Anfechtung eines Testaments wegen Motivirrtums; innerfamiliärer Erhalt einer Immobilie
letzte Aktualisierung: 2.2.2023
LG Wuppertal, Urt. v. 5.12.2022 – 2 O 317/21
Anfechtung eines Testaments wegen Motivirrtums; innerfamiliärer Erhalt einer
Immobilie
1. Die Vorstellung einer Erblasserin, einer von zwei Abkömmlingen werde eine Immobilie im
Familienbesitz halten, wenn sie ihn durch Testament zum Alleinerben einsetzt, ist ein Motiv i. S. d.
Familie als Umstand i. S. d.
2. Das Motiv des innerfamiliären Erhalts der Immobilie findet als subjektive Erwartung im
Testament eine wörtliche Stütze, wenn die Erblasserin dort die Einsetzung als Alleinerbe wörtlich
als „einzige Möglichkeit“ bewertet, „ablaufmäßig und verfahrenstechnisch zu gewährleisten“, „unser
Wohnhaus, das eine Belastung ist,“ zu „erhalten“. Die Schaffung aller ihr möglichen
Voraussetzungen für einen bestimmten, künftigen Geschehensablauf indiziert, dass sie den Willen
zu seiner Herbeiführung hat.
3. Verknüpft die Erblasserin den von ihr skizzierten Geschehensablauf wörtlich mit der
Offenlegung ihres Willens, „ein Verschleudern müssen“ nicht zu wollen, so verdeutlicht dies, auf die
Verhinderung welchen Erfolgs es ihr durch die von ihr geschaffenen Voraussetzungen gerade
ankam, so dass sie sich hiervon beim Verfassen ihres letzten Willens bestimmend leiten ließ.
4. In der an den hierdurch enterbten Abkömmling gerichteten Erklärung der Erblasserin in dem
Testament, dass dies „nicht als Straf- oder Benachteiligungsaktion zu sehen“, dies aber der einzige
Weg zur Erhaltung der Immobilie sei, ist zu erkennen, dass die Enterbung nicht dem Willen der
Erblasserin entspricht, ihr aber die Verhinderung des Verkaufs an Dritte wichtiger als eine gerechte
Erbeinsetzung ihrer Abkömmlinge ist. Die konkrete Offenlegung ihres Motivs in Verbindung mit
dem ausdrücklichen Ausschluss weiterer denkmöglicher Motive führt zu einer unzweideutigen
Verknüpfung von Motiv und Erbeinsetzung.
5. Aus der in einem Testament aus Sicht der Erblasserin subjektiv als zwingend empfundenen
Verknüpfung der (höher bewerteten) gewollten Verhinderung eines ganz bestimmten Umstands mit
dem ungewollten Nichteintritt eines (geringer bewerteten) Erfolges ergibt sich ein zur
Anfechtbarkeit i. S. d.
(ungewollten) Umstands durch den Nichteintritt des (gewollten) Erfolges nicht zu verhindern war.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Zulässigkeit der Klage ergibt sich aus dem berechtigten Interesse der Klägerin, den mit
dem Eintritt der gesetzlichen Erbfolge einhergehenden Zuwachs i.S.d.
ihrer vom Beklagten bestrittenen Rechtsposition festgestellt zu wissen, weil sie hierdurch
am Kaufpreis mitberechtigt wird gemäß § 2041 BGB.
Die Klage ist begründet. Die Klägerin ist zusammen mit dem Beklagten Miterbin aufgrund
gesetzlicher Erbfolge gemäß den
die Klägerin von der Erbfolge ausnehmende, formwirksame Testament vom 15.12.2002
hat diese durch Anfechtungserklärung gemäß § 2081 Abs. 1 BGB gegenüber dem
Amtsgericht Wuppertal als zuständigem Nachlassgericht durch Schreiben vom 02.11.2021
wirksam angefochten. Insbesondere erfolgte die Anfechtung innerhalb der Jahresfrist des
Veräußerung der Immobilie durch den Beklagten erfahren hat.
Der von der Klägerin geltend gemachte Anfechtungsgrund aus § 2078 Abs. 2, Var. 1 BGB
liegt zur Überzeugung der Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor
(
Erblasser diese in der irrigen Annahme oder Erwartung des Eintritts eines Umstandes
errichtete. Diese Voraussetzungen liegen vor.
Die positive Vorstellung der Erblasserin, der Beklagte werde das Haus erhalten, wenn er
Alleinerbe wird, war ein Motiv i.S.d.
Erblasserin im Testament vom 15.12.2002 bestimmend war (vgl. Leipold in MüKo-BGB, 9.
Aufl. § 2078, Rn. 28). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass der Beklagte das Haus dann
auch nicht verkaufen werde. Diese subjektive Erwartung, die auch als unbewusste
Erwartung vom Anfechtungstatbestand erfasst wäre (vgl.
Testament sogar eine klare Stütze: Die Erhaltung des Hauses hat die Erblasserin wörtlich
verbunden mit der Erwägung, dass sie das Haus nicht verschleudert sehen wolle. Darin
kommt zum Ausdruck, dass das Haus in der Familie bleiben und nicht verkauft werden
sollte. Die irrige Annahme der von der Erblasserin vorausgesetzten Entwicklung muss
zwar nicht im Testament zum Ausdruck kommen, um anfechtbar zu sein (vgl. Leipold
a.a.O., Rn. 38); hier liefert die wortgetreue Erklärung dazu im Testament aber den Beweis,
dass sich die Erblasserin von dieser Vorstellung bestimmend leiten ließ (vgl. BGH, NJW
1965, 584; KG,
Die an die konkrete Regelung der Erbfolge geknüpfte (subjektive) Erwartung der
Erblasserin hat sich (objektiv) nicht erfüllt. Aus diesem Grund war die Klägerin zur
Anfechtung berechtigt. Nach der weiten Formulierung des
berechtigt jeder Motivirrtum zur Anfechtung. Das Vertrauen eines Bedachten an der
Aufrechterhaltung einer testamentarischen Verfügung ist nicht schutzwürdig. Der Irrtum
kann sich auf vergangene, gegenwärtige und zukünftige Umstände beziehen (OLG Köln,
diese Umstände hat, ebenso, auf welche Weise der Irrtum entstanden ist (Leipold in
MüKo-BGB, 9. Aufl., § 2078, Rn. 37). Der Irrtum kann sich auf Umstände aller Art
beziehen, insbesondere auch auf das zukünftige Verhalten des Bedachten (
95; BGH
Rn. 685ff. m.w.N.). Die hiernach wirksame Anfechtung wirkt auf den Zeitpunkt der
Testamentserrichtung zurück und führt zur gewillkürten Erbfolge.
Die vom Beklagten dagegen erhobenen Einwände, die Beziehung zwischen der
Erblasserin und der Klägerin sei schlecht gewesen, greift hiergegen nicht durch. Darauf,
wie sich die Beziehung nach der Testierung im Dezember 2002 entwickelt hat, kommt es
hier nicht an; jedenfalls hat diese Entwicklung nicht dazu geführt, dass die Erblasserin neu
verfügt hat. Der vom Beklagten im Schriftsatz vom 29.09.2022 behauptete Vorfall im
Zeitraum davor, in den Jahren 1987/1988, ist in den Prozessschriftsätzen weder
verschriftlicht noch im Termin vorgetragen worden, obwohl hierzu Gelegenheit geboten
wurde. Eine Beweisaufnahme hierzu wäre deshalb schon aus diesem Grund unzulässig.
In der letztwilligen Verfügung selbst findet die Annahme eines persönlichen Motivs der
Erblasserin für die getroffene Regelung aber auch keine Entsprechung. Hiernach sollte die
Enterbung gerade keine Bestrafung oder Benachteiligung sein. Insbesondere unter
Berücksichtigung des Vortrags des Beklagten im Schriftsatz vom 04.11.2022, dass die
Erblasserin Volljuristin war, lässt diese Passage des Testaments keinen Raum für die
Annahme, dass die dort getroffene Entscheidung auf Enttäuschungen im
zwischenmenschlichen Bereich beruht. Sie ist vielmehr nach der Vorstellung der
Erblasserin im Errichtungszeitpunkt der einzige Weg, ihr Motiv umzusetzen, dass das
Haus in der Familie bleibt. Durch die Offenlegung ihres Motivs stellt die Erblasserin nicht
nur klar, dass die Entscheidung zur konkreten Verfügung auf Sachkriterien beruht, die
nach ihrer Vorstellung die Erwartung einer bestimmten, von ihr gewollten Entwicklung
zulassen; sie unterstreicht überdies durch die Benennung derjenigen Motive, die der
konkreten Verfügung gerade nicht zugrunde liegen überdies ausdrücklich, dass sie
hinsichtlich ihrer Motivlage nicht missverstanden werden will. Die Verknüpfung von Motiv
und Erbeinsetzung ist hiernach unzweideutig. Für die Annahme von Begleit- oder
Zusatzmotiven im persönlichen Bereich bleibt deshalb zur Überzeugung des Gerichts
angesichts dieser Formulierung kein Raum. Eine solche Motivation findet im Testament
nicht nur keine Andeutung, die Erblasserin schließt sie ausdrücklich aus.
Dass die Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung Zweifel daran hatte, dass
sich das Haus in der Familie halten lässt, lässt sich zur Überzeugung des Gerichts dem
Testament nicht entnehmen (
Erblasserin habe in das Testament auch die Möglichkeit der erheblichen
Renovierungskosten einbezogen, ist schon zweifelhaft, dass sie diese 20 Jahre vor dem
Erbfall in dem im Prozess vorgebrachten Umfang konkret antizipieren konnte. In der Sache
findet die Kostenlast der Immobilie zwar eine Entsprechung in der Erwägung der
Erblasserin, dass das Haus eine Belastung sei; bloß wollte sie das Verkaufsrisiko durch
die konkret getroffene Verfügung gerade ausschließen (s.o.). Soweit man – wie der
Beklagte in seinem Schriftsatz vom 04.11.2022 – die Formulierung, das Haus sei eine
Belastung, als Andeutung von Zweifeln daran, dass sich das Haus in der Familie halten
lässt, bewertet, kommt man allerdings nicht umhin, anzuerkennen, dass die Erblasserin
diesen Zweifeln gerade durch die konkrete Erbfolgeregelung Rechnung getragen hat (vgl.
Litzenburger in BeckOK-BGB, 63. Ed., § 2078, Rn. 7). Damit ist die Anfechtung im Falle
der andersartigen Entwicklung aber nicht ausgeschlossen, sondern geboten.
Mit der wirksamen Anfechtung entfällt die Geschäftsgrundlage für den zwischen den
Parteien bestehenden Pflichtteilsvertrag. Der Klägerin steht insoweit ein Rücktrittsrecht zu,
Vertrages auch konkludent Gebrauch. Der Beklagte hat überdies in der mündlichen
Verhandlung – anerkennenswert – offengelegt, dass er das Haus bereits zu dem Zeitpunkt,
als er der Klägerin am 13.11.2020 die Whatsapp schrieb, verkaufen wollte, weil das Halten
der Immobilie für ihn finanziell schlicht nicht zu stemmen gewesen sei. Durch die
gegenteilige Mitteilung in der Whatsapp und das Verschweigen der tatsächlichen Absicht
hat er die Klägerin unter Berücksichtigung der ihm obliegenden Auskunftspflichten aus
07.03.2021 arglistig getäuscht i.S.d.
wirksamen Testamentsanfechtung i.E. nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die der Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
Der Streitwert wird auf bis 170.000,00 Euro festgesetzt (80% von 210.000,00 Euro).
Entscheidung, Urteil
Gericht:LG Wuppertal
Erscheinungsdatum:05.12.2022
Aktenzeichen:2 O 317/21
Rechtsgebiete:
Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Allgemeines Schuldrecht
Gesetzliche Erbfolge
Erbengemeinschaft, Erbauseinandersetzung
Pflichtteil
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)
BGB § 2078