juni 2013 zwei ältere Darlehensverträge zusammengefasst
worden sein sollen, wenn diese nicht in der vertraglich ausgewiesenen Höhe valutierten.
Valutierten die zwei älteren Darlehen in der ausgewiesenen Höhe,
müsste die Klage auch nach dem Vortrag des Beklagten Erfolg haben. Dass nur
ein Teil aufgrund der Altverträge valutierte und ein anderer zur Auszahlung gelangen
sollte, ist dem ersichtlich von dem Beklagten selbst aufgesetzten Vertragstext
- wie die Zusammenfassung der Altverträge an sich - nicht im Ansatz zu
entnehmen.
Auch die als Anlage K 42 zu den Akten gereichte handschriftliche Zahlungsaufstellung
spricht für die Auszahlung des Darlehens in voller Höhe, wenn
diese, wie vom Kläger behauptet und unter Beweis gestellt, von der Erblasserin
stammt. Gleiches gilt für den im Mai 2014 gegenüber dem Instanzbevollmächtigten
des Klägers Dr. S. geäußerten Wunsch der Erblasserin, das Darlehen
"am liebsten" sofort zu kündigen. Auch zu dieser Behauptung des Klägers wird
erforderlichenfalls Beweis zu erheben sein.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:12.11.2020
Aktenzeichen:IX ZR 214/19
Rechtsgebiete:Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Normen in Titel:GG Art. 103 Abs. 1; ZPO §§ 296 Abs. 1, 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3