BVerfG 14. Februar 2007
1 BvR 1351/01
EGZPO § 15a; GüSchIG NRW § 10; GG Art. 19 Abs. 4, 2 Abs. 1

Regelung über obligatorisches Streitschlichtungsverfahren verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden

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Dokumentnummer: 10738
letzte Aktualisierung: 14.2.2007
BVerfG, 14.2.2007 - 1 BvR 1351/01
EGZPO § 15a; GüSchlG NRW § 10; GG Art. 19 Abs. 4, 2 Abs. 1
Regelung über obligatorisches Streitschlichtungsverfahren verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden
Die im Gütestellen- und Schlichtungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen vorgesehene
Verpflichtung zur Durchführung eines außergerichtlichen Schlichtungsverfahrens vor einer
Inanspruchnahme der staatlichen Gerichte ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Insbesondere verstößt die Regelung nicht gegen den allgemeinen Justizgewährungsanspruch.


Bundesverfassungsgericht - Pressestelle Pressemitteilung Nr. 28/2007 vom 8. März 2007
Zum Beschluss vom 14. Februar 2007 – 1 BvR 1351/01 –
Regelung über obligatorisches Streitschlichtungsverfahren
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden
Die im Gütestellen- und Schlichtungsgesetz des Landes NordrheinWestfalen vorgesehene Verpflichtung zur Durchführung eines
außergerichtlichen Schlichtungsverfahrens vor einer Inanspruchnahme der
staatlichen Gerichte ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Insbesondere verstößt die Regelung nicht gegen den allgemeinen
Justizgewährungsanspruch. Mit dieser Begründung hat die 1. Kammer des
Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsbeschwerde
eines Beschwerdeführers nicht zur Entscheidung angenommen, dessen
Schadenersatzklage über 310 DM vom Amtsgericht wegen Nichtdurchführung
eines Schlichtungsverfahrens abgewiesen worden war.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Die Regelung über die obligatorische Streitschlichtung, die der
einverständlichen Konfliktbewältigung und damit der Entlastung der
Ziviljustiz dient, belastet den Rechtsuchenden nicht unangemessen. Ihm
wird in keinem Fall der Zugang zu den staatlichen Gerichten versperrt.
Die Regelung erschwert ihn zwar und führt bei einem Scheitern des
Einigungsversuchs zu Verzögerungen und höheren Kosten. Dieser möglichen
Beeinträchtigung stehen aber hinreichende Vorteile für den
Rechtsuchenden gegenüber. Im Erfolgsfalle führt die außergerichtliche
Streitschlichtung dazu, dass eine Inanspruchnahme der staatlichen
Gerichte wegen der schon erreichten Einigung entbehrlich ist, so dass
die Streitschlichtung für die Betroffenen kostengünstiger und vielfach
wohl auch schneller erfolgen kann als eine gerichtliche
Auseinandersetzung.
Der Gesetzgeber durfte auch davon ausgehen, dass die gesetzlichen
Eignungskriterien, die für die als Gütestellen handelnden Personen
maßgeblich sind, nicht voll mit denen identisch sein müssen, die für den
Einsatz rechtsberatender Berufe kennzeichnend sind. Der Erfolg eines auf
eine einverständliche Konfliktbewältigung zielenden Verfahrens kann auch
davon abhängen, dass nicht nur die rechtliche Prägung eines Konflikts
beachtet wird, sondern auch andere Gesichtspunkte einbezogen werden,
etwa die Beziehung der Parteien belastende und in der Folge den Konflikt
prägende Elemente.
Eine restriktive Auslegung der Regelung dahingehend, dass bei
erkennbarer Aussichtslosigkeit die Durchführung des
Schlichtungsverfahrens entbehrlich wird, ist verfassungsrechtlich nicht
geboten. Der Gesetzgeber durfte typisierend davon ausgehen, dass der
erfolglose Verlauf vorprozessualer Gespräche zwischen den Parteien nicht
zwingend auf die Aussichtslosigkeit eines Schlichtungsverfahrens
hindeutet.
über
d i e V e r f as s u n g s b e s c h we r d e
des Minderjährigen S...
vertreten durch seine Eltern
Rechtsanwalt Frank-Michael Bindel,
Industriestraße 4, 47495 Rheinberg gegen
a)
b)
den Beschluss des Landgerichts Kleve vom 2. Juli 2001 5 S 109/01 -,
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Papier,
die Richterin Hohmann-Dennhardt
und den Richter Hoffmann-Riem
gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom
11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 14. Februar 2007 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
Der Beschwerdeführer richtet sich gegen die Abweisung einer Schadensersatzklage wegen
Nichtdurchführung eines Schlichtungsverfahrens gemäß § 10 des Gütestellen- und
Schlichtungsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (GüSchlG NRW).
I.
1. Der Bundesgesetzgeber hat Ende 1999 durch Einführung der Öffnungsklausel des § 15 a
EGZPO den Ländern die Möglichkeit eröffnet, in bestimmten Fällen die Zulässigkeit der
Erhebung einer Klage vor den Zivilgerichten von der vorherigen erfolglosen Durchführung
eines außergerichtlichen Schlichtungsverfahrens abhängig zu machen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat die Ermächtigung des § 15 a EGZPO mit seinem
Ausführungsgesetz zu § 15 a EGZPO - AG § 15 a EGZPO - vom 9. Mai 2000 (GVBl NW S.
321) umgesetzt. Durch Art. 1 dieses Gesetzes ist das Gütestellen- und Schlichtungsgesetz –
GüSchlG NRW - eingeführt worden. Dieses bestimmt in § 10 Abs. 1 Nr. 1:
versucht worden ist, die Streitigkeit einvernehmlich beizulegen,
1. in vermögensrechtlichen Streitigkeiten vor dem Amtsgericht über Ansprüche, deren
Gegenstand an Geld oder Geldeswert die Summe von 1.200 Deutsche Mark nicht übersteigt,

Ferner sind u.a. folgende Regelungen getroffen:
§ 3 – Persönliche Voraussetzungen.
Natürliche Personen können als Gütestelle anerkannt werden, wenn sie nach ihrer
Persönlichkeit und ihren Fähigkeiten für das Amt geeignet sind.
§ 11 – Räumlicher Anwendungsbereich.
Ein Schlichtungsversuch nach § 10 Abs. 1 ist nur erforderlich, wenn die Parteien in demselben
Landgerichtsbezirk wohnen oder ihren Sitz oder eine Niederlassung haben.
§ 12 – Sachliche Zuständigkeit.
(1) Das Schlichtungsverfahren nach diesem Gesetz führt das Schiedsamt oder eine andere
durch die Landesjustizverwaltung anerkannte Gütestelle nach Maßgabe der jeweils für sie
geltenden Verfahrensordnung durch. Unter mehreren anerkannten Gütestellen hat die
antragstellende Partei die Auswahl.
§ 13 – Erfolglosigkeitsbescheinigung
(1) Über einen ohne Erfolg durchgeführten Schlichtungsversuch ist den Parteien … eine
Bescheinigung zu erteilen. Die Bescheinigung ist auf Antrag auch auszustellen, wenn binnen
einer Frist von drei Monaten das Einigungsverfahren nicht durchgeführt worden ist.
2. Der Beschwerdeführer verlangte vom Beklagten des Ausgangsverfahrens wegen einer
Körperverletzung Ersatz für materiellen und immateriellen Schaden in Höhe von insgesamt
310 DM. Er erstattete zunächst Strafanzeige mit dem Ziel, eine Klärung seiner Ansprüche im
Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs (§ 46 a StGB) zu erreichen. Das Strafverfahren wurde
jedoch letztlich mit einer Ermahnung eingestellt. Daraufhin wandte sich der Beschwerdeführer
durch seinen Rechtsanwalt schriftlich an den späteren Beklagten, um eine außergerichtliche
Einigung zu erreichen. Dieser ließ die geltend gemachten Zahlungsansprüche jedoch mit
Anwaltsschreiben zurückweisen. Der Beschwerdeführer erhob sodann Klage beim Amtsgericht
Rheinberg, ohne zuvor ein außergerichtliches Schlichtungsverfahren durchgeführt zu haben.
Mit Urteil vom 16. Mai 2001 wies das Amtsgericht die Klage als unzulässig ab. Die hiergegen
gerichtete (außerordentliche) Berufung des Beschwerdeführers verwarf das Landgericht Kleve
mit Beschluss vom 2. Juli 2001 als unzulässig, weil die Berufungssumme gemäß § 511 a Abs. 1
ZPO nicht erreicht sei. Ein wesentlicher Verfahrensfehler, der ausnahmsweise die Zulassung
der Berufung auch in Fällen gebiete, in denen die Berufungssumme nicht erreicht sei, liege
nicht vor. Der Versuch einer vorgerichtlichen Streitbeilegung gemäß § 10 GüSchlG NRW sei
vorliegend nicht aus Billigkeitsgründen entbehrlich gewesen.
Gegen das Urteil des Amtsgerichts und die Entscheidung des Landgerichts richtet sich der
Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde.
Er rügt eine Verletzung seines Rechts auf effektiven Rechtsschutz. Zwar hätten die Gerichte
dem Wortlaut des Gesetzes nach richtig entschieden. Jedoch hätte das Gütestellen- und
im vorliegenden Fall verfassungskonform dahin ausgelegt werden müssen, dass ein
Schlichtungsverfahren entbehrlich ist, wenn keinerlei Aussicht auf dessen erfolgreiche
Durchführung bestehe.
Durch die Notwendigkeit eines Schlichtungsverfahrens werde für ihn der Zugang zu den
Zivilgerichten wesentlich und unzumutbar erschwert. Dies gelte umso mehr, als im Rahmen
des § 15 a EGZPO/§ 10 GüSchlG NRW eine Parallelvorschrift zu § 32 ZPO (Gerichtsstand der
unerlaubten Handlung) sowie §§ 203, 204 a.F. ZPO (öffentliche Zustellung) nicht vorgesehen
sei. Dies erschwere dem Geschädigten schon die Durchführung des Schlichtungsverfahrens in
unzumutbarer Weise. Zudem komme es durch die unterschiedliche Regelung des
Schlichtungsverfahrens in den Bundesländern zu Ungleichbehandlungen. Insbesondere sei es in
Nordrhein-Westfalen anders als in einigen anderen Ländern möglich, dass auch Nichtjuristen
als Schlichter eingesetzt würden, was die Qualität der Schlichtung beeinträchtige. Im Übrigen
sei die Einführung der obligatorischen Streitschlichtung zur Erreichung des Zieles, die Justiz zu
entlasten, ungeeignet.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die
Annahmevoraussetzungen gemäß § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor.
Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die wesentlichen Fragen
hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Zugang zu den Gerichten sind,
soweit es im vorliegenden Fall auf sie ankommt, in der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts geklärt. Auch ist die Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht
zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers
angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat nämlich keine Aussicht auf Erfolg. Die mittelbar
angegriffene Regelung über die obligatorische Streitschlichtung ist verfassungsrechtlich ebenso
wenig zu beanstanden wie die Anwendung im konkreten Fall.
1. Die Regelung des § 10 GüSchlG NRW verstößt weder gegen die Gewährleistung des Art. 19
Abs. 4 GG noch gegen den allgemeinen Justizgewährungsanspruch.
Der Gewährleistungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG ist bereits nicht berührt. Art. 19 Abs. 4 GG
gewährleistet den Rechtsweg nur gegenüber Maßnahmen der öffentlichen Gewalt. Der Zugang
zu den ordentlichen Gerichten in Auseinandersetzungen zwischen Privatpersonen ist nicht
Gegenstand dieser Gewährleistung. Insoweit ist vielmehr der allgemeine
Justizgewährungsanspruch maßgeblich, der seine Grundlage in Art. 2 Abs. 1 GG in
Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip hat (vgl.BVerfGE 88, 118 <123>; 97, 169 <185>;
107, 395 <404, 407>).
Hinsichtlich der Art der Gewährung des durch diesen Anspruch gesicherten Rechtsschutzes
verfügt der Gesetzgeber über einen Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum, der sich auf die
Beurteilung der Vor- und Nachteile für die jeweils betroffenen Belange sowie auf die
Abwägung mit Blick auf die Folgen für die verschiedenen rechtlich geschützten Interessen
erstreckt (vgl.BVerfGE 88, 118 <124 f.>; 93, 99 <108>; BVerfG, Beschluss vom 14. März
2006 - 1 BvR 2087/03 u.a. -, EuGRZ 2006, S. 159 <167>). Dieser ist nicht überschritten.
a) Der allgemeine Justizgewährungsanspruch gewährleistet zum einen, dass überhaupt ein
Rechtsweg zu den Gerichten eröffnet ist. Darüber hinaus garantiert er die Effektivität des
Rechtsschutzes (vgl.BVerfGE 88, 118 <123> ). Die Rechtsschutzgewährung durch die Gerichte
bedarf der normativen Ausgestaltung durch eine Verfahrensordnung. Deren Regelungen
können für ein Rechtsschutzbegehren besondere formelle Voraussetzungen aufstellen und sich
253 <268 f.>; 77, 275 <284>; 88, 118 <123 f.>; 93, 99 <107 f.> ). Der Gesetzgeber ist nicht
gehalten, nur kontradiktorische Verfahren vorzusehen. Er kann auch Anreize für eine
einverständliche Streitbewältigung schaffen, etwa um die Konfliktlösung zu beschleunigen, den
Rechtsfrieden zu fördern oder die staatlichen Gerichte zu entlasten. Ergänzend muss allerdings
der Weg zu einer Streitentscheidung durch die staatlichen Gerichte eröffnet bleiben.
b) Hieran gemessen ist die Regelung des § 10 GüSchlG NRW weder allgemein (aa) noch,
soweit im vorliegenden Fall erheblich, in ihrer konkreten Ausgestaltung (bb)
verfassungsrechtlich zu beanstanden.
aa) Zwar erschwert § 10 GüSchlG NRW den Zugang zu den Zivilgerichten, indem er die
Zulässigkeit der Klage unter eine weitere, bislang nicht geforderte Voraussetzung stellt. Dies
entspricht jedoch rechtsstaatlichen Anforderungen, insbesondere denen des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit.
(1) Die Einführung der obligatorischen Streitschlichtung durch § 10 GüSchlG NRW bezweckt
in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise - ebenso wie die Ermächtigung in § 15
a EGZPO - zum einen die Entlastung der Ziviljustiz (s. für den Bund den Gesetzentwurf der
Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen, BTDrucks 14/980 vom 4. Mai 1999, dort S. 1
und 5, für das Land Nordrhein-Westfalen mit ausdrücklichem Bezug auf den Entwurf des
Bundesgesetzes die Begründung zum Gesetzentwurf, dort insbesondere S. 31 f.). Darüber
hinaus soll durch Konsensbildung eine schnellere und kostengünstigere Lösung der betroffenen
Streitigkeiten und zugleich ein Beitrag zum dauerhaften Rechtsfrieden ermöglicht werden, der
durch das gerichtliche Verfahren so nicht erreicht werde. Der nordrhein-westfälische
Gesetzgeber verweist darauf, dass in einem Schlichtungsverfahren Tatsachen berücksichtigt
werden könnten, die für die Lösung des Konflikts der Parteien von wesentlicher oder
ausschlaggebender Bedeutung, rechtlich jedoch irrelevant seien. Auch seien vermittelnde
Lösungen möglich, selbst wenn im streitigen Verfahren nur voll zu Lasten der einen und
zugunsten der anderen Partei entschieden werden könnte (s. Entwurfsbegründung BTDrucks
14/980, S. 5).
(2) Bei der Einschätzung der Zieltauglichkeit der Regelung durfte der Gesetzgeber eine
positive Prognose zugrunde legen.
Möglichkeiten und Nutzen außergerichtlicher Streitschlichtung waren Gegenstand einer breiten
Diskussion, in die verschiedene Modelle freiwilliger oder zwangsweiser Ausgestaltungen
einbezogen wurden. Kontrovers diskutiert wurden insbesondere die Vor- und Nachteile einer
obligatorischen Streitschlichtung (s. allgemein dazu etwa Stadler, NJW 1998, S. 2479 ff.; Leeb,
Beilage zu BB 1998, Heft 40, sowie aus neuerer Zeit Wesche, ZRP 2004, S. 49 ff., ferner das
"Grünbuch zur Streitbeilegung im Zivil- und Handelsrecht" der EG-Kommission; KOM
<2002>, 196 endg.). Der damalige Stand des Wissens nötigte nicht zu der Einschätzung, dass
die Zielerreichung, darunter auch die entlastende Wirkung, durch die in § 10 GüSchlG NRW
vorgesehenen Regelung ausgeschlossen war. Auch die heute vorliegenden Erfahrungen deuten
auf einen Fehlschlag (vgl. Lauer, NJW 2004, S. 1280 ff.; Greger, SchiedsVZ 2005, S. 76 ff.;
Rechtstatsächliche Untersuchungen zu den Auswirkungen der ZPO-Reform, BAnz vom 23.
August 2006, S. 90 f.). In dem Gesetzentwurf zur Verlängerung der Geltungsdauer der hier
angegriffenen Regelung führt die nordrhein-westfälische Landesregierung dementsprechend im
Jahre 2005 aus, aufgrund der Erkenntnisse aus der Evaluation der obligatorischen
Streitschlichtung und der Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Umsetzung des § 15 a
EG-ZPO" sei ein endgültiges Urteil über Erfolg oder Misserfolg der obligatorischen
außergerichtlichen Streitschlichtung noch nicht möglich (LTDrucks 14/244).
anderes, mindestens gleich geeignetes Mittel gab.
(4) Die vorgesehene Regelung bedeutet angesichts der vom Gesetzgeber verfolgten Ziele auch
keine unangemessene Belastung der Rechtsuchenden.
Die Beeinträchtigung des Justizgewährungsanspruchs hat bei den von § 10 GüSchlG NRW
erfassten Fällen verhältnismäßig geringes Gewicht. Die obligatorische Streitschlichtung ist auf
Fälle eher geringer wirtschaftlicher Bedeutung begrenzt. Sie versperrt in keinem Fall den
Zugang zu den staatlichen Gerichten, erschwert ihn lediglich und führt bei einem Scheitern des
Einigungsversuchs insbesondere zu Verzögerungen und höheren Kosten.
Der möglichen Beeinträchtigung stehen hinreichende Vorteile für die Rechtsuchenden
gegenüber. Im Erfolgsfalle führt die außergerichtliche Streitschlichtung dazu, dass eine
Inanspruchnahme der staatlichen Gerichte wegen der schon erreichten Einigung entfällt, so
dass die Streitschlichtung für die Betroffenen kostengünstiger und vielfach wohl auch schneller
erfolgen kann als eine gerichtliche Auseinandersetzung. Führt sie zu Lösungen, die in der
Rechtsordnung so nicht vorgesehen sind, die von den Betroffenen aber - wie ihr Konsens
zeigt - als gerecht empfunden werden, dann deutet auch dies auf eine befriedende Bewältigung
des Konflikts hin. Eine zunächst streitige Problemlage durch eine einverständliche Lösung zu
bewältigen, ist auch in einem Rechtsstaat grundsätzlich vorzugswürdig gegenüber einer
richterlichen Streitentscheidung.
bb) Die Unverhältnismäßigkeit der hier angegriffenen Regelung zur Zielerreichung folgt auch
nicht aus den vom Beschwerdeführer angegriffenen Einzelausgestaltungen des nordrheinwestfälischen Gesetzes.
(1) Der Zielerreichung steht nicht entgegen, dass der nordrhein-westfälische Gesetzgeber den
für die Tätigkeit einer Gütestelle in Betracht kommenden Personenkreis nicht auf die
Angehörigen der rechtsberatenden Berufe begrenzt hat.
Der Erfolg eines auf eine einverständliche Konfliktbewältigung zielenden Verfahrens kann
auch davon abhängen, dass nicht nur oder nicht vorrangig die rechtliche Prägung eines
Konflikts beachtet wird, sondern auch andere Gesichtspunkte berücksichtigt werden, etwa die
Beziehung der Parteien belastende und in der Folge den Konflikt prägende Elemente wie
beispielsweise sozialpsychologisch erklärbare Verhärtungen in den Beziehungen, oder dass
weitere Konfliktpunkte in die Einigung einbezogen werden. Dementsprechend durfte der
Gesetzgeber davon ausgehen, dass die Kriterien, die für die als Gütestellen handelnden
Personen maßgeblich sind, nicht voll mit denen identisch sein müssen, die für den Einsatz
rechtsberatender Berufe kennzeichnend sind. Im Übrigen zielt die in § 3 GüSchlG NRW
aufgestellte Voraussetzung der personellen Eignung auch darauf, dass die betroffenen Personen
über hinreichende Rechtskenntnisse verfügen. Da das Gütestellen- und Schlichtungsgesetz
Nordrhein-Westfalen keine ausschließliche Zuständigkeit einer bestimmten Gütestelle vorsieht,
dürfte der Bürger zudem regelmäßig die Wahl zwischen verschiedenen Gütestellen und somit
oft auch die Möglichkeit haben, einen Angehörigen eines rechtsberatenden Berufs mit der
Streitschlichtung zu betrauen. Der Gesetzgeber durfte auch davon ausgehen, dass es zumutbar
ist, dafür gegebenenfalls einen längeren Weg als den zur nächstgelegenen Gütestelle in Kauf zu
nehmen.
(2) Die vom Gesetzgeber getroffene Regelung ist auch nicht etwa deshalb eine unangemessene
Belastung für die Rechtsuchenden, weil Vorschriften entsprechend § 32 ZPO über den
Gerichtsstand der unerlaubten Handlung oder §§ 203, 204 a.F. ZPO (jetzt § 185 f. ZPO) über
die öffentliche Zustellung nicht vorgesehen sind.
Parteien ihren Wohnort, Sitz oder Niederlassung im selben Landgerichtsbezirk haben, trägt
dem Interesse des Geschädigten, das Verfahren nach Möglichkeit in der Nähe seines
Wohnortes betreiben zu können, ausreichend Rechnung.
Auch der Verzicht des Gesetzgebers auf eine öffentliche Zustellung bewirkt keine unzumutbare
Belastung für die Rechtsuchenden. Die öffentliche Zustellung ermöglicht es im Streitverfahren,
auch dann das Verfahren durchzuführen, wenn der Aufenthalt einer Partei nicht zu ermitteln ist.
Dem Kläger darf auch im Schlichtungsverfahren die Herbeiführung der Zulässigkeit der Klage
nicht verwehrt werden. Dieser Anforderung genügt das angegriffene Gesetz. In den meisten
Fällen des unbekannten Aufenthalts einer Partei wird bereits der räumliche
Anwendungsbereich des § 11 GüSchlG NRW nicht eröffnet sein, weil, wenn der Aufenthalt
einer Partei unbekannt ist, auch nicht festgestellt werden kann, dass beide Parteien im selben
Landgerichtsbezirk wohnen. Im Übrigen hat die Gütestelle auch dann, wenn das Verfahren
nicht durchgeführt wird, gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 GüSchlG NRW nach Ablauf von drei
Monaten eine Erfolglosigkeitsbescheinigung auszustellen. Damit ist sichergestellt, dass der
Betroffene, welche Gründe auch immer der Durchführung des Schlichtungsverfahrens
entgegenstehen, jedenfalls nach Ablauf von drei Monaten Klage erheben kann.
2. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist es verfassungsrechtlich nicht geboten,
§ 10 GüSchlG NRW vorliegend deshalb nicht anzuwenden, weil das Schlichtungsverfahren
erkennbar aussichtslos sei. Eine restriktive Auslegung der Norm, die dazu führt, dass bei
erkennbarer Aussichtslosigkeit die Durchführung des Schlichtungsverfahrens entbehrlich wird,
ist verfassungsrechtlich nicht geboten.
Eine Ausnahmeregelung, nach der in bestimmten Fällen das Schlichtungsverfahren nicht
durchgeführt werden muss, sondern sofort das Gericht angerufen werden darf, liefe dem vom
Gesetzgeber verfolgten Zielen zuwider. Der Umstand, dass die obligatorische Streitschlichtung
aus Sicht des Beschwerdeführers nutzlos ist, rechtfertigt den Verzicht auf ein
Schlichtungsverfahren nicht.
Der Gesetzgeber durfte typisierend davon ausgehen, dass der erfolglose Verlauf
vorprozessualer Gespräche zwischen den Parteien nicht zwingend auf die Aussichtslosigkeit
eines Schlichtungsverfahrens hindeutet. Das Schlichtungsverfahren unterscheidet sich von
derartigen Gesprächen wesentlich: Normalerweise verhandeln Beteiligte - gegebenenfalls durch
ihre Rechtsanwälte - ausschließlich als Parteien miteinander, wobei jeder, auch wenn er sich
um Objektivität bemüht, für den anderen der (potentielle) Verfahrensgegner ist. Beim
Schlichtungsverfahren tritt demgegenüber der Schlichter als neutrale Person hinzu, der sich um
eine Einigung zwischen den Parteien bemüht. Der Schluss vom Scheitern der Gespräche
zwischen "Gegnern" auf die Aussichtslosigkeit einer unter Vermittlung eines neutralen Dritten
geführten Schlichtungsverhandlung ist nicht ohne weiteres gerechtfertigt. Dies zeigt sich
beispielsweise daran, dass es selbst im kontradiktorischen Zivilverfahren häufig noch zu
Einigungen in Form eines Vergleichs kommt.
Das Schlichtungsverfahren soll gerade in Fällen zu einer Einigung motivieren, in denen der
Gegner ihr zunächst ablehnend gegenübersteht. Auch scheint es keineswegs ausgeschlossen,
dass der Beklagte in einem Ausgangsverfahrens wie dem vorliegenden bereit sein wird, sich
auf die Schlichtung durch eine neutrale Gütestelle einzulassen, obwohl er zunächst den
Einigungsvorschlag der Gegenseite abgelehnt hatte.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BVerfG

Erscheinungsdatum:

14.02.2007

Aktenzeichen:

1 BvR 1351/01

Rechtsgebiete:

Mediation, notarielle Schlichtung und Schiedsgericht

Erschienen in:

DNotI-Report 2007, 145-146

Normen in Titel:

EGZPO § 15a; GüSchIG NRW § 10; GG Art. 19 Abs. 4, 2 Abs. 1