Anspruch auf Wertermittlung bei Veräußerung des Nachlassgegenstands
letzte Aktualisierung: 21.10.2021
BGH, Urt. v. 29.9.2021 – IV ZR 328/20
Anspruch auf Wertermittlung bei Veräußerung des Nachlassgegenstands
Dem Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Wertermittlung gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 2
Halbsatz 2 BGB steht nicht der Umstand entgegen, dass der Nachlassgegenstand vom Erben nach
dem Erbfall veräußert wurde.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist im Wesentlichen begründet.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Klägerin stehe gegen
den Beklagten kein Anspruch auf Wertermittlung gemäß § 2314 Abs. 1
Satz 2 BGB zu. Es fehle an einem schutzwürdigen Interesse an der Wertermittlung.
Dies möge schon aus dem Verkauf der Immobilie folgen, der
zeitnah zum Erbfall erfolgt sei. Hierauf komme es aber nicht einmal an. Es
lägen bereits drei Bewertungen vor. Diese kämen zwar zu höchst unterschiedlichen
Ergebnissen. An diesem Befund vermöge aber eine vierte
Bewertung nichts zu ändern; sie würde die Unsicherheiten zum Verkaufswert
der Immobilie nur steigern. Es sei nicht sicher, dass der Erwerber die
Immobilie besichtigen lasse. Bei der Pflichtteilsberechnung sei daher lediglich
auf den Kaufpreis von 65.000 € abzustellen, von dem wegen des
Anteils des Erblassers 32.500 € in den Nachlass fielen. Ein höherer Wert
sei nicht anzusetzen. Zu berücksichtigen sei darüber hinaus, dass es um
den Verkehrswert eines bloßen Eigentumsanteils gehe. Abzuziehen sei
bei der Berechnung des Pflichtteils ein vom Beklagten dem Erblasser 2012
gewährtes Darlehen in Höhe von 10.000 €. Die Klägerin habe die Richtigkeit
dieses Vortrages nicht widerlegt. Der Pflichtteil belaufe sich daher auf
33.634,88 €, so dass sich abzüglich der erfolgten Zahlung ein Restanspruch
der Klägerin von 270,25 € ergebe.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung im Wesentlichen nicht stand.
1. Die Revision ist zulässig, insbesondere gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1
ZPO aufgrund der Zulassung durch das Berufungsgericht insgesamt statthaft.
Eine Beschränkung der Revisionszulassung lässt sich dem Berufungsurteil
entgegen der Revisionserwiderung nicht entnehmen. Soweit
das Berufungsgericht in den Entscheidungsgründen ausgeführ t hat, es
lasse die Revision für die Klägerin zu, weil die abgelehnte Einholung eines
gerichtlichen Gutachtens der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu IV
ZR 150/14 widersprechen könne, liegt darin lediglich eine Begründung für
die Zulassung der Revision (vgl. Senatsurteile vom 31. März 2021 IV
ZR 221/19,
IV ZR 53/20, juris Rn. 10).
2. Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Wert -
ermittlung des Miterbenanteils des Erblassers an dem streitgegenständlichen
Grundstück zu. Gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB kann
der Pflichtteilsberechtigte verlangen, dass der Wert der Nachlassgegen-
stände ermittelt wird. Der Anspruch dient nicht dazu, für den Pflichtteilsberechtigten
und den Erben verbindlich den Wert des Nachlassgegenstandes
im Zeitpunkt des Erbfalles gemäß
soll dem Pflichtteilsberechtigten die Beurteilung des Risikos eines Rechtsstreits
über den Pflichtteil erleichtern (vgl. Senatsurteil vom 19. April 1989
- IVa ZR 85/88,
jedenfalls dann ein schutzwürdiges Interesse an einer derartigen Wertermittlung,
wenn die vom Erben vorgelegten Unterlagen und Auskünfte nicht
ausreichen, sich ein Bild über den Wert des Nachlassgegenstandes zu
machen (Senatsurteil vom 30. Oktober 1974 - IV ZR 41/73, NJW 1975,
258 [juris Rn. 38]; Palandt/Weidlich, BGB 80. Aufl. § 2314 Rn. 14). Ob
wie die Revision in Erwägung zieht - ein derartiger nach dem Wortlaut
von § 2314 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB einschränkungsloser Anspruch
in Ausnahmefällen nach Treu und Glauben gemäß
Verstoßes gegen das Schikaneverbot gemäß
wenn bereits mehrere Sachverständigengutachten zu dem Wert des Nachlassgegenstandes
eingeholt wurden und zu demselben Ergebnis kamen,
kann offenbleiben. Ein derartiger Fall liegt hier jedenfalls nicht vor. Die
eingeholten Sachverständigengutachten variieren in ihren Werten zwischen
58.000 € und 245.000 €. Die Veräußerung des Grundstücks erfolgte
für 65.000 €. Angesichts dieser stark differierenden Angaben kann der
Klägerin ein schutzwürdiges Interesse an der Geltendmachung des Wertermittlungsanspruchs
nicht abgesprochen werden.
3. Dem Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Wertermittlung
steht auch nicht der Umstand entgegen, dass der Nachlassgegenstand
vom Erben - wie hier seitens des Beklagten hinsichtlich des Grundstücks
geschehen - nach dem Erbfall veräußert wurde (OLG Frankfurt am Main
1236, 1238; Staudinger/Herzog, BGB (2015) § 2314 Rn. 144; Palandt/
Weidlich, BGB 80. Aufl. § 2314 Rn. 14; BeckOGK/Blum/Heuser, BGB
§ 2314 Rn. 134.1 [Stand: 15. Juni 2021]; im Ergebnis auch Blum in
Schlitt/Müller, Handbuch Pflichtteilsrecht 2. Aufl. § 2 Rn. 104 a.E.). Dies
rechtfertigt sich daraus, dass dem Pflichtteilsberechtigten anderenfalls der
Nachweis verwehrt bzw. zumindest erschwert würde, dass der Veräußerungserlös
nicht dem tatsächlichen Verkehrswert entspricht. Gegen eine
Versagung des Wertermittlungsanspruchs in Fällen der nachträglichen
Veräußerung eines Nachlassgegenstandes spricht ferner, dass ausweislich
der Regelung in
und Wertermittlung nach Absatz 1 dem Nachlass zur Last fallen, während
der Pflichtteilsberechtigte, der im Rahmen von § 2311 Abs. 1 Satz 1
BGB einen anderen Verkehrswert als den tatsächlichen Veräußerungserlös
behauptet, insoweit darlegungs- und beweispflichtig ist und damit auch
die entsprechenden für die Wertermittlung erforderlichen Kosten zu tragen
hat.
Nichts anderes ergibt sich im Streitfall, wenn man der vereinzelt im
Schrifttum vertretenen Auffassung folgt, nach Veräußerung eines Nachlassgegenstandes
komme grundsätzlich kein Wertermittlungsanspruch
mehr in Betracht, es sei denn, es lägen außergewöhnliche Umstände vor,
zu denen konkrete Anhaltspunkte dafür zählen sollen, dass der erzielte
Verkaufserlös nicht dem tatsächlichen Wert entspricht (so Fleischer, ErbR
2013, 242, 244). Derartige Umstände liegen hier - anders als das Berufungsgericht
meint - angesichts der unterschiedlichen Wertangaben in den
Gutachten und dem davon abweichenden erzielten Kaufpreis sowie der
von der Klägerin geäußerten Vermutung einer unter dem Verkehrswert erfolgten
Veräußerung des Grundstücks vor.
Dem steht auch nicht die Rechtsprechung des Senats zur Wertbemessung
gemäß
bei der Berechnung des Pflichtteils der Bestand und der Wert des Nachlasses
zur Zeit des Erbfalles zugrunde gelegt. Der Pflichtteilsberechtigte
ist wirtschaftlich so zu stellen, als sei der Nachlass beim Tod des Erblassers
in Geld umgesetzt worden. Abzustellen ist auf den so genannten gemeinen
Wert, der dem Verkaufswert im Zeitpunkt des Erbfalles entspricht.
Da derartige Schätzungen mit Unsicherheiten verbunden sind, entspricht
es ständiger Rechtsprechung des Senats, dass sich die Bewertung von
Nachlassgegenständen, die bald nach dem Erbfall veräußert worden sind,
von außergewöhnlichen Verhältnissen abgesehen, grundsätzlich an dem
tatsächlich erzielten Verkaufspreis orientieren muss (Senatsbeschlüsse
vom 8. April 2015 - IV ZR 150/14,
2010 - IV ZR 124/09,
sich indessen nicht auf die erste Stufe der Pflichtteilsklage hinsichtlich
Auskunft und Wertermittlung gemäß
konkrete Berechnung des Pflichtteilsanspruchs auf der drit ten Stufe im
Rahmen von
am Main
gemäß
- gerade nicht der verbindlichen Festlegung des Wertes des Nachlassgegenstandes
im Rahmen von
Unterrichtung des Pflichtteilsberechtigten zur Berechnung seines Anspruchs
und der Beurteilung des Risikos eines Rechtsstreits. Im Übrigen
ist in der Senatsrechtsprechung auch im Rahmen von § 2311 Abs. 1 Satz 1
BGB anerkannt, dass eine Bindung an den tatsächlich erzielten Verkaufspreis
dann nicht mehr in Betracht kommt, wenn der darlegungs- und beweispflichtige
Pflichtteilsberechtigte Tatsachen vorträgt und unter Beweis
stellt, nach welchen der Verkaufserlös nicht dem tatsächlichen Verkehrswert
im Zeitpunkt des Erbfalles entspricht (Senatsbeschlüsse vom 8. April
2015 - IV ZR 150/14,
IV ZR 124/09,
hier im Hinblick auf die vorgelegten Sachverständigengutachten, die erheblich
vom Veräußerungserlös abweichen, vorgetragen.
4. Der Klägerin steht allerdings nicht der von ihr geltend gemachte
und vom Landgericht tenorierte Anspruch auf Ermittlung des Wertes der
Immobilie durch Vorlage eines Wertgutachtens eines öffentlich bestellten
und vereidigten Sachverständigen zu. Die Qualifikation des Sachverständigen
ist in § 2314 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB nicht geregelt. Maßgebend
ist alleine, dass der Wert des Nachlassgegenstandes durch einen
unparteiischen Sachverständigen ermittelt wird, unabhängig davon, ob er
öffentlich bestellt und vereidigt ist oder nicht (vgl. Senatsurteil vom 30. Oktober
1974 IV ZR 41/73,
2012, 483, 484 [juris Rn. 19]; OLG Düsseldorf
MünchKomm-BGB/Lange, 8. Aufl. § 2314 Rn. 21). Ferner hat die Klägerin
keinen Anspruch auf Ermittlung des Wertes des Grundstücks als solchem.
Dieses stand im Eigentum einer Erbengemeinschaft, an der der Erblasser
mit einem Anteil von 1/2 beteiligt war. Nur dieser Anteil des Erblassers an
der Erbengemeinschaft fällt in den Anlass, so dass sich auch der Wertermittlungsanspruch
nur hierauf erstrecken kann. Insoweit hat die Berufung
des Beklagten Erfolg und war der weitergehende Klagantrag zu 1 abzuweisen.
Entgegen der Auffassung der Revision besteht insoweit auch
keine Veranlassung, der Klägerin nach Zurückverweisung der Sache
(dazu nachfolgend unter III.) Gelegenheit zu einer Anpassung ihres Antrags
zu geben.
5. Nicht zu entscheiden ist, ob das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei
entschieden hat, dass bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs das
vom Beklagten behauptete Darlehen an den Erblasser zu berücksichtigen
ist und der Klägerin lediglich ein restlicher Pflichtteil von 270,25 € zusteht.
Die Klägerin hat im Berufungsverfahren neben der Zurückweisung der Berufung
lediglich für den Fall, dass das Berufungsgericht anders als das
Landgericht den Wertermittlungsanspruch verneinen sollte, beantragt, den
Beklagten zur Zahlung von 19.284,75 € nebst Zinsen zu verurteilen. Lediglich
in diesem Zusammenhang erfolgten die Ausführungen des Berufungsgerichts,
welches einen Wertermittlungsanspruch verneint hatte, im
Rahmen der Pflichtteilsberechnung. Darauf kommt es für das Revisionsverfahren
nicht an, da die innerprozessuale Bedingung der Abweisung des
Wertermittlungsanspruchs nicht eingetreten ist.
III. Der Rechtsstreit ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang
unter Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils an das Landgericht
zurückzuverweisen (vgl. zu dieser Möglichkeit BGH, Urteil vom 24. September
1998 IX ZR 371/97,
33. Aufl. § 563 Rn. 1). Dieses hat im Rahmen der Stufenklage zu Unrecht
nicht nur dem Wertermittlungsanspruch stattgegeben, sondern den Beklagten
bereits auf der zweiten Stufe zur Zahlung verurteilt. Eine derartige
Verurteilung kommt indessen erst nach Einholung des Wertermittlungsgutachtens
in Betracht. Da das Berufungsgericht aus diesem Grund bei rich-
tiger Sachbehandlung das Urteil des Landgerichts insoweit hätte aufheben
und die Sache an das Landgericht zurückverweisen müssen, ist dies vom
Senat nachzuholen.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:29.09.2021
Aktenzeichen:IV ZR 328/20
Rechtsgebiete:
Allgemeines Schuldrecht
Pflichtteil
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
NJW 2022, 192-194
NotBZ 2022, 103-104
BGB § 2314 Abs. 1 S. 2