OLG Frankfurt a. Main 10. März 2022
21 W 175/21
BGB § 2361; FamFG § 352a Abs. 2 S. 2

Rechtsfolge bei Fehlen von Verzichtserklärungen nach § 352a Abs. 2 S. 2 FamFG

letzte Aktualisierung: 22.6.2022
OLG Frankfurt, Beschl. v. 10.3.2022 – 21 W 175/21

BGB § 2361; FamFG § 352a Abs. 2 S. 2
Rechtsfolge bei Fehlen von Verzichtserklärungen nach § 352a Abs. 2 S. 2 FamFG

Das fortdauernde Fehlen der gemäß § 352a Abs. 2 Satz 2 FamFG erforderlichen Verzichtserklärung
aller im Erbschein ausgewiesenen Miterben stellt einen schweren Verfahrensfehler dar, der die
Einziehung des erteilten Erbscheins nach sich zieht.

Gründe

I.
Der Erblasser war mit der vorverstorbenen X verheiratet. Aus der Ehe gingen die Beteiligten
zu 1) bis 3) als einzige Kinder hervor. Am 16. Dezember 1991 errichteten die Eheleute ein
handschriftliches und vom Nachlassgericht eröffnetes Testament. Dieses lautet auszugsweise
wie folgt:

Beim Tod eines Ehegatten verfügt der Verstorbene folgendes: Sein Anteil Hausrat, Mobiliar
und vorhandenes Bargeld und Sparguthaben erbt der Überlebende.
Das Grundstück in Ort1, Straße1, das je zur Hälfte im Grundbuch Flur …, Band …,
Blatt … eingetragen ist, erhält der Überlebende für die Verwaltung und Nutznießung
mietfrei bis zum Ableben.

Einschränkung: Der Überlebende darf das bezeichnete Grundstück auch seinen eigenen
Anteil (die Hälfte) weder verkaufen, noch an eine andere Person als die hier aufgeführten
Kinder vererben. Nach dem Ableben beider Ehegatten tritt folgende Verfügung
in Kraft …< es folgt die Zuweisung der drei Geschosse der Immobilie an jeweils
eines der drei Kinder> …

Einrichtung, plus Sachen, Sparguthaben oder Bargeld der Erblasser sind zu 3 gleichen
Teilen untereinander aufzuteilen.

Über das Gartenland … = 383 qm. verfügt der Längerlebende“.
Ergänzend wird auf Bl. 6 f. der Testamentsakte Bezug genommen.

Nach dem Tod seiner Ehefrau am 2. November 2005 errichtete der Erblasser am 14. November
2005 ein weiteres, handschriftliches, erst im Laufe des Verfahrens aufgefundenes Testament
(Bl. 24 f. d. Testamentsakte), in dem er die Beteiligten zu 1) und 2) als Alleinerben einsetzte
und ferner verfügte, dass die Beteiligte zu 3) den ihr per Gesetz zustehenden Pflichtteil
abzüglich einer zuvor an sie erfolgten Zahlung erhalte.

Mit Erklärung vom 16. und 17. November 2005 schlugen die Beteiligten zu 1) bis 3) ihre Erbschaft
nach der Ehefrau des Erblassers als gesetzliche Erben aus (Bl. 2. d. Akte ...). Sodann
beantragte der Erblasser mit notarieller Urkunde vom 25. April 2006 einen Alleinerbschein
nach seiner Ehefrau und berief sich hierbei auf das gemeinschaftliche Testament vom 16. Dezember
1991. Nachdem das Nachlassgericht Bedenken wegen einer aus seiner Sicht im gemeinschaftlichen
Testament angeordneten Vor- und Nacherbschaft mitgeteilt hatte (Bl. 15 d.
Akte ...), erklärten die Beteiligten zu 1) bis 3) sodann mit Urkunde vom 16. sowie 21. Juni
2006 die Anfechtung der stillschweigenden Annahme als testamentarische Erben und schlugen
für sich und ihre jeweiligen Abkömmlinge die Erbschaft nach der Ehefrau des Erblassers
nach allen Berufungsgründen aus (Bl. 21 f. und 28 d. Akte ...). In der Folge erteilte das
Nachlassgericht dem Erblasser den beantragten Alleinerbschein nach seiner Ehefrau (Bl. 32
d. Akte ...).

Nachdem der längstlebende Ehegatte ebenfalls verstorben war, beantragte der Beteiligte zu
1) zunächst einen gemeinschaftlichen Erbschein, der die Beteiligten zu 1) und 2) als Erben zu
2/5 und die Beteiligte zu 3) als Erbin zu 1/5 ausweisen sollte, änderte den Antrag dann allerdings
in einen quotenlosen Erbschein, wobei der Erbscheinsantrag keinen Verzicht der beiden
anderen Beteiligten auf die Aufnahme der Erbanteile enthielt. Diesem geänderten Antrag
stimmte die Beteiligte zu 2) ausdrücklich zu, eine Mitteilung der Beteiligten zu 3) gegenüber
dem Nachlassgericht erfolgte trotz Anhörung nicht. Das Nachlassgericht erteilte den quotenlosen
Erbschein wie beantragt am 27. Mai 2019.

Am 20. Oktober 2020 übergab der Beteiligte zu 1) das handschriftliche Einzeltestament des
Erblassers aus dem Jahr 2005, das in der Folge vom Nachlassgericht eröffnet wurde.
Daraufhin hat der Beteiligte zu 1) mit Schriftsatz vom 11. März 2021 angeregt, den erteilten
Erbschein einzuziehen, und beantragt, nunmehr einen Erbschein zu erteilen, der ihn und die
Beteiligte zu 2) als Erben zu jeweils ½ ausweist. Zur Begründung hat er geltend gemacht,
das vorangegangene Testament entfalte keine Bindungswirkung. Denn die Beteiligten zu 1)
bis 3) hätten am 16./17. November 2005 die Erbschaft nach der Mutter als gesetzliche Erben
ausgeschlagen und später mit Erklärung vom 16. sowie 21. Juni 2006 die Anfechtung der
stillschweigenden Annahme als testamentarische Erben erklärt sowie für sich und die jeweiligen
Abkömmlinge die Erbschaft auch nach testamentarischer Erbfolge ausgeschlagen. Dadurch
sei die Bindungswirkung für den längerlebenden Ehegatten entfallen. Dem Antrag ist
keiner der anderen Beteiligten ausdrücklich entgegengetreten.

Das Nachlassgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss durch die Rechtspflegerin die Einziehung
des erteilten Erbscheins abgelehnt und den Erbscheinsantrag vom 11. März 2021 zurückgewiesen.
Zur Begründung hat das Nachlassgericht vornehmlich ausgeführt, der erteilte
Erbschein sei weiterhin zutreffend. Entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 1) enthalte
das gemeinschaftliche Testament eine Schlusserbeneinsetzung, an die der überlebende Ehegatte
gebunden gewesen sei, weshalb das später aufgefundene Testament nicht zu einer Unrichtigkeit
des erteilten Erbscheins geführt habe. Soweit keine Bindungswirkung mit Blick auf
das Gartenland bestehe, sei dies nur von sehr geringem und damit vernachlässigbarem Wert.
Gegen den seinem Verfahrensbevollmächtigten am 2. August 2021 zugestellten Beschluss
hat der Beteiligte zu 1) mit am 27. August 2021 beim Nachlassgericht eingegangenem
Schriftsatz befristete Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat er geltend gemacht, die
Rechtspflegerin sei nicht zuständig gewesen, da ein objektiver Interessengegensatz vorliege
und daher das Verfahren durch den Richter habe entschieden werden müssen. Ferner sei der
angefochtene Beschluss nicht ausreichend begründet worden. Schließlich habe das Nachlassgericht
zu Unrecht eine Bindungswirkung angenommen. Die Beteiligten zu 1) bis 3) hätten
wirksam ihre im gemeinschaftlichen Testament zugedachte Nacherbenstellung ausgeschlagen,
wodurch die Bindungswirkung entfallen und das letzte Testament des Erblassers für die
Erbfolge maßgeblich sei.

Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und das Verfahren mit einfacher
Verfügung dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Der Berichterstatter hat den Beteiligten
einen Hinweis erteilt, woraufhin die Beteiligten zu 1) und 2) ergänzend vorgetragen haben.
Demgegenüber hat die Beteiligte zu 3) trotz Nachfrage weiterhin nicht auf die Angabe von
Quoten in dem erteilten Erbschein verzichtet.

II.
Die zulässige Beschwerde hat nur zum Teil Erfolg. Zwar hat das Nachlassgericht zu Unrecht
den erteilten Erbschein nicht eingezogen, allerdings zu Recht dem Erbscheinsantrag des Beteiligten
zu 1) nicht entsprochen.

1. Der Senat kann über die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 26. Juli
2021 entscheiden. Zwar hat das Gericht verfahrenswidrig keinen Abhilfebeschluss gefasst.
Allerdings hat es am 2. November 2021 die Vorlage an das Oberlandesgericht verfügt. Eine
solche Vorlageverfügung genügt, um den Anfall des Verfahrens beim Senat zu bewirken (vgl.
Keidel/Sternal, FamFG, 2020, § 68 Rn. 31). Der zugleich erfolgte Verfahrensfehler, nicht
durch Beschluss über die Beschwerde im Rahmen des Abhilfeverfahrens zu entscheiden, hindert
eine eigene Entscheidung des zuständigen Beschwerdegerichts nicht.

2. Die gemäß § 58 FamFG statthafte Beschwerde des Beteiligten zu 1) ist zulässig und insbesondere
fristgerecht innerhalb eines Monats nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses
beim Nachlassgericht eingegangen, § 63 FamFG. Zudem ist der Beteiligte zu 1) als Erbprätendent
und im einzuziehenden Erbschein ausgewiesener Erbe jeweils beschwerdebefugt
(vgl. Keidel/Meyer - Holz, FamFG, 20. Aufl., § 59 Rn 80).

3. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch nur teilweise Erfolg.
a) Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers war der Rechtspfleger für die Entscheidung
über die Einziehung des Erbscheins sowie die Erteilung des neu beantragten Erbscheins
zuständig. Zwar bleiben gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 6 und 7 RPflG die Erteilung und die Einziehung
von Erbscheinen dem Richter vorbehalten, sofern eine Verfügung von Todes wegen vorliegt.
Von diesem Richtervorbehalt kann der Landesgesetzgeber allerdings gemäß § 19 Abs. 1
und Abs. 2 RPflG Ausnahmen vorsehen, sofern gegen den Erlass der beantragten Entscheidung
keine Einwände erhoben werden. Von dieser Ermächtigung hat der Landesgesetzgeber
in § 26 JuZuV Gebrauch gemacht. Dabei stehen dem Fortbestand der Richterzuständigkeit
auch keine gegenläufigen Interessen der Beteiligten zu 3) entgegen. Zwar kann davon ausgegangen
werden, dass die Beteiligte zu 3) an dem Fortbestand des einzuziehenden Erbscheins
ebenso interessiert ist wie an der Nichterteilung des beantragten Erbscheins, da sie
im erteilten Erbschein im Gegensatz zum nunmehr beantragten Erbschein als Miterbin ausgewiesen
ist. Jedoch genügen vermutlich gegenläufige Interessen anderer Beteiligter für eine
Fortdauer der Richterzuständigkeit nicht. Erforderlich ist vielmehr, wie sich bereits aus dem
Wortlaut von § 19 Abs. 2 RPflG ergibt, dass Einwände gegen die beantragte Entscheidung erhoben
werden. Einwände hat die Beteiligte zu 3) aber nicht geltend gemacht.

b) Zwar ist darüber hinaus die angefochtene Entscheidung ausreichend begründet, auch
wenn sie über weite Strecken lediglich den zugrundeliegenden Verfahrensablauf widergibt.
Gleichwohl ist die Entscheidung aber abzuändern, soweit die Einziehung des erteilten Erbscheins
abgelehnt wird. Denn der erteilte Erbschein leidet an einem schweren Verfahrensfehler,
der im Rahmen des Beschwerdeverfahrens auch nicht geheilt worden ist.

Es ist nämlich ein quotenloser Erbschein erteilt worden, ohne dass gemäß § 352a Abs. 2
Satz 2 FamFG alle Antragsteller in dem Erbschein auf den Ausweis der Quoten verzichtet hätten.
Gemäß vorgenannter Vorschrift müssen alle in dem beantragten Erbschein ausgewiesene Erben
ihren Verzicht gegenüber dem Gericht erklärt haben (vgl. OLG München NJW-RR 2019,
971; MüKoBGB/Grziwotz, 2019, § 2361 Rn. 18; Keidel/Zimmermann, FamFG, 2020, § 352a
Rn. 14). Nicht ausreichend ist, dass der allein antragstellende Miterbe den Verzicht der anderen
Beteiligten eidesstattlich versichert, wobei eine solche Versicherung dem Antrag ohnehin
nicht zu entnehmen ist. Keiner Entscheidung bedarf es, ob - wofür vieles spricht - ein Verzicht
nachträglich von den Miterben dem Gericht gegenüber erklärt werden kann. Denn ein
solcher Verzicht wurde zwar von der Beteiligten zu 2) hinreichend zum Ausdruck gebracht,
indem sie dem quotenlosen Erbschein ausdrücklich zugestimmt hatte. Eine solche Erklärung
hat die ebenfalls als Miterbin im Erbschein ausgewiesene Beteiligte zu 3) jedoch selbst nach
einem entsprechenden Hinweis des Berichterstatters nicht abgegeben. Damit leidet der erteilte
Erbschein weiterhin an einem schweren Verfahrensfehler, der die Einziehung des Erbscheins
nach § 2361 BGB erfordert.

Gemäß § 2361 BGB ist ein Erbschein nämlich einzuziehen, wenn er unrichtig ist. Unrichtigkeit
liegt vor, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung entweder schon ursprünglich nicht gegeben
waren oder nachträglich nicht mehr vorhanden sind (vgl. BGH NJW 1963, 1972; OLG
Hamm NJW-RR 1997, 453; Staudinger/Herzog, BGB, Stand Januar 2016, § 2361 Rn. 20;
Grüneberg/Weidlich, BGB, 2022, § 2361 Rn. 2). Dies ist mit Blick auf materielle wie Verfahrensfehler
denkbar (vgl. BGH NJW 1963, 1972; BayObLG FGPrax 2003, 130, 131;
MünchKommBGB, 2019, § 2361 Rn. 8). Bei dem Erfordernis des Verzichts aller im gemeinschaftlichen
Erbschein ausgewiesenen Erben auf die Angabe von Erbquoten handelt es sich
um einen Verfahrensfehler. Allerdings nötigen bei inhaltlich richtigen Erbscheinen Verfahrensfehler
nur in gravierenden Fällen zur Einziehung (vgl. BGH NJW 1963, 1972; KG NJW 1963,
880; Grüneberg/Weidlich, BGB, 2022, § 2361 Rn. 2; leicht abweichend Staudinger/Herzog,
BGB; Stand Januar 2016, § 2361 Rn. 24).

Ein gravierender Verfahrensfehler liegt etwa bei einer Unzuständigkeit des Gerichts (vgl. OLG
Frankfurt FamRZ 2002, 112; KG NJW-RR 2012, 459; Grüneberg/Weidlich, BGB, 2022, § 2361
Rn. 2; zurückhaltend für die örtliche Unzuständigkeit OLG Köln BeckRS 2015, 7622 Rn. 8),
aber auch bei fehlender oder abweichender Antragstellung vor (vgl. BayObLG NJW-RR 2002,
950, 952; MüKoBGB/Grziwotz, 2019, § 2361 Rn. 10; Staudinger/Herzog, BGB, Stand Januar
2016, § 2361 Rn. 28; Grüneberg/Weidlich, BGB, 2022, § 2361 Rn. 3), sofern die Erteilung
des Erbscheins nicht nachher von dem Berechtigten ausdrücklich genehmigt wird. Denn den
Beteiligten darf kein Erbschein abweichend von ihrem Willen aufgedrängt werden (vgl.
MüKoBGB/Grziwotz, 2019, § § 2361 Rn. 10).

Dabei ist nach Auffassung des Senats die entgegen § 352a Abs. 2 FamFG fehlende Verzichtserklärung
einem fehlenden Antrag bei der Schwere des Verfahrensfehlers gleichzustellen, so
dass mangels nachträglicher Verzichtserklärung der Erbschein bereits aufgrund dieses Verfahrensfehlers
einzuziehen ist.

Für diese Sicht spricht zunächst ein aus dem Wortlaut des § 352a Abs. 2 FamFG abgeleitetes
Argument: Denn dem Wortlaut der Vorschrift zufolge erfordert die Erteilung eines gemeinschaftlichen
Erbscheins grundsätzlich in einem Antrag die Angabe der Erben und der Erbanteile.
Diese Angaben sind - anders als die Angaben nach § 352 FamFG - integraler Bestandteil
des Antrags, da sie in den zu erteilenden Erbschein aufzunehmen sind. Entsprechend ist
ein Antrag auch dann einzuziehen, sofern die im Erbschein ausgewiesenen Quoten von den
beantragten Quoten abweichen (vgl. Staudinger/Herzog, BGB, Stand Januar 2016, § 2361
Rn. 28). Da der Verzicht der Beteiligten auf die Ausweisung der Quoten im Erbschein die Angabe
der Erbteile im Antrag ersetzt, ist der hier vorliegende Fall der Erteilung eines quotenlosen
Erbscheins bei fehlendem Verzicht mit demjenigen der Abweichung der ausgewiesenen
von den beantragten Quoten gleich zu behandeln. Jeweils ist der erteilte Erbschein bereits
aufgrund des Verfahrensfehlers einzuziehen.

Hierfür spricht auch die Bedeutung des Verzichts. Dieser ist von erheblicher Tragweite und
kann daher nur gegenüber dem Gericht erklärt werden (vgl. Zimmermann, ZEV 2015, 520,
522). Es handelt sich um eine unabdingbare Voraussetzung für die Erbscheinerteilung (vgl.
insoweit auch OLG München FamRZ 2020, 296, 297). Deren fortdauerndes Fehlen macht eine
Einziehung erforderlich. Denn es wäre mit dem Gebot eines effektiven Rechtsschutzes nicht
vereinbar, sofern ein Beteiligter der Gesetzeslage zufolge zwar die Erteilung eines quotenlosen
Erbschaft mittels verweigerter Zustimmung hierzu verhindern, hingegen nach seiner
rechtswidrigen Erteilung den erteilten Erbschein nicht mehr beseitigen könnte, sondern die
rechtswidrige Erteilung dauerhaft hinzunehmen hätte.

Dem steht nicht entgegen, dass nach herrschender Auffassung der quotenlose Erbschein
nach Bekanntwerden der Quoten zutreffend bleibt, so dass seine Einziehung unzulässig wäre
(vgl. MüKoBGB/Grziwotz, 2019, § 2361 Rn. 20; Keidel/Zimmermann, FamFG, 2020, § 352a
Rn. 16 f.; Zimmermann, ZEV 2015, 520, 522). Denn ein solcher Erbschein ist - sofern im Gegensatz
zum vorliegenden Fall der Verzicht aller Erben erklärt worden ist - nicht verfahrensfehlerhaft,
sondern in Einklang mit den Verfahrensvorschriften erteilt worden. Auf die materielle
Richtigkeit kommt es bei der Einziehung wegen eines schweren Verfahrensfehlers aber
nicht an.

c) Zutreffend hat das Amtsgericht aber den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1) zurückge-
wiesen. Denn entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 1) und 2) sind alle drei Kinder des
Erblassers dessen Erben geworden.

Die Erbfolge richtet sich nach dem gemeinschaftlichen Testament der Eheleute und nicht
nach dem später errichteten Einzeltestament des Erblassers. Dies ergibt sich aus einer verständigen
Auslegung der letztwilligen Verfügung der Eheleute und der hieraus resultierenden
fortdauernden Bindungswirkung des Testaments. Nach dem gemeinschaftlichen Testament,
an das der Erblasser gebunden war und dessen Bindungswirkung nicht aufgrund der Ausschlagung
der Beteiligten zu 1) bis 3) nach dem Tod der Ehefrau des Erblassers entfallen ist,
sind alle drei Beteiligte Erben des Erblassers geworden.

aa) Wie sich aus einer Auslegung der letztwilligen Verfügung der Eheleute ergibt, haben sich
die Eheleute gegenseitig zu Alleinerben und ihre Kinder zu Schlusserben eingesetzt.

aaa) Die Testamentsauslegung hat zum Ziel, den wirklichen Willen des Erblassers zu erforschen.
Dabei ist vom Wortlaut auszugehen, wobei maßgeblich allein das subjektive Verständnis
des Erblassers von den von ihm verwendeten Begriffen ist (vgl. BGH FamRZ 1987, 475,
476; Grüneberg/Weidlich, BGB, 2022, § 2084 Rn. 1). Zur Ermittlung des Inhalts der testamentarischen
Verfügungen ist der gesamte Inhalt der Testamentsurkunde einschließlich aller
Nebenumstände, auch solcher außerhalb des Testaments, heranzuziehen und zu würdigen
(vgl. BGH NJW 1993, 256 m.w.N.). Solche Umstände können vor oder auch nach der Errichtung
des Testamentes liegen. Dazu gehört das gesamte Verhalten des Erblassers, seine Äußerungen
und Handlungen (vgl. Grüneberg/Weidlich, BGB, 2022, § 2084 Rn 2 m.w.N.), jedoch
müssen sich mit Blick auf die Formerfordernisse des § 2247 BGB für einen entsprechenden
Willen des Erblassers in der letztwilligen Verfügung - wenn auch nur andeutungsweise -
Anhaltspunkte finden lassen (vgl. BGHZ 80, 242, 244; BGHZ 86, 41; Grüneberg/Weidlich,
BGB, 2022, § 2084 Rn. 4).

bbb) Unter Anwendung vorstehender Grundsätze ergibt sich, dass die Eheleute sich gegenseitig
zu Alleinerben und die Kinder als Schlusserben eingesetzt haben, nicht hingegen Vorund
Nacherbschaft angeordnet haben.

Maßgeblich dafür, ob Vor- und Nacherbschaft oder demgegenüber Haupt- und Schlusserbschaft
mit einer entsprechenden Auflage an den Haupterben angeordnet wurde, ist vorliegend,
ob die Eheleute bei Abfassung des Testaments von zwei getrennten oder einer gemeinsamen
Vermögensmasse nach dem Tod der Erstversterbenden ausgingen. Bei der Vor- und
Nacherbschaft fällt das Erbe des Erstversterbenden im Rahmen der Vorerbschaft auf diesen
und bleibt von seinem Vermögen getrennt. Nach seinem Tod fällt es sodann den Nacherben
zu, hingegen sein Vermögen geht auf seine Erben über. Im Fall der Haupt- und Schlusserbschaft
fällt das Vermögen des Erstversterbenden an den längerlebenden Ehegatten und geht
dann mit dessen Tod als einheitliches Vermögen des Längstlebenden auf dessen Erben über.
Dem Wortlaut des gemeinschaftlichen Testaments lässt sich nicht klar entnehmen, welche
Rechtskonstruktion die Eheleute wählen wollten. Im ersten Abschnitt sprechen die Eheleute
für den Fall des Todes des Erstversterbenden von „sein Anteil Hausrat ...“. Auch bei dem
Grundbesitz wird im nächsten Absatz erwähnt, dass dieses je zur Hälfte den Eheleuten gehört.
Dies könnte für eine Trennung der Vermögen und damit für eine Anordnung von Vorund
Nacherbschaft sprechen. Allerdings sind bis zum Tod des Erstversterbenden auch bei einer
Haupt- und Schlusserbschaft die Vermögensmassen beider Eheleute getrennt. Eine Zusammenführung
erfolgt erst mit dem Tod des Erstversterbenden. Für den Tod des Längstlebenden
spricht die von den Eheleuten gewählte Formulierung dann allerdings eher für die
Vorstellung einer zusammengeführten Vermögensmasse. Denn bei den für diesen Fall getroffenen
Anordnungen betreffend die Wohnungen ebenso wie Einrichtung, persönliche Sachen
Sparguthaben oder Bargeld wird nicht mehr zwischen den jeweiligen Anteilen differenziert,
wenngleich es in Betreff auf Einrichtung, persönliche Sachen Sparguthaben oder Bargeld es
wörtlich heißt „der Erblasser“ und nicht des Längstlebenden.

Dem systematischen Aufbau des Testaments vom 16. Dezember 1991 lässt sich ebenfalls
keine eindeutige Aussage entnehmen. Es wird zunächst der Tod des Erstversterbenden geregelt
und sodann auf den zweiten Erbfall eingegangen. Dabei spricht die Anordnung, dass der
überlebende Ehegatte die Immobilie mietfrei und zur Verwaltung erhält nicht zwingend für eine
Vor- und Nacherbschaft, da die Fruchtziehung sowohl dem Haupt- als auch dem Vorerben
zukommt.

Ein gewisses Argument für die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft ist dem Umstand zu
entnehmen, dass der Längstlebende über den ererbten Immobilienanteil nicht zu Lebzeiten
anderweitig verfügen durfte und es den Eheleuten auf den Erhalt der Immobilie in seiner Gesamtheit
für die Kinder wesentlich ankam. Die fehlende Verfügungsmöglichkeit über Grundstücke
entspricht der gesetzlichen Regelung für den nicht befreiten Vorerben in § 2113 BGB.
Allerdings lässt sich dies rechtlich - wenngleich in abgeschwächter Form - auch mittels einer
Auflage gegenüber dem Haupterben herbeiführen. Vorliegend spricht insbesondere der Umstand,
dass der Längstlebende auch über seinen eigenen Anteil an der Immobilie nicht verfügen
durfte, für eine Auflage, denn die Verfügungsbeschränkung über den eigenen Anteil des
Längstlebenden war ausschließlich durch eine Auflage ihm gegenüber durchzusetzen und
zwei unterschiedliche rechtliche Konstruktionen mit Blick auf die beiden Immobilienanteile
sind eher fernliegend.

Hierfür spricht ebenfalls, dass die Eheleute dem Längstlebenden auch einheitlich auferlegten,
nicht anderweitig von Todes wegen über die Immobilie zu verfügen, was im Fall der Anordnung
von Vor- und Nacherbschaft mit Blick auf den Anteil des Erstverstorbenen ohnehin nicht
möglich gewesen wäre.

Demgegenüber kann vorliegend nicht entscheidend für eine Haupt- und Schlusserbeneinsetzung
ins Feld geführt werden, dass es Ziel der Eheleute war, die gemeinsamen Kinder nach
dem Tod des Längstlebenden als Erben einzusetzen. Dies wird zwar bei einer Haupt- und
Schlusserbeneinsetzung unmittelbar so geregelt, kommt aber vorliegend auch bei einer Vorund
Nacherbschaft zum Tragen, da im Fall des Versterbens des Längstlebenden der Vorerbe
weggefallen ist und damit der Nacherbe gemäß § 2102 Abs. 1 BGB zum Ersatzerben berufen
ist und zugleich als Vollerbe des Längstlebenden erstarkt. Dies gilt insbesondere auch mit
Blick auf das gemeinschaftliche Testament des Erblassers, in dem die Eheleute ausdrücklich
für den Tod des Längstlebenden eine Aufteilung ihres Vermögens unter den drei Kindern vorgesehen
haben.

Wenngleich die am Testament ansetzenden Auslegungskriterien eher für eine Haupt- und
Schlusserbeneinsetzung sprechen, dürften die entscheidenden Gesichtspunkte den äußeren
Umständen zu entnehmen sein. So hat der Erblasser im Rahmen seines eigenen Erbscheinsantrags
nach dem Tod seiner Ehefrau ausdrücklich angegeben, die Kinder seien nicht bedacht
worden. Dies ist aber nur im Fall der Haupt- und Schlusserbeneinsetzung der Fall.
Ferner ist er bei dem Errichten des eigenen Einzeltestaments am 14. November 2005 erkennbar
von einer einheitlichen Vermögensmasse ausgegangen. An keiner Stelle wird zwischen
dem ererbten Vermögen der Ehefrau und dem eigenen Vermögen differenziert. Vielmehr
spricht er ausdrücklich von dem einheitlichen Immobilienvermögen, das von ihm den Beteiligten
zu 1) und 2) vererbt wird.

Dass demgegenüber die mittestierende Ehefrau eine andere Vorstellung gehabt haben könn-
te, ist nicht ersichtlich. Ebenso ausgeschlossen ist, dass der Erblasser zum Zeitpunkt der Errichtung
des Einzeltestaments insoweit einem rechtlichen Irrtum unterlegen war, da die Ausschlagungen
der gemeinsamen Kinder zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfolgt waren.
Da mithin beide Eheleute von einer einheitlichen Vermögensmasse nach dem Tod des Erstversterbenden
ausgingen, haben sie Haupt- und Schlusserbschaft angeordnet.

bb) Die eigene Einsetzung des Erblassers als Haupterben seiner Ehefrau stand in Wechselbezüglichkeit
zu der Einsetzung der gemeinsamen drei Kinder als Schlusserben des Erblassers.
Dies entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, die der Gesetzgeber in Form einer Vermutung
gesetzlich in § 2270 Abs. 2 BGB verankert hat. Überzeugende Gesichtspunkte, die dieser
gesetzlichen Vermutung entgegenstehen könnten, sind von den Beteiligten nicht angeführt
worden und auch sonst nicht ersichtlich. Entsprechend war der Erblasser gemäß § 2271
Abs. 2 BGB an die gemeinsame Schlusserbeneinsetzung aller drei Kinder gebunden, da er die
Erbschaft nach seiner Ehefrau angenommen hatte.

Diese Bindungswirkung war auch nicht durch die Ausschlagung der Erbschaft seitens der drei
Beteiligten nach dem Tod der Ehefrau entfallen. Denn eine Ausschlagung vor Anfall der
Schlusserbschaft ist bereits nicht möglich (vgl. BGH NJW 1998, 543).
3. Die Kostenentscheidung erster Instanz beruht auf §§ 81, 353 Abs. 2 FamFG. Der Beteiligte
zu 1) trägt als Antragsteller die Kosten des Erbscheinsverfahrens, Ferner trägt er auch als
Antragsteller des sodann eingezogenen Erbscheins die Kosten des Einziehungsverfahrens. Da
der Beteiligte zu 1) mit seinem Rechtsmittel teilweise unterlegen ist, sind ihm mangels entgegenstehender
besonderer Umstände die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens im Umfang
seines Unterliegens aufzuerlegen und im Übrigen von der Erhebung von Gerichtskosten
abzusehen. Dies führt zu einer hälftigen Teilung der Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens
gemäß § 81 FamFG. Eine Auferlegung außergerichtlicher Kosten entspricht weder in erster
noch in zweiter Instanz der Billigkeit.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 FamFG liegen
nicht vor. Folglich ist kein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Senats gegeben.
Die Wertfestsetzung ergibt sich aus den §§ 61, 40 GNotKG. Sie richtet sich gemäß § 61
Abs. 1 GNotKG nach dem Wert der Interessen, denen das Rechtsmittel ausweislich des Antrags
des Beschwerdeführers dient. Ziel des Antrags des Beteiligten zu 1) ist die Einziehung
des erteilten sowie die Erlangung des beantragten Erbscheins. Damit ist für den Geschäftswert
auch des Beschwerdeverfahrens die spezielle Regelung betreffend der Verfahren zur Erteilung
bzw. Einziehung eines Erbscheins in § 40 Abs. 1 Nr. 2 GNotKG heranzuziehen, wonach
maßgeblich der Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls ist, von dem nur die vom Erblasser
herrührenden Verbindlichkeiten abgezogen werden. Den Wert des Nachlasses bemisst
der Senat auf der Grundlage der Angaben des Beteiligten zu 1) auf etwa 150.000 Euro (Bl.
34 d. A.). Eine Summierung des Wertes der Einziehung des alten und der Erteilung des neu
beantragten Erbscheins kommt nicht in Betracht, da beide Anträge auf das gleiche Ziel gerichtet
sind. Daraus ergibt sich der im Tenor festgesetzte Beschwerdewert.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Frankfurt a. Main

Erscheinungsdatum:

10.03.2022

Aktenzeichen:

21 W 175/21

Rechtsgebiete:

Gemeinschaftliches Testament
Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Kostenrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Nachlaßabwicklung (insbes. Erbschein, Nachlaßinventar)
Testamentsform

Erschienen in:

FGPrax 2022, 136-137

Normen in Titel:

BGB § 2361; FamFG § 352a Abs. 2 S. 2