BGH 09. Dezember 2021
V ZB 25/21
BNotO § 15; BeurkG § 53

Wucherähnliches Geschäft; Vollzug eines Kaufvertrags bei Vorliegen eines entsprechenden Verkehrswertgutachtens

letzte Aktualisierung: 16.2.2022
BGH, Beschl. v. 9.12.2021 – V ZB 25/21

BNotO § 15; BeurkG § 53
Wucherähnliches Geschäft; Vollzug eines Kaufvertrags bei Vorliegen eines entsprechenden
Verkehrswertgutachtens

1. Die Beschwerde nach § 15 Abs. 2 Satz 1 BNotO kann auf neue Tatsachen gestützt werden (§ 65
Abs. 3 FamFG i. V. m. § 15 Abs. 2 Satz 3 BNotO). Unabhängig davon hat das Beschwerdegericht
die Beschwerde wie ein Erstgericht auf alle Gründe zu prüfen, die ihr zum Erfolg verhelfen können
(§ 68 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 15 Abs. 2 Satz 3 BNotO); dabei hat es auch nach der Entscheidung des
Notars bekanntgewordene Umstände zu berücksichtigen.
2. Bescheide oder Gutachten über den Wert eines verkauften Grundstücks sind grundsätzlich
ungeeignet, die evidente Unwirksamkeit eines über das Grundstück geschlossenen Kaufvertrags
unter dem Gesichtspunkt eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts gegenüber dem Notar zu belegen;
er muss sie daher im Rahmen seiner Vollzugstätigkeit nach § 53 BeurkG nicht prüfen.
Entsprechendes gilt für das Beschwerdegericht, das im Rahmen einer Beschwerde nach § 15 Abs. 2
BNotO nur zu entscheiden hat, ob der Notar pflichtwidrig handelt.

Gründe:

I.
Die Beteiligte zu 1 (nachfolgend Verkäuferin) verkaufte mit notariellem
Vertrag vom 12. Dezember 2019 an den Beteiligten zu 2 (nachfolgend Käufer)
ein Grundstück zu einem Kaufpreis von 110.000 . In dem Vertrag erklärten die
Beteiligten die Auflassung, zudem bewilligte die Verkäuferin und beantragte der
Käufer zur Sicherung des Anspruchs auf Übertragung des Eigentums die Eintragung
einer Vormerkung zugunsten des Käufers. Die Beteiligten beauftragten die
beurkundende Notarin mit dem Vollzug der Urkunde. Mit Schreiben vom 15. April
2020 teilte die Verkäuferin der Notarin mit, dass der Käufer ihr bei Vertragsabschluss
zugesichert habe, er würde ihr eine Eigentumswohnung suchen sowie
ihr bei einem Umzug behilflich sein. Ihre Bitte, dies schriftlich festzulegen, habe
er abgelehnt.

Mit Vorbescheid vom 22. April 2020 hat die Notarin angekündigt, den weiteren
Vollzug der Urkunde nicht zu betreiben, da eine hohe Wahrscheinlichkeit
dafür spreche, dass eine nicht beurkundete Nebenabrede vorliege, die nach
§ 311b BGB zur Nichtigkeit des Kaufvertrags führe. Hiergegen hat sich der Käufer
gewandt, woraufhin die Notarin mit Abhilfebescheid vom 25. Juni 2020 angekündigt
hat, den Vollzug der Urkunde weiter zu betreiben. Die hiergegen gerichtete
Beschwerde der Verkäuferin, die sie im Laufe des Beschwerdeverfahrens
erstmals auch auf die Begründung gestützt hat, es liege ein wucherähnliches Geschäft
vor, hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde
möchte die Verkäuferin die Wiederherstellung der Entscheidung der
Notarin vom 22. April 2020 erreichen.

II.
Das Beschwerdegericht meint, die Notarin habe zu Recht angekündigt,
den Vollzug der Kaufvertragsurkunde weiter zu betreiben, da eine Unwirksamkeit
des Rechtsgeschäfts nicht ohne jeden vernünftigen Zweifel erkennbar sei. Die
von der Verkäuferin vorgetragene Nebenabrede zum Kaufvertrag begründe eine
derartige Evidenz nicht, denn es sei nicht offensichtlich, dass es sich um eine
rechtsgeschäftliche Vereinbarung gehandelt habe. Auch eine Sittenwidrigkeit des
Vertrags wegen eines wucherähnlichen Geschäfts sei nicht evident. Nach den
von der Verkäuferin vorgelegten Unterlagen könne nicht zweifelsfrei von einem
besonders groben Missverhältnis zwischen Kaufpreis und Verkehrswert ausgegangen
werden. Darüber hinaus habe der Käufer beachtliche Gründe vorgebracht,
die die Vermutung einer verwerflichen Gesinnung erschüttern könnten.
Die Klärung der streitigen Fragen könne nur im Zivilprozess erfolgen.

III.
Die infolge der Zulassung statthafte (§ 15 Abs. 2 Satz 3 BNotO i.V.m. § 70
Abs. 1, Abs. 2 FamFG) und auch im Übrigen zulässige (§ 71 FamFG) Rechtsbeschwerde
ist unbegründet. Zutreffend nimmt das Beschwerdegericht an, dass die
Notarin gemäß § 53 BeurkG verpflichtet ist, den Vollzug der Kaufvertragsurkunde
weiter zu betreiben.

1. Im Rahmen einer Beschwerde nach § 15 Abs. 2 BNotO ist nur zu prüfen,
ob der Notar pflichtwidrig handelt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es nicht
Aufgabe des Notars und damit nicht Aufgabe der über eine Notarbeschwerde
entscheidenden Gerichte der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist, über die materiellrechtliche
Wirksamkeit einer beurkundeten Willenserklärung zu befinden. Die
Pflicht, vollzugsreife Urkunden beim Grundbuchamt einzureichen, besteht auch
dann, wenn ein Beteiligter die Wirksamkeit der zu vollziehenden Erklärungen mit
beachtlichen Gründen bestreitet (vgl. Senat, Beschluss vom 19. September 2019
- V ZB 119/18, NJW 2020, 610 Rn. 16, 40; Beschluss vom 5. Februar 2020
- V ZB 6/20, juris Rn. 6 f.). Der Beteiligte kann solche Einwendungen mit Aussicht
auf Erfolg nur beim Prozessgericht geltend machen (vgl. Senat, Beschluss vom
19. September 2019 - V ZB 119/18, NJW 2020, 610 Rn. 45). Der Notar hat von
dem Vollzug einer notariellen Urkunde nur dann abzusehen, wenn die Unwirksamkeit
des Rechtsgeschäfts für ihn ohne jeden vernünftigen Zweifel erkennbar,
also evident ist (vgl. Senat, Beschluss vom 19. September 2019 - V ZB 119/18,
NJW 2020, 610 Rn. 19 f.).

2. Eine evidente Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts liegt hier offensichtlich
nicht vor.

a) Es ist nicht evident, dass der beurkundete Kaufvertrag wegen fehlender
Beurkundung einer vertraglichen Nebenabrede nach § 125 Satz 1 BGB nichtig
ist. Der Käufer macht geltend, dass sein Versprechen lediglich aus Freundschaft,
also ohne Rechtsbindungswillen erfolgt sei; zudem ist er in seiner E-Mail vom
16. April 2020 der Darstellung der Verkäuferin insgesamt und damit entgegen der
Ansicht der Rechtsbeschwerde auch ihrer Einlassung, er habe ihren Wunsch auf
schriftliche Fixierung des Versprechens abgelehnt, entgegengetreten. Die Klärung
des streitigen Vortrags und auch der mit der Rechtsbeschwerde geltend gemachten
Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Einlassung des Käufers kann nur
vor den Zivilgerichten erfolgen.

b) Auch eine evidente Nichtigkeit des Vertrags nach § 138 Abs. 1 BGB
liegt nicht vor.

aa) Der diesbezügliche Einwand der Verkäuferin ist ungeachtet dessen zu
berücksichtigen, dass er erstmals mit der Beschwerde vorgebracht worden ist.
Die Beschwerde kann auf neue Tatsachen gestützt werden (§ 65 Abs. 3 FamFG
i.V.m. § 15 Abs. 2 Satz 3 BNotO). Unabhängig davon hat das Beschwerdegericht
die Beschwerde wie ein Erstgericht auf alle Gründe zu prüfen, die ihr zum Erfolg
verhelfen können (vgl. § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG sowie dazu BGH, Beschluss
vom 21. November 2012 - XII ZB 306/12, NJW-RR 2013, 193 Rn. 11); dabei hat
es auch nach der Entscheidung des Notars bekanntgewordene Umstände zu berücksichtigen
(so auch BeckOK BNotO/Sander [31.07.2021], § 15 BNotO
Rn. 136 f.). Dieser sich aus der Verweisung in § 15 Abs. 2 Satz 3 BNotO auf das
Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der
freiwilligen Gerichtsbarkeit ergebende Prüfungsumfang korrespondiert mit dem
Zweck der Beschwerde nach § 15 Abs. 2 Satz 1 BNotO, der Durchsetzung des
Anspruchs des Beschwerdeführers auf Vornahme bzw. Nichtvornahme der notariellen
Amtstätigkeit (vgl. hierzu Preuß, DNotZ 2010, 265, 279, vgl. auch
Frenz/Miermeister/Frenz, BNotO, 5. Aufl., § 15 Rn. 45; BeckOK BNotO/Sander
[31.07.2021], BNotO § 15 Rn. 137).

bb) Entgegen der Auffassung der Verkäuferin lassen der von ihr vorgelegte
Bescheid des Finanzamts und das von ihr eingeholte Verkehrswertgutachten
nicht ohne jeden vernünftigen Zweifel erkennen, dass es sich bei dem Kaufvertrag
um ein wucherähnliches Rechtsgeschäft handelt.

Das folgt bereits daraus, dass ein wucherähnliches Rechtsgeschäft nicht
allein aus einem objektiven Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung abgeleitet
werden kann. Ein gegenseitiger Vertrag ist als wucherähnliches Rechtsgeschäft
nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung
ein auffälliges Missverhältnis besteht und außerdem mindestens ein
weiterer Umstand hinzukommt, der den Vertrag bei Zusammenfassung der subjektiven
und der objektiven Merkmale als sittenwidrig erscheinen lässt. Dies ist
insbesondere der Fall, wenn eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten hervorgetreten
ist. Ist das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besonders
grob, lässt dies zwar den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des
Begünstigten zu; hierbei handelt es sich aber lediglich um eine tatsächliche Vermutung
(vgl. Senat, Urteil vom 9. Oktober 2009 - V ZR 178/08, NJW 2010, 363
Rn. 12 ff.), die erschüttert werden kann.

Hinzu kommt, dass der behauptete Verkehrswert eines Grundstücks durch
die Vorlage von Gutachten oder Bescheiden für den Notar kaum jemals zweifelsfrei
feststehen wird. Denn er kann nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit nachvollziehen,
dass die darin getroffenen Einschätzungen zum Wert zutreffend sind;
eine solche Klärung ist nur innerhalb eines Zivilverfahrens vor den ordentlichen
Gerichten möglich. Bescheide oder Gutachten über den Wert eines verkauften
Grundstücks sind daher grundsätzlich ungeeignet, die evidente Unwirksamkeit
eines über dieses Grundstück geschlossenen Kaufvertrags unter dem Gesichtspunkt
eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts gegenüber dem Notar zu belegen;
er muss sie daher im Rahmen seiner Vollzugstätigkeit nach § 53 BeurkG
nicht prüfen. Entsprechendes gilt für das Beschwerdegericht, das im Rahmen
einer Beschwerde nach § 15 Abs. 2 BNotO nur zu entscheiden hat, ob der Notar
pflichtwidrig handelt.

IV.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 15 Abs. 2 Satz 3 BNotO i.V.m.
§ 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 61 Abs. 1
Satz 1 i.V.m. § 36 Abs. 1 GNotKG und orientiert sich an der Festsetzung des
Beschwerdegerichts.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

09.12.2021

Aktenzeichen:

V ZB 25/21

Rechtsgebiete:

Unternehmenskauf
Notarielles Berufsrecht
Beurkundungsverfahren
Allgemeines Schuldrecht
Kostenrecht
Beurkundungserfordernis
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

BNotO § 15; BeurkG § 53