Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung aus der Eintragung in der Insolvenztabelle während des Restschuldbefreiungsverfahrens
letzte Aktualisierung: 30.12.2020
BGH, Beschl. v. 18.6.2020 – IX ZB 46/18
InsO §§ 38, 39 Abs. 1, 187, 201 Abs. 2, 294 Abs. 1
Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung aus der Eintragung in der Insolvenztabelle während des
Restschuldbefreiungsverfahrens
1. Widerspricht der Schuldner lediglich dem Rechtsgrund einer Forderung als vorsätzlich begangene
unerlaubte Handlung, ist dem Gläubiger auch nach Erteilung der Restschuldbefreiung aus der
Eintragung der Forderung in der Tabelle eine vollstreckbare Ausfertigung zu erteilen.
2. Das während der Wohlverhaltensphase im Restschuldbefreiungsverfahren geltende
Vollstreckungsverbot steht der Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung aus der Tabelle nicht
entgegen.
3. Durch Ausschüttungen im Rahmen des Verteilungsverfahrens werden mehrere Forderungen
eines Insolvenzgläubigers nach dem Verhältnis ihrer Beträge berichtigt; abweichende
Anrechnungsvorschriften finden keine Anwendung.
Gründe:
I.
In dem am 10. September 2012 eröffneten Insolvenzverfahren über das
Vermögen des Schuldners meldete die Gläubigerin offene Sozialversicherungsbeiträge
in Höhe von 4.851,73 Säumniszuschlägen (359,50 €) und Mahngebühren (11,33€)
zur Tabelle an. Hinsichtlich der in der Beitragsforderung enthaltenen Arbeitnehmeranteile
von 2.347,34 € verwies die Gläubigerin auf den Rechtsgrund einer vorsätzlich begangenen
unerlaubten Handlung. Die angemeldeten Forderungen wurden in voller Höhe zur Tabelle
festgestellt. Der Schuldner widersprach nicht den angemeldeten Forderungen an sich, sondern
dem Rechtsgrund einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung.
Mit Beschluss vom 5. Januar 2016 stellte das Insolvenzgericht fest, dass
der Schuldner Restschuldbefreiung erlange, wenn er für die Dauer der Abtretungsfrist
seine Obliegenheiten erfülle und die Voraussetzungen für eine Versagung
der Restschuldbefreiung nicht vorlägen. Mit Beschluss vom 11. November
2016 wurde das Insolvenzverfahren unter Anordnung einer Nachtragsverteilung
aufgehoben. Im Rahmen der Schluss- und der Nachtragverteilung wurden insgesamt
232,95 € an die Gläubigerin ausgeschüttet.
Während der noch laufenden Wohlverhaltensperiode hat die Gläubigerin
die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Tabellenauszugs beantragt.
Der Rechtspfleger des Insolvenzgerichts hat den Antrag abgelehnt. Die
sofortige Beschwerde der Gläubigerin hatte keinen Erfolg. Mit der vom Beschwerdegericht
zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren
Antrag auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Tabellenauszugs
weiter.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. In der
Sache führt die Beschwerde zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung
und zur Zurückverweisung an den zuständigen Einzelrichter des Beschwerdegerichts.
1. Die Rechtsbeschwerde ist infolge der Zulassung durch das Beschwerdegericht
statthaft (
a) Allerdings setzt die Befugnis zur Rechtsbeschwerde voraus, dass bereits
die Erstbeschwerde statthaft war. War die sofortige Beschwerde unstatthaft,
fehlt es für das Verfahren vor dem Rechtsbeschwerdegericht an einer
Grundlage. Ein für den Beschwerdeführer vom Gesetz nicht vorgesehener
Rechtsmittelzug kann auch durch eine Fehlentscheidung des ersten Rechtsmittelgerichts
nicht eröffnet werden. Die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde
hat das Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu prüfen (BGH, Beschluss
vom 25. Juni 2009 - IX ZB 161/08,
- IX ZB 128/10,
b) Die Erstbeschwerde war nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, § 4 InsO statthaft.
aa) Nach
nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen die Insolvenzordnung
die sofortige Beschwerde vorsieht. Für die Ablehnung der Erteilung einer
vollstreckbaren Ausfertigung aus der Tabelle sieht die Insolvenzordnung ein
Rechtsmittel nicht vor. Bei der Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung aus
der Insolvenztabelle handelt es sich indes um eine außerhalb des Insolvenzverfahrens
zu treffende Entscheidung (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Mai 2011
- IX ZB 246/10,
74/11,
der Antrag auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung erst nach Aufhe-
bung des Insolvenzverfahrens gestellt werden kann. Ob die Erstbeschwerde
der Gläubigerin statthaft war, richtet sich daher nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung.
bb) Wird die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung - wie hier -
durch den Rechtspfleger des Gerichts erster Instanz abgelehnt, ist das statthafte
Rechtsmittel für den Gläubiger die sofortige Beschwerde nach den §§ 567 ff
ZPO (Lackmann in Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl., § 724 Rn. 11; MünchKomm-
ZPO/Wolfsteiner, 5. Aufl., § 724 Rn. 55; Zöller/Seibel, ZPO, 33. Aufl., § 724 Rn.
13; BeckOK-ZPO/Ulrici, Stand 1. März 2020, § 724 Rn. 35). § 793 ZPO findet
keine Anwendung, weil die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung nicht
Teil der Zwangsvollstreckung ist, sondern diese nur vorbereitet (MünchKomm-
ZPO/Wolfsteiner, aaO Rn. 53; vgl. auch BGH, Urteil vom 26. April 1976
- VIII ZR 290/74,
Die von der Gläubigerin eingelegte sofortige Beschwerde war danach statthaft.
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
a) In der angefochtenen Entscheidung hat das Beschwerdegericht in seiner
im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung "den Rechtsstreit"
auf die Kammer übertragen. Zur Begründung der Zurückweisung der sofortigen
Beschwerde hat es ausgeführt: Es bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis
für die Erteilung eines vollstreckbaren Tabellenauszugs. Der Schuldner befinde
sich im Restschuldbefreiungsverfahren. Nach § 294 InsO seien damit Zwangsvollstreckungen
für einzelne Gläubiger in das Vermögen des Schuldners nicht
zulässig. Nach § 301 InsO wirke die Restschuldbefreiung, wenn sie erteilt werde,
gegen alle Insolvenzgläubiger. Eine Vollstreckung der Gläubiger aufgrund
ihrer Forderung sei dann nicht mehr möglich. Etwas anderes gelte nach § 302
Nr. 1 InsO für Verbindlichkeiten des Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen
unerlaubten Handlung. Eine solche sei jedoch nicht festgestellt. Der
Schuldner habe den Rechtsgrund der unerlaubten Handlung bestritten. Vor diesem
Hintergrund wäre es an der Gläubigerin gewesen, den Rechtsgrund durch
eine Klage feststellen zu lassen. Allein die bestrittene Behauptung des Gläubigers,
dass der Forderungsgrund einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung vorliege,
könne nicht dazu führen, dass es dem Gläubiger ermöglicht werde, aus
der Eintragung in die Tabelle zu vollstrecken.
b) Das hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Gläubigerin rügt mit
Recht, dass nicht der Einzelrichter des Beschwerdegerichts über ihre Beschwerde
entschieden hat, sondern die Kammer.
aa) Die mit der sofortigen Beschwerde angefochtene Entscheidung wurde
von einem Rechtspfleger erlassen. Für diesen Fall sieht
eine Entscheidung durch den originären Einzelrichter vor. In seiner im Gerichtverfassungsgesetz
vorgeschriebenen Besetzung ist das Beschwerdegericht nur
dann zur Entscheidung berufen, wenn der originäre Einzelrichter durch eine
gesonderte Entscheidung das Verfahren auf die Kammer überträgt (§ 568
Satz 2 ZPO). Dies setzt einen entsprechenden Beschluss des Einzelrichters
voraus. An einem solchen Beschluss fehlt es. Im Streitfall hat die Kammer im
angefochtenen Beschluss selbst entschieden, dass ihr die Beschwerdeentscheidung
übertragen werde, und zugleich in der Sache entschieden. Dies ist
verfahrensfehlerhaft (BGH, Beschluss vom 21. September 2017 - IX ZB 84/16,
47/17,
2019, 2174 Rn. 15).
bb) Da das Beschwerdegericht zu Unrecht entgegen
nicht durch den Einzelrichter, sondern durch die Kammer entschieden hat, war
es nicht vorschriftsmäßig besetzt (
dieses absoluten Rechtsbeschwerdegrunds ist unerheblich, ob sich der angefochtene
Beschluss aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 577 Abs. 3
ZPO). Gemäß
aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an den zuständigen
Einzelrichter zurückzuverweisen (BGH, Beschluss vom 21. September
2017, aaO Rn. 13). § 568 Satz 3 ZPO steht dem nicht entgegen (BGH, Beschluss
vom 21. September 2017, aaO Rn. 12).
III.
Bei seiner Entscheidung wird der originär zuständige Einzelrichter des
Beschwerdegerichts Folgendes zu beachten haben:
1. Den Rechtsgrund einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung
hat die Gläubigerin nur im Blick auf die in der Beitragsforderung enthaltenen
Arbeitnehmerbeiträge (2.347,34 €) geltend gemacht, nicht für die restliche Bei-
tragsforderung (2.504,39 €) und auch nicht für die zur Tabelle angemeldeten
Säumniszuschläge (359,50 €) und Mahngebühren (11,33 €).
2. Auch der Fortgang des Restschuldbefreiungsverfahrens ist für die erneute
Entscheidung von Bedeutung. Dem Schuldner ist zwischenzeitlich Restschuldbefreiung
erteilt worden.
a) Sollte diese Entscheidung in Rechtskraft erwachsen und die Restschuldbefreiung
nicht widerrufen worden sein, wäre die vollstreckbare Ausfertigung
aus der Tabelle nur noch für die in der Beitragsforderung enthaltenen Arbeitnehmerbeiträge
zu erteilen.
aa) Soweit die Gläubigerin ihre Forderungen nicht unter dem Rechtsgrund
der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung angemeldet hat, fehlte
ihr das für die Erteilung einer Vollstreckungsklausel erforderliche Rechtsschutzinteresse.
Die Forderungen wären als "unvollkommene Verbindlichkeiten" nur
noch erfüllbar, aber nicht mehr erzwingbar. Damit dürfte aus der Forderung
nicht mehr vollstreckt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 3. April 2014 - IX ZB
93/13,
bb) Für die in der Beitragsforderung enthaltenen Arbeitnehmerbeträge
wäre eine vollstreckbare Ausfertigung zu erteilen. Dem stünde nicht der Umstand
entgegen, dass der Widerspruch des Schuldners gegen den Rechtsgrund
einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung nicht beseitigt ist. Der
Bundesgerichtshof hat mehrfach entschieden, dass der Widerspruch des
Schuldners gegen den angemeldeten Rechtsgrund nicht die Vollstreckung aus
der Eintragung in die Tabelle hindert (BGH, Urteil vom 2. Dezember 2010
- IX ZR 41/10,
2013, 2077 Rn. 8). Mit Beschluss vom 3. April 2014 (aaO Rn. 11 ff) hat er dies
noch einmal ausdrücklich klargestellt. Trotz Widerspruchs des Schuldners gegen
den Rechtsgrund einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung ist
daher dem Gläubiger eine vollstreckbare Ausfertigung aus der Insolvenztabelle
zu erteilen (BGH, Beschluss vom 3. April 2014, aaO Rn. 11). Die dem Schuldner
erteilte Restschuldbefreiung ändert daran nichts (BGH, Beschluss vom 3.
April 2014, aaO Rn. 16). Der Widerspruch des Schuldners gegen den angemel-
deten Rechtsgrund hindert daher, dass dieser schon aufgrund der Feststellung
der Forderung zur Insolvenztabelle feststeht (vgl. BT-Drucks 14/6468 S. 18;
Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2020, § 302 Rn. 20; Graf-Schlicker/Kexel,
InsO, 5. Aufl., § 302 Rn. 14; MünchKomm-InsO/Stephan, 4. Aufl., § 302 Rn.
52). Die Vollstreckung aus der Tabelle bleibt möglich. Gegen diese kann sich
der Schuldner im Wege einer Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) zur Wehr
setzen (BGH, Beschluss vom 3. April 2014, aaO Rn. 19). An dieser Rechtsprechung
hält der Senat trotz einzelner kritischer Stellungnahmen im Schrifttum
(Henning,
zeigt keinen Grund auf, von der Rechtsprechung abzuweichen.
b) Sollte noch nicht rechtskräftig über die Restschuldbefreiung entschieden
sein, wäre die vollstreckbare Ausfertigung aus der Insolvenztabelle auch für
die nicht unter dem Rechtsgrund einer vorsätzlich begangenen unerlaubten
Handlung angemeldeten Forderungen zu erteilen. Dem stünde das in der
Wohlverhaltensphase geltende Vollstreckungsverbot (
entgegen. Die Beantragung einer vollstreckbaren Ausfertigung ist nicht Teil der
Vollstreckung, sondern bereitet diese lediglich vor (BGH, Urteil vom 26. April
1976 - VIII ZR 290/74,
Aufl., § 724 Rn. 53; Lackmann in Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl., § 724 Rn. 2;
Uhlenbruck/Sternal, InsO, 15. Aufl., § 294 Rn. 11; MünchKomm-InsO/Stephan,
aaO § 294 Rn. 27; Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, aaO § 294 Rn. 2a). Vor diesem
Hintergrund kann offenbleiben, ob das Vollstreckungsverbot des § 294
Abs. 1 InsO - wie es der Wortlaut nahelegt - mit dem Ablauf der Abtretungsfrist
endet oder erst mit der rechtskräftigen Erteilung oder Versagung der Restschuldbefreiung
(vgl. etwa Uhlenbruck/Sternal, aaO Rn. 14; Schmidt/Henning,
InsO, 19. Aufl., § 294 Rn. 4).
c) Sollte die erteilte Restschuldbefreiung doch noch rechtskräftig versagt
oder widerrufen worden sein, ist die vollstreckbare Ausfertigung ohne Einschränkungen
zu erteilen.
d) In jedem der vorstehenden Fälle ist zu berücksichtigen, dass im Rahmen
der Schluss- und Nachtragsverteilung insgesamt 232,95 € an die Gläubigerin
ausgeschüttet worden sind. Damit sind die zur Tabelle festgestellten Forderungen
der Gläubigerin nach dem Verhältnis ihrer Beträge berichtigt worden.
Das regelt § 39 Abs. 1 InsO für nachrangige Insolvenzforderungen ausdrücklich.
Einen Grund, dies für Insolvenzforderungen im Sinne des § 38 InsO anders
zu beurteilen, gibt es nicht. Abweichende Anrechnungsvorschriften finden deshalb
bei Ausschüttungen im Verteilungsverfahren keine Anwendung (vgl. BGH,
Urteil vom 12. Februar 1985 - VI ZR 68/83,
Schmidt/Jungmann, aaO § 187 Rn. 5; Uhlenbruck/Wegener, aaO § 187 Rn.
14).
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:18.06.2020
Aktenzeichen:IX ZB 46/18
Rechtsgebiete:
Insolvenzrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)
NJW-RR 2020, 934-936
Normen in Titel:InsO §§ 38, 39 Abs. 1, 187, 201 Abs. 2, 294 Abs. 1