Zugang einer Willenserklärung in elektronischer Form; Möglichkeit des Empfängers zur Prüfung der qualifizierten elektronischen Signatur des Erklärenden
letzte Aktualisierung: 14.2.2025
BGH, Urt. v. 27.11.2024 – VIII ZR 155/23
BGB §§ 126 Abs. 1 u. 3, 126a Abs. 1, 568 Abs. 1; ZPO §§ 130e, 173 Abs. 2 u. 4
Zugang einer Willenserklärung in elektronischer Form; Möglichkeit des Empfängers zur
Prüfung der qualifizierten elektronischen Signatur des Erklärenden
a) Bei einer empfangsbedürftigen Willenserklärung ist es auch für die elektronische Form zur
Wahrung der Form nicht ausreichend, dass die Willenserklärung formgerecht abgegeben wurde;
diese muss dem Erklärungsgegner vielmehr auch in der entsprechenden Form zugehen. Für den
Zugang einer in einem qualifiziert elektronisch signierten elektronischen Dokument enthaltenen
Willenserklärung ist es daher erforderlich, dass dieses Dokument so in den Machtbereich des
Empfängers gelangt, dass dieser die qualifizierte elektronische Signatur des Erklärenden und damit
die Echtheit des Dokuments prüfen kann.
b) Diese Voraussetzungen sind in dem Zeitraum vor dem Inkrafttreten der Vorschrift des § 130e
ZPO am 17. Juli 2024 erfüllt, wenn in einem Zivilprozess ein elektronischer Schriftsatz mit einer
gültigen qualifizierten elektronischen Signatur, der eine empfangsbedürftige Willenserklärung
enthält, vom Gericht unter Aufrechterhaltung der elektronischen Signatur elektronisch an den
Empfänger der Willenserklärung weitergeleitet wird.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
Über das Rechtsmittel ist antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden,
da die Beklagte in der mündlichen Revisionsverhandlung trotz ordnungsgemäßer
Ladung nicht anwaltlich vertreten war. Inhaltlich beruht das Urteil
indessen nicht auf der Säumnis der Beklagten, sondern auf einer Sachprüfung.
I.
Das Berufungsgericht (LG Bonn, Urteil vom 29. Juni 2023 - 6 S 97/22,
juris) hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren
von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
Die Kündigung in der Einspruchsschrift entspreche nicht der Form der
Gemäß
schriftlich erfolgen. Die schriftliche Form könne nach
elektronisches Dokument ersetzt werden. Das Dokument bedürfe dann gemäß
Anwaltliche Schriftsätze, die nach
per besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA) einzureichen seien,
wahrten, sofern sie mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen
seien, gegenüber dem Gericht das Schriftformerfordernis.
Neben der formgerechten Abgabe sei für eine formgerechte schriftliche
Kündigung aber auch notwendig, dass der bei Gericht eingegangene Schriftsatz
dem Kündigungsempfänger selbst in der gesetzlich vorgeschriebenen Form zugehe.
Dieser Grundsatz finde nicht nur auf die Schriftform, sondern auch auf die
sie ersetzende elektronische Form Anwendung, weil bei letzterer unter Beibehaltung
der für die Schriftform geltenden Grundsätze lediglich die für die Schriftform
erforderliche eigenhändige Namensunterschrift beziehungsweise das notariell
beglaubigte Handzeichen durch eine qualifizierte elektronische Signatur ersetzt
werde. Die Weiterleitung durch das Gericht an den Kündigungsempfänger beziehungsweise
dessen Prozessbevollmächtigten reiche für den damit erforderlichen
Zugang des qualifiziert elektronisch signierten Dokuments selbst dann nicht aus,
wenn der Schriftsatz seitens des Gerichts per beA zugestellt werde, weil die Legitimationswirkung
der Absendersignatur nur gegenüber dem Gericht und nicht
- wie gesetzlich gefordert - gegenüber dem Empfänger des Schriftstücks bestehe.
Davon ausgehend sei hier die Schriftform nicht gewahrt gewesen.
II.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Nichtigkeit
der in der Einspruchsschrift vom 5. September 2022 enthaltenen Kündigungserklärung
wegen Formunwirksamkeit gemäß
werden. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Legitimationswirkung
einer qualifizierten elektronischen Signatur bestehe nur gegenüber dem
Gericht, so dass ein qualifiziert elektronisch signierter elektronischer Schriftsatz
nicht formwahrend vom Gericht elektronisch an den Kündigungsempfänger beziehungsweise
dessen Prozessbevollmächtigten weitergeleitet werden könne, ist
rechtsfehlerhaft.
a) Seit dem 17. Juli 2024 gilt für empfangsbedürftige Willenserklärungen,
die der schriftlichen oder elektronischen Form bedürfen und die klar erkennbar in
einem vorbereitenden (zivilprozessualen) Schriftsatz enthalten sind, die durch
das Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz vom 12. Juli 2024 (BGBl. I
Nr. 234, vgl. zum Inkrafttreten Art. 50) geschaffene Norm des
fingiert in Satz 1 für die genannten Willenserklärungen, sofern der Schriftsatz als
elektronisches Dokument nach
Empfänger zugestellt oder mitgeteilt wurde, den formwirksamen Zugang. Nach
dem Willen des Gesetzgebers schließt diese Fiktion jene der formgerechten Abgabe
der Willenserklärung ein (vgl. BT-Drucks. 20/10943, S. 57). Die Formfiktion
gilt nach
Form durch die elektronische Form ausgeschlossen ist. Über die Verweise insbesondere
in § 70 Abs. 2, § 253 Abs. 4, § 519 Abs. 4, § 520 Abs. 5, § 549 Abs. 2,
auch auf bestimmende Schriftsätze anwendbar.
Eine Anwendung dieser Regelung auf den vorliegend bereits vor deren
Inkrafttreten erfolgten Eingang des elektronischen Schriftsatzes vom 5. September
2022 bei Gericht und dessen elektronischer Weiterleitung an den Prozessbevollmächtigten
der Beklagten am 6. September 2022 kommt jedoch nach den
Grundsätzen des intertemporalen Rechts nicht in Betracht (vgl. BGH, Urteile vom
18. Oktober 1965 - II ZR 36/64,
276/23,
§ 241 Rn. 14).
Unter Heranziehung dieser verfassungsrechtlich verankerten Grundsätze
kann der Vorschrift des
dass sie auf die bereits vor ihrem Inkrafttreten erfolgte Abgabe und den Zugang
einer in einem prozessualen Schriftsatz enthaltenen Willenserklärung Anwendung
findet. Denn die Norm regelt, obgleich wegen ihrer Anknüpfung an einen
prozessualen Schriftsatz in der Zivilprozessordnung enthalten, die das materielle
Recht betreffenden Fragen der Abgabe und des Zugangs form- und empfangsbedürftiger
Willenserklärungen. Ob eine form- und empfangsbedürftige Kündigungserklärung
wirksam abgegeben und zugegangen ist, muss sich jedoch aus
Gründen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit nach dem in diesem
Zeitpunkt geltenden Recht beurteilen (vgl. Senatsurteil vom 10. Juli 2024
- VIII ZR 276/23, aaO Rn. 16).
Insofern richtet sich die Beurteilung des vorliegenden Falles nach der vor
dem Inkrafttreten des
b) Das Berufungsgericht ist hierbei zunächst - jedenfalls im Ergebnis - zu
Recht davon ausgegangen, dass die gemäß
eines Wohnraummietverhältnisses erforderliche Schriftform, welche nach § 126
Abs. 1 BGB eine Unterzeichnung der Urkunde mittels eigenhändiger Namensunterschrift
oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens voraussetzt, gemäß
zivilprozessualen Schriftsatz, der an den anwaltlichen Bevollmächtigten des
Kündigungsempfängers elektronisch weitergeleitet wird, durch die elektronische
Form im Sinn von
aa) Nach der durch das Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des
Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr
vom 13. Juli 2001 (BGBl. I S. 1542) mit Wirkung vom 1. August 2001 eingeführten
Vorschrift des
elektronische Form ersetzt werden, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes
ergibt.
Das Berufungsgericht ist zu Recht - stillschweigend - davon ausgegangen,
dass
Mietverhältnisses die elektronische Form nicht ausschließt.
bb) Es ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob sich der Regelungsgehalt
des
durch die elektronische Form für den Fall zu ermöglichen, in dem eine abweichende
gesetzliche Regelung fehlt, oder ob die Möglichkeit der Ersetzung der für
die Wirksamkeit einer Willenserklärung angeordneten Schriftform durch die elektronische
Form gemäß
entsprechend den Vorstellungen des Gesetzgebers (vgl. den Regierungsentwurf
des oben genannten Gesetzes [BT-Drucks. 14/4987, S. 15], die
Stellungnahme des Bundesrates [BT-Drucks. 14/4987, S. 34 f.] und die Gegenäußerung
der Bundesregierung [BT-Drucks. 14/4987, S. 41 f.]) zudem voraussetzt,
dass der Empfänger der Willenserklärung hiermit einverstanden ist (so
Grüneberg/Ellenberger, BGB, 83. Aufl., § 126a Rn. 6; Erman/Arnold, BGB,
17. Aufl., § 126a Rn. 8; Staudinger/Hertel, BGB, Neubearb. 2023, § 126 Rn. 167;
Staudinger/Rolfs, BGB, Neubearb. 2021, § 568 Rn. 16; jurisPK-BGB/Junker,
Stand: 1. Mai 2020, § 126 Rn. 87; Schmidt-Futterer/Streyl, Mietrecht, 16. Aufl.,
18. Februar 2022 - 9 S 33/21, juris Rn. 33; BeckOGK-BGB/Hecht, Stand: 1. Juli
2024, § 126 Rn. 82 ff.; BeckOK-BGB/Wendtland, Stand: 1. Mai 2024, § 126
Rn. 12 f.; MünchKommBGB/Einsele, 9. Aufl., § 126 Rn. 28 ff.; Fleindl, NZM
2024, 65, 66; Heukenkamp, ZfDR 2022, 53, 65 f.; auf Gepflogenheiten des
Rechtsverkehrs abstellend Hinz,
Die Frage bedarf allerdings vorliegend auch keiner Entscheidung. Denn
jedenfalls für den hier zu beurteilenden Fall der Abgabe der empfangsbedürftigen
Willenserklärung im Rahmen eines Zivilprozesses durch elektronischen Schriftsatz
und dessen Weiterleitung an einen von der Gegenseite bestellten anwaltlichen
Prozessbevollmächtigten wäre ein erforderliches Einverständnis als erteilt
anzusehen, weil dessen Schutzzweck durch die Vorschrift des § 173 Abs. 2 Nr. 1
ZPO erfüllt wird.
(1) Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollte die in
genannte Formulierung "kann ersetzt werden" sicherstellen, dass die Beteiligten
die Anwendung der elektronischen Form ausdrücklich, konkludent oder nach
Maßgabe bisheriger Geschäftsgepflogenheiten billigen und deshalb mit dem Zugang
einer elektronischen Willenserklärung rechnen müssen (vgl. BT-Drucks.
14/4987, S. 15, 34 f., 41 f.). Hintergrund dieser Erwägungen des Gesetzgebers
ist - wie die Bezugnahme auf die Vorhersehbarkeit eines Zugangs einer elektronischen
Erklärung (BT-Drucks. 14/4987, S. 15, 41) und die Möglichkeiten des
Empfängers, eine elektronisch signierte und übermittelte Datei zu lesen und zu
verifizieren (BT-Drucks. 14/4987, S. 15), zeigt - die Befürchtung, dass der elektronische
Zugang von elektronischen Willenserklärungen (noch) nicht in gleicher
Weise verbreitet und in seinen Folgen bekannt ist wie der postalische Zugang
schriftlicher Willenserklärungen.
(2) Den vom Gesetzgeber im Rahmen des
Risiken einer elektronischen Zustellung wird allerdings für den hier vorliegenden
Fall der Abgabe einer empfangsbedürftigen Willenserklärung im Zivilprozess
durch elektronischen Schriftsatz und dessen elektronischer Weiterleitung an den
anwaltlichen Prozessbevollmächtigten des Erklärungsempfängers durch die Vorschrift
des
statuiert die passive Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs für in
professioneller Hinsicht am Zivilprozess beteiligte Personen, Vereinigungen und
Organisationen, insbesondere für Rechtsanwälte (vgl. für diese auch § 31a
Abs. 1 Satz 1, Abs. 6 BRAO; zum Einverständnis im Sinne des
bei Nutzern des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs Schmidt-Futterer/
Streyl, Mietrecht, 16. Aufl.,
Mietrecht, 3. Aufl.,
an einen Rechtsanwalt sah bereits
der Zustellung im Streitfall am 6. September 2022 geltenden Fassung des
Art. 1 des Gesetzes zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten
und zur Änderung weiterer Vorschriften (BGBl. I S. 4607) die passive Nutzungspflicht
des elektronischen Rechtsverkehrs vor.
Hierdurch war und ist gewährleistet, dass der anwaltliche Prozessbevollmächtigte,
dem - im Rahmen der ihm erteilten Prozessvollmacht (zur Kündigungsempfangsbefugnis
im Rahmen einer zur Abwehr einer Räumungsklage erteilten
Prozessvollmacht vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2002 - VIII ZR
72/02,
77/98,
rechtliche Willenserklärung elektronisch zugeht, sowohl über die technischen
Voraussetzungen für das Lesen und Verifizieren der elektronischen Nachricht
verfügt als auch mit dem für die Kenntnisnahme einer solchen Nachricht
erforderlichen eigenen Tätigwerden und den hiermit verbundenen Sorgfaltspflichten
hinreichend vertraut ist. Gleiches gilt, soweit eine andere natürliche Person
der Zustellung elektronischer Dokumente gemäß
hat oder juristische Personen, Vereinigungen und Organisationen, die
nicht bereits unter
Zustimmung erteilt haben (vgl. hierzu BT-Drucks. 19/28399, S. 36).
c) Das Berufungsgericht hat weiterhin rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die
in dem elektronischen Schriftsatz vom 5. September 2022 enthaltene Kündigungserklärung
den Anforderungen des
Abgabe einer elektronischen Willenserklärung entspricht, weil der klägerische
Prozessbevollmächtigte dem Schriftsatz seinen Namen hinzugefügt und diesen
mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur versehen hat.
d) Jedoch kann - wie die Revision zu Recht beanstandet - mit der vom
Berufungsgericht gegebenen Begründung ein formgerechter Zugang der in dem
elektronischen Schriftsatz vom 5. September 2022 enthaltenen Willenserklärung
beim Prozessbevollmächtigten der Beklagten (
verneint werden.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung ist es - wie das Berufungsgericht
noch richtig erkannt hat - zur Wahrung einer für eine empfangsbedürftige Willenserklärung
vorgeschriebenen Form nicht ausreichend, dass diese nach den
jeweiligen Formvorschriften abgegeben wurde. Sie muss vielmehr, um wirksam
zu werden, dem Erklärungsgegner auch in der vorgeschriebenen Form gemäß
213, 216; vom 30. Juli 1997 - VIII ZR 244/96,
vom 30. Mai 1962 - VIII ZR 173/61,
4. Juli 1986 - V ZR 41/86,
Dieses Zugangserfordernis gilt - wie das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend
und von der Revision insoweit nicht angegriffen angenommen hat - auch
für den Fall einer empfangsbedürftigen Willenserklärung in elektronischer Form.
Der Gesetzgeber hat bei der Schaffung der Möglichkeit der Wahrung von gesetzlichen
Formvorschriften durch ein elektronisches Dokument mit qualifizierter
elektronischer Signatur zwar auf besondere Regelungen über den Zugang bewusst
verzichtet, ist aber davon ausgegangen, dass auch auf in elektronischen
Dokumenten abgegebene Willenserklärungen
(vgl. BT-Drucks. 14/4987, S. 20). Dies erklärt sich durch das gesetzgeberische
Ziel einer Funktionsäquivalenz zwischen der Schriftform des
und der elektronischen Form des
Form so ausgestaltet sein, dass sie die mit der Schriftform bezweckten
Leistungsfunktionen regelmäßig sicherstellt, wenn auch eine völlige Gleichheit
hinsichtlich aller Funktionen wegen der tatsächlichen Unterschiede zwischen den
beiden Formen nicht erreichbar ist (vgl. BT-Drucks. 14/4987, S. 15). Zu den mit
der Schriftform bezweckten Leistungsfunktionen, welche die elektronische Form
in vergleichbarer Weise sicherstellen soll, gehört - neben der Identitätsfunktion
(Erkennbarkeit des Erklärenden und Möglichkeit der Identifizierung durch dessen
unverwechselbare Unterschrift) und der Echtheitsfunktion (Gewährleistung der
inhaltlichen Urheberschaft des Unterzeichners durch die räumliche Verbindung
der Unterschrift mit dem Dokument) - auch die damit in Zusammenhang stehende
Verifikationsfunktion, nach der es dem Empfänger des Dokuments möglich
sein soll, zu überprüfen, ob die Unterschrift echt ist (BT-Drucks. 14/4987,
S. 16 f.). Diese Funktion kann nur erfüllt werden, wenn das Dokument selbst dem
Empfänger für eine Überprüfung zur Verfügung steht.
Insofern ist es für den Zugang einer in einem qualifiziert elektronisch signierten
elektronischen Dokument enthaltenen Willenserklärung im Sinne des
- erforderlich, dass dieses Dokument so in den Machtbereich des Empfängers
gelangt, dass dieser die qualifizierte elektronische Signatur des Erklärenden
und damit die Echtheit des Dokuments prüfen kann.
bb) Diese Voraussetzungen sind indes - anders als das Berufungsgericht
gemeint hat - erfüllt, wenn in einem Zivilprozess ein elektronischer Schriftsatz mit
einer gültigen qualifizierten elektronischen Signatur, der eine empfangsbedürftige
Willenserklärung enthält, vom Gericht unter Aufrechterhaltung der qualifizierten
elektronischen Signatur elektronisch an den Empfänger der Willenserklärung
weitergeleitet wird.
Zwar wird die vom Berufungsgericht für seine entgegenstehende Ansicht
angeführte Begründung, die Legitimationswirkung der Signatur des Absenders
gelte nur gegenüber dem Gericht, nicht aber auch im Verhältnis zu der anderen
Partei, welcher der Schriftsatz durch das Gericht übermittelt werde, auch von einem
Teil der Instanzgerichte (AG Charlottenburg, Urteil vom 22. Februar 2023
- 215 C 120/22, juris Rn. 30) und des Schrifttums (vgl. BeckOGK-BGB/Geib,
Stand: 1. Oktober 2024, § 568 Rn. 27; BeckOGK-BGB/Mehle, Stand: 1. Juli
2024, § 542 Rn. 14; BeckOK-BGB/Wöstmann, Stand: 1. August 2024, § 568
Rn. 7; Staudinger/Rolfs, BGB, Neubearb. 2021, § 568 Rn. 22; Fritzsche, NJW
2022, 3620 Rn. 6, 8; Meyer-Abich,
R. Schultz, Stand: 1. August 2024,
- vom Berufungsgericht und auch im Übrigen häufig auf eine entsprechende Formulierung
des Amtsgerichts Hamburg in einem Urteil vom 25. Februar 2022
(48 C 304/21, juris Rn. 40) gestützte - Ansicht ist für den Fall der elektronischen
Weiterleitung qualifiziert elektronisch signierter elektronischer Schriftsätze durch
das Gericht unter Aufrechterhaltung der qualifizierten elektronischen Signatur je-
doch nicht zutreffend; eine solche Fallkonstellation war auch in dem der Entscheidung
des Amtsgerichts Hamburg zugrundeliegenden Sachverhalt nicht gegeben
(aaO Rn. 10).
Anders als die in § 130a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2, Abs. 4 ZPO vorgesehene
Einreichung eines elektronischen Dokuments über einen sicheren Übermittlungsweg,
die an das Verhältnis von Absender und erstem (unmittelbaren) Empfänger
anknüpft, ist eine qualifizierte elektronische Signatur (Art. 3 Nr. 12, Art. 26 der
Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 23. Juli 2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für
elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie
1999/93/EG, ABl. L 257 S. 73; im Folgenden eIDAS-VO) in dem Sinne verkehrsfähig,
dass ihre Validierung (Art. 32, 33 eIDAS-VO) nicht nur für den ersten
Empfänger möglich ist, sondern auch für Dritte, denen das elektronische Dokument
mitsamt der qualifizierten elektronischen Signatur elektronisch weitergeleitet
wird. Daher kann ein wirksam qualifiziert elektronisch signierter elektronischer
Schriftsatz grundsätzlich unter Aufrechterhaltung der gültigen und prüfbaren
elektronischen Signatur elektronisch vom Gericht an den gegnerischen Prozessbevollmächtigten
oder - im Fall des
persönlich übermittelt werden (vgl. OLG Bamberg,
[zur Weiterleitung einer qualifiziert elektronisch signierten Beschwerdeschrift an
ein anderes Gericht]; Siegmund in Blank/Börstinghaus/Siegmund, Miete, 7. Aufl.,
Müller,
- XII ZB 573/18,
cc) Feststellungen dazu, ob der elektronische Schriftsatz vom 5. September
2022 unter Aufrechterhaltung der gültigen qualifizierten elektronischen Sig-
natur des Prozessbevollmächtigten der Klägerin bei dem Prozessbevollmächtigten
der Beklagten einging, hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Diese Feststellungen
sind - anders als die Revision zu meinen scheint - vorliegend nicht in
der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellung enthalten, dass der genannte
Schriftsatz dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten elektronisch zugestellt
worden ist. Denn es bestehen hier greifbare Anhaltspunkte dafür, dass trotz des
Zugangs des elektronischen Schriftsatzes beim Adressaten bei der Weiterleitung
dieses Schriftsatzes die qualifizierte elektronische Signatur des Absenders ungültig
geworden sein könnte. Hierfür spricht insbesondere der Umstand, dass das
von dem Beklagtenvertreter zur Akte gereichte Prüfprotokoll vom 6. September
2022 für den Einspruchsschriftsatz eine ungültige Signatur ausweist mit dem Zusatz,
die Inhaltsdaten oder die Signatur seien nach der Signatur verändert worden.
Hinzu kommt, dass in dem auf den elektronischen Schriftsatz vom 5. September
2022 bezogenen Empfangsbekenntnis des Prozessbevollmächtigten des
Beklagten das Dokument den Dateinamen "Einspruch_VU_KlV" trägt, die in der
elektronischen Gerichtsakte enthaltene Originaldatei hingegen die Dateibezeichnung
"Einspruch_VU_KlV(1)".
dd) Die vorstehend dargestellten Anhaltspunkte werden durch den von der
Revision in den Blick genommenen Aktenvermerk, aus dem sich ergibt, dass das
Amtsgericht eine Datei mit dem Namen "Signatur_Einspruch_VU_KlV" übermittelt
hat, nicht entkräftet.
Die Revision beruft sich in diesem Zusammenhang auf die in der Instanzrechtsprechung
und in der Literatur (vgl. LG Berlin,
Dresden,
BGB Rn. 29; Ehrmann/Streyl,
ein formwirksamer Zugang einer Willenserklärung, die in einem qualifiziert
elektronisch signierten elektronischen Dokument enthalten ist, das als Schriftsatz
in einem Zivilprozess bei Gericht eingereicht wird, beim Erklärungsempfänger
auch dadurch bewirkt werden kann, dass diesem vom Gericht ein Ausdruck des
elektronischen Dokuments und ein - dessen gültige qualifizierte Signatur belegender
- Transfervermerk im Sinne des
Revision meint, dem oben genannten Aktenvermerk komme eine dem Transfervermerk
vergleichbare Bedeutung zu.
Dabei verkennt sie jedoch, dass der die Übermittlung ausweisende Aktenvermerk
weder beweist, dass die auf den elektronischen Schriftsatz vom 5. September
2022 bezogene qualifizierte elektronische Signatur des Prozessbevollmächtigten
der Klägerin auch wirksam beim Prozessbevollmächtigten der Beklagten
eingegangen ist, noch vergleichbar einem Transfervermerk im Sinne des
5. September 2022 mit einer gültigen qualifizierten elektronischen Signatur des
Prozessbevollmächtigten der Klägerin bei Gericht eingegangen ist. Wie der Senat
im Übrigen mit Urteil vom heutigen Tage entschieden hat, bewirkt die Übermittlung
eines Ausdrucks eines mit einer qualifizierten elektronischen Signatur
versehenen elektronischen Dokuments unter Beifügung eines Transfervermerks
im Sinne des
enthaltenen Willenserklärung beim Erklärungsgegner (vgl. dazu Senatsurteil vom
27. November 2024 - VIII ZR 159/23, unter II 2 b cc (3), zur Veröffentlichung bestimmt).
ee) Das Berufungsurteil beruht auf dem vorgenannten Rechtsfehler (§ 545
Abs. 1 ZPO). Hätte das Berufungsgericht seiner Entscheidung die grundsätzliche
Verkehrsfähigkeit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu Grunde gelegt,
wäre es nicht ohne die im vorliegenden Fall erforderlichen weiteren Feststellungen
zu dem Ergebnis gekommen, dass die Kündigung wegen Nichterfüllung der
Formvorschriften der
sei (
2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen
Gründen als richtig dar (
Auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts
scheitert die mit elektronischem Schriftsatz erklärte Kündigung jedenfalls
nicht am Fehlen eines Kündigungsgrundes. Denn der Mietrückstand in Höhe von
7.155,40 grundsätzlich die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1
Nr. 3 Buchst. b BGB.
III.
Nach alledem kann das Urteil des Berufungsgerichts keinen Bestand haben;
es ist daher aufzuheben (
reife Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht
zurückzuverweisen (
Feststellungen treffen kann. Hierbei wird das Berufungsgericht gegebenenfalls
auch den - in der Revisionsinstanz nicht zu berücksichtigenden - von dem
Revisionsanwalt der Klägerin in der Revisionsverhandlung vor dem Senat vorsorglich
gehaltenen Vortrag sowie den dazu gestellten Beweisantrag zu prüfen
haben, wonach der elektronische Einspruchsschriftsatz mit der Kündigungserklärung
dem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten durch das
Amtsgericht mit einer für ihn prüfbaren, gültigen qualifizierten elektronischen Signatur
des Prozessbevollmächtigten der Klägerin übermittelt worden sei.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:27.11.2024
Aktenzeichen:VIII ZR 155/23
Rechtsgebiete:
Bürgschaft u.a. Personalsicherheiten
Miete
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)
BGB §§ 126 Abs. 1 u. 3, 126a Abs. 1, 568 Abs. 1; ZPO §§ 130e, 173 Abs. 2 u. 4