Anwendung eines durch Beschluss geänderten Kostenverteilungsschlüssels; Anfechtungsklage gegen den Beschluss
letzte Aktualisierung: 14.2.2025
BGH, Urt. v. 15.11.2024 – V ZR 239/23
WEG §§ 16 Abs. 2 S. 2, 28 Abs. 1 u. 2
Anwendung eines durch Beschluss geänderten Kostenverteilungsschlüssels;
Anfechtungsklage gegen den Beschluss
1. Ist die Kostenverteilung durch gültigen Beschluss geändert worden, muss der geänderte Kostenverteilungsschlüssel
in nachfolgenden Wirtschaftsplänen bzw. Jahresabrechnungen sowie bei der
Erhebung von Sonderumlagen angewendet werden; die Anfechtungsklage gegen den auf der
Grundlage des Wirtschaftsplans bzw. der Jahresabrechnung oder zur Erhebung einer Sonderumlage
gefassten Beschluss kann nicht darauf gestützt werden, dass der vorangegangene Beschluss über die
Änderung der Kostenverteilung ordnungsmäßiger Verwaltung widerspricht (im Anschluss an Senat,
Urteil vom 16. Juni 2023 – V ZR 251/21,
2. Beschlüsse über die Änderung der Kostenverteilung nach
vorbehaltlich einer Nichtigkeit etwa nach den
Rahmen der Anfechtungsklage (Abgrenzung zu Senat, Urteil vom 10. Oktober 2014 – V ZR
315/13,
7 f., 26).
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung u.a. in
ist, sieht die angefochtenen Beschlüsse zwar nicht als nichtig an. Die
Kompetenz zur Beschlussfassung ergebe sich sowohl im Hinblick auf die Vorschüsse
als auch bezüglich der Sonderumlage aus
Beschlüsse seien aber für ungültig zu erklären, weil sie gegen den Grundsatz
ordnungsmäßiger Verwaltung verstießen. Denn den Klägern seien entgegen der
Teilungserklärung Kosten auferlegt worden; die dort geregelte Kostenbefreiung
gelte unvermindert fort. Zwar hätten die Eigentümer am 23. Juni 2021 beschlossen,
bestimmte Kosten auf alle Wohnungseigentümer umzulegen. Dieser Beschluss
sei aber mangels Beschlusskompetenz nichtig. Denn § 16 Abs. 2 Satz 2
WEG begründe nicht die Kompetenz, Wohnungseigentümer entgegen einer bestehenden
Vereinbarung erstmals an Kosten zu beteiligen.
II.
Die Revision hat Erfolg.
1. Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung kann das
Urteil keinen Bestand haben.
a) Zutreffend ist allerdings im Ausgangspunkt, dass sich die Kompetenz
der Wohnungseigentümer sowohl für den Beschluss über die Vorschüsse für das
Wirtschaftsjahr 2022 (TOP 3) als auch für den Beschluss über die Sonderumlage
(TOP 4) als Ergänzung des Wirtschaftsplans aus
Richtig ist zudem, dass sich eine fehlerhafte Anwendung eines Kostenverteilungsschlüssels
nicht auf die Beschlusskompetenz auswirkt (vgl. Senat, Urteil
vom 22. Juni 2018 - V ZR 193/17,
b) Von Rechtsfehlern beeinflusst ist jedoch die Annahme des Berufungsgerichts,
die Beschlüsse vom 5. Juli 2022 widersprächen deswegen ordnungsmäßiger
Verwaltung, weil den Klägern nach der Teilungserklärung keine Kosten
hätten auferlegt werden dürfen.
aa) Allerdings trifft es zu, dass Beschlüsse über Vorschüsse und über die
Erhebung einer Sonderumlage ordnungsmäßiger Verwaltung widersprechen,
wenn der falsche Kostenverteilungsschlüssel angewendet wird (vgl. Senat, Urteil
vom 19. Juli 2024 - V ZR 139/23,
bb) Nicht zu beanstanden ist ferner die Auslegung der Teilungserklärung,
wonach die Eigentümer der Dachgeschosswohnungen bis zum Anschluss an die
Ver- und Entsorgungsleitungen - die noch nicht erfolgt ist - von den Kosten freigestellt
waren. Entgegen der Ansicht der Revision kommt eine ergänzende Auslegung
der Teilungserklärung dahin, dass das Kostenprivileg wegen des verzögerten
Dachausbaus zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 23. Juni 2021 bereits
entfallen war, nicht in Betracht. Hierfür bestehen - wie die Revisionserwiderung
zu Recht ausführt - nach der gebotenen objektiven und nächstliegenden
Auslegung der Teilungserklärung keine Anhaltspunkte.
cc) Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Annahme des Berufungsgerichts, die
Wohnungseigentümer hätten mit dem Beschluss vom 23. Juni 2021 den in der
Teilungserklärung vereinbarten Kostenverteilungsschlüssel nicht wirksam ändern
können, weil ihnen für eine derartige Beschlussfassung die Kompetenz
fehle. Wie der Senat - allerdings erst nach Erlass des Berufungsurteils - entschieden
hat, begründet
eine von einer Vereinbarung abweichende Verteilung der Kosten
zu beschließen, wenn dadurch Wohnungseigentümer erstmals mit Kosten
belastet werden (vgl. Senat, Urteil vom 22. März 2024 - V ZR 81/23, NJW 2024,
1587 Rn. 8). Dies gilt, anders als der Prozessbevollmächtigte der Kläger in der
mündlichen Verhandlung vor dem Senat geltend gemacht hat, auch bei einer Abänderung
von Kostenregelungen, die vor dem Inkrafttreten des WEMoG zum
1. Dezember 2020 vereinbart worden sind. Übergangsvorschriften für Altvereinbarungen
hat der Gesetzgeber nämlich nicht vorgesehen; vielmehr kommt in § 47
WEG der eindeutige Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, bei der Auslegung
von Vereinbarungen im Zweifel dem neuen Recht zur Geltung zu verhelfen (vgl.
Senat, Urteil vom 21. Juli 2023 - V ZR 90/22,
22. März 2024 - V ZR 141/23,
2. Das Urteil des Berufungsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen
Gründen als richtig (
a) Andere Beschlussmängel, die zur Nichtigkeit des Beschlusses über die
Änderung der Kostenverteilung vom 23. Juni 2021 führen, liegen nicht vor.
aa) Die Beschlusskompetenz des
der Prozessbevollmächtigte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem
Senat geltend gemacht hat - nicht in der Teilungserklärung abbedungen worden
(zu der grundsätzlich bestehenden Möglichkeit MüKoBGB/Scheller, 9. Aufl., § 16
WEG Rn. 41; BeckOGK/Falkner, WEG [1.4.2024], § 16 Rn. 140; Bärmann/Becker,
WEG, 15. Aufl., § 16 Rn. 157 f.; Drasdo,
wenn die Befugnis zum Dachausbau nach der Gemeinschaftsordnung als unentziehbares
Recht ausgestaltet sein sollte, folgt daraus nach objektiver und nächstliegender
Auslegung (vgl. Senat, Urteil vom 19. Juli 2024 - V ZR 139/23, NZM
2024, 760 Rn. 13 mwN) nicht, dass der Aufschub der Beteiligung an den Kosten
bis zum Leitungsanschluss ebenfalls unentziehbar sein sollte. Denn das Recht,
das Dach auszubauen, bleibt auch dann bestehen, wenn die ausbauberechtigten
Sondereigentümer an den Kosten der GdWE beteiligt werden.
bb) Entgegen dem Einwand der Kläger ergibt sich die Nichtigkeit des Beschlusses
über die Änderung der Kostenverteilung vom 23. Juni 2021 auch nicht
daraus, dass er gegen den Willen der Sondereigentümer der Dachgeschosswoh-
(1) Zwar kann sich nach der Rechtsprechung des Senats ein Beschlussmangel
daraus ergeben, dass gegen den Willen der nachteilig betroffenen Wohnungseigentümer
durch Mehrheitsbeschluss in unentziehbare Individualrechte
eingegriffen wird (vgl. Senat, Urteil vom 10. Oktober 2014 - V ZR 315/13, BGHZ
202, 346 Rn.
insbesondere das dem Verbandsrecht immanente Belastungsverbot gehört. Dieses
schränkt bei Änderungsbeschlüssen aufgrund vereinbarter allgemeiner Öffnungsklauseln
die Mehrheitsmacht der Wohnungseigentümer im Interesse der
Minderheit ein und schützt jeden Wohnungseigentümer vor der Aufbürdung
neuer - sich weder aus dem Gesetz noch aus der bisherigen Gemeinschaftsordnung
ergebender - Leistungspflichten (vgl. Senat, Urteil vom 10. Oktober 2014
- V ZR 315/13, aaO Rn. 16; Urteil vom 13. Mai 2016 - V ZR 152/15, NJW-RR
2016, 1107 Rn. 15; Urteil vom 12. April 2019 - V ZR 112/18,
Rn. 7 f.). Ob es zur Nichtigkeit oder lediglich zur Anfechtbarkeit führt, wenn ein
Beschluss gegen den Willen der nachteilig Betroffenen in deren unentziehbare
Rechte eingreift, hat der Senat allerdings zuletzt offengelassen (Urteil vom
12. April 2019 - V ZR 112/18, aaO Rn. 26).
(2) Diese Frage bedarf auch hier keiner Klärung. Die genannte Rechtsprechung
bezieht sich nämlich auf die materielle Kontrolle von Beschlüssen, die die
Gemeinschaftsordnung auf der Grundlage vereinbarter allgemeiner Öffnungsklauseln
ändern. Solche Öffnungsklauseln erlauben ohne nähere Vorgaben eine
Änderung der Gemeinschaftsordnung durch (meist qualifizierten) Mehrheitsbeschluss;
die Wirksamkeit der auf dieser Grundlage gefassten Beschlüsse unter-
April 2019 - V ZR 112/18,
die gesetzliche Öffnungsklausel des
nicht übertragen werden (zu den Unterschieden bereits Senat, Urteil vom 12. April
2019 - V ZR 112/18, aaO Rn. 21). Das Gesetz erlaubt es nunmehr, eine vereinbarte
Kostenregelung durch Beschluss abzuändern und bislang vereinbarte
Privilegien auch gegen den Willen der Privilegierten durch Beschluss zu entziehen.
Das hat zur Folge, dass Beschlüsse über die Änderung der Kostenverteilung
nach
unterliegen. Es ist gerade Ziel der gesetzlichen Öffnungsklausel, in weitaus
größerem Maße als früher die mehrheitliche Änderung der vereinbarten Kostenverteilung
und damit auch die Abschaffung von Kostenprivilegien zu ermöglichen;
die bewusst weit gefasste Beschlusskompetenz entspricht dem Bedürfnis nach
Rechtssicherheit (näher dazu Senat, Urteil vom 22. März 2024 - V ZR 81/23,
b) Die angefochtenen Beschlüsse beruhen damit richtigerweise auf dem
am 23. Juni 2021 geänderten Kostenverteilungsschlüssel. Auch die Sonderumlage
wird nach den Feststellungen des Berufungsgerichts für Kosten erhoben,
deren Verteilung in dem Beschluss vom 23. Juni 2021 geändert wurde. Ist die
Kostenverteilung durch gültigen Beschluss geändert worden, muss der geänderte
Kostenverteilungsschlüssel in nachfolgenden Wirtschaftsplänen bzw. Jahresabrechnungen
sowie bei der Erhebung von Sonderumlagen angewendet werden;
die Anfechtungsklage gegen den auf der Grundlage des Wirtschaftsplans
bzw. der Jahresabrechnung oder zur Erhebung einer Sonderumlage gefassten
Beschluss kann nicht darauf gestützt werden, dass der vorangegangene Beschluss
über die Änderung der Kostenverteilung ordnungsmäßiger Verwaltung
widerspricht (vgl. Senat, Urteil vom 16. Juni 2023 - V ZR 251/21,
Rn. 11). Wird der Beschluss, der die Kostenverteilung abändert, - wie hier - bestandskräftig,
bleibt es bei der geänderten Kostenverteilung. Wird er angefochten
und später für ungültig erklärt, hat - sofern bereits nach dem nunmehr für ungültig
erklärten Kostenverteilungsschlüssel abgerechnet worden ist - eine neue Abrechnung
zu erfolgen (vgl. Senat, Urteil vom 16. Juni 2023 - V ZR 251/21, aaO
Rn. 13 ff.).
c) Soweit die Revisionserwiderung meint, die angefochtenen Beschlüsse
widersprächen deswegen ordnungsmäßiger Verwaltung, weil die Kostenbeteiligung
den Klägern nicht zumutbar sei und die Beklagte treuwidrig handele, kann
dies schon im Ansatz nicht durchgreifen. Einwände dieser Art können nur im
Rahmen eines Anfechtungsverfahrens gegen den die Kostenverteilung ändernden
Beschluss geltend gemacht werden (vgl. oben Rn. 18). Offenbleiben kann,
ob und unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf (erneute) Änderung
des Kostenverteilungsschlüssels bestehen kann. Ein derartiger Anspruch könnte
in einem Beschlussanfechtungsverfahren jedenfalls nicht einredeweise geltend
gemacht werden (vgl. Senat, Urteil vom 19. Juli 2024 - V ZR 139/23, NZM 2024,
760 Rn. 30).
III.
1. Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben und ist aufzuheben
(§ 562 Abs. 1 ZPO). Weitere Feststellungen sind nicht zu treffen. Der Senat
kann daher in der Sache selbst entscheiden (
Zurückweisung der Berufung der Kläger und zur Wiederherstellung der amtsgerichtlichen
Entscheidung.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus
und § 91 Abs. 1 ZPO (Revisionsverfahren).
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:15.11.2024
Aktenzeichen:V ZR 239/23
Rechtsgebiete:
WEG
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
WEG §§ 16 Abs. 2 S. 2, 28 Abs. 1 u. 2