Zinsen aus einem Vermächtnisanspruch als Einkünfte aus Kapitalvermögen
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Deutsches Notarinstitut
letzte Aktualisierung: 24.3.2016
BFH, 20.10.2015 - VIII R 40/13
EStG §§ 20 Abs. 1 Nr. 7, 11; BGB §§ 2174, 2176
Zinsen aus einem Vermächtnisanspruch als Einkünfte aus Kapitalvermögen
1. Zinsen, die auf einer testamentarisch angeordneten Verzinsung eines erst fünf Jahre nach dem
Tode des Erblassers fälligen betagten Vermächtnisanspruchs beruhen, sind beim
Vermächtnisnehmer steuerpflichtige Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7
EStG.
2. Das bloße Nichtgeltendmachen der Zinsen gegenüber dem Erben bei Fälligkeit begründet
beim Vermächtnisnehmer keinen Zufluss i. S. des
BUNDESFINANZHOF Urteil vom 20.10.2015, VIII R 40/13
Einkünfte aus Kapitalvermögen: Testamentarisch angeordnete Verzinsung eines Vermächtnisanspruchs
Entscheidungsgründe
14 II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Der Senat entscheidet in der Sache selbst
und gibt der Klage statt (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
15 Das FG hat zwar zu Recht entschieden, dass dem Kläger ein verzinsliches betagtes Vermächtnis zugewendet wurde
und die ihm danach zustehenden Zinsen zu Einkünften aus Kapitalvermögen i.S. des
es hat jedoch rechtsfehlerhaft einen Zufluss der Zinsen im Streitjahr bejaht.
16 1. Die Auslegung des Testaments durch das FG mit dem Ergebnis, dem Kläger sei ein betagtes Vermächtnis
zugewendet worden, welches bereits mit dem Tode des Erstversterbenden entstanden, aber erst fünf Jahre danach
fällig geworden und dass für den hinausgeschobenen Fälligkeitszeitpunkt eine Verzinsung in Höhe von 5 % p.a.
angeordnet gewesen sei, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat ist an sie nach
gebunden.
17 a) Der Vermächtnisanspruch des Bedachten gegen den Erben (§ 2174 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--) kommt
grundsätzlich mit dem Erbfall zur Entstehung (
ist dieser Anspruch nach
Rz 3). Der Erblasser kann jedoch entweder das Vermächtnis unter der Bestimmung eines Anfangstermins zuwenden
(befristetes Vermächtnis), was zur Folge hat, dass die Entstehung des Vermächtnisanspruches abweichend von
Vermächtnisanspruches, d.h. die Möglichkeit der Geltendmachung, zu einem späteren Termin bestimmen, die
Entstehung jedoch im Erbfall anordnen (betagtes Vermächtnis - vgl. Palandt/ Weidlich, a.a.O., § 2174 Rz 4).
18 Ob bei Bestimmung eines bestimmten Auszahlungszeitpunktes ein befristetes oder betagtes Vermächtnis vom
Erblasser gewollt war, ist durch Auslegung zu ermitteln.
19 b) Die Auslegung eines Testaments als eine einseitige Willenserklärung obliegt dem FG als Tatsacheninstanz. Sie ist
vom BFH nur daraufhin überprüfbar, ob sie möglich und weder unter Verstoß gegen die gesetzlichen
Auslegungsregeln (
ist (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. Mai 2007 IX R 22/06, BFH/NV 2007,
1836; vom 25. Februar 2009 IX R 76/07, BFH/NV 2009, 1268).
20 c) Die Gestaltung des sog. Berliner Testaments mit Freibetragsvermächtnis zielt darauf ab, dem Vermächtnisnehmer
in Höhe des erbschaftsteuerlichen Freibetrages, d.h. ohne Anfall von Erbschaftsteuer für diesen, einen Geldbetrag
zuzuwenden, der bereits mit dem Tode des Erstversterbenden entsteht und damit beim Erben als
Nachlassverbindlichkeit nach
nach
Deutsches Steuerrecht 2004, 1371, 1374; Kesseler/ Thouet, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2008, 125, 127
mit Replik Everts,
21 d) Vorliegend hat das FG ausgehend vom Wortlaut des Testaments, wonach das Vermächtnis in Höhe des
erbschaftsteuerlichen Freibetrages erst in fünf Jahren "fällig" werden sollte, die letztwillige Verfügung des Erblassers
unter Berücksichtigung der weiteren Umstände dahingehend gewürdigt, dass dieser den unverzinsten
Vermächtnisbetrag bereits mit Eintritt des Erbfalls dem Kläger zuwenden und nur die Fälligkeit der Auszahlung
hinausschieben wollte.
22 Die Anordnung der jährlichen Verzinsung des Vermächtnisbetrages hat es als Übergang des Rechts auf
Fruchtziehung im Zeitpunkt des Erbfalls auf den Vermächtnisnehmer gewürdigt. Dies ist möglich und verstößt nicht
gegen Denk- und Erfahrungssätze.
23 Ob die vom Kläger vertretene Auslegung, es habe der Gesamtbetrag im Wege des befristeten Vermächtnisses
zugewendet werden sollen, ebenfalls möglich wäre oder wahrscheinlicher ist und welche ertragsteuerlichen Folgen
sich hieraus ergeben würden, bedarf daher keiner Entscheidung.
24 2. Die im Testament verfügte Verzinsung des betagten Vermächtnisanspruches führt beim Kläger zu Einkünften aus
Kapitalvermögen i.S. des
25 a) Nach
Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des
Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder gewährt worden ist, auch wenn die Höhe des Entgelts von einem
ungewissen Ereignis abhängt. Dies gilt unabhängig von der Bezeichnung und der zivilrechtlichen Ausgestaltung der
Kapitalanlage.
26 Der Rechtsgrund der Kapitalüberlassung ist dabei ebenso ohne Bedeutung wie der Umstand, ob die zu Grunde
liegende Kapitalforderung selbst steuerbar ist. Auch eine nicht freiwillige, sondern erzwungene Kapitalüberlassung
kann zu Einnahmen aus Kapitalvermögen führen (BFH-Urteile vom 26. Juni 1996 VIII R 67/95, BFH/NV 1997, 175;
vom 13. November 2007 VIII R 36/05,
2015, 1616).
27 b) Der Vermächtnisanspruch des Klägers gehört zu den sonstigen Kapitalforderungen i.S. des
denn er ist auf eine Geldleistung gerichtet. Eine erzwungene Kapitalüberlassung liegt auch in den Fällen vor, in denen
der Erblasser durch testamentarische Anordnung eine auf Geld gerichtete Teilungsanordnung trifft oder eine
Geldforderung vermacht und deren spätere Fälligkeit verbindlich vorgibt (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 1997, 175; vom
26. November 1992 X R 187/87,
104, BStBl II 2010, 818, zur zeitlich gestreckten Erfüllung eines Pflichtteilsanspruchs).
28 Legt der Erblasser --wie hier-- bei der Zuwendung eines Vermächtnisbetrages zugleich eine Verzinsung für die Zeit bis
zur Fälligkeit fest, sind diese Zinsen bei Zufluss als Einkünfte aus Kapitalvermögen steuerpflichtig (so auch Ebeling,
29 c) Auch wenn der Erblasser dem Kläger --wie dieser vorträgt-- nicht den Betrag von 205.000 EUR zuzüglich Zinsen,
sondern den Gesamtbetrag in Höhe von 256.250 EUR durch Vermächtnis mit Fälligkeit im Jahr 2006 zugewendet
hätte, würde sich ertragsteuerlich kein anderes Ergebnis einstellen.
30 aa) Zwar stellt der Erwerb von Todes wegen kein erzieltes Einkommen i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 EStG dar
und unterliegt nicht der Einkommensteuer. Gleiches gilt für die Auszahlung eines durch Erbgang erworbenen
Vermögensrechts (Erb- oder Pflichtteil, Vermächtnis). Auch die einer Erbauseinandersetzung nachfolgende
Auszahlung des gesetzlichen Erbteils (oder Pflichtteils) hat keine einkommensteuerrechtlichen Folgen, sofern die
Auszahlung des Anspruchs zeitnah erfolgt (vgl. BFH-Urteile vom 7. Dezember 1990 X R 72/89,
II 1991, 350; in
31 bb) Wird hingegen die Fälligkeit des von Todes wegen erworbenen Anspruchs einvernehmlich zwischen den Erben
oder einseitig durch Anordnung des Erblassers mehr als ein Jahr ab seiner Entstehung hinausgeschoben, so stellt
dies eine --wie im Streitfall ggf. unfreiwillige-- Kreditgewährung an den Erben dar. Der ausbezahlte Betrag enthält
neben dem ertragsteuerlich unbeachtlichen Kapitalwert auch dann ein Entgelt für die Überlassung von Kapital zur
Nutzung, wenn das Entgelt nicht gesondert vereinbart wird (vgl. BFH-Urteile in
in BFH/NV 1997, 175).
32 cc) Im Falle eines betagten Vermächtnisses wäre --folgte man dem Kläger-- die dann unverzinsliche
Vermächtnisforderung in der gesamten Höhe zwar bereits mit dem Erbfall entstanden, jedoch erst fünf Jahre nach
dem Erbfall fällig. Sie wäre nach der oben dargestellten Rechtsprechung in einen Zins- und einen Kapitalanteil
aufzuteilen. Ist ein gesondertes Entgelt in Form einer angemessenen Verzinsung nicht vereinbart, ist der im
Gesamtbetrag enthaltene Zinsanteil nach § 12 Abs. 3 des Bewertungsgesetzes zu ermitteln (vgl. BFH-Urteile in BFHE
170, 98, BStBl II 1993, 298; in BFH/NV 1997, 175; BFH-Beschlüsse vom 12. September 2011 VIII B 70/09, BFH/NV
2012, 229, und vom 8. Oktober 2014 VIII B 115/13, BFH/NV 2015, 200).
33 d) Soweit der Kläger eine fehlerhafte Auslegung von
entscheidungserheblich.
34 3. Entgegen der Auffassung des FG sind die Zinsen dem Kläger nicht im Streitjahr gemäß
zugeflossen.
35 a) Nach
Steuerpflichtigen zugeflossen sind.
36 aa) Zugeflossen ist eine Einnahme dann, wenn der Empfänger die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die in Geld
oder Geldeswert bestehenden Güter erlangt hat; das ist in der Regel der Zeitpunkt des Eintritts des Leistungserfolges.
Das Innehaben von (fälligen) Ansprüchen oder Rechten führt nach ständiger Rechtsprechung den Zufluss von
Einnahmen regelmäßig noch nicht herbei, denn der Zufluss ist grundsätzlich erst mit der Erfüllung des Anspruchs
gegeben (BFH-Urteile vom 2. Dezember 2014 VIII R 40/11,
243, 481, BStBl II 2014, 275; vom 21. November 1989 IX R 170/85,
37 bb) Geldbeträge fließen dem Steuerpflichtigen in der Regel dadurch zu, dass sie bar ausgezahlt oder einem Konto
des Empfängers bei einem Kreditinstitut gutgeschrieben werden. Auch die Hingabe eines (gedeckten) Schecks führt
zum Zufluss des entsprechenden Geldbetrags (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 22. Juli 1997 VIII R 13/96,
BStBl II 1997, 767; vom 16. September 2014 VIII R 15/13,
38 cc) Ebenso kann der Zufluss durch eine gesonderte Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger bewirkt werden,
dass der Betrag "fortan aus einem anderen Rechtsgrund geschuldet sein soll". In einer solchen Schuldumwandlung
(Novation) kann, wenn sie im Interesse des Gläubigers liegt, eine Verfügung des Gläubigers über seine bisherige
Forderung liegen, die einkommensteuerlich so zu werten ist, als ob der Schuldner die Altschuld durch Zahlung
begleicht und der Gläubiger den vereinnahmten Betrag in Erfüllung des neu geschaffenen Verpflichtungsgrundes dem
Schuldner sofort wieder zur Verfügung stellt. Die Novation beinhaltet dann eine bloße Verkürzung des Leistungswegs
(BFH-Urteil vom 11. Februar 2014 VIII R 25/12,
Novation kann auch vorliegen, wenn der Steuerpflichtige die Wahl zwischen Auszahlung und Wiederanlage im Wege
einer Vorausverfügung bereits vor der Entstehung und Fälligkeit der Kapitalerträge trifft (BFH-Urteil vom
16. September 2014 VIII R 15/13,
39 dd) Davon zu unterscheiden ist das bloße einvernehmliche Hinausschieben der Fälligkeit des auszuzahlenden
Zinsanspruchs. Dies stellt lediglich eine Stundung und keine den Zufluss begründende Verfügung des Gläubigers über
die Kapitalerträge dar (vgl. BFH-Urteile in
40 ee) Ob der Steuerpflichtige im Einzelfall tatsächlich die wirtschaftliche Verfügungsmacht erlangt hat, ist eine Frage der
Tatsachenfeststellung und -würdigung, die dem FG obliegt. Hierbei hat das FG alle Umstände des Einzelfalles zu
prüfen (vgl. BFH-Urteile vom 16. März 2010 VIII R 4/07,
BStBl II 2015, 468).
41 b) Nach diesen Grundsätzen ist die rechtliche Würdigung des FG, die Zinsen seien dem Kläger im Streitjahr
zugeflossen, da er den Vermächtnisbetrag nebst Zinsen nicht eingefordert und sich damit für eine weitere verzinsliche
Überlassung des Kapitals entschieden habe, rechtsfehlerhaft.
42 aa) Eine tatsächliche Auszahlung der streitigen Zinsen an den Kläger ist im Streitjahr unstreitig nicht erfolgt.
43 bb) Allein die Fälligkeit des Vermächtnisbetrages im Streitjahr mit gleichzeitig eintretender Fälligkeit der Zinsen vom
Erbfall bis zur Fälligkeit in Höhe von 51.250 EUR vermag einen Zufluss beim Kläger nicht zu begründen. Hierdurch
erlangt er nicht die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die Zinsen.
44 Die vom FG zugrunde gelegte Rechtsprechung zum Zufluss einer Gewinnausschüttung bei einem beherrschenden
Gesellschafter bereits mit Fälligkeit der Forderung und nicht erst mit Gutschrift auf dem Konto (vgl. BFH-Urteil vom
2. Dezember 2014 VIII R 2/12,
übertragbar. Denn ein beherrschender Gesellschafter hat es --anders als der Kläger im Streitfall-- regelmäßig selbst in
der Hand, sich die von seiner Gesellschaft geschuldeten Beträge auszahlen zu lassen.
45 cc) Das bloße Unterlassen, den fälligen Anspruch gegenüber der Erbin geltend zu machen, stellt keine den Zufluss
begründende Disposition des Klägers über den Zinsanspruch dar. Diese einseitige Entscheidung des Klägers, das
Kapital (zunächst) weiterhin der Erbin zu überlassen, führte auch nicht zu einer Novation oder Wiederanlage
hinsichtlich der Zinsen im Sinne der oben genannten Rechtsprechung. Hierzu hätte es einer Vereinbarung zwischen
dem Kläger und der Erbin bedurft, dass dieser der Erbin sowohl den Vermächtnisbetrag als auch insbesondere die bis
zur Fälligkeit schon angefallenen Zinsen als Gesamtbetrag weiterhin verzinslich überlässt. Für das Vorliegen einer
solchen Vereinbarung im Streitjahr gibt es keine tatsächlichen Anhaltspunkte.
46 Der Verzicht des Klägers im notariellen Vertrag vom 27. Juni 2007 auf einen Geldbetrag in Höhe des
Vermächtnisbetrages und der seit dem Erbfall angefallenen Zinsen in Höhe von rund 61.640 EUR umfasste die
durchgehend mit 5 % auf den Vermächtnisbetrag bis zum Verzichtsdatum weiter berechneten Zinsen. Es wurden nach
dem Eintritt der testamentarischen Fälligkeit lediglich der Vermächtnisbetrag und der aufgelaufene Zinsbetrag nicht
eingefordert und damit weiter gestundet. Die Verzinsung des Vermächtnisbetrages sollte bis zur "Auszahlung"
erfolgen. Erst mit dem Verzicht auf die fälligen Beträge als Gegenleistung für den Verzicht der Erbin auf die
Nießbrauchsrechte hat der Kläger im Jahr 2007 wirtschaftlich über die Zinsen verfügt.
47 4. Der richterliche Hinweis, der im Verfahren vor dem FG mit dem Az. ... zur Änderung des angefochtenen
Einkommensteuerbescheides 2007 durch das FA und Abgabe der übereinstimmenden Erledigungserklärungen in der
Hauptsache geführt hat, bindet den Senat nicht. Eine die Beteiligten bindende tatsächliche Verständigung über eine
den Zufluss im Streitjahr begründende Verfügung wurde hierdurch vor dem FG nicht geschlossen (vgl. hierzu
BFH-Beschlüsse vom 5. März 2013 X B 121/11, BFH/NV 2013, 1083, und vom 6. Februar 2015 IX B 97/14, BFH/NV
2015, 821).
48 5. Die Kostenentscheidung folgt aus
Siehe auch: Pressemitteilung Nr. 22/16 vom 9.3.2016
Entscheidung, Urteil
Gericht:BFH
Erscheinungsdatum:20.10.2015
Aktenzeichen:VIII R 40/13
Rechtsgebiete:
Einkommens- und Körperschaftssteuer
Vermächtnis, Auflage
EStG §§ 20 Abs. 1 Nr. 7, 11; BGB §§ 2174, 2176