Zur geschlechterbezogenen Diskriminierung im ausländischen Erbrecht
letzte Aktualisierung: 26.5.2021
OLG München, Beschl. v. 8.12.2020 – 31 Wx 248/20
Zur geschlechterbezogenen Diskriminierung im ausländischen Erbrecht
1. Eine ausländische Rechtsvorschrift, wonach im Erbfall männliche Kinder einen doppelt so hohen
Anteil am Nachlass erhalten als weibliche, verstößt gegen
unter die Vorbehaltsklausel des
2. Der für die Anwendung des
sich die wesentlichen Nachlasswerte im Inland befinden und (auch) deutsche Staatsangehörige
beteiligt sind.
3. Sofern nicht positiv festgestellt werden kann, dass die unterschiedliche Erbfolge dem Willen des
Erblassers entspricht, bleibt eine solche Rechtsvorschrift daher nach
4. Ein Erbschein, der aufgrund des Verstoßes gegen den ordre public nach
unrichtig ist, ist gemäß
Gründe
I.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Zutreffend hat das Nachlassgericht den erteilten
Erbschein des Amtsgerichts München vom 16.07.1970 als unrichtig eingezogen.
1. Die Einlegung der Beschwerde erfolgte mit dem Antrag, dem Beschwerdeführer einen neuen dem
Erbschein vom 16.07.1970 gleichlautenden Erbschein zu erteilen. Nachdem der Erbschein vom 16.07.1970
aufgrund des Beschlusses vom 14.04.2020 an das Nachlassgericht zurückgegeben wurde und daher gemäß
2. Die Beschwerde ist allerdings unbegründet. Zu Recht ist das Nachlassgericht zu dem Ergebnis gelangt,
dass die Voraussetzungen für die Einziehung des am 16.07.1970 erteilten Erbscheins gemäß
vorliegen. Eine Anweisung an das Nachlassgericht, einen gleichlautenden Erbschein zu erteilen, kam daher
nicht in Betracht.
a) Gemäß
Erbschein, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung entweder schon ursprünglich nicht gegeben sind oder
nachträglich entfallen sind. Das Nachlassgericht hat sich in die Lage zu versetzen, als hätte es den
Erbschein erstmalig zu erteilen (
§ 2361 Rn. 4; Keidel/Zimmermann FamFG 20. Auflage <2020> § 353 Rn. 3; Krätzschel in: Firsching/Graf
Nachlassrecht 11. Auflage <2019> § 39 Rn. 2).
b) Zutreffend hat das Nachlassgericht festgestellt, dass der Erbschein vom 16.07.1970 materiell unrichtig ist,
da die Miterbenanteile der Beteiligten zu 1 bis 3 nicht in gleicher Höhe ausgewiesen sind.
Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf den angefochtenen Beschluss Bezug.
Ergänzend gilt folgendes:
aa) Maßgeblich für die Erbfolge ist das iranische Recht, da der Erblasser ausschließlich iranischer
Staatsangehöriger war (Art. 8 Abs. 3 des Deutsch-Iranischen Niederlassungsabkommens vom 17.02.1929).
Danach erhalten männliche Kinder einen doppelt so hohen Anteil am Nachlass als weibliche Kinder. Der
Beteiligten zu 3 steht danach als Tochter des Erblassers nur die Hälfte des Anteils der Beteiligten zu 1 und 2
zu.
bb) Das iranische Recht bleibt allerdings nach
Ergebnis der Anwendung iranischen Erbrechts auf den hier zu entscheidenden Fall ist mit dem im
Grundgesetz verankerten Gleichheitsgrundsatz (
EGBGB ist die Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem
Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist.
(1) Die Anwendbarkeit des
17.02.1929 nicht ausgeschlossen. Art. 8 Abs. 3 S. 2 des Abkommens enthält eine Öffnungsklausel für den
deutschen ordre public (
BeckOGK/Stürner Stand: 1.11.2020
(2) Die Anwendung der Vorbehaltsklausel des
ausländische Regel selbst, sondern das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts im konkreten
Fall in so starkem Widerspruch zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und denen in ihnen
enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen steht, dass es nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheint
(
2005, 436). Darüber hinaus muss der zu beurteilende Tatbestand einen hinreichenden Inlandsbezug
aufweisen; die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte genügt dafür nicht (Palandt/Thorn BGB
79. Auflage <2020>
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Beteiligte zu 3 erhält nach den maßgeblichen iranischen
Rechtsvorschriften als Tochter des Erblassers eine Erbquote von 7/40, während die Beteiligten zu 1 und 2
als Söhne bei ansonsten gleichem Sachverhalt eine Erbquote von 14/40 beanspruchen können. Dies ist
nicht vereinbar mit dem verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz, dass niemand wegen seines
Geschlechts benachteiligt werden darf (Staudinger/Dörner BGB <2007>
zu
62). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kommt es für die Bewertung des Ergebnisses insoweit
nicht auf einen Vergleich mit einer hypothetischen Erbquote oder möglichen testamentarischen Regelungen
nach deutschem Recht an, sondern auf den Vergleich der bei konkreter Anwendung des iranischen Rechts
zugrunde zu legenden Erbquoten zwischen den Beteiligten. Maßgeblich ist daher nicht, ob die Beteiligte zu 3
bereits mehr erhalten hat, als ihr bei Anwendung des deutschen Rechts zugestanden hätte. Es kommt allein
darauf an, ob eine innerstaatliche Rechtshandlung deutscher Staatsgewalt in Bezug auf einen konkreten
Sachverhalt, der eine mehr oder wenige starke Inlandsbeziehung aufweist, zu einer Grundrechtsverletzung
führt (
dass die Beteiligte zu 3 aufgrund ihres Geschlechts nur die Hälfte des Erbteils der Beteiligten zu 1 und 2
erhält. Dies widerspricht zweifelsfrei Art. 3 Abs. 2 Satz 1 bzw. Abs. 3 Satz 1 GG.
Es besteht zudem ein stark ausgeprägter Inlandsbezug. Der Erblasser hat u.a. ein Grundstück in München,
ein Bankkonto bei der D. Bank in Deutschland sowie Geschäftsanteile an einer Papierfabrik im Inland
hinterlassen. Es handelte sich hierbei um die wesentlichen Vermögenswerte des Erblassers. Ferner besaßen
sowohl die Beteiligten zu 1 und 2, als auch die Beteiligte zu 4 zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers
neben der iranischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Unabhängig von der Frage, welche Absichten
oder Pläne der Erblasser hinsichtlich des Verbleibs der Familie im Iran oder eines Umzugs nach Deutschland
zum Zeitpunkt seines Todes hatte, genügen diese vorhandenen Inlandsbezüge, um eine Anwendung des Art.
6 Satz 2 EGBGB auf den vorliegenden Sachverhalt zu begründen. Das Differenzierungsverbot nach Art. 3
Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 GG als Abwehrrecht gegen unmittelbare rechtliche, d.h. direkt an das
Geschlecht anknüpfende Ungleichbehandlungen (Maunz/Dürig/Langenfeld, 91. EL April 2020, GG Art. 3
Abs. 2 Rn. 16) beansprucht nach Wortlaut, Sinn und Zweck jedenfalls auch für den vorliegenden Sachverhalt
Geltung, bei dem sich die wesentlichen Nachlasswerte im Inland befinden und (auch) deutsche
Staatsangehörige beteiligt sind.
(3) Auch nach Ansicht des Senats ist nicht feststellbar, dass der Erblasser die Schlechterstellung der
Beteiligten zu 3 beabsichtigte. Die gesetzliche Diskriminierung eines aus deutscher Sicht Erbberechtigten
kann trotz
Erblassers entspricht, da eine inhaltsgleiche gewillkürte Erbfolge auch im deutschen Recht den Schutz des
Verstoß diskriminierender gesetzlicher Erbfolgeregeln ist zu verneinen, wenn der Erblasser eine
entsprechende erbrechtliche Regelung auch nach deutschem Recht durch letztwillige Verfügung hätte treffen
können und dies im Hinblick auf die seinem Willen entsprechenden gesetzlichen Erbfolgeregeln nach seinem
Heimatrecht bewusst unterlassen hat. Dies setzt aber die positive Feststellung eines entsprechenden
Erblasserwillens voraus (BeckOK BGB/Lorenz EGBGB Art. 25 aF Rn. 62). An Inhalt und Ernstlichkeit eines
solchen Erblasserwillens dürfen keine relevanten Zweifel verbleiben (OLG Hamm
Zutreffend hat das Nachlassgericht hierzu allerdings ausgeführt, dass sich ein solcher Wille des Erblassers
im vorliegenden Fall nicht feststellen lässt. In der letztwilligen Verfügung vom 27.06.1963 über die
Geschäftsanteile an der Papierfabrik hat der Erblasser seine 3 Kinder gleichmäßig bedacht. Hieraus lässt
sich aber nicht entnehmen, dass er für den restlichen Nachlass eine Ungleichbehandlung beabsichtigte. Es
ist auch weder hieraus noch sonst ersichtlich, dass dem Erblasser die Anwendbarkeit iranischen Rechts für
die Erbfolge sowie die im iranischen Recht geregelte unterschiedliche Behandlung von weiblichen und
männlichen Nachkommen bekannt bzw. bewusst war und er diese Ungleichbehandlung auch für seine
Kinder wollte. Die Urkunde vom 27.06.1963 spricht im Gegenteil eher dafür, dass er seine Kinder
grundsätzlich gleichmäßig bedenken wollte und lediglich bezüglich des Anteils an der Fabrik zusätzliche
Anordnungen hinsichtlich der Erbauseinandersetzung und der Testamentsvollstreckung getroffen werden
sollten.
c) Demnach steht fest, dass der Erbschein vom 16.07.1970 materiell unrichtig ist und zu Recht eingezogen
wurde. Es bleibt Aufgabe des Nachlassgerichts, im Falle der Beantragung eines neuen Erbscheins die durch
die Nichtanwendung der konkreten Norm entstehende Regelungslücke zu schließen. Ohne Bindung für das
Nachlassgericht weist der Senat allerdings darauf hin, dass die im Hinweis vom 10.10.2019 erwogene
Lösung, die Erbquote der Ehefrau von 1/8 unverändert zu lassen und die Erbquoten der Beteiligten zu 1 bis
3 auf je 7/24 festzusetzen, dem Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs (BeckOK BGB/Lorenz EGBGB
Art. 6 Rn. 18) bzw. der weitgehenden Schonung des fremden Rechts (MüKoBGB/v. Hein
230) jedenfalls entspricht.
II.
Der Beschwerdeführer hat kraft Gesetzes die Gerichtskosten seiner erfolglosen Beschwerde zu tragen (§ 22
Abs. 1 GNotKG). Die Anordnung der Erstattung der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beteiligten
zu 3 beruht auf
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren war, da sich der Beschwerdeführer gegen die Einziehung
des Erbscheins wendet, der ihn als Erben zu 14/40 ausweist, gemäß
dem wirtschaftlichen Interesse des Beschwerdeführers an einer obsiegenden Entscheidung auf 14/40 des
reinen Nachlasswertes festzusetzen. Gemäß
Zeitpunkt des Erbfalls zugrunde zu legen, Wertveränderungen nach diesem Zeitpunkt bleiben außer Betracht
(Korintenberg/Sikora GNotKG 21. Aufl. <2020> § 40 Rn. 29). Gemäß den Feststellungen der beiden damals
befassten Nachlassgerichte (Notariat II Pforzheim als Nachlassgericht sowie Amtsgericht München) betrug
der Nachlasswert damals insgesamt DM 786.466. Hiervon 14/40 ergibt einen Betrag von DM 275.263 bzw.
EUR 140.739.
III.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG München
Erscheinungsdatum:08.12.2020
Aktenzeichen:31 Wx 248/20
Rechtsgebiete:
Kostenrecht
Nachlaßabwicklung (insbes. Erbschein, Nachlaßinventar)
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
BGB § 2361; EGBGB Art. 6; GG Art. 3 Abs. 2 S. 1