BGH 16. April 2021
V ZR 85/20
BGB §§ 917 Abs. 1, 1019

Unzulässige Benutzung des dienenden Grundstücks für Zwecke anderer Grundstücke als des herrschenden; Voraussetzungen eines Notwegerechts

letzte Aktualisierung: 22.7.2021
BGH, Urt. v. 16.4.2021 – V ZR 85/20

BGB §§ 917 Abs. 1, 1019
Unzulässige Benutzung des dienenden Grundstücks für Zwecke anderer Grundstücke als
des herrschenden; Voraussetzungen eines Notwegerechts

a) Ein Notwegrecht nach § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB kommt nicht in Betracht, wenn der Eigentümer
des verbindungslosen Grundstücks eine Zufahrt zu diesem in zumutbarer Weise über ein anderes, in
seinem Eigentum stehendes Grundstück errichten kann; in diesem Fall kann das Notwegrecht
allenfalls befristet und längstens bis zur Herstellung der anderweitigen Verbindung mit dem
öffentlichen Weg zugesprochen werden.
b) Erfordert die Errichtung einer Zufahrt zu dem verbindungslosen Grundstück eine Befreiung von
den Festsetzungen eines Bebauungsplans und kommt in Betracht, dass der Eigentümer einen
öffentlich-rechtlichen Anspruch auf deren Erteilung hat, ist es ihm grundsätzlich zuzumuten, diesen
gerichtlich durchzusetzen; ob eine solche Klage vor den Verwaltungsgerichten hinreichende
Aussicht auf Erfolg hat, muss das Zivilgericht bei der Entscheidung über das Bestehen des
Notwegrechts in eigener Zuständigkeit prüfen.
c) Ein durch eine Grunddienstbarkeit gesichertes Wegerecht gewährt dem Eigentümer des
herrschenden Grundstücks einen Vorteil i. S. v. § 1019 BGB nur für dieses, nicht aber für weitere, in
seinem Eigentum stehende oder von ihm genutzte Grundstücke; eine Benutzung des dienenden
Grundstücks auch für Zwecke anderer Grundstücke als des herrschenden ist grundsätzlich
widerrechtlich (Bestätigung von Senat, Urteil vom 5. Oktober 1965 – V ZR 73/63, BGHZ 44, 171
und Urteil vom 6. Juni 2003 – V ZR 318/02, WM 2004, 190).

Entscheidungsgründe:

I.
Das Berufungsgericht meint, dem Kläger stehe ein Notwegrecht nach
§ 917 Abs. 1, § 918 Abs. 2 BGB über das Grundstück der Beklagten zu 1 zu.
Seinem Grundstück fehle die zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendige Verbindung
zu einem öffentlichen Weg. Es sei dem Kläger nicht zuzumuten, eine
Zufahrt über das hinzuerworbene Grundstück unter Nutzung des Wegerechts
über den Parkplatz des Discounters zu erstellen. Dies sei nach öffentlichem
Recht nicht zulässig und daher derzeit nicht möglich. Die Ablehnung des Antrags
des Klägers, eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von den Festsetzungen
des Bebauungsplans hinsichtlich des Knicks und der Bäume zu erteilen, sei nicht
offensichtlich fehlerhaft. Vielmehr sei zweifelhaft, ob die Stadt zur Erteilung der
Befreiungen verpflichtet sei. Dem Kläger sei es daher nicht zuzumuten, in einem
langwierigen gerichtlichen Verfahren, gegebenenfalls durch mehrere Instanzen,
eine solche Verpflichtung prüfen zu lassen.

Eine Geldrente nach § 917 Abs. 2 Satz 1 BGB stehe der Beklagten zu 1
für die Duldung des Notwegs nicht zu. Dieser mindere nicht den Verkehrswert
ihres Grundstücks, insbesondere werde dessen Bebaubarkeit nicht beeinträchtigt.
Der Bebauungsplan sehe für den von dem Notwegrecht betroffenen Bereich
des Grundstücks eine mit Geh- und Fahrrechten zu belastende Fläche vor; diese
stehe für eine Bebauung, etwa zur Erweiterung des Gebäudes, ohnehin nicht zur
Verfügung. Die Fläche werde von der Beklagten zu 1 bzw. deren Mieterin als
Zufahrt zu den dort angelegten Parkplätzen genutzt, wobei der letzte Parkplatz
unmittelbar an das Grundstück des Klägers angrenze.

II.
Dies hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis überwiegend stand. Die Revision
bleibt insoweit ohne Erfolg, als die Beklagte zu 1 ihre Verurteilung zur Duldung
des Notwegs angreift. Begründet ist sie hingegen insoweit, als das Berufungsgericht
der Beklagten zu 1 eine Notwegrente nicht zugesprochen hat.

1. Die Revision ist unbeschränkt zulässig. Ob das Berufungsgericht, wie
der Streithelfer des Klägers meint, die in dem Tenor uneingeschränkt ausgesprochene
Zulassung der Revision durch seine Ausführungen in den Entscheidungsgründen
auf das Bestehen des Notwegrechts beschränken und den Anspruch
auf Zahlung einer Notwegrente von der Zulassung ausnehmen wollte, kann offen
bleiben. Eine solche Beschränkung wäre jedenfalls wirkungslos. Die Revisionszulassung
kann nur auf tatsächlich oder rechtlich abgrenzbare Teile des Gesamtstreitstoffs
beschränkt werden, die Gegenstand eines Teil- oder Grundurteils
sein könnten oder auf welche der Rechtsmittelkläger selbst sein Rechtsmittel beschränken
könnte (vgl. Senat, Urteil vom 11. November 2011 - V ZR 45/11, WM
2012, 1975 Rn. 7; Urteil vom 20. November 2020 - V ZR 64/20, juris Rn. 7 mwN,
insoweit nicht abgedruckt in NZM 2021, 236). Voraussetzung hierfür ist, dass
auch im Falle einer Zurückverweisung kein Widerspruch zu nicht anfechtbaren
Teilen des Streitstoffs auftreten kann (Senat, Urteil vom 11. November 2011
- V ZR 45/11, aaO). An einer solchen Trennbarkeit fehlt es bei der Entscheidung
über Notwegrecht und Notwegrente, weil ein Anspruch aus § 917 Abs. 2 Satz 1
BGB auf Entschädigung durch eine Geldrente davon abhängt, dass das verlangte
Notwegrecht besteht.

2. Im Ergebnis zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass dem Kläger
ein Notwegrecht an dem Grundstück der Beklagten zu 1 zusteht.

a) Das beanspruchte Notwegrecht an dem Grundstück der Beklagten zu 1
setzt nach § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB voraus, dass dem Grundstück des Klägers
die zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen
Weg fehlt. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen lässt sich allerdings nicht
mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung bejahen.

aa) Nicht zu beanstanden - und von der Revision nicht angegriffen - ist
noch die Annahme des Berufungsgerichts, dass die zur ordnungsmäßigen Benutzung
des klägerischen Grundstücks notwendige Verbindung mit einem öffentlichen
Weg derzeit nicht vorhanden ist, weil es nicht mit Kraftfahrzeugen angefahren
werden kann. Die ordnungsmäßige Benutzung eines zu Wohnzwecken
oder gewerblich genutzten Grundstücks setzt in der Regel - und so auch hier -
die Erreichbarkeit mit Kraftfahrzeugen voraus (vgl. Senat, Urteil vom 12. Dezember
2008 - V ZR 106/07, NJW-RR 2009, 515 Rn. 24; Urteil vom 24. April 2015
V ZR 138/14, NJW-RR 2015, 1234 Rn. 14 mwN zu Wohngrundstücken; Urteil
vom 24. Januar 2020 - V ZR 155/18, NJW 2020, 1360 Rn. 23 mwN zu Gewerbegrundstücken).
Daran fehlt es. Zwar besteht zugunsten des jeweiligen Eigentümers
des klägerischen Grundstücks auch ein nördlich von dem Fitnesscenter
verlaufendes Wegerecht. Dieses erlaubt aber nur das Begehen des Grundstücks
der Beklagten zu 1, nicht aber auch das für die ordnungsmäßige Benutzung des
notleidenden Grundstücks erforderliche Befahren mit Kraftfahrzeugen.
bb) Zutreffend geht das Berufungsgericht auch davon aus, dass sich das
Notwegrecht nach § 918 Abs. 2 Satz 1 BGB allein gegen die Beklagte zu 1 richtet.
Wird infolge einer Veräußerung eines Teils des Grundstücks der zurückbehaltene
oder - wie hier - der veräußerte Teil von der Verbindung mit dem öffentlichen
Weg abgeschnitten, so hat nach dieser Vorschrift der Eigentümer desjenigen
Teils, über welchen die Verbindung bisher stattgefunden hat, den Notweg zu dulden.
Veräußert der zur Duldung verpflichtete Eigentümer - hier die Beklagte
zu 2 - sein Grundstück, so geht die Duldungspflicht auf den neuen Eigentümer
hier die Beklagte zu 1 - über (vgl. Senat, Urteil vom 26. Januar 2018
- V ZR 47/17, MDR 2018, 789 Rn. 14).

cc) Rechtsfehlerhaft ist aber die Annahme des Berufungsgerichts, es sei
dem Kläger nicht möglich, eine anderweitige Zufahrt zu seinem Grundstück über
das hinzuerworbene Grundstück zu erstellen. Sie lässt sich nicht damit begründen,
dass die Entscheidung der Stadt, dem Kläger die für die Herstellung einer
Zufahrt über das hinzuerworbene Grundstück erforderliche Befreiung von den
Festsetzungen des Bebauungsplans zu versagen, nicht offensichtlich fehlerhaft
und dass zweifelhaft sei, ob der Kläger einen Anspruch auf Erteilung der Befreiung
habe. Dabei ist für das Revisionsverfahren zugunsten der Beklagten zu 1
zunächst zu unterstellen, dass der Kläger das Wegerecht über den Parkplatz des
Discounters auch dazu nutzen kann, über das hinzuerworbene Grundstück hinweg
das Suchthilfezentrum anzufahren.

(1) Wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt noch zutreffend sieht,
kommt angesichts der Schwere des Eingriffs, den ein Notweg für das Eigentum
des Nachbarn bedeutet, ein Notwegrecht nur in Betracht, wenn die Zugangslosigkeit
des Grundstücks nicht anderweitig behoben werden kann (st. Rspr., vgl.
etwa Senat, Urteil vom 9. November 1979 - V ZR 85/78, BGHZ 75, 315, 319;
Urteil vom 24. Januar 2020 - V ZR 155/18, NJW 2020, 1360 Rn. 22 mwN). Daher
besteht kein Notwegrecht, wenn der Grundstückseigentümer in zumutbarer anderer
Weise eine Verbindung zu dem öffentlichen Weg herstellen kann, sei es
auf dem - nur teilweise - verbindungslosen Grundstück selbst (vgl. Senat, Urteil
vom 7. Juli 2006 - V ZR 159/05, NJW 2006, 3426 Rn. 9 mwN), sei es über benachbarte
eigene Grundstücke (vgl. Senat, Urteil vom 22. Oktober 1971
- V ZR 67/69, MDR 1972, 224) oder auch über fremde Grundstücke, etwa aufgrund
eines rechtlich gesicherten Nutzungsrechts (vgl. Senat, Urteil vom 24. April
2015 - V ZR 138/14, NJW-RR 2015, 1234 Rn. 21) oder aufgrund eines ihm
angetragenen Gestattungsvertrages, dessen Abschluss ihm zumutbar ist (vgl.
Senat, Urteil vom 25. Oktober 1974 - V ZR 69/73, ZMR 1975, 115). Ein Notwegrecht
nach § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB kommt somit nicht in Betracht, wenn der
Eigentümer des verbindungslosen Grundstücks eine Zufahrt zu diesem in zumutbarer
Weise über ein anderes, in seinem Eigentum stehendes Grundstück errichten
kann.

(2) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist dem Eigentümer
eines verbindungslosen Grundstücks die Errichtung einer Zufahrt über ein benachbartes
eigenes Grundstück nicht schon dann nicht zuzumuten, wenn die Behörde
seinen Antrag auf Erteilung der hierfür erforderlichen Befreiung von den
Festsetzungen des Bebauungsplans ablehnt und diese Entscheidung nicht offensichtlich
fehlerhaft ist. Erfordert die Errichtung einer Zufahrt zu dem verbindungslosen
Grundstück eine Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans
und kommt in Betracht, dass der Eigentümer einen öffentlich-rechtlichen
Anspruch auf deren Erteilung hat, ist es ihm grundsätzlich zuzumuten, diesen
gerichtlich durchzusetzen; ob eine solche Klage vor den Verwaltungsgerichten
hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, muss das Zivilgericht bei der Entscheidung
über das Bestehen des Notwegrechts in eigener Zuständigkeit prüfen.

(a) Besteht eine anderweitige Verbindungsmöglichkeit, muss der Eigentümer
des verbindungslosen Grundstücks hiervon auch dann Gebrauch machen,
wenn sie umständlicher, weniger bequem oder kostspieliger ist als ein Notweg
über Nachbargrundstücke (vgl. Urteil vom 24. April 2015 - V ZR 138/14, NJW-RR
2015, 1234 Rn. 21 mwN). Erst wenn die mit der Schaffung eines Zugangs auf
dem eigenen Grundstück verbundenen Erschwernisse so groß sind, dass die
Wirtschaftlichkeit der Grundstücksbenutzung aufgehoben oder in unzumutbarer
Weise geschmälert wird, ist der Nachbar zur Duldung der Benutzung seines
Grundstücks als Zugang verpflichtet (vgl. Senat, Urteil vom 7. Juli 2006
- V ZR 159/05, NJW 2006, 3426 Rn. 12 mwN; Urteil vom 24. April 2015
- V ZR 138/14, NJW-RR 2015, 1234 Rn. 21).

(b) Dem Eigentümer des verbindungslosen Grundstücks ist es grundsätzlich
auch zuzumuten, einen Rechtsstreit zu führen, wenn die anderweitige
Verbindung zu dem öffentlichen Weg nur auf diese Weise hergestellt werden
kann (zutreffend OLG Köln, OLGZ 1967, 156, 160 zu Rechtsmitteln gegen eine
Widmungsbeschränkung; MüKoBGB/Brückner, 8. Auflage, § 917 Rn. 13; ähnlich
auch OLG Düsseldorf, OLGZ 1992, 208, 213). So hat bereits das Reichsgericht
entschieden, dass derjenige, der ein Notwegrecht beansprucht, dem Verweis auf
ein anderweitiges Wegerecht nicht entgegenhalten kann, dass er um dieses
einen Rechtsstreit führen muss, weil es ihm streitig gemacht wird; er muss es
gegebenenfalls auf sich nehmen, dieses gerichtlich feststellen zu lassen (RG,
JW 1925, 474, 475). Auch der Senat ist in einer die Zuwegung zu einer Eigentumswohnung
betreffenden Entscheidung davon ausgegangen, dass der Wohnungseigentümer,
der einen Nachbarn auf Duldung eines Notwegs in Anspruch
nimmt, dessen Verweis auf eine Verbindungsmöglichkeit auf dem Grundstück
der Wohnungseigentümer nicht entgegenhalten kann, die übrigen Wohnungseigentümer
seien nicht bereit, an den hierfür erforderlichen Umbaumaßnahmen
mitzuwirken oder diese zu dulden. Der Wohnungseigentümer ist in diesem Fall
vielmehr gehalten, die übrigen Wohnungseigentümer auf Mitwirkung und Dul-
dung der zur Schaffung eines Zugangs auf dem Grundstück notwendigen, wirtschaftlich
zumutbaren Maßnahmen in Anspruch zu nehmen, wozu auch die Herbeiführung
einer Änderung der Teilungserklärung oder einer anderweitigen Gestattung
gehört (vgl. Senat, Urteil vom 7. Juli 2006 - V ZR 159/05, NJW 2006,
3426 Rn. 13). Demgemäß ist es dem Eigentümer eines verbindungslosen Grundstücks
zuzumuten, seinen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf die für die Herstellung
einer anderweitigen Zuwegung erforderliche Befreiung von den Festsetzungen
eines Bebauungsplans gerichtlich durchzusetzen, wenn ein solcher in Betracht
kommt.

(c) Bloße Zweifel an dem Bestehen des Anspruchs machen seine gerichtliche
Durchsetzung für den Eigentümer noch nicht unzumutbar (so aber - wie das
Berufungsgericht - OLGR Frankfurt 1999, 262, 264 zu einem Erschließungsanspruch).
Das Zivilgericht, das über den Notweganspruch zu entscheiden hat,
muss vielmehr in eigener Zuständigkeit prüfen, ob der Anspruch, dessen Durchsetzung
für die Errichtung der anderweitigen Zuwegung erforderlich ist, besteht.
Von dieser Prüfung ist es nicht deswegen befreit, weil es sich um eine öffentlichrechtliche
Frage handelt (vgl. Senat, Urteil vom 27. November 2020
V ZR 121/19, MDR 2021, 164 Rn. 22 mwN). Verbleiben Zweifel, ob der Anspruch
besteht, können diese nicht ohne weiteres zu Lasten desjenigen gehen,
der auf Duldung des Notwegs in Anspruch genommen wird. Eine solche Handhabung
würde der Bedeutung seines Eigentums, in das durch das Notwegrecht
eingegriffen wird, nicht gerecht. Zwar ist der Eigentümer des verbindungslosen
Grundstücks nicht gehalten, eine Klage zu erheben, die von vornherein keine
Aussicht auf Erfolg hat (zutreffend OLG Koblenz, OLGZ 1992, 320, 322 f.). Ein
gewisses Prozessrisiko hat er aber zu tragen, bevor er das Eigentum seines
Nachbarn für eine Zuwegung in Anspruch nehmen kann.

(d) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist dem Eigentümer
eines verbindungslosen Grundstücks die Beschreitung des Rechtswegs auch
nicht deshalb von vornherein unzumutbar, weil gerichtliche Verfahren längere
Zeit in Anspruch nehmen können, insbesondere wenn mehrere Instanzen beschritten
werden müssen. Richtig daran ist, dass dem Eigentümer des verbindungslosen
Grundstücks das Notwegrecht nicht unter Verweis auf die Möglichkeit,
die rechtlichen Voraussetzungen für eine anderweitige Verbindung in einem
weiteren Rechtsstreit zu schaffen, versagt werden kann (vgl. Senat, Urteil vom
22. Oktober 1971 - V ZR 67/69, juris Rn. 42, insoweit nicht abgedruckt in MDR
1972, 224). Denn die Beschreitung des Rechtswegs wäre ihm nicht zuzumuten,
wenn er sein Grundstück gegebenenfalls über Jahre hinweg nicht mit Kraftfahrzeugen
anfahren könnte, obwohl dessen ordnungsmäßige Benutzung dies erfordert.
Andererseits kann das Notwegrecht in einer solchen Situation auch nicht
uneingeschränkt zugesprochen werden, wie es das Berufungsgericht getan hat.
Denn es würde der Bedeutung des Eigentumsrechts des in Anspruch genommenen
Grundstückseigentümers nicht gerecht, wenn er die Nutzung seines Grundstücks
ohne zeitliche Begrenzung hinnehmen müsste, obwohl der Eigentümer
des verbindungslosen Grundstücks unter Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen
Rechtsschutzes eine anderweitige Verbindung über eigene Grundstücke
herstellen könnte. In einem solchen Fall kann das Notwegrecht daher allenfalls
befristet und längstens bis zur Herstellung der anderweitigen Verbindung mit dem
öffentlichen Weg zugesprochen werden, wenn sich die Nachbarn nicht - wie hier
für den Zivilprozess - auf eine vorübergehende (entgeltliche) Einräumung des
Rechts einigen.

Dass ein Grundstückseigentümer verpflichtet sein kann, die Inanspruchnahme
seines Grundstücks für einen Notweg vorübergehend zu dulden, hat der
Senat bereits ausgesprochen (vgl. Senat, Urteil vom 12. Dezember 2008
- V ZR 106/07, NJW-RR 2009, 515 Rn. 21) und ist auch in der Literatur anerkannt
(vgl. etwa MüKoBGB/Brückner, 8. Aufl., § 917 Rn. 14; Staudinger/Roth, BGB
[2020], § 917 Rn. 12 jeweils mwN). Diese Möglichkeit ist im Gesetz angelegt,
denn der Eigentümer des verbindungslosen Grundstücks kann die Duldung des
Notwegs nach § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB nur „bis zur Hebung des Mangels“ verlangen.
Die Duldungspflicht endet folglich, sobald die anderweitige Verbindung
hergestellt ist. Der zur Duldung verpflichtete Nachbar kann nach Wegfall des
Mangels klageweise feststellen lassen, dass eine Duldungspflicht nicht mehr besteht.
Gleichwohl bedarf es der Befristung des Notwegs, wenn der Mangel schon
seiner Natur nach vorübergehend oder die Behebung des Mangels aus anderen
Gründen zu erwarten ist. Denn es ist demjenigen, dessen Grundstück für den
Notweg in Anspruch genommen wird, in diesen Fällen nicht zuzumuten, einen
weiteren Rechtsstreit zu führen, um sein Grundstück wieder ohne Einschränkungen
nutzen zu können. Zudem bedarf es, wenn es wie hier um die Herstellung
einer anderweitigen Zufahrt geht, der zeitlichen Befristung des Rechts als Druckmittel,
um den Notwegberechtigten dazu anzuhalten, die anderweitige Verbindung
auch tatsächlich herzustellen, also etwa die hierzu erforderliche Klage vor
den Verwaltungsgerichten auch wirklich zu erheben und den Rechtsstreit mit der
Sorgfalt zu führen, als entspräche er allein eigenen Interessen. Die Dauer der
Befristung richtet sich dabei nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls.

(3) Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob ein Anspruch des
Klägers auf Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans
nach § 31 Abs. 2 BauGB hinsichtlich des Knickdurchbruchs - sowie entsprechend
hinsichtlich des Fällens dreier Bäume - in Betracht kommt, so dass
eine hierauf gestützte Klage vor dem Verwaltungsgericht hinreichende Aussicht
auf Erfolg hätte. Dies ist nicht, jedenfalls nicht ausreichend geschehen.

(a) Das Berufungsgericht begründet seine Annahme, der ablehnende Bescheid
der Stadt sei nicht offensichtlich rechtsfehlerhaft und es sei zweifelhaft, ob
die Stadt im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nach § 113
Abs. 5 VwGO zur Erteilung der Befreiungen zu verpflichten wäre, nicht näher. Es
hat sich nicht mit den in § 31 Abs. 2 BauGB genannten tatbestandlichen Voraussetzungen
der Erteilung einer Befreiung von Festsetzungen des Bebauungsplans
auseinandergesetzt, insbesondere nicht mit der Frage, ob die Durchführung des
Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde (§ 31
Abs. 2 Nr. 3 BauGB). Ebenso wenig ist es auf die Rechtsfolge eingegangen,
nämlich die Eröffnung eines behördlichen Ermessens („kann befreit werden“) und
die sich daraus ergebenden Frage, ob vorliegend eine Ermessensreduzierung
auf Null in Betracht kommt (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 23. September 1993
- III ZR 54/92, NVwZ 1994, 405 sowie Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger,
BauGB, 139. EL August 2020, § 31 Rn. 61).

(b) Eine solche Prüfung war nicht deshalb entbehrlich, weil Knicks in
Schleswig-Holstein unter Naturschutz stehen. Zwar sind Knicks nach § 21 Abs. 1
Nr. 4 LNatSchG SH gesetzlich geschützte Biotope im Sinne des § 30 Abs. 2
Satz 2 BNatSchG. Dies schließt aber die Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen
des Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 BauGB nicht von vornherein
aus, da auch nach den naturschutzrechtlichen Vorschriften Ausnahmen (§ 21
Abs. 3 LNatSchG SH i.V.m. § 30 Abs. 3 BNatSchG) und Befreiungen (§ 67
BNatSchG) möglich sind (siehe zu den Voraussetzungen etwa Landmann/Rohmer/
Gellermann, UmweltR [August 2020], BNatSchG § 30 Rn. 20 f.).

b) Die Verurteilung der Beklagten zu 1, die Benutzung ihres Grundstücks
als Zufahrt zu dem Hinterliegergrundstück zu dulden, stellt sich aber aus anderen
Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Herstellung einer anderweitigen Verbindung
des Hinterliegergrundstücks mit dem öffentlichen Weg ist nämlich deshalb
nicht möglich, weil das Wegerecht über den Parkplatz des Discounters nur zugunsten
des im Jahre 2008 hinzuerworbenen Grundstücks besteht, nicht aber
auch zugunsten des mit dem Suchthilfezentrum bebauten Grundstücks.

aa) Ein durch eine Grunddienstbarkeit gesichertes Wegerecht gewährt
dem Eigentümer des herrschenden Grundstücks einen Vorteil i.S.v. § 1019 BGB
nur für dieses, nicht aber für weitere in seinem Eigentum stehende oder von ihm
genutzte Grundstücke. Eine Benutzung des dienenden Grundstücks auch für
Zwecke anderer Grundstücke als des herrschenden ist grundsätzlich widerrechtlich
(vgl. Senat, Urteil vom 5. Oktober 1965 - V ZR 73/63, BGHZ 44, 171, 175;
Urteil vom 6. Juni 2003 - V ZR 318/02, WM 2004, 190, 191 unter 2.). Der Senat
hat in seiner Rechtsprechung von diesem Grundsatz eine Ausnahme nur für den
Fall zugelassen, dass der Eigentümer des herrschenden Grundstücks seinen auf
diesem geführten Betrieb auf andere Grundstücke erweitert. Da sich bei einheitlich
geführten Betrieben die verschiedenen Nutzungen in der Regel nicht abgrenzen
lassen, ist in solchen Fällen eine wirtschaftliche Betrachtungsweise angezeigt.
Die mit der Betriebserweiterung verbundene Bedarfssteigerung kann im
Wege einer hypothetischen Einschätzung berücksichtigt werden. Der erhöhte
Bedarf wird dann insoweit noch von der Grunddienstbarkeit gedeckt, als er, wenn
der Betrieb nur auf dem herrschenden Grundstück in vorhersehbarer Weise ausgedehnt
worden wäre, zu einer Bedarfssteigerung geführt hätte (vgl. Senat, Urteil
vom 5. Oktober 1965 - V ZR 73/63, BGHZ 44, 171, 177; Urteil vom 6. Juni 2003
- V ZR 318/02, WM 2004, 190, 191 unter 2.). Um einen solchen Fall geht es hier
nicht. Der Kläger hat auf dem im Jahre 2008 erworbenen Grundstück, zu dessen
Gunsten das Wegerecht besteht, keinen Betrieb, den er auf ein anderes Grund-
stück, namentlich auf das mit dem Suchthilfezentrum bebaute Grundstück erweitern
will. Wenn überhaupt könnte - ohne dass es darauf ankommt - die beabsichtigte
Errichtung und der Betrieb der Jugendhilfeeinrichtung sich als Erweiterung
des auf dem Hinterliegergrundstück bestehenden Betriebes (Suchthilfezentrum)
darstellen. In einer solchen Situation besteht kein Anlass für eine Ausnahme von
dem Grundsatz, dass die Benutzung des dienenden Grundstücks für Zwecke anderer
Grundstücke als des herrschenden widerrechtlich ist. Derjenige, der seinen
Betrieb auf ein hinzuzuerwerbendes Grundstück erweitern und dabei zugleich
über dieses hinweg dem bisher verbindungslosen Betriebsgrundstück eine Zufahrt
verschaffen möchte, kann und muss vielmehr darauf hinwirken, dass das
hierfür erforderliche Wegerecht auf dem Drittgrundstück auch zugunsten des verbindungslosen
Grundstücks bestellt bzw. auf dieses erweitert wird.

bb) Entgegen der Auffassung der Revision erlaubt das Wegerecht über
den Parkplatz des Discounters nach dem Wortlaut der Grundbucheintragung und
der Eintragungsbewilligung, die der Senat selbst auslegen kann (st. Rspr., vgl.
zuletzt Senat, Urteil vom 20. März 2020 - V ZR 317/18, BGHZ 225, 136 Rn. 28
mwN), nicht dessen Nutzung als Zufahrt zu dem Suchthilfezentrum. Zwar ist der
Wortlaut der Bewilligung hinsichtlich der Berechtigung zur Nutzung des Parkplatzes
als Zufahrt zu dem herrschenden Grundstück weit gefasst („jederzeitige[s]
Befahren und Begehen der […] betroffenen Fläche, sowohl durch den [Kläger],
seine Mitarbeiter, Nutzer, Besucher, Lieferanten und andere Dritte, in jedweder
Form“). Dies führt aber allenfalls dazu, dass die Zufahrt zu dem herrschenden
Grundstück keinen Beschränkungen unterliegt, nicht aber dazu, dass dem Eigentümer
des herrschenden Grundstücks auch das Befahren des Parkplatzes zum
Erreichen weiterer Grundstücke gestattet ist.

3. Rechtsfehlerhaft ist aber die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger
habe die Beklagte zu 1 für die Benutzung ihres Grundstücks als Notweg nicht
nach § 917 Abs. 2 Satz 1 BGB durch eine Geldrente zu entschädigen. Die Verpflichtung
zur Zahlung der Notwegrente lässt sich nicht mit der Begründung des
Berufungsgerichts verneinen, dass der Bebauungsplan für den von dem Notwegrecht
betroffenen Bereich des Grundstücks ohnehin eine mit Geh- und Fahrrechten
zu belastende Fläche vorsieht, die für eine Bebauung, etwa zur Erweiterung
des Gebäudes, nicht zur Verfügung steht.

a) Richtig daran ist, dass es für die Bemessung der Notwegrente nicht auf
den Vorteil oder Nutzen ankommt, den der Berechtigte aus dem Notweg zieht,
sondern auf den Umfang der dem verpflichteten Eigentümer durch die Duldungspflicht
entstehenden Beeinträchtigung; denn die Rente ist der Ausgleich für die
dem Nachbarn auferlegte Eigentumsbeschränkung (Senat, Urteil vom 16. November
1990 - V ZR 297/89, BGHZ 113, 32, 34 f.).

b) Die Existenz eines solchen Nachteils kann aber nicht mit der Erwägung
verneint werden, dass der Bebauungsplan eine andere Nutzung der Grundstücksfläche
als für Verkehrswege nicht zulässt (Senat, Urteil vom 16. November
1990 - V ZR 297/89, BGHZ 113, 32, 35). Denn auch in diesem Fall könnte der
betroffene Eigentümer ohne das Notwegrecht sein Grundstück bzw. den Grundstücksteil
zwar nicht als Gewerbefläche, wohl aber als private Erschließungsfläche
entweder ausschließlich selbst nutzen oder privatwirtschaftlich dadurch verwerten,
dass er sie an einen, mehrere oder alle Anlieger verkauft oder vermietet.
Die in dem bestandskräftigen Bebauungsplan erfolgte Ausweisung des Grundstücksbereichs
als Verkehrsfläche verpflichtet ihn nicht, diese den Anliegern kos-
tenlos zur Verfügung zu stellen. Diese Möglichkeiten der eigenen Nutzung werden
durch das Notwegrecht eingeschränkt (vgl. Senat, Urteil vom 16. November
1990 - V ZR 297/89, aaO).

c) Dieser Nachteil ist auszugleichen. Dabei ist nicht allein die von dem
Notweg betroffene Fläche, sondern das ganze Grundstück der Beklagten zu 1 in
den Blick zu nehmen. Die Notwegrente ist nicht auf der Grundlage eines Nutzungsverlustes
nach der entgangenen Miete und auch nicht als Bodenrente, berechnet
aus dem Verkehrswert der überbauten Fläche, zu bemessen, sondern
als Ausgleich der Beeinträchtigungen, die der Eigentümer in der Nutzung des
ganzen Grundstücks erleidet. Maßgebend ist daher die - gegebenenfalls entsprechend
§ 287 ZPO zu schätzende - Minderung des Verkehrswertes, die das gesamte
Grundstück durch den Notweg erfährt. Dabei sind die besonderen Umstände
des Einzelfalles und die individuellen Vermögensnachteile des Duldungspflichtigen
im Zeitpunkt der Entstehung des Notwegerechts mit zu berücksichtigen,
also insbesondere Größe, Lage, Zuschnitt des Grundstücks und der in Anspruch
genommenen Teilfläche, aber auch bestehende Notwegrechte anderer
Nachbarn sowie Art und Intensität der Nutzung durch den Notwegberechtigten
als ein die Wertminderung beeinflussender Faktor (vgl. zum Ganzen Senat, Urteil
vom 16. November 1990 - V ZR 297/89, BGHZ 113, 32, 35 f.).

III.
Das Berufungsurteil ist daher insoweit aufzuheben, als der Beklagten zu 1
eine Notwegrente nicht zugesprochen worden ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache
ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), damit
dieses Feststellungen dazu treffen kann, welche Wertminderung das Grundstück
der Beklagten zu 1 durch die Nutzung erleidet, die das Notwegrecht dem Kläger
erlaubt.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

16.04.2021

Aktenzeichen:

V ZR 85/20

Rechtsgebiete:

Sachenrecht allgemein
Öffentliches Baurecht
Dienstbarkeiten und Nießbrauch
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

BGB §§ 917 Abs. 1, 1019