OLG Stuttgart 29. Mai 2019
8 W 160/19
BGB §§ 2113, 2136

Vertretung des Nacherben durch den trans- oder postmortal bevollmächtigten Vorerben; Freigabe des Grundbesitzes aus der Nacherbenbindung

BGB §§ 2113, 2136
Vertretung des Nacherben durch den trans- oder postmortal bevollmächtigten Vorerben; Freigabe des Grundbesitzes aus der Nacherbenbindung

Der von dem Erblasser trans- oder postmortal bevollmächtigte Vorerbe kann auch den Nacherben wirksam vertreten, ohne den Verfügungsbeschränkungen der §§ 2112, 2113 BGB unterworfen zu sein.

OLG Stuttgart, Beschl. v. 29.5.2019 – 8 W 160/19

Problem
Die im Jahre 2017 verstorbene Erblasserin hatte ihren vier Kindern – K1 bis K4 – zu Lebzeiten eine notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht erteilt, welche ausdrücklich über den Tod hinaus fortwirken sollte. Nach dem vorgelegten Erbschein aus dem Jahre 2018 sind die Beteiligten nicht befreite Vorerben ihrer Mutter zu je ¼, Nacherben sind nach dem Ableben eines Vorerben die leiblichen Kinder des jeweiligen Vorerben.

K4 hat im Februar 2019 vor dem Notar auch im Namen der übrigen Beteiligten Grundbuchberichtigung dahingehend beantragt, dass die Beteiligten als Eigentümer des verfahrensgegenständlichen Grundbesitzes eingetragen werden. Gleichzeitig hat sie namens der Nacherben Grundbesitz aus der Nacherbschaft freigegeben und die Löschung des Nacherbenvermerks im Wege der Grundbuchberichtigung bewilligt und beantragt.

Den im Februar 2019 beim Grundbuchamt eingereichten Antrag hat das Grundbuchamt im April im Wege der Zwischenverfügung beanstandet. Als Eintragungshindernisse stellte das Grundbuchamt fest, dass die transmortale Vollmacht bis zum Eintritt des Nacherbfalls nur zur Vertretung der Vorerben und nicht zur Vertretung der Nacherben berechtige, sodass es der „Freigabe“ des Grundstücks durch die Nacherben in der Form des § 29 GBO bedürfe. Für die noch unbekannten Nacherben sei ein Pfleger i. S. von § 1913 BGB zu bestellen, die Freigabe auch von diesem zu erklären und anschließend vom Nachlassgericht zu genehmigen.

Entscheidung
Nach Ansicht des OLG Stuttgart hat die zulässige Beschwerde in der Sache Erfolg, da die vom Grundbuchamt aufgezeigten Eintragungshindernisse nicht vorlägen. Aufgrund der von der Mitvorerbin in Vollmacht für die Nacherben erklärten „Freigabe“ des betreffenden Grundbesitzes aus der Nacherbschaft und Bewilligung der Löschung des Nacherbenvermerks sind aus Sicht des OLG die Voraussetzungen für die Grundbuchberichtigung i. S. d. Eintragung der Beteiligten (Vorerben) als Eigentümer ohne Nacherbenvermerk i. S. v. § 51 GBO gegeben.

Das OLG Stuttgart legt zunächst dar, dass in Rechtsprechung und Literatur nach wie vor umstritten sei, ob eine über den Tod hinaus wirkende Vollmacht des Erblassers nach dessen Ableben bis zum Eintritt des Nacherbfalls den Bevollmächtigten auch zur Vertretung des Nacherben legitimiere. Die wohl h. M. der Literatur vertrete insoweit, dass eine vom Erblasser dem Vorerben oder einem Dritten erteilte Vollmacht bis zum Nacherbfall nur zur Vertretung des Vorerben (nicht des Nacherben) berechtige, sodass auch ein Bevollmächtigter dessen Verfügungsbeschränkungen unterliege (vgl. MünchKommBGB/Grunsky, 7. Aufl. 2017, § 2112 Rn. 10; Staudinger/Avenarius, BGB, 2013, § 2112 Rn. 33 f., § 2100 Rn. 47; vgl. dazu bereits die vorstehende Entscheidung des OLG München, Beschl. v. 14.6.2019 – 34 Wx 237/18). Für diese Rechtsansicht werde vorgebracht, dass das Rechtsverhältnis, auf dem die Fortdauer der Vollmacht gem. § 168 BGB beruhe, nach Ableben des Vollmachtgebers nur zwischen dem Vollmachtnehmer und dem Vorerben bestehe. Dem Nacherben sei daher auch kein Widerruf der Vollmacht möglich. Schließlich sei ein Widerruf häufig aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen, weil der Nacherbe von der Vollmacht nichts erfahre oder noch nicht lebe und kein Pfleger für ihn bestellt sei. Schließlich werde vorgebracht, dass eine Vertretung (auch) des Nacherben dessen Schutzrechte gegenüber dem Vorerben aushöhlen würde, weil dadurch die aus § 2136 BGB folgende Grenze, die für eine mögliche Befreiung des Vorerben durch den Erblasser gelte, überschritten wäre (weil dann beispielsweise auch unentgeltliche Verfügungen zu Lasten des Nacherben zulässig seien).

Das OLG Stuttgart weist auch auf die weitere in der Literatur vertretene Ansicht hin, wonach die dem Vorerben erteilte Vollmacht mit dem Ableben des Erblassers durch Konsolidation erlösche, da sich keiner selbst vertreten könne (vgl. BeckOGK-BGB/Müller-Christmann, Std.: 1.3.2019, § 2112 Rn. 67; Staudinger/Avenarius, § 2112 Rn. 33; KEHE/Munzig, Grundbuchrecht, 8. Aufl. 2019, § 51 GBO Rn. 12; Meikel/Böhringer, GBO, 11. Aufl., § 51 Rn. 64).

Die vorstehenden Ansichten lehnt das OLG Stuttgart jedoch ausdrücklich ab und schließt sich der Gegenauffassung an, die im Anschluss an einen älteren Beschluss des Kammergerichts (KG OLGE 18, 338) vertritt, dass der vom Erblasser trans- oder postmortal Bevollmächtigte auch den Nacherben wirksam vertreten könne und in seiner vom Erblasser abgeleiteten Verfügungsmacht nur den Beschränkungen unterliege, die ihm vom Erblasser selbst direkt auferlegt worden seien (Palandt/Weidlich, BGB, 78. Aufl. 2019, § 2112 Rn. 4; ders., ZEV 2016, 57, 64; MünchKommBGB/Schubert, 7. Aufl. 2015, § 168 Rn. 52; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 15. Aufl. 2012, Rn. 3488). Durch ein nach dem Tod des Vollmachtgebers seitens des Bevollmächtigten vorgenommenes Rechtsgeschäft würden daher sämtliche Erben (einschließlich etwaiger Nacherben) berechtigt und verpflichtet (vgl. auch Amann, MittBayNot 2013, 367). An die für den Vorerben geltenden Verfügungsbeschränkungen der §§ 2113, 2114 BGB sei der Bevollmächtigte selbst dann nicht gebunden, wenn er gleichzeitig Vorerbe sei (Palandt/Weidlich, § 2112 Rn. 4; differenzierend Keim, DNotZ 2008, 175, 181; anders auch die vorstehende Entscheidung des OLG München, Beschl. v. 14.6.2019 – 34 Wx 237/18).

Aus dem Umstand, dass Vorerbe und Nacherbe gemeinsam wirksam über Nachlassgegenstände verfügen könnten, leitet das OLG Stuttgart ab, dass insoweit auch eine Vertretung des Nacherben durch einen Bevollmächtigten zulässig sei. Im Anschluss an die vorgenannte Entscheidung des Kammergerichts räumt das OLG Stuttgart zwar ein, dass sich aus nachteiligen Verfügungen des Bevollmächtigten evtl. Ansprüche des Nacherben gegen den Bevollmächtigten ergeben könnten; dadurch sei aber die Gültigkeit der Verfügungen des Bevollmächtigten nicht in Frage gestellt. Für den Fall, dass Vollmachtnehmer und Vorerbe identisch seien, könne zwar ggf. die Vollmacht, für den Vorerben zu handeln, durch Konsolidation erlöschen; dies lasse aber die Vertretungsmacht des Bevollmächtigten für den Nacherben unberührt.

Das OLG Stuttgart hält es wegen des Abstraktionsprinzips auch für unschädlich, dass nur der Vorerbe, nicht auch der Nacherbe, in das der Vollmacht zugrunde liegende Rechtsverhältnis eintrete. Widerrufen könne der Nacherbe die Vollmacht (rechtlich betrachtet) gleichwohl. Dass ihm faktisch diese Möglichkeit häufig verwehrt sei, stehe der Annahme einer Vertretungsmacht für den Nacherben nicht entgegen, zumal der Erblasser dem Nacherben mittels eines Nacherbenvollstreckers gem. § 2222 BGB während der Vorerbschaft seine Befugnisse auch völlig entziehen könne, ohne dass sich der Nacherbe dem widersetzen könne (vgl. Keim, DNotZ 2008, 175, 179).

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Stuttgart

Erscheinungsdatum:

29.05.2019

Aktenzeichen:

8 W 160/19

Rechtsgebiete:

Vormundschaft, Pflegschaft (familien- und vormundschaftsgerichtliche Genehmigung)
Testamentsvollstreckung
Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Vollmacht, Genehmigung, Ermächtigung
Grundbuchrecht

Erschienen in:

DNotI-Report 2019, 126-127
MittBayNot 2020, 248-250
ZEV 2019, 530-533

Normen in Titel:

BGB §§ 2113, 2136