Keine Geschäftsveräußerung bei vollständiger Übertragung der Anteile an einer GmbH
letzte Aktualisierung: 09.07.2020
BFH, Urt. v. 18.9.2019 – XI R 33/18
UStG §§ 1 Abs. 1a, 4 Nr. 8 lit. f, 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 u. Abs. 2 S. 1 Nr. 1 S. 1; RL/2006/112/EG
Artt. 19, 135 Abs. 1 lit. f, 168 lit. a
Keine Geschäftsveräußerung bei vollständiger Übertragung der Anteile an einer GmbH
1. Die Inhaberschaft von Anteilen an einer GmbH reicht (im Gegensatz zur Inhaberschaft von
Vermögenswerten dieser GmbH) für sich genommen nicht hin, um eine selbständige wirtschaftliche
Tätigkeit der Veräußerin fortführen zu können.
2. Anders kann es sein, wenn die bisherige Organträgerin die Anteile an der GmbH an die neue
Organträgerin überträgt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits
an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung
--FGO--). Das FG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob zwischen der Erwerberin und der B-GmbH eine
Organschaft besteht, aufgrund derer die Erwerberin die bisherige unternehmerische Tätigkeit der Klägerin unverändert
fortgeführt haben könnte und die GmbH-Anteile ein hierfür ausreichendes Teilvermögen sein könnten.
1. Nach
Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer
abziehen. Vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist u.a. die Steuer für die sonstigen Leistungen, die der Unternehmer
zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet (
2. Diese Vorschriften setzten im Streitjahr Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006
über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) in nationales Recht um (früher: Art. 17 der Sechsten
Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
über die Umsatzsteuern), wonach der Steuerpflichtige u.a. berechtigt ist, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese
Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder
entrichtete Mehrwertsteuer für Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen erbracht wurden oder
werden, abzuziehen, soweit die Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden. § 15
Abs. 1 und 2 UStG sind deshalb (trotz ihres begrifflich "umgekehrten" Ansatzes) richtlinienkonform auszulegen (vgl.
BFH-Urteile vom 08.03.2001 - V R 24/98,
V R 56/00,
Rz 28).
3. Das FG hat in doppelter Hinsicht zutreffend angenommen, dass die Klägerin Unternehmerin i.S. des
Steuerpflichtige i.S. des Art. 9 MwStSystRL war, die die Anteile an der B-GmbH in ihrem Unternehmensvermögen
gehalten hat. Sie hat auch die streitigen Leistungen bezogen und ist deshalb personell zum Vorsteuerabzug
berechtigt.
a) Unternehmer ist gemäß
Bei richtlinienkonformer Anwendung muss hierfür eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S. der Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1
MwStSystRL ausgeübt werden (vgl. BFH-Urteil vom 12.08.2015 - XI R 43/13,
Rz 33).
b) Zutreffend hat das FG angenommen, dass die Klägerin in Bezug auf die B-GmbH an sich als geschäftsleitende
Holding wirtschaftlich tätig ist; denn die Vermietung eines Gebäudes durch eine Holdinggesellschaft an ihre
Tochtergesellschaft stellt einen "Eingriff in die Verwaltung" der Tochtergesellschaft dar, der als wirtschaftliche Tätigkeit
i.S. von Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL anzusehen ist, vorausgesetzt, die Vermietung ist --wie im Streitfall-- nachhaltig und
wird entgeltlich erbracht (vgl. EuGH-Urteil Marle Participations vom 05.07.2018 - C-320/17, EU:C:2018:537,
Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2018, 1713). "Eingriffe einer Holding in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaft" sind
alle Umsätze, die eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellen und von der Holding für ihre Tochtergesellschaft erbracht
werden (EuGH-Urteil Marle Participations, EU:C:2018:537,
einer Organschaft der Fall.
c) Ebenso zutreffend hat das FG indes erkannt, dass die Klägerin als Organträgerin der B-GmbH --bis zum Ende der
Organschaft mit der B-GmbH durch Wegfall der finanziellen Eingliederung-- zusammen mit der B-GmbH als
Organgesellschaft eine eigenunternehmerische Tätigkeit (Herstellung von Waren) ausgeübt hat, die weder in der
Vermietung des Betriebsgrundstücks noch im Halten der Beteiligung an der B-GmbH bestand (vgl. allgemein BFHUrteil
vom 26.06.2019 - XI R 3/17, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt,
Vermietung war in Folge von
26.11.1996 - VII R 49/96, BFH/NV 1997, 537, unter 1.b, Rz 16).
d) Zu Recht besteht zwischen den Beteiligten kein Streit darüber, dass nach den tatsächlichen Feststellungen des FG
die Klägerin als Leistungsempfängerin die Eingangsleistungen bezogen hat (vgl. zu diesem Erfordernis bei
Anteilsübertragung BFH-Beschluss vom 30.04.2014 - XI R 33/11, BFH/NV 2014, 1239, Rz 17 ff., 20 ff.). Dies gilt
sowohl für die Beratungsleistungen als auch für die Leistungen der Notarin, die sich auf einen anderen Vertrag als den
Kaufvertrag über die GmbH-Anteile bezogen.
4. Die bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG reichen allerdings nicht aus, um zu beurteilen, ob FA und FG
den Vorsteuerabzug zutreffend nach
an der B-GmbH an die Erwerberin und die Einbringung der Anteile an der B-GmbH in die Erwerberin gegen
Gewährung von Gesellschaftsrechten ein steuerfreier Umsatz oder als Geschäftsveräußerung nicht steuerbar ist.
a) Steuerfrei sind nach
Gesellschaften und anderen Vereinigungen. Dies setzt Art. 135 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL in nationales Recht um,
wonach die Mitgliedstaaten die Umsätze (einschließlich der Vermittlung, jedoch mit Ausnahme der Verwahrung und
der Verwaltung), die sich auf Aktien, Anteile an Gesellschaften und Vereinigungen, Schuldverschreibungen oder
sonstige Wertpapiere beziehen, von der Mehrwertsteuer befreien.
aa) Bei den Anteilen i.S. des
Papiere, die ein Eigentumsrecht an juristischen Personen begründen, sowie um solche, die ihrer Art nach mit den in
dieser Vorschrift speziell genannten Papieren vergleichbar sind (vgl. EuGH-Urteile Granton Advertising vom
12.06.2014 - C-461/12, EU:C:2014:1745, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2014, 756, Rz 27;
Hedqvist vom 22.10.2015 - C-264/14, EU:C:2015:718,
Anteile an einer GmbH (Abschn. 4.8.10 Abs. 1 Satz 1 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses --UStAE--).
bb) Als Umsatz kommt insoweit die vom FG in den Urteilsgründen angesprochene Veräußerung von Anteilen in
Betracht (vgl. BFH-Urteil vom 04.02.2015 - XI R 14/14,
EU:C:2009:665, BFH/NV 2009, 2099, Rz 50), da sie die rechtliche und finanzielle Lage zwischen den Parteien ändert
und außerdem geeignet ist, Rechte und Pflichten der Parteien in Bezug auf die Anteile zu begründen, zu ändern oder
zum Erlöschen zu bringen (vgl. zu diesem Erfordernis EuGH-Urteile SKF, EU:C:2009:665, BFH/NV 2009, 2099, Rz 48;
DTZ Zadelhoff vom 05.07.2012 - C-259/11, EU:C:2012:423,
cc) Aber auch die vom FG nicht gesondert angesprochene Einbringung (Sacheinlage) der Anteile in die Erwerberin
gegen Gewährung von Gesellschaftsanteilen kommt als Umsatz in Betracht (vgl. allgemein BFH-Urteile vom
13.11.2003 - V R 79/01,
BFH/NV 2006, 834, unter II.b, Rz 15; s.a. BFH-Urteile vom 08.11.1995 - XI R 63/94,
114; vom 15.05.1997 - V R 67/94,
BFH/NV 2016, 863, Rz 20; EuGH-Urteile Polski Trawertyn vom 01.03.2012 - C-280/10, EU:C:2012:107, UR 2012,
366, Rz 32; Malburg vom 13.03.2014 - C-204/13, EU:C:2014:147,
II.4.b bb genannten Rechtsprechung sowohl die rechtliche und finanzielle Lage der am Geschäft beteiligten Parteien
als auch die Rechte und Pflichten in Bezug auf die Anteile ändert.
dd) Auf die Steuerbefreiung kann zwar verzichtet werden (
zur zeitlichen Grenze s. BFH-Urteile vom 19.12.2013 - V R 6/12,
vom 21.10.2015 - XI R 40/13,
tatsächlichen Feststellungen des FG ist ein solcher Verzicht aber nicht erfolgt.
ee) Ein Fall, in dem die bezogenen Eingangsleistungen für die Anteilsveräußerung zu den allgemeinen Aufwendungen
der Klägerin gehören und --als solche (z.B. indem sie zu den Kostenelementen der Produktpreise der B-GmbH
gehören)-- Kostenelemente der von ihr mit Hilfe der B-GmbH ansonsten gelieferten Gegenstände (und ggf. erbrachten
Dienstleistungen) sind (vgl. dazu EuGH-Urteile SKF, EU:C:2009:665, BFH/NV 2009, 2099, Rz 58 und 62; Sveda vom
22.10.2015 - C-126/14, EU:C:2015:712,
C-502/17, EU:C:2018:888,
University of Cambridge vom 03.07.2019 - C-316/18, EU:C:2019:559,
dass ein Vorsteuerabzug unter diesem Gesichtspunkt ausscheidet.
b) Indes unterliegen Umsätze im Rahmen einer Geschäftsveräußerung an einen anderen Unternehmer für dessen
Unternehmen nicht der Umsatzsteuer (
aa) Voraussetzung hierfür ist gemäß
Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich übereignet oder in eine
Gesellschaft eingebracht wird.
bb) Die Vorschrift ist entsprechend Art. 19 MwStSystRL richtlinienkonform auszulegen (vgl. BFH-Urteile vom
06.07.2016 - XI R 1/15,
BStBl II 2019, 378, Rz 21), wonach die Mitgliedstaaten "die Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens, die
entgeltlich oder unentgeltlich oder durch Einbringung in eine Gesellschaft erfolgt, behandeln, als ob keine Lieferung
von Gegenständen vorliegt, und den Begünstigten der Übertragung als Rechtsnachfolger des Übertragenden
ansehen" können.
cc) Der Tatbestand der Geschäftsveräußerung erfasst die Übertragung von Geschäftsbetrieben und von selbständigen
Unternehmensteilen, die als Zusammenfassung materieller und immaterieller Bestandteile ein Unternehmen oder
einen Unternehmensteil bilden, mit dem eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit fortgeführt werden kann (EuGHUrteile
Zita Modes vom 27.11.2003 - C-497/01, EU:C:2003:644,
C-444/10, EU:C:2011:724, BStBl II 2012, 848, Rz 25; SKF, EU:C:2009:665, BFH/NV 2009, 2099, Rz 37; BFH-Urteile
vom 18.01.2012 - XI R 27/08,
dd) Übertragen werden muss ein Gesamt- oder "Teilvermögen". Bei Letzterem handelt es sich um einen autonomen
unionsrechtlichen Begriff, der eine einheitliche Auslegung finden muss, um eine unterschiedliche Anwendung der
Mehrwertsteuerregelung in den Mitgliedstaaten zu verhindern (vgl. EuGH-Urteile Zita Modes, EU:C:2003:644, UR
2004, 19, Rz 32 und 34 f., und Schriever, EU:C:2011:724, BStBl II 2012, 848, Rz 22). Er bezieht sich auf eine
Kombination von Bestandteilen eines Unternehmens, die zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ausreicht, auch
wenn diese Tätigkeit nur Teil eines größeren Unternehmens ist, von dem sie abgespalten wurde (vgl. BFH-Urteile vom
19.12.2012 - XI R 38/10,
zum Teilbetrieb s. BFH-Beschluss vom 16.11.2009 - V B 37/09, BFH/NV 2010, 450, Rz 8). Dies ist aus der Sicht des
Erwerbers zu bestimmen (vgl. BFH-Urteile vom 29.08.2012 - XI R 10/12,
entscheidend (vgl. BFH-Urteil vom 04.02.2015 - XI R 42/13,
Veräußerer für die Tätigkeit notwendige Gegenstände, über die der Erwerber bereits selbst verfügt, müssen deshalb
z.B. nicht mitübertragen werden (vgl. EuGH-Urteil Schriever, EU:C:2011:724, BStBl II 2012, 848, Rz 29; BFH-Urteile in
ee) Der Erwerber muss außerdem beabsichtigen, den übertragenen Geschäftsbetrieb oder Unternehmensteil zu
betreiben; nicht begünstigt ist die sofortige Abwicklung der übernommenen Geschäftstätigkeit (EuGH-Urteil Zita
Modes, EU:C:2003:644,
863, unter II.2.a, Rz 25; vom 18.09.2008 - V R 21/07,
Erwerber darf aber den von ihm erworbenen Geschäftsbetrieb z.B. aus betriebswirtschaftlichen oder kaufmännischen
Gründen in seinem Zuschnitt ändern oder modernisieren (vgl. BFH-Urteile vom 23.08.2007 - V R 14/05, BFHE 219,
229, BStBl II 2008, 165, unter II.1.b, Rz 31; in
ff) Ob das übertragene Unternehmensvermögen als hinreichendes Ganzes die Ausübung einer wirtschaftlichen
Tätigkeit ermöglicht, und ob die vor und nach der Übertragung ausgeübten Tätigkeiten übereinstimmen oder sich
hinreichend ähneln, ist von den nationalen Gerichten (vgl. BFH-Urteil in
Rahmen einer Gesamtwürdigung (vgl. BFH-Urteile vom 05.06.2014 - V R 10/13, BFH/NV 2014, 1600, Rz 10; in BFHE
250, 240, BStBl II 2015, 908, Rz 27) zu entscheiden. Dabei ist der Art der wirtschaftlichen Tätigkeit, deren Fortführung
geplant ist, besondere Bedeutung beizumessen (vgl. EuGH-Urteil Schriever, EU:C:2011:724, BStBl II 2012, 848,
Rz 32; BFH-Urteil vom 12.08.2015 - XI R 16/14,
Tatsacheninstanz vorzunehmende Gesamtwürdigung ist nur in den Grenzen des
BFH-Urteile vom 03.07.2014 - V R 12/13, BFH/NV 2014, 1603, Rz 15; in
c) Zur Geschäftsveräußerung bei Veräußerung von Anteilen hat der EuGH im Urteil SKF (EU:C:2009:665, BFH/NV
2009, 2099, Leitsätze 1 und 4) entschieden, dass die Veräußerung sämtlicher Aktien an einer zu 100 % gehaltenen
Tochtergesellschaft sowie einer verbleibenden Beteiligung an einer beherrschten Gesellschaft, an der sie früher zu
100 % beteiligt war, eine Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens sein kann. Der Umstand, dass sich die
Aktienveräußerung in mehreren Schritten vollzieht, lässt diese Feststellungen unberührt. Die Überprüfung, ob die
Voraussetzungen hierfür vorliegen, hat der EuGH dem nationalen Gericht überlassen (vgl. EuGH-Urteil SKF,
EU:C:2009:665, BFH/NV 2009, 2099, Rz 38 ff.).
d) Der BFH hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen und unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung (BFHUrteil
vom 29.10.1987 - X R 33, 34/81,
Gesellschaftsanteilen eine Geschäftsveräußerung hinsichtlich des Unternehmensvermögens der Gesellschaft, an der
die Anteile bestehen, begründet, wenn alle Anteile an der Gesellschaft übertragen werden (vgl. BFH-Urteil in BFHE
232, 278, BStBl II 2012, 68, Leitsatz 2). Tragend entschieden hat der BFH, dass dies bei einer Veräußerung von 99 %
der Anteile nicht der Fall ist (vgl. BFH-Urteil in
e) Bestätigt wird diese Sichtweise durch das EuGH-Urteil X (EU:C:2013:346,
die Veräußerung von 30 % der Anteile an einer Gesellschaft, für die der Veräußerer mehrwertsteuerpflichtige
Dienstleistungen erbringt, falls sie überhaupt in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fällt (vgl. zur Abgrenzung
EuGH-Urteil C & D Foods Acquisition, EU:C:2018:888,
oder eines Teilvermögens bei der Lieferung von Gegenständen oder bei Dienstleistungen i.S. dieser Bestimmungen
sein; dies gilt unabhängig davon, ob die anderen Anteilseigner die übrigen Anteile an dieser Gesellschaft praktisch
gleichzeitig an dieselbe Person übertragen oder diese Übertragung in engem Zusammenhang mit den für diese
Gesellschaft ausgeübten Managementtätigkeiten steht. Zur Begründung hat der EuGH ausgeführt, dass die
Inhaberschaft von Anteilen an einem Unternehmen im Gegensatz zur Inhaberschaft von Vermögenswerten dieses
Unternehmens nicht hinreicht, um eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit fortführen zu können (EuGH-Urteil X,
EU:C:2013:346,
Vermögenswerten den Erwerber nicht in die Lage versetzt, eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit als
Rechtsnachfolger des Veräußerers fortzuführen.
f) Anders ist es aber nach der Rechtsprechung des EuGH, wenn die Beteiligung mit unmittelbaren oder mittelbaren
Eingriffen in die Verwaltung der Gesellschaft einhergeht, an der die Beteiligung erworben worden ist, sofern die
Eingriffe die Durchführung von Transaktionen einschließen, die der Mehrwertsteuer unterliegen (EuGH-Urteil X,
EU:C:2013:346,
selbständige wirtschaftliche Betätigung ermöglicht, und diese Tätigkeit muss vom Erwerber fortgeführt werden (EuGHUrteil
X, EU:C:2013:346,
g) Nach diesen Grundsätzen hält das Urteil des FG einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
aa) Zwar ist das FG zu Recht davon ausgegangen, dass nach der neueren Rechtsprechung des EuGH --sofern keine
Organschaft vorliegt-- die Inhaberschaft von Anteilen an einem Unternehmen (im Gegensatz zur Inhaberschaft von
Vermögenswerten dieses Unternehmens) an sich nicht hinreicht, um eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit
fortführen zu können.
(1) Eine Geschäftsveräußerung scheidet bei isolierter Betrachtung der Veräußerung der Anteile aufgrund der
Ausführungen unter II.4.e an sich aus, weil eine Beteiligung an einem Unternehmen kein "hinreichendes Ganzes" i.S.
eines Teilvermögens ist. Soweit dem BFH-Urteil in
Ausführungen zu entnehmen sein könnten, wären diese Ausführungen aus Sicht des erkennenden Senats insoweit
durch die spätere Rechtsprechung des EuGH überholt (vgl. auch Wäger in Birkenfeld/Wäger, Das große
Umsatzsteuer-Handbuch, Aktuell Berichtszeitraum IV. Quartal 2018, Rz 105; ders.,
(2) Zu einem anderen Ergebnis führt nicht, dass man in einer Beteiligungsveräußerung bei Beendigung der
Organschaft umsatzsteuerrechtlich eine Übertragung der zuvor dem Organträger zuzurechnenden Wirtschaftsgüter
sehen könnte (Wäger in Birkenfeld/ Wäger, a.a.O., Aktuell Berichtszeitraum IV. Quartal 2018, Rz 105). Denn selbst
wenn man annähme, dass Gegenstand des Vertrags der Klägerin mit der Erwerberin eine Übertragung der zuvor dem
Organträger zuzurechnenden Wirtschaftsgüter wäre, würde die Erwerberin (ohne das Vorliegen einer Organschaft)
das Produktionsunternehmen der Klägerin nicht fortführen. Die Fortführung würde durch einen Dritten (die B-GmbH)
erfolgen.
(3) Der Senat weicht mit dieser Beurteilung nicht in entscheidungserheblicher Weise vom BFH-Urteil in BFHE 232,
278, BStBl II 2012, 68 ab; denn die dortigen Ausführungen für den Fall einer (dort nicht vorliegenden)
100 %-Beteiligung waren nicht tragend (vgl. zur fehlenden Anfragepflicht gemäß
vom 21.02.2013 - V R 27/11,
2015, 17, Rz 21). Tragend im dortigen Fall sind nur die Ausführungen zu einer (dort vorliegenden) 99 %-Beteiligung,
die der vorliegenden Beurteilung nicht widersprechen. Für diese hat der V. Senat des BFH das Vorliegen einer
Geschäftsveräußerung verneint.
(4) Soweit sich die Klägerin auf Vertrauensschutz berufen hat, liegt kein Fall des
Steueranmeldung für das Streitjahr vom 17.07.2013 stammen. Die Berufung der Klägerin auf eine Übergangsregelung
der Finanzverwaltung (hier: das BMF-Schreiben in BStBl I 2013, 1625, vorletzter Absatz) ist im Festsetzungsverfahren
nicht möglich (vgl. BFH-Beschluss vom 11.02.2014 - V B 103/13, BFH/NV 2014, 739).
bb) Allerdings hat das FG zu Unrecht ungeprüft gelassen, ob zwischen der Erwerberin und der B-GmbH eine
Organschaft besteht (vgl. allgemein zu dieser Möglichkeit BFH-Urteil vom 03.12.2015 - V R 36/13,
BStBl II 2017, 563, Rz 27 und 28).
(1) Aufgrund der Organschaft bestand die unternehmerische Tätigkeit der Organträgerin gemäß den Ausführungen
unter II.3.c nicht im Halten der Beteiligung, sondern in einer eigenunternehmerischen Tätigkeit (Herstellung von
Waren).
(2) Deshalb steht auch die unter II.4.e und II.4.f genannte Rechtsprechung, die Nicht-Organschafts-Fälle betrifft, der
Annahme einer Geschäftsveräußerung im Falle einer Organschaft nicht entgegen, wenn die Erwerberin diese
Tätigkeit unverändert fortführt.
(3) Läge eine Organschaft vor, könnte die Beteiligung an der B-GmbH ein Teilvermögen sein; denn nach der unter
II.4.b cc genannten Rechtsprechung dürfen beim Veräußerer notwendige Gegenstände vom Erwerber angemietet und
müssen deshalb z.B. nicht mitübertragen werden (vgl. EuGH-Urteil Schriever, EU:C:2011:724, BStBl II 2012, 848,
Rz 29; BFH-Urteil in
der Fall, falls auch ohne deren Übertragung eine neue Organschaft besteht, weil dann umsatzsteuerrechtlich
Leistungsempfängerin der Vermietungsleistung der Klägerin die Erwerberin wäre. Wenn die Voraussetzungen der
Organschaft aufgrund der bei der Erwerberin vorhandenen und von der Klägerin hinzu erworbenen Gegenstände
(Anteile an der B-GmbH) vorhanden wären (vgl. dazu auch BFH-Urteil in
der Organgesellschaft aufgrund der unter II.4.b dd genannten Rechtsprechung ein hinreichendes Ganzes, mit der die
Organträgerin die bisherige eigenunternehmerische Tätigkeit fortführen könnte.
(4) Dies zeigt auch der Vergleich mit der (für eine eigenunternehmerische Tätigkeit in Form der Herstellung von Waren
ebenfalls erforderlichen) organisatorischen Eingliederung i.S. des
Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL genannten gegenseitigen organisatorischen Beziehungen): Insofern wird --soweit
ersichtlich-- nicht verlangt, dass für eine Geschäftsveräußerung die insoweit bestehenden Rechtsverhältnisse mit
"übertragen" werden. Dies wird oftmals auch praktisch unmöglich sein, so dass eine Geschäftsveräußerung insoweit
von vornherein ausgeschlossen wäre, falls man deren Übertragung verlangen würde. Für die die wirtschaftliche
Eingliederung (bzw. die gegenseitigen wirtschaftlichen Beziehungen) begründenden Rechtsverhältnisse kann nichts
anderes gelten. Auch die wirtschaftliche Eingliederung kann sich aus Leistungen des Organträgers ergeben, die im
Rahmen der Veräußerung nicht auf die Erwerberin der Anteile übertragen werden können, wie z.B.
Beratungsleistungen eines Angehörigen einer bestimmten Berufsgruppe.
5. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat keine tatsächlichen Feststellungen getroffen, die es ermöglichen würden
zu beurteilen, ob zwischen der Erwerberin und der B-GmbH eine Organschaft besteht. Die Sache geht daher zur
Nachholung der hierfür erforderlichen Feststellungen an das FG zurück. Ggf. wird das FG der offen gelassenen Frage
nachgehen müssen, ob mit den Rechnungen das Recht auf Vorsteuerabzug im Streitjahr ausgeübt werden darf.
6. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG folgt aus
Entscheidung, Urteil
Gericht:BFH
Erscheinungsdatum:18.09.2019
Aktenzeichen:XI R 33/18
Rechtsgebiete:Umsatzsteuer
Normen in Titel:UStG §§ 1 Abs. 1a, 4 Nr. 8 lit. f, 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 u. Abs. 2 S. 1 Nr. 1 S. 1; RL/2006/112/EG Artt. 19, 135 Abs. 1 lit. f, 168 lit. a