BGH 07. Dezember 1982
IVb ZR 333/81
EheG § 72, BGB § 138

Zur Sittenwidrigkeit eines Unterhaltsverzichts

rungsvertrag geschlossen und die Nutzung des Wohnungseigentums dem Erwerber bereits überlassen hat, weiterhin
verpflichtet bleibt, gemäß § 16 Abs. 2 WEG die Lasten und
Kosten zu tragen.
Der Eintragung im Grundbuch können die anderen Wohnungseigentümer entnehmen, wer Wohnungseigentümer
und damit Träger der mit dem Wohnungseigentum verbundenen Pflichten ist. Demgegenüber lassen sich der bei einer
Veräußerung nach Ansicht des BayObLG an die Stelle des
eingetragenen Wohnungseigentümers tretende „werdende"
Wohnungseigentümer sowie der Umfang seiner Haftung unter Umständen nur schwer ermitteln. In Rechtsprechung
und Schrifttum ist umstritten, ob für die Annahme eines
„werdenden" Wohnungseigentümers dessen tatsächliche
Eingliederung in die Wohnungseigentümergemeinschaft
(vgl. KG NJW 1970, 330; Röll in MünchKomm, § 5 WEG Rdnr.
37) bzw. die Inbesitznahme der Eigentumswohnung durch
den Erwerber genügt (vgl. BayObLGZ 1974, 275, 282 [=
DNotZ 1975, 97, 100]; OLG Stuttgart OLGZ 1979, 34; Palandt/
Bassenge, aaO, Überblick 2 d bb vor § 1 WEG) oder ob zusätzlich eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen sein muß (so BayObLGZ 1974, 217, 219 [= DNotZ
1975,31]; 1981,50,54; OLG Frankfurt Rpfleger 1976,253; vgl.
auch OLG Köln OLGZ 1978, 151 [= MittBayNot 1979, 19];
Weitnauer, aaO § 3 Rdnr. 6 k).
Ob der nach Ansicht des BayObLG zur Kostentragung verpflichtete „werdende" Wohnungseigentümer tatsächlich
haftet, ist deshalb im Einzelfall mitunter nicht sicher festzustellen; die Durchsetzung des Anspruchs der Wohnungseigentümergemeinschaft wäre dann fraglich und möglicherweise gefährdet. Gleiches gilt, wenn der im Grundbuch noch
nicht eingetragene Erwerber das Wohnungseigentum etwa
nicht selbst nutzt, sondern die Nutzung einem Dritten überlassen hat. Schließlich würde sich die Geltendmachung des
Anspruchs dann besonders schwierig gestalten, wenn der
Erwerber das ihm aufgrund eines Erwerbsvertrags überlassene Wohnungseigentum nur vorübergehend genutzt hat
und vor seiner Eintragung als Wohnungseigentümer wirksam vom Vertrag zurückgetreten ist. Auch aus diesen Gründen erscheint es angebracht, an der dem Wortlaut des § 16
Abs. 2 WEG entsprechenden Haftung des im Grundbuch eingetragenen Wohnungseigentümers festzuhalten.c) Dies ist auch sach- und interessengerecht. Dem im Grundbuch noch eingetragenen Wohnungseigentümer steht nach
der Veräußerung gemäß § 16 Abs. 1 WEG weiterhin ein Anteil an den Nutzungen des gemeinschaftlichen Eigentums
zu (vgl. Palandt/Bassenge, aaO § 16 WEG Anm. 5 b). Es ist
daher nur billig, ihn gemäß § 16 Abs. 2 WEG auch nach der
Veräußerung bis zur Eigentumsumschreibung für die Lasten
und Kosten haften zu lassen. Dem veräußernden Wohnungseigentümer bleibt es unbenommen, durch entsprechende
Ausgestaltung des Veräußerungsvertrages für die von ihm
zu tragenden Lasten und Kosten beim Erwerber Rückgriff zu
nehmen.
III. Der Antragstellerin steht somit der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung des Hausgelds und der Sonderumlage
gegen den Antragsgegner zu. Auf die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin ist deshalb der Beschluß des
Landgerichts aufzuheben und der des Amtsgerichts wiederherzustellen.
Vgl. hierzu auch die Anmerkung von Röll, NJW 1983, 1616.
11. EheG § 72, BGB § 138 (Zur Sittenwidrigkeit eines Unterhaltsverzichts)
Eine Scheidungsvereinbarung, in der ein nicht erwerbsfähiger und nicht vermögender Ehegatte auf nachehelichen Unterhalt verzichtet mit der Folge, daß er zwangsläufig der
Sozialhilfe anheimfallen muß, kann den guten Sitten zuwiderlaufen und damit nichtig sein, auch wenn sie nicht auf
einer Schädigungsabsicht der Ehegatten zu Lasten des Trägers der Sozialhilfe beruht.
Für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit der Verzichtsabrede
kommt es insoweit entscheidend auf den aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter der Vereinbarung an.
BGH, Urteil vom 8.12.1982 — IVb ZR 333/81 — mitgeteilt von
D. Bundschuh, Richter am BGH
Die Klägerin nimmt den Beklagten aus übergeleitetem Recht auf Erstattung von Leistungen in Anspruch, die sie als Sozialhilfeträgerin
der geschiedenen Ehefrau des Beklagten gewährt hat und weiterhin
gewährt.
Der Beklagte hatte im Jahre 1966 geheiratet; aus der Ehe ging ein im
April 1972 geborenes — behindertes — Kind hervor. Anfang 1977
erhob die Ehefrau Scheidungsklage. Am 1. 2.1977 zog sie mit dem
Kind, das seitdem bei ihr lebt und von ihr versorgt wird, aus der ehelichen Wohnung aus. Durch Urteil vom 29. 4.1977 wurde die Ehe aus
dem Verschulden des Beklagten geschieden. Dieser zahlt seit der
Trennung monatlich 225 DM Unterhalt für das gemeinschaftliche
Kind. Unterhalt für seine geschiedene Ehefrau leistet er nicht. Sie
wird seit dem 1. 2.1977 von der Sozialhilfe unterstützt.
Durch Anzeige vom 23.11.1978 leitete die Klägerin die Unterhaltsansprüche der geschiedenen Ehefrau gegen den Beklagten auf sich
über.
Im vorliegenden Verfahren macht sie die übergeleiteten Ansprüche
mit Wirkung vom 1. 2.1980 an geltend. Der Beklagte-tritt dem Klagebegehren entgegen und beruft sich darauf, er habe im Zusammenhang mit dem Scheidungsverfahren eine Vereinbarung mit seiner geschiedenen Ehefrau getroffen, in der diese ihm gegenüber auf Unterhaltszahlungen nach der Scheidung verzichtet habe. Als Gegenleistung für den Verzicht habe er sich verpflichtet, die aus der Ehe
stammenden Schulden zu tilgen und den Unterhalt für den Sohn zu
zahlen, während seine Ehefrau den überwiegenden Teil des Hausrats
erhalten habe.
Das Amtsgericht hat nach Vernehmung der früheren Ehefrau des Beklagten als Zeugin die Klage abgewiesen, da die Ehefrau nach dem
Ergebnis der Beweisaufnahme wirksam auf Unterhaltsleistungen
verzichtet habe.
Gegen das Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und geltend gemacht, ein Unterhaltsverzicht der Ehegatten zu Lasten des Sozialhilfeträgers sei sittenwidrig und könne deshalb nicht als wirksam anerkannt werden. Die geschiedene Ehefrau des Beklagten habe ab
Ende 1979 monatlich 757,02 DM und ab August 1980 monatlich
1 062,91 DM Hilfe zum Lebensunterhalt bekommen. In Ansehung
dieser Leistungen sei der Beklagte — bei einem Nettoeinkommen
von monatlich ca. 2 000 DM, von dem nur der Kindesunterhalt in
Höhe von monatlich 225 DM abzuziehen sei — verpflichtet, monatlich 760 DM als Unterhalt für die Ehefrau zu zahlen. Die Klägerin hat
daher mit der Berufung beantragt, den Beklagten unter Abänderung
des amtsgerichtlichen Urteils zur Zahlung von 7 600 DM nebst Zinsen
für die Zeit vom 1. 2.1980 bis zum 30.11.1980 und von monatlich
760 DM ab 1.12.1980 zu verurteilen, soweit die Klägerin der geschiedenen Ehefrau des Beklagten weiterhin Sozialhilfe in dieser Höhe gewährt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung nach erneuter Beweisaufnahme durch eidliche Vernehmung der geschiedenen Ehefrau des Beklagten zurückgewiesen.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der — zugelassenen —. Revision.
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils
und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
MittBayNot 1983 Heft 3 129


1. Ohne Erfolg greift die Revision die Feststellung des Berufungsgerichts an, daß der Beklagte und seine geschiedene
Ehefrau vor ihrer Trennung eine Vereinbarung getroffen haben, in der die Ehefrau für die Zeit nach der Scheidung auf
Unterhaltsleistungen des Beklagten verzichtete.
2. Das Berufungsgericht ist von einer wirksamen Verzichtsvereinbarung — die hier nach früherem Recht zu beurteilen
ist (BGH Beschluß vom 27. Juni 1979, IVb ZB 116/79 =
FamRZ 1979, 906, 907) — zwischen dem Beklagten und seiner früheren Ehefrau ausgegangen. Es hat die Vereinbarung
nicht für sittenwidrig nach § 72 Satz 3, 2. Altern. EheG i.V.
mit § 138 Abs. 1 BGB gehalten, weil die Eheleute die Verzichtsabrede nicht in der Absicht — oder zumindest aus
dem wesentlich mitbestimmenden Beweggrund — getroffen hätten, die Unterhaltslast des Beklagten auf den Träger
der Sozialhilfe abzuwälzen und von diesem durch den Unterhaltsverzicht „Leistungen herauszuholen".
Das Berufungsgericht ist damit einer während der Geltung
des § 72 des Ehegesetzes verbreiteten Auffassung gefolgt,
nach der Unterhaltsverzichte, die sich zu Lasten der öffentlichen Fürsorge auswirkten, nur unter engen - subjektiven
— Voraussetzungen als sittenwidrig und damit nichtig angesehen wurden. Da § 72 EheG — entgegen dem allgemeinen Grundsatz des § 1614 BGB — im Rahmen von Vereinbarungen über die Unterhaltspflicht für die Zeit nach der
Scheidung auch Unterhaltsverzichtsverträge zuließ, hielten
es die Vertreter dieser Auffassung nicht für gerechtfertigt,
die Regelung des § 1614 BGB für die Fälle einer Inanspruchnahme der öffentlichen Fürsorge auf dem Umweg über § 138
BGB wieder herzustellen. Aus diesem Grund wurden Unterhaltsverzichtsverträge nach § 72 EheG nur dann als gegen
die guten Sitten verstoßend angesehen, wenn die Eheleute
bei dem Abschluß des Vertrages „gewissenlos" im Interesse des eigenen Vorteils handelten undsich ausschließlich — oder jedenfalls wesentlich mitbestimmt — von der
Absicht leiten ließen, die Unterhaltslast von dem (an sich)
leistungsfähigen Ehepartner auf den Fürsorgeverband (Träger der Sozialhilfe) zu überbürden (vgl. LG Ellwangen FamRZ
1955, 108 ff.; OLG Düsseldorf FamRZ 1955, 293, 294; LG Lüneburg MDR 1956, 170; LG Bielefeld NJW 1958, 185; Lüdtke
NJW 1955, 211, 212; Bereiter-Hahn FamRZ 1955, 279; Hampel FamRZ 1960, 421 ff.; Ruland MDR 1976, 453, 454; Hoffmann-Stephan EheG 2. Aufl. 1968 § 72 Rdnrn. 11, 69; Soergel/Siebert BGB 10. Aufl. 1971 § 72 EheG Rdnrn. 16, 19; BGBRGRK/Wüstenberg (Koeniger) 10.111. Aufl. 1968 § 72 EheG
Anm. 109 bis 111; zum neuen Recht vgl. Göppinger, Vereinbarungen anläßlich der Ehescheidung 4. Aufl. Rdnr. 315;
Köhler, Handbuch des Unterhaltsrechts 5. Aufl. Rdnr. 332;
MünchKomm /Richter BGB § 1585 c Rdnr. 32; Rolland § 1585
c Rdnr. 34; Soergel/Häberle BGB 11. Aufl. § 1585 c Rdnr. 15).
Das Verständnis dieser Auffassung wird wesentlich bestimmt durch die Tatsache, daß sie auf dem Boden des früheren Scheidungsrechts entwickelt wurde, nach dem. der
Unterhaltsanspruch — abgesehen von der Billigkeitsregelung des § 61 Abs. 2' EheG — dem Schuldausspruch folgte
und unter dessen Geltung häufig Vereinbarungen über die
Durchführung des Scheidungsrechtsstreits zur Vermeidung
umfangreicher, die Parteien belastender Beweisaufnahmen
über das Scheidungsverschulden getroffen',.wurden. Dabei
erklärte sich in einer Vielzahl von Fällen der Ehemann bereit, von der Geltendmachung eines Verschuldens (Alleinverschulden oder mindestens Mitverschulden) der Ehefrau
abzusehen, während diese als „Gegenleistung" auf Unterhalt und Unterhaltsbeiträge verzichtete. In anderen Fällen
diente die Vereinbarung zumindest dem Zweck, das Scheidungsverfahren möglichst schnell und ohne Aufsehen zum
Abschluß zu bringen. Insgesamt waren die Unterhaltsverzichtsvereinbarungen nach § 72 EheG unabhängig von den
Beweggründen und Motiven im Einzelfall jedenfalls in der
Regel von dem Bestreben der Eheleute geprägt, die als notwendig erkannte Scheidung auf anständige Weise durchzuführen (vgl. Hampel aaO; Bereiter-Hahn aaO; Lüdtke aaO;
LG Ellwangen aaO).
Die hiermit erreichte Regelung führte in vielen Fällen zum
Unterhaltsverzicht der Ehefrauen, und zwar auch dann,
wenn diese nicht in der Lage waren, ihren Unterhalt aus eigenem Erwerbseinkommen oder Vermögen zu bestreiten
und infolgedessen (absehbar) auf Leistungen der Sozialhilfe
angewiesen waren. In dem Bestreben, gleichwohl auch diesen nicht vermögenden Ehegatten die Durchführung einer.
vereinbarten „anständigen" Scheidung zu ermöglichen, wurde die Gestaltungs- und Entschließungsfreiheit im Rahmen
des § 72 EheG weit gefaßt mit der Folge, daß Unterhaltsverzichtsverträge, die notwendigerweise auf eine Belastung
des Fürsorgeverbandes (jetzt: des Trägers der Sozialhilfe)
hinausliefen, aus diesem Grund nicht als sittenwidrig beurteilt wurden (vgl. LG Bielefeld aaO; Lüdtke aaO). Soweit hiernach eine Scheidungsvereinbarung mit dem Inhalt eines Unterhaltsverzichts auf Überlegungen beruhte, die ihren Kern
in der Persönlichkeitssphäre der Ehepartner hatten, standen
diese immateriellen, persönlichkeitsbezogenen Beweggründe bei der Beurteilung der Wirksamkeit der Verträge unter
dem Gesichtspunkt des § 138 BGB inmitten; den wirtschaftlichen Auswirkungen der Vereinbarung kam demgegenüber
nur ein geringeres Gewicht zu. Auf diesem Hintergrund wurden Unterhaltsverzichtsabreden im Rahmen des § 72 EheG
nach der dargelegten Auffassung nur dann als sittenwidrig
behandelt, wenn die Eheleute bei dem Abschluß gezielt in
der Absicht handelten, die öffentliche Fürsorge zu schädigen, d. h. wenn im Grunde nicht der Wunsch nach einer fairen Abwicklung des Scheidungsverfahrens der — zumindest
vordringliche — Beweggrund für die Vereinbarung des Unterhaltsverzichts war, sondern die Absicht, sich auf Kosten
der Allgemeinheit (Sozialhilfe) finanzielle Vorteile zu verschaffen.
3. Die Auffassung, daß ein anläßlich der Ehescheidung vereinbarter Verzicht auf nachehelichen Unterhalt nur dann gegen die guten Sitten verstoßen kann, wenn die Vereinbarung
in der Absicht oder aus dem wesentlich mitbestimmenden
Beweggrund abgeschlossen worden ist, den Ehegatten zu
Lasten des Sozialhilfeträgers zu entlasten, ist nach Auffassung des Senats zu eng.
Allerdings kann eine Verzichtsvereinbarung nicht stets
schon dann als sittenwidrig angesehen werden, wenn sie
eine Belastung des Sozialhilfeträgers zur Folge hat. Der Unterhaltsverzicht kann auch in solchen Fällen sittlich anzuerkennen sein. Vor allem bei Verzichtsvereinbarungen, die unter der Geltung des früheren Scheidungsrechts abgeschlossen worden sind, wird dies vielfach der Fall sein. So kann es
bei der Scheidung nach früherem Recht insbesondere nicht
beanstandet werden, wenn ein Unterhaltsverzicht des ohne
(überwiegendes) Verschulden geschiedenen Ehegatten vereinbart wird, damit der andere Ehegatte, der die Scheidung
aus dem (überwiegenden) Verschulden des verzichtenden
Ehegatten hätte erreichen können, von der Geltendmachung
seiner Scheidungsgründe absieht und diesem eine sogeMittBayNot 1983 Heft 3
hätte der Sozialhilfeträger — bei Unterstützungsbedürftigkeit des dann (überwiegend) schuldig geschiedenen Ehegatten — auch eintreten müssen, wenn der andere Ehegatte
seine Scheidungsgründe geltend gemacht hätte. Aber auch
abgesehen von derartigen im Zusammenhang mit der Zerrüttung der Ehe und der Persönlichkeitssphäre der Ehegatten stehenden Umständen sind Gründe denkbar, die dem
Verzicht die Anstößigkeit nehmen können, so etwa, wenn
der verzichtende Ehegatte auf andere Weise wirtschaftlich
ausreichend gesichert erscheint.
Dies rechtfertigt es jedoch nicht, den Anwendungsbereich
des § 138 BGB im Rahmen von § 72 EheG — unter Vernachlässigung der objektiven Auswirkungen eines Unterhaltsverzichts — auf diejenigen Fälle zu begrenzen, in denen die
Eheleute gezielt in einer subjektiv gegen die guten Sitten
verstoßenden Schädigungsabsicht zu Lasten des Trägers
der Sozialhilfe handeln. Soweit Eheleute mit einem Unterhaltsverzicht im Rahmen eines Scheidungsverfahrens lediglich ihre finanziellen Verpflichtungen regeln wollen, endet
die ihnen eingeräumte Vertragsfreiheit nach allgemeinen
Grundsätzen (Art. 2 Abs. 1 GG) dort, wo die Rechte Dritter
entgegenstehen. Für die Beurteilung der Wirksamkeit eines
Unterhaltsverzichts nach § 72 EheG im Hinblick auf § 138
BGB bedeutet dies, daß die vereinbarte Regelung nicht nur
nach den subjektiven Beweggründen, sondern auch nach
ihrem objektiven Gehalt — und insoweit auch nach ihren
möglichen Auswirkungen auf die Rechtsstellung Dritter —
mit den guten Sitten in Einklang stehen muß (vgl. BGH Urteil
vom 9. Juli 1953 — IV ZR 242/52 = JZ 1953, 664, 665; BGBRGRK/Krüger-Nieland/Zöller 12. Aufl. § 138 Rdnrn. 6, 25 ff.;
Palandt/Heinrichs BGB 41. Aufl. § 138 Anm. 1 c bb). Für den
hier betroffenen Bereich des Eingreifens der Sozialhilfe ist
dabei zu beachten, daß diese grundsätzlich subsidiär ist
und kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung in-§ 9 SGBAT Nachrang gegenüber allen privaten Unterhaltsquellen
genießt (vgl. Burdenski/v. Maydell/Schellhorn Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil 2. Aufl. § 9 Rdnr. 17; Wannagat/Rüfner
Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil 1977 § 9 Rdnr. 7). Dies
findet als Ausfluß des Prinzips der Sozialstaatlichkeit seinen Ausdruck in dem Grundsatz, daß derjenige, „der sich
aus eigener Kraft zu helfen in der Lage ist, mit seinem
Wunsch nach staatlicher Hilfe zurücktreten muß" (BVerfGE
17, 38, 56). Für das private Unterhaltsrecht ergibt sich hieraus die allgemeine Verpflichtung, daß ein Unterhaltsbedürftiger grundsätzlich, soweit nach den Umständen des Einzelfalles zumutbar, zunächst die ihm zur Verfügung stehenden
privaten Erwerbsquellen und Unterhaltsmöglichkeiten —
auch durch Geltendmachung der ihm gesetzlich zustehenden Unterhaltsansprüche - ausschöpfen muß, bevor er auf
dem Weg über eine Inanspruchnahme der Sozialhilfe die Allgemeinheit belastet.
Ein Vertrag, durch den unter Mißachtung dieser Grundsätze
bewußt die Unterstützungsbedürftigkeit eines geschiedenen Ehegatten zu Lasten der Sozialhilfe herbeigeführt wird,
kann demnach den guten Sitten zuwiderlaufen -und damit
nach § 138 BGB nichtig sein, auch wenn er nicht auf einer
Schädigungsabsicht der Ehegatten gegenüber dem Träger
der Sozialhilfe beruht. Entscheidend kommt es vielmehr auf
den „aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund
und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter" der Verzichtsvereinbarung an (vgl. BGH Urteil vom 29. April 1953 —
VI ZR 207/52 = LM § 138 (Ca) BGB Nr. 1).
MittBayNot 1983 Heft 3
4. Hiernach wird das Berufungsurteil von den bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht getragen.
a) Die Ehefrau des Beklagten war zu dem Zeitpunkt, als die
Eheleute den Unterhaltsverzicht vereinbarten, nicht erwerbstätig. Sie bezog seit ihrer Trennung von dem Beklagten am 1. 2.1977 Sozialhilfe, die sie bereits zuvor beantragt
hatte. Sie hatte das im Jahre 1972 geborene behinderte Kind
zu versorgen und war daher — voraussehbar auf Jahre hinaus — nicht in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Das bedeutete, daß sie ihre Arbeitskraft aus Gründen,
die auf einer Nachwirkung der Ehe beruhten, nicht anderweitig durch Ausübung einer Erwerbstätigkeit nutzten konnte, um auf diese Weise ihren Unterhalt sicherzustellen. Sonstige Erwerbsquellen besaß sie nicht. Ihre einzige Einkommensquelle für die Zeit nach der Scheidung hätte danach in
einem ihr aufgrund des Schuldausspruchs in dem Scheidungsurteil nach § 58 EheG zustehenden Unterhaltsanspruch gegenüber dem Beklagten bestanden.
Der Beklagte wäre auch in der Lage gewesen, zum Unterhalt
seiner geschiedenen Ehefrau zumindest beizutragen. Er hatte von seinem Nettoeinkommen von seinerzeit 1 282 DM monatlich nur den Unterhalt für das gemeinschaftliche Kind zu
zahlen, den die Eheleute mit monatlich 225 DM vereinbart
hatten. Soweit er sich darauf beruft, daß er die aus der Ehe
herrührenden Schulden zu tilgen hatte, berührte das seine
Leistungsfähigkeit nicht dem Grunde, sondern nur der Höhe
nach.
Wenn die Eheleute bei dieser Sachlage gleichwohl einen
Unterhaltsverzicht der Ehefrau vereinbarten, so führte diese
Vereinbarung zwangsläufig zu einer Belastung der Sozialhilfe, auf deren Leistungen die Ehefrau im Falle der Bedürftigkeit nach § 9 SGB-AT einen Rechtsanspruch hatte.
Der Beklagte und seine geschiedene Ehefrau haben damit
ihre auf der Ehe beruhenden Vermögensverhältnisse zum
Schaden der Sozialhilfe geregelt und sich auf diese Weise
objektiv zum Nachteil eines Dritten über ihre Familienlasten
geeinigt. Da ihnen hierbei die Bedürftigkeit der Ehefrau im
unterhaltsrechtlichen Sinn einerseits und die jedenfalls
grundsätzlich gegebene Leistungsfähigkeit des Beklagten
andererseits bewußt war — sie sich dieser Erkenntnis allenfalls grob fahrlässig verschlossen haben (vgl. LG Braunschweig ZfF 1958, 152, 153) —, kann die getroffene Verzichtsvereinbarung nach ihrem objektiven Gehalt, der den
(geschiedenen) Eheleuten auch subjektiv zuzurechnen ist,
aufgrund einer Gesamtwürdigung von Inhalt, Beweggrund
und Zweck als sittenwidrig anzusehen sein. Die Verzichtsabrede könnte insoweit einem — allgemein als ungültig behandelten — Vertrag zu Lasten Dritter nahekommen (vgl. dazu Brühl/Göppinger/Mutschler Unterhaltsrecht 3. Aufl. Rdnr.
946; Göppinger, Unterhaltsrecht 4. Aufl. Rdnr. 1642, Gottschick/Giese Bundessozialhilfegesetz 7. Aufl. § 90 Rdnr.
5.2).
b) Das Berufungsgericht hat es zur sittlichen Rechtfertigung
des Unterhaltsverzichts für ausreichend erachtet, daß die
Ehefrau des Beklagten den Verzicht erklärt habe, weil sie
dem Beklagten nicht habe wehtun wollen, daß sie bei der
Scheidung den überwiegenden Teil des Hausrats erhalten
habe und der Beklagte die aus der Ehe noch vorhandenen.
Schulden -(nach dem Vortrag des Beklagten 4 094,88 DM)
übernommen habe. Dies würde für sich allein nicht genügen, den in der Verschiebung der Unterhaltslast auf den
Sozialhilfeträger liegenden sittlichen Makel auszugleichen.
Die Ehefrau erhielt durch die Scheidungsvereinbarung keine
aus persönlichen Gefühlen den Beklagten von Unterhaltszahlungen entlasten wollte, durfte sie dies nicht zu Lasten
des Sozialhilfeträgers tun.
5. Das angefochtene Urteil kann danach nicht bestehen bleiben. Allerdings ist es nicht ausgeschlossen, daß die Verzichtsvereinbarung gleichwohl auf Motiven beruhte, die den
Verzicht sittlich rechtfertigen und damit eine Nichtigkeit
ausschließen würden. Da es sich um eine Scheidung aus
Verschulden nach früherem Recht handelte, konnte insbesondere eine „ritterliche Scheidung" im dargelegten Sinne
Grundlage des Unterhaltsverzichts sein. Hierzu hat das
Oberlandesgericht — von seinem Rechtsstandpunkt aus
folgerichtig — keine Erwägungen angestellt.
Zwar trägt die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast dafür, daß der Unterhaltsverzicht im vorliegenden Fall gegen
die guten Sitten verstoßen hat. Ihr obliegt es danach auch,
das Vorliegen von Umständen auszuräumen, die den Verzicht trotz der damit verbundenen Belastung des Trägers der
Sozialhilfe rechtfertigen würden. Hierzu muß der Klägerin —
bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Senats —
Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vorbringens gegeben werden. Im übrigen bedarf es insoweit unbeschadet der Beweislast einer tatrichterlichen Würdigung. Es läßt sich nicht von
vornherein sagen, daß diese Würdigung zwangsläufig zur
Beweisfälligkeit der Klägerin führen muß: Danach erfordert
die Beurteilung der Gültigkeit der Verzichtsvereinbarung unter den dargelegten rechtlichen Gesichtspunkten eine nochmalige Prüfung in tatsächlicher Hinsicht (vgl. BGHZ 41,166,
176 f.).
12. BGB §§ 2361, 2353; EGBGB Art. 24, 28; ÖstlPR-Gesetz § 9
Abs. 1 Satz 2, §§ 28, 32; ABGB §§ 730 ff. (Zum Erbrecht bei
Ausländergrundstücken in Österreich)
Eine deutsch/österreichische Staatsangehörige mit effektiver deutscher Staatsangehörigkeit wird nach deutschem Erbrecht beerbt; fällt jedoch ein in Österreich belegenes
Grundstück in ihren Nachlaß, ist dafür österreichisches Erb•
recht maßgeblich; insoweit fehlt einem deutschen Nachlaßgericht die internationale Zuständigkeit.
BayObLG, Beschluß vom 2.6.1982 — BReg. 1 Z 45181 — mitgeteilt von Dr. Martin Pfeuffer, Richter am BayObLG
Aus dem Tatbestand:
1. a) Am 27.2.1979 verstarb die in Österreich geborene E. F. (Erblasserin), die ihren Hauptwohnsitz in T. (Bayern) gehabt hatte. Die Erblasserin besaß die österreichische Staatsangehörigkeit und hatte auch
die deutsche Staatsangehörigkeit erworben.
b) Die Beteiligten zu 3) bis 5) sind — soweit bekannt — die einzigen
noch lebenden Verwandten der Erblasserin.
2. Die Erblasserin hinterließ ein handschriftlich verfaßtes und unterschriebenes Testament mit folgendem Wortlaut:
„Mein letzter Wille.
Meine Erben sollen sein:
1. Haus in T.: Sozialwerk X [Beteiligter zu 1)]
2. Schloß A. ebenso Haus in W.: S.G. [Beteiligter zu 2)]
3. [Vermächtnisse]"
Am 16.7.1980 beantragte der Beteiligte zu 6) [Testamentsvollstrecker] die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins für den
Beteiligten zu 1) als Miterben zu 70,621 % und für den Beteiligten zu
2) als Miterben zu 29,279%, nachdem zuvor festgestellt worden war,
daß die Erben die Erbschaft angenommen hätten.
3. a) Am 4.8.1980 erließ der NachlaBrichter beim Amtsgericht T. einen
entsprechenden Vorbescheid.
Gegen diesen Beschluß legte die Beteiligte zu 3) Beschwerde „wegen unrichtiger Tatsachenermittlung" ein. Der Nachlaßrichter half
der Beschwerde nicht ab.
b) Das Landgericht wies die Beschwerde mit der Maßgabe zurück,
„daß der in Aussicht gestellte Erbschein zum Ausdruck bringt, daß
er sich nicht auf den in Österreich belegenen Nachlaß bezieht".
4. a) Am 6.4.1981 verfügte das Nachlaßgericht einen entsprechenden
Erbschein mit dem Zusatz:
„Dieser Erbschein gilt nicht für den in Österreich gelegenen Nachlaß."
Am 8.4.1981 wurde dieser Erbschein dem Testamentsvollstrecker erteilt.
b) Gegen den Beschluß des Landgerichts legte die Beteiligte zu 3)—
auch im Namen ihrer Geschwister — weitere Beschwerden ein. Mit
näheren Darlegungen begründete sie die Rechtsmittel im wesentlichen damit, daß die Erblasserin bei Testamentsabfassung wegen
Krankheit nicht testierfähig gewesen und zudem vom Beteiligten zu
2) in ihrer Willensbildung beeinflußt worden sei.
Der Beteiligte zu 2) beantragt die Zurückweisung der Rechtsmittel.
Aus den Gründen:
1. a) Die an keine Frist gebundenen weiteren Beschwerden
sind statthaft und formgerecht eingelegt (§§ 27, 29 Abs. 1
Satz 1, Abs. 4 i.V.m. § 21 Abs. 2 FGG). (Wird ausgeführt.)
b) Der angekündigte Erbschein ist nach Abschluß des Erstbeschwerdeverfahrens vor Einlegung der weiteren Beschwerde erteilt worden. Er ist dem Beteiligten zu 6) als hierzu berechtigtem Antragsteller (§ 2353 BGB; BayObLG MDR
1979, 847 mit Nachw.; Palandt BGB 41. Aufl. § 2353 Anm. 3 b)
zugegangen und kann daher nicht mehr „aufgehoben"
werden; der Vorbescheid vom 4.8.1980 ist damit überholt.
Das auf seine Aufhebung gerichtete Verfahren ist deshalb
zwar gegenstandslos geworden; gleichwohl können aber die
weiteren Beschwerden mit dem Ziel der Einziehung des erteilten Erbscheins (§ 2361 BGB) fortgeführt werden (vgl. BayObLGZ 1948-1951, 561/565 f.; BayObLG FamRZ 1976,
101/103; OLG Karlsruhe FamRZ-1970, 225; Keidel/Kuntzel
Winker FGG 11. Aufl. § 27 Rdnr. 52 a.E.; Palandt Anm. 6 c
aa, Staudinger BGB 12. Aufl. Rdnr. 86, je zu § 2353 BGB und
je mit weit. Nachw.).
In Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind Anträge
der Beteiligten grundsätzlich so auszulegen, daß sie nach
Möglichkeit zu dem erstrebten Ergebnis führen (Keidell
KuntzelWinkler § 11 FGG Rdnr. 8). Sinngemäß muß daher
der von den Beteiligten zu 3) bis 5) im Verfahren der weiteren
Beschwerde gestellte Antrag dahingehend aufgefaßt werden, daß er auf Einziehung des erteilten Erbscheins gerichtet ist (BayObLG FamRZ 1976, 101/103).
2. Die zulässigen Rechtsmittel führen zur Anweisung an das
Amtsgericht, den erteilten Erbschein einzuziehen; die damit
verbundene Aufhebung der angefochtenen landgerichtlichen Entscheidung und des dieser zugrunde liegenden Vorbescheids dient lediglich der Klarstellung.
a) Die internationale Zuständigkeit der Vorinstanzen unterliegt der Nachprüfung des Rechtsbeschwerdegerichts, soweit es um den erteilten Erbschein geht, der aufgrund des
Erbscheinsantrags nach Maßgabe des Vorbescheids in Verbindung mit dem angefochtenen Beschluß des Landgerichts erteilt worden ist; dieser Erbschein kann — verfahrensrechtlich grundsätzlich unabhängig von der- materiellen
Rechtslage — nur dann und insoweit Bestand haben, als
das nach § 73 Abs. 1 FGG örtlich zuständige Nachlaßgericht
T. und demzufolge auch das ihm übergeordnete Landgericht
international für das Erbscheinserteilungsverfahren zuständig gewesen sind. Hiervon ist zwar das Landgericht ausgegangen; seine Erwägungen hierzu halten aber einer Nachprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht, das in diesem
verfahrensrechtlichen Bereich nicht gehindert ist, auch
neue Tatsachen zu berücksichtigen (BGHZ 31, 279/282;
Keidel/Kuntze/Winkler Rdnr. 45, Jansen Rdnr. 4Ö, je zu § 27
FGG; vgl. BGHZ 53, 1281131 f.; BayObLGZ 1976, 198/203),
nicht stand.
MittBayNot 1983 Heft 3

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

07.12.1982

Aktenzeichen:

IVb ZR 333/81

Erschienen in:

MittBayNot 1983, 129-132
MittRhNotK 1983, 71-74

Normen in Titel:

EheG § 72, BGB § 138