OLG Dresden 25. August 2016
8 U 1628/15
ZPO §§ 178 Abs. 1, 180, 418 Abs. 2; GmbHG § 8 Abs. 4 Nr. 1

Zustellung an GmbH bei Fehlen eines Geschäftsraums

DNotI
Deutsches Notarinstitut
letzte Aktualisierung: 20.9.2016
OLG Dresden, Urt. v. 25.8.2016 - 8 U 1628/15

ZPO §§ 178 Abs. 1, 180, 418 Abs. 2; GmbHG § 8 Abs. 4 Nr. 1
Zustellung an GmbH bei Fehlen eines Geschäftsraums

1. Der Postzusteller muss eine Zustellung in einem Geschäftsraum versuchen, bevor er eine
Ersatzvornahme durch Einlegen in einen Briefkasten vornimmt.
2. Eine Zustellung nach § 180 ZPO durch Einlegen in den Briefkasten ist bei Fehlen eines
Geschäftsraums auch dann nicht möglich, wenn die inländische Adresse als Geschäftsanschrift im
Handelsregister nach § 8 Abs. 4 Nr. 1 GmbHG eingetragen worden ist (Abgrenzung zu BGH, Urteil vom
14. Juni 2012, V ZB 182/11).
3. Im Regelfall ist es dem Zustellungsempfänger verwehrt, eine fehlerhafte Ersatzzustellung geltend zu
machen, wenn er einen Irrtum über das Vorhandensein von Geschäftsräumen bewusst und zielgerichtet
herbeigeführt hat. Dies gilt jedoch nicht gegenüber demjenigen, der positive Kenntnis davon hat, dass der
Zustellungsempfänger unter der eingetragenen Anschrift tatsächlich keinen Geschäftsraum unterhält.

Gründe:

I.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des Landgerichtes Chemnitz vom
08.10.2015, mit dem ein Einspruch der Beklagten gegen ein Versäumnisurteil vom
05.05.2015, in dem sie zur Zahlung von 405.950,00 € zuzüglich Zinsen und vorgerichtlicher
Anwaltskosten verurteilt worden ist, unter Zurückweisung eines Wiedereinsetzungsantrages
verworfen worden ist.
Die Klägerin, eine Limited mit Sitz in E., hat in der Klageschrift vom 26.03.2015 mitgeteilt,
dass die beklagte GmbH laut Handelsregister die Adresse C. Straße ... in F. aufweise.
Gesellschafter und Geschäftsführer der Beklagten seien die Herren S. und A., die beide in
Israel wohnhaft seien und keinen dauernden Aufenthalt in Deutschland unterhielten. Ferner
hat die Klägerin in der Klageschrift ausgeführt, dass eine an die Beklagte adressierte
Schlussrechnung vom 01.09.2014 mit der Post nicht habe zugestellt werden können, weil
weder ein Firmenschild noch ein Briefkasten mit der Bezeichnung der Beklagten an deren
registermäßigen Firmenadresse bestanden habe. Die Beklagte, der die Schlussrechnung
durch eine E-Mail an einen der Geschäftsführer übermittelt worden sei, sei der Klägerin aus
einem mündlich am 03.01.2013 geschlossen und im Januar 2014 vorzeitig gekündigten
Vertrag über die Komplettsanierung des Gebäudes C. Straße ... in F. zu einem
Pauschalpreis von 420.168,07 €, der von der Klägerin weitgehend im Verlauf des Jahres
2013 durchgeführt sei, für erbrachte und nicht erbrachte Leistungen zur Zahlung von
insgesamt 405.950,00 € verpflichtet.
Das Landgericht hat ein schriftliches Vorverfahren angeordnet und die Zustellung der
Klageschrift an die im Register eingetragene Adresse der Beklagten C. Straße ... in F.
veranlasst. Es gelangte eine Zustellungsurkunde zur Gerichtsakte, nach deren Inhalt der
Zusteller am 15.04.2015 versucht habe, die zuzustellenden Unterlagen übergeben, und
anschließend - weil die Übergabe des Schriftstücks in dem Geschäftsraum nicht möglich
gewesen sei - das Schriftstück in den zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten eingelegt habe.
Nachdem eine Verteidigungsanzeige nicht zur Gerichtsakte gelangt ist, hat das Landgericht
am 05.05.2015 ein Versäumnisurteil erlassen, mit dem es die Beklagte zur Zahlung von
405.950,00 € nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz seit dem 02.10.2014 sowie zum Ersatz von Rechtsanwaltskosten in Höhe von
3.443,60 € nebst Zinsen verurteilt hat. Das Landgericht hat eine Zustellung dieses
Versäumnisurteils gleichfalls an die im Handelsregister eingetragene Geschäftsadresse der
Beklagten in der C. Straße ... in F. veranlasst. Wieder ist eine Postzustellungsurkunde zur
Akte gereicht worden, nach der der Postbedienstete Sch. versucht hat, das Schriftstück zu
übergeben, und - weil die Übergabe des Schriftstücks in den Geschäftsräumen nicht möglich
gewesen sei - es in einen zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten eingelegt habe.
Unstreitig unterhielt die Beklagte zum Zeitpunkt sowohl der Einlegung in den Briefkasten der
Klageschrift am 15.04.2015 als auch zum Zeitpunkt der Einlegung des Versäumnisurteils in
den Briefkasten am 13.05.2015 keinen Geschäftsraum unter der angegebenen Anschrift.
Allerdings gab die Beklagte im Geschäftsverkehr diese Anschrift als ihre Geschäftsanschrift
an; sie beschriftete auch jeweils einen Briefkasten an den Hauseingängen Nr. ... und ... mit
ihrer Firma, wobei streitig ist, zu welchem Zeitpunkt die Beklagten die Anzahl der mit ihrer
Firma beschrifteten Briefkästen auf einen reduziert hat. Ferner hatte die Beklagte Herrn J.,
der in B. lebt, aber einen weiteren Wohnsitz in F. unterhält, beauftragt, die Briefkästen
regelmäßig zu leeren und die Post - je nach Inhalt - entweder an eine in F. ansässige
Hausverwaltungsgesellschaft, in anderen Fällen an eine Steuerberatergesellschaft oder an
die Geschäftsführer der Beklagten in I.. weiterzuleiten.
Nachdem die Klägerin eine vollstreckbare Ausfertigung des Versäumnisurteils erhalten und
Pfändungsmaßnahmen u.a. gegenüber der Hausverwaltungsgesellschaft ergriffen hatte,
legte die Beklagte mit anwaltlichem Schriftsatz vom 11.06.2015 Einspruch gegen das
Versäumnisurteil ein und beantragte zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie
Akteneinsicht; beigefügt war dem Schreiben eine eidesstattliche Versicherung des Herrn J.
Dieser habe weder eine Klageschrift noch ein Versäumnisurteil in den Briefkästen, die er
mehrmals die Woche leere, vorgefunden; allerdings sei es im Jahr 2015 mehrfach zum
Aufbruch des Briefkastens und Abhandenkommen von Post gekommen, zuletzt in der 21.
Kalenderwoche 2015. Kenntnis von dem Rechtsstreit und dem Versäumnisurteil habe die
Beklagte erst erlangt, nachdem am 08.06.2015 der Hausverwaltungsgesellschaft ein
Zahlungsverbot zugestellt worden sei, worüber diese die Beklagte unterrichtet habe.
Mit Schriftsatz vom 02.07.2015 hat sie den Einspruch dahingehend begründet, dass
zwischen den Parteien nie ein Vertragsverhältnis bestanden habe. Vielmehr sei ein
schriftlicher Vertrag zwischen der Beklagten und den Herren St. und A. über die
Werkarbeiten zu Stande gekommen; die Klägerin sei als Subunternehmerin des Herrn St. auf
der Baustelle tätig geworden. Der Vertrag zwischen der Beklagten und Herrn St. sei im
August 2013 gekündigt worden; danach habe auch die Klägerin auf der Baustelle keine
Tätigkeit mehr entfaltet.
Die Klägerin hat bestritten, dass Klageschrift und Versäumnisurteil abhanden gekommen
seien, und die Ansicht vertreten, dass der Wiedereinsetzungsantrag zurückzuweisen und der
Einspruch zu verwerfen seien.
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung desjenigen Zustellers, der das
Versäumnisurteil laut Zustellungsurkunde in den Briefkasten eingelegt hat, sowie durch
Vernehmung des Klägervertreters und einer Mitarbeiterin der Kanzlei des Klägervertreters
zur Beschriftung der Briefkästen. Ferner hat es den Zeugen J. dazu vernommen, ob er das
Versäumnisurteil dem Briefkasten entnommen habe. Das Landgericht hat dann mit Urteil
vom 08.10.2015 den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und den Einspruch
verworfen. Durch die Aussage des Zeugen x sei nachgewiesen, dass dieser das
Versäumnisurteil in den Geschäftsbriefkasten an dem im Handelsregister eingetragenen
Firmensitz der Beklagten eingelegt habe. Grundsätzlich glaube das Gericht an die Ehrlichkeit
und Wahrhaftigkeit der dahingehenden Aussage des Zeugen J., dass jeweils vor dem
26.03.2015, dem 20.05.2015 und dem 22.07.2015 ein Schlüsseldienst herangezogen
worden sei, weil die Briefkästen offen gewesen seien. Das Gericht sei allerdings geneigt zu
glauben, dass die Briefkästen nicht aufgebrochen, sondern vielmehr aufgeplatzt seien, weil
täglich Postsendungen, Werbung, Zeitungen und niedergelegte Schriftstücke
hineingequetscht worden seien, so dass davon auszugehen sei, dass Schriftstücke
herausgerutscht und im Hausflur herumgelegen hätten. Es stelle aber ein grobes
Organisationsverschulden der Beklagten, welches sie an der Einlegung eines rechtzeitigen
Einspruchs gehindert habe, dar, dass sie den Briefkasten lediglich ab und an, nicht einmal im
wöchentlichen Rhythmus, durch den Zeugen Schwimmer habe leeren lassen; von einer
GmbH sei zu erwarten, ein organisiertes Büro vorzuhalten. Daher sei keine
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie treffe kein Verschulden daran, keine
Kenntnis von dem Versäumnisurteil erlangt zu haben. Die Unterhaltung eines
Geschäftslokals in Deutschland sei nicht erforderlich, da die Beklagte lediglich Eigentümer
einer einzigen Immobilie sei und kein Geschäftslokal in Deutschland benötige. Das
Versäumnisurteil sei in unzulässiger Weise ergangen, weil bereits die Behauptung der
Klägerin, man habe einen Pauschalpreisvertrag über eine Komplettsanierung eines
Mietshauses mit 22 Wohnungen lediglich mündlich geschlossen, offensichtlich frei erfunden sei.
Die Beklagte beantragt,
1. das Urteil des Landgerichtes Chemnitz vom 08.10.2015 aufzuheben,
2. ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren,
3. das Versäumnisurteil des Landgerichtes Chemnitz vom 05.05.2015 aufzuheben und
die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Chemnitz zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landgerichtes Chemnitz vom 08.10.2015, 2 O 419/15, aufrechtzuerhalten
und die Berufung zurückzuweisen.
Hilfsweise für den Fall, dass das Versäumnisurteil nicht prozessordnungsgemäß zugestellt
worden sein sollte oder dass dem Wiedereinsetzungsantrag stattgegeben werde, beantragt
die Klägerin ebenfalls, das Verfahren an das Landgericht Chemnitz zurückzuverweisen.
Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung; der Wiedereinsetzungsantrag sei im
Übrigen bereits unzulässig gewesen, da er sich darauf beschränkt habe, die Leerung des
Briefkasten und die Aufbrüche zu schildern. Ihren Einspruch habe die Beklagte verspätet begründet.
Nach einem Hinweis des Senats zu den Voraussetzungen für eine wirksame
Ersatzzustellung und auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes vom
15.10.2009 (1 BvR 2333/09) sowie des Bundesgerichtshofes vom 22.10.2009 (IX ZB 248/08)
und vom 16.06.2011 (III ZR 342/09) hat die Klägerin ergänzend dazu vorgetragen, dass sie
keine positive Kenntnis davon gehabt habe, dass die Beklagte keinen Geschäftssitz an der
angegebenen Adresse unterhalte und es der Beklagten verwehrt sei, sich auf eine fehlende
Zustellung des Versäumnisurteils zu berufen. Die Beklagte hat vorgebracht, dass die
Klägerin Kenntnis von dem Fehlen eines Geschäftssitzes an der angegebenen Adresse
gehabt habe. Ferner hat die Klägerin ergänzend zu dem von ihr behaupteten
Vertragsverhältnis zwischen den Parteien vorgetragen.
Vorsorglich hat der Senat die Klageschrift am 09.02.2016 an den Beklagtenvertreter zugestellt.
Zwischenzeitlich ruhte das Verfahren auf Antrag beider Parteien; nach Wiederaufruf haben
die Parteien der Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt. Hinsichtlich des
weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze sowie die
Protokolle der mündlichen Verhandlungen vor dem Landgericht und vor dem Senat Bezug
genommen.

II.
Die zulässige Berufung der Beklagten führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung
und - auf Antrag beider Parteien - zur Zurückverweisung des Verfahrens gemäß § 538 Abs. 2
Satz 1 Nr. 2, Satz 2 ZPO an das Landgericht. Da das Versäumnisurteil der Beklagten
niemals wirksam zugestellt worden ist, hat der Einspruch der Beklagten mit Schriftsatz vom
11.06.2015 die Einspruchsfrist des § 339 Abs. 1 ZPO gewahrt; auch die
Einspruchsbegründungsfrist des § 340 ZPO hatte erstinstanzlich noch nicht zu laufen
begonnen. Auf die Zulässigkeit und Begründetheit des Wiedereinsetzungsantrages kommt
es daher nicht an.
1. Es ist aus zwei voneinander unabhängigen, dieses Urteil selbstständig tragenden
Gründen nicht zu einer wirksamen Zustellung des Versäumnisurteils nach §§ 178 Abs. 1
Nr. 2, 180 ZPO gekommen:
1.1 Zwar belegt das Original der Postzustellungsurkunde nach § 182 ZPO in Form einer
öffentlichen Urkunde nach § 418 ZPO die Zustellung nach § 180 ZPO, wobei die
Urkunde die Pflichtangaben des § 182 Abs. 2 ZPO enthält.
1.2 Es ist jedoch bewiesen (§ 418 Abs. 2 ZPO), dass diese Postzustellungsurkunde im
Hinblick auf zwei zwingende Voraussetzungen für eine Zustellung durch
Niederlegung in den Briefkasten falsche Tatsachen enthält:
1.2.1 Zum einen ergibt sich aus der Aussage des Zustellers Sch. vor dem Landgericht
vom 16.09.2015, dass er entgegen den Angaben auf der Postzustellungsurkunde
eine Zustellung in einem Geschäftsraum nicht versucht hat. Der Zeuge Sch., dessen
Aussage das Landgericht hinsichtlich seiner Angabe zum Einlegen des
Schriftstückes in den Briefkasten als glaubhaft erachtet hat, hat ausgesagt, dass die
Briefkästen abmontiert an der Hauswand gestanden hätten und er einen jungen
Mann, der aus dem Haus herausgekommen sei, gefragt habe, wo die
Geschäftsräume der Beklagten sind. Der junge Mann habe ihm mitgeteilt, dass er
keine Ahnung habe und dass selten jemand da sei. Daraufhin habe der Zeuge Sch.
die Postzustellungsurkunde ausgefüllt und in den abmontierten Briefkasten rechts
unten eingeworfen.
Hieraus ergibt sich mithin, dass der Postzusteller keinen Versuch unternommen hat,
in - unstreitig nicht vorhandenen - Geschäftsräumen der Beklagten in der C. Straße
in F. die Zustellung vorzunehmen, sondern - ohne vorherigen Versuch einer
persönlichen Übergabe - unmittelbar die Schriftstücke in den Briefkasten eingelegt
hat. Vor einer Ersatzzustellung durch Einlegen in einen Briefkasten nach § 180 ZPO
hätte der Zusteller jedoch den Versuch unternehmen müssen, einen Geschäftsraum
des Adressaten in dem Gebäude aufzusuchen um dort eine persönliche Zustellung
nach § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO vorzunehmen. Er hätte sich nicht mit der Auskunft
einer ihm unbekannten Person zufrieden geben dürfen, dass „selten jemand da“ sei,
sondern selbst versuchen müssen, die Geschäftsräume zum Zwecke einer
persönlichen Übergabe aufzufinden. Da vor dem Hintergrund des Umstandes, dass
das Landgericht die Aussage des Zustellers als glaubhaft erachtet hat und keine
Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese Schilderung nicht den Tatsachen
entspricht, ist die Beweiskraft der öffentlichen Urkunde hinsichtlich der darin
enthaltenen Angabe, eine persönliche Übergabe sei versucht worden, widerlegt.
Das Fehlverhalten des Zustellers bewirkt die Unwirksamkeit der Zustellung (vgl.
BFH, Urt. v. 21.01.2015, X R 16/12, Rn. 32 bis 34; ders. Beschl. v. 14.02.2007, XI B
108/05, Rn. 9 bis 12; LSG NRW, Urt. v. 17.01.2013, L 9 AL 173/11, Rn. 23 bis 26).
Mangels Zustellung wurde die Einspruchsfrist nicht in Gang gesetzt.
1.2.2 Ferner setzt die Zustellung nach § 180 ZPO vor dem Hintergrund des klaren
Wortlautes voraus, dass der Briefkasten, in den die zuzustellenden Unterlagen
eingelegt werden, zu einem Geschäftsraum gehört. Unstreitig hat die Beklagte
jedoch zum Zeitpunkt der Zustellung des Versäumnisurteils keinen Geschäftsraum
in dem Gebäude C. Straße ... bis ... in F. unterhalten. Es kommt insoweit nicht drauf
an, dass die Beklagte gegenüber dem Handelsregister nach § 8 Abs. 4 Nr. 1
GmbHG die in Frage stehende Adresse als Geschäftsanschrift angegeben hat. Zwar
diente die Einführung dieser Vorschrift dazu, Zustellungen an Gesellschaften mit
beschränkter Haftung auch gerade dann zu erleichtern, wenn der Verwaltungssitz
der GmbH im Ausland liegt (Gesetzesbegründung zum MoMiG,
Bundesrats-Drucksache 354/07, S. 81). Dies sollte aber nach dem Willen des
Gesetzgebers nicht dazu führen, dass Zustellungen an die im Handelsregister
eingetragene inländische Adresse auch dann möglich sein sollten, wenn dort nach
den Regelungen der ZPO wegen des Fehlens von Geschäftsräumen keine
Zustellung erfolgen darf. Vielmehr wird in der Gesetzesbegründung ausdrücklich
ausgeführt, dass eine Zustellung unter der im Handelsregister eingetragenen
Geschäftsanschrift weiterhin voraussetzt, dass ein Geschäftslokal besteht oder der
zurechenbare Rechtsschein eines Geschäftsraums gesetzt worden ist, und dass
dann, wenn eine Zustellung [nach den Vorschriften der ZPO] dort nicht möglich ist,
der Weg zu einer öffentlichen Zustellung eröffnet ist (Bundesrats-Drucksache
354/07, S. 81 und S. 97; vgl. auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl.,
Rn. 20 zu § 8). Soweit der Wortlaut der Formulierung in der Gesetzesbegründung
auch dahin verstanden werden könnte, dass der Gesetzgeber die förmliche
Zustellung nach der ZPO entgegen dem Wortlaut des § 180 ZPO in
Rechtsscheinfällen auch bei Fehlen eines Geschäftsraums für möglich erachtet hat,
fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber ein geändertes Verständnis
des § 180 ZPO herbeiführen wollte; vielmehr hat sich diese Formulierung ersichtlich
auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dazu bezogen, dass sich der
Zustellungsempfänger in bestimmten Konstellationen nicht auf die Unwirksamkeit
der Zustellung berufen kann (vgl. hierzu nachfolgend 2.).
1.2.3 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des
Bundesgerichtshofes vom 14.06.2012 (V ZB 182/11). Dort hat der
Bundesgerichtshof es zwar für möglich gehalten, eine Ersatzzustellung an ein
Postfach eines Wohnsitzlosen für wirksam zu erachten. Diese Entscheidung beruht
jedoch ersichtlich auf der Erwägung, dass es kaum mit dem Grundrecht auf
rechtliches Gehör zu vereinbaren ist, Zustellungen an einen Wohnsitzlosen an vom
Gericht bestellte Zustellungsvertreter oder durch öffentliche Zustellung
vorzunehmen, wenn dem Gericht bekannt ist, dass der Wohnsitzlose für an ihn
gerichtete Post ein Postfach eingerichtet hat. Hiermit ist der vorliegende Sachverhalt
nicht vergleichbar. Es kann nicht angenommen werden, dass der Bundesgerichtshof
mit dieser Entscheidung das Erfordernis des Bestehens von Geschäftsräumen am
Ort des Briefkastens aufgeben wollte; die Entscheidung ist auch von anderen
Oberlandesgerichten in späteren Entscheidungen nicht so verstanden worden (vgl.
OLG Frankfurt, Urt. v. 30.12.2013, 21 U 23/11; OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.11.2014,
7 U 115/13).
1.3 Im Ergebnis konnte der Umstand, dass der Zusteller das Versäumnisurteil in einen
mit der Firma der Beklagten beschrifteten Briefkasten eingelegt hat, hier nicht die
Zustellung bewirken.
2. Zwar ist es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dem
Zustellungsempfänger gemäß § 242 BGB verwehrt, eine fehlerhafte
Ersatzzustellung geltend zu machen, wenn er einen Irrtum über das Vorhandensein
von Geschäftsräumen bewusst und zielgerichtet herbeigeführt hat (vgl. BVerfG,
Beschl. v. 15.10.2009, 1 BvR 2333/09, Rn. 17; BGH, Urt. v. 16.06.2011, III ZR
342/09, Rn. 15). In dem hier anhängigen Rechtsstreit war der Klägerin jedoch das
Fehlen der Geschäftsräume zum Zeitpunkt der Zustellung bekannt, so dass die
Beklagte sich ihr gegenüber auf die Unwirksamkeit der Zustellung berufen kann. Es
kommt nicht darauf an, ob die oben genannte Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes auch dann Anwendung findet, wenn - wie hier - die Zustellung
(außerdem) auch deshalb unwirksam ist, weil der Zusteller vor dem Einlegen des
Schriftstücks in den Briefkasten nicht versucht hat, eine Zustellung nach § 178 Abs.
1 Nr. 1 und 2. ZPO zu bewirken. Im einzelnen:
2.1. Die Beklagte hat durch die von ihr veranlasste Eintragung der Adresse C. Straße ...
in F. als ihren Geschäftssitz nach § 10 Abs. 1 GmbHG die Publizitätswirkung nach §
15 Abs. 3 HGB herbeigeführt, dass sie Geschäftsräume an der angegebenen
Adresse unterhalte; auch ist sie im Geschäftsverkehr dergestalt aufgetreten, dass
sie ihren Geschäftspartnern und Behörden Veranlassung gegeben hat, die
Geschäftspost an diese Adresse zu versenden. Dies entsprach unstreitig auch dem
Willen der Beklagten: Sie hielt es einerseits für ihren Geschäftsbetrieb nicht für
erforderlich, Geschäftsräume im Inland zu unterhalten, und hat - aus nicht
ersichtlichen Gründen - davon abgesehen, einen Zustellungsbevollmächtigten nach
§ 10 Abs. 2 S. 2 GmbHG in das Handelsregister eintragen zu lassen. Andererseits
sollte es möglich sein, dass Post unter der Sitzadresse an sie versandt werden
kann, indem sie den Zeugen J. mit der - mehr oder weniger regelmäßigen - Leerung
des Briefkastens und Weiterleitung der Post an sie selbst oder an die von ihr
beauftragten Hausverwalter und Steuerberater beauftragte. Auch hierdurch hat sie
den zurechenbaren Rechtsschein gesetzt, sie unterhalte an der Adresse auch
Geschäftsräume.
Der Beklagten ist es deshalb grundsätzlich gegenüber jedem, der keine positive
Kenntnis davon hatte, dass die Beklagte tatsächlich keine Geschäftsräume an der
angegebenen Adresse unterhalten hat, verwehrt, sich auf den Umstand zu berufen,
dass keine wirksame Ersatzzustellung in einen Briefkasten an der angegebenen
Adresse erfolgt ist, den sie selbst mit ihrer Firmierung beschriftet hat.
2.2. Allerdings gilt die Publizitätswirkung des § 15 Abs. 3 HGB gegenüber solchen
Personen nicht, die positive Kenntnis von der Unrichtigkeit der eingetragenen
Tatsache haben (vgl. hierzu Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, HGB, 4.
Aufl., Rn. 40 zu § 15). Der Senat ist unter Würdigung des gesamten Akteninhalts der
Überzeugung, dass die Klägerin positive Kenntnis davon hatte, dass die Beklagte
keine Geschäftsräume im Gebäude C. Straße ... in F. unterhalten hat:
2.2.1 Zum einen hat die Klägerin nach eigenen Angaben eine Komplettsanierung des
Gebäudes vorgenommen. Sie musste daher Kenntnis haben, dass zum damaligen
Zeitpunkt (nach ihrem Vortrag: bis Ende 2013) in dem Gebäude keine
Geschäftsräume der Beklagten vorhanden waren. Der Klägervertreter und der
Geschäftsführer der Klägerin haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
auf Vorhalt auch nicht in Abrede gestellt, dass ihnen positiv bekannt war, dass zum
damaligen Zeitpunkt die Beklagte keine Geschäftsräume in dem Gebäude
unterhalten hat und mithin damals der Eintrag im Handelsregister unzutreffend war.
2.2.2 Zwar hat die Klägerin im Schriftsatz vom 11.02.2016 vorgetragen, dass ihr
Geschäftsführer davon ausgegangen sei, dass die Beklagte bis zum Zeitpunkt der
Klageerhebung Geschäftsräume in dem Objekt einrichtet habe und jedenfalls keine
positive Kenntnis davon gehabt habe, dass dies bis zum Tag der Zustellung nicht
erfolgt ist. Zur Überzeugung des Senats belegt jedoch der Inhalt der Klageschrift,
dass der Klägerin bei Abfassung der Klageschrift bewusst war, dass an der
angegebenen Anschrift von der Beklagten keine Geschäftsräume unterhalten
werden, und dass sich an diesem Kenntnisstand bis zum 13.05.2015 nichts
geändert hat.
2.2.2.1 Die Klägerin hat bereits einleitend in der Klageschrift darauf abgestellt, dass es sich
bei der von ihr angegebenen Anschrift (nur) um die im Handelsregister eingetragene
Anschrift handele. Bereits eine derartige Angabe ist ungewöhnlich und nur damit zu
erklären, dass der Klägerin bewusst war, dass die Angaben im Handelsregister von
der tatsächlichen Sachlage abweichen.
2.2.2.2 Die Klägerin hat in der Klageschrift betont, dass Gesellschafter und Geschäftsführer
der Beklagten keinen dauernden Aufenthalt in Deutschland haben und in Israel
wohnhaft sind. Sie hat ferner vorgetragen, dass die von ihr an die Adresse in
Freiberg versandte Schlussrechnung mit dem Vermerk zurückgekommen sei, dass
sich an der angegebenen Anschrift keine Briefkästen und kein Firmenschild der
Beklagten befänden. Auch diese Umstände zeigen auf, dass die Klägerin Kenntnis
davon hatte, dass sich keine Geschäftsräume an der im Handelsregister
eingetragenen Adresse befinden.
2.2.2.3 Konkrete Umstände, aufgrund derer es für die Klägerin auch nur im Ansatz
nachvollziehbar Anlass gegeben hätte, anzunehmen, dass mittlerweile die Beklagte
Geschäftsräume - etwa nach Fertigstellung der Sanierung und etwa nach Scheitern
der Übersendung der Schlussrechnung - eingerichtet haben könnte, hat die Klägerin
nicht aufzeigen können. Soweit die Klägerin darauf abgestellt hat, sie habe
annehmen müssen, dass die Beklagte inzwischen einen Geschäftsraum eingerichtet
habe, weil dies Voraussetzung für die Tätigkeit eines Unternehmens in Deutschland
sei, steht dem entgegen, dass die Klägerin selbst gleichfalls Geschäftstätigkeit in
Deutschland entfaltet hat und gleichfalls in Deutschland nicht über Geschäftsräume
verfügt.
2.3. Es kommt daher nicht darauf an, ob die Rechtsprechung dazu, dass es dem
Zustellungsempfänger verwehrt ist, sich auf fehlende Geschäftsräume zu berufen,
wenn er einen Irrtum über das Vorhandensein von Geschäftsräumen veranlasst,
auch dann gilt, wenn die Zustellung auch deshalb unwirksam ist, weil der Zusteller
gar nicht versucht hat, vor Einlegung in den Briefkasten das Schriftstück persönlich
an den Zustellungsempfänger oder Büromitarbeiter zu übergeben.
3. Die Klägerin kann auch nicht den Nachweis dafür erbringen, dass die fehlerhafte
Zustellung des Versäumnisurteils nach § 189 ZPO vor dem 28.05.2015 geheilt
worden ist. Ob eine spätere Heilung erfolgt ist, kann dahinstehen, weil dann
jedenfalls die Einspruchsfrist gewahrt wurde:
3.1 Eine Heilung nach § 189 ZPO wäre dann eingetreten, wenn der Geschäftsführer der
Beklagten das Versäumnisurteil erhalten hätte oder wenn der Zeuge J. dieses aus
dem Briefkasten entnommen hat und der Zeuge J. zudem von der Beklagten mit
einer Postempfangsvollmacht im Sinne des § 171 ZPO ausgestattet gewesen wäre.
3.2 Das Landgericht hat die Aussage des Zeugen J. jedenfalls dahingehend für
glaubhaft erachtet, dass dieser das Versäumnisurteil im Briefkasten nicht
vorgefunden hat. Auch wenn der Senat Verständnis für die Zweifel der Klägerin
daran hat, dass von Aufbrüchen der Briefkastenanlage ausgerechnet zwei
gerichtliche Zustellungen betroffen gewesen sein sollen, so ist die Klägerin
beweispflichtig für die Voraussetzungen der Heilung nach § 189 ZPO. Obwohl durch
die Aussage des Zeugen Sch. bewiesen ist, dass das Versäumnisurteil von diesem
in den Briefkasten eingelegt worden ist, kann die Klägerin vor dem Hintergrund der
Aussage des Zeugen Schwimmer, die das Landgericht für glaubhaft erachtet hat,
und der von diesem vorgelegten Rechnung eines Schlüsseldienstes vom
20.05.2015, welche unter der Objektbezeichnung „C. Straße ... F.
(Briefkastenanlage)“ die Arbeitsleistung „Schloß inst. gesetzt und Tür gerichtet“ in
Rechnung stellt, bereits nicht den Nachweis dafür erbringen, dass der Zeuge J. den
Besitz an dem Versäumnisurteil erlangt hat. Das Landgericht hat in unmittelbarer
Würdigung der Zeugenaussage den Schluss gezogen, dass der Briefkasten - aus
welchen Gründen auch immer - defekt und die Schriftstücke zum Zeitpunkt der
Öffnung des Briefkastens durch den Zeugen J. nicht mehr in diesem vorhanden waren.
3.3 Es kommt daher nicht darauf an, dass es auch an hinreichendem Vortrag und
Nachweisen dazu fehlt, dass der Zeuge J. über eine Empfangsvollmacht im Sinne
des § 171 ZPO verfügt hat und nicht lediglich - botenmäßig - als „Postverteilstelle“
fungiert hat, wie er es in seiner Vernehmung geschildert hat. Dazu, dass einer der
Geschäftsführer der Beklagten zu einem Zeitpunkt vor dem 28.05.2015 persönlich
Besitz von einer Ausfertigung oder Abschrift des Versäumnisurteils erlangt hat, ist
nichts ersichtlich.

III.
Für das weitere Verfahren und die vom Landgericht ausschließlich an der Frage der
inhaltlichen Richtigkeit zu orientierende (Zöller/Heßler, ZPO, 31. Aufl., § 343 Rn. 2, m.w.N.)
Entscheidung nach § 343 ZPO über die Aufrechterhaltung oder Aufhebung des
Versäumnisurteils weist der Senat darauf hin, dass der Beklagten Gelegenheit zu geben ist,
substantiiert auf den Schriftsatz der Klägerin vom 11.02.2016, welcher neuen und
umfangreichen Sachvortrag zu den vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien
enthält, zu erwidern. Dabei ist zu beachten, dass sich der Inhalt des Schreibens der ...Bank...
vom 05.06.2013 an die Beklagte, in dem die das Bauvorhaben gegenüber der Beklagten
finanzierende Bank bei der Beklagten nachfragt, wann genau die Klägerin in einen
bestehenden Bauvertrag mit der xxx Haustechnik eingetreten ist, mit den bisherigen
Sachverhaltsdarstellungen der Beklagten nicht in Einklang zu bringen ist. Allerdings
bestehen auch erhebliche Widersprüche zwischen der Darstellung zu Zeitpunkt, Umständen
und Inhalt des Vertragsschlusses in der Klageschrift und in dem Schriftsatz der Klägerin vom
11.02.2016; auch die Höhe des behaupteten Pauschalpreises weicht im Schriftsatz der
Klägerin vom 24.02.2016 von den Angaben in der Klageschrift ab.

IV.
Der Senat weist die Sache gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO an das Landgericht zurück.
Nachdem beide Parteien (hilfsweise) die Zurückverweisung an das Landgericht beantragt
haben, überwiegt trotz der durch die Zurückweisung entstehenden Mehrkosten und auch
unter Berücksichtigung prozessökonomischer Gesichtspunkte das Interesse der Parteien
daran, keine Tatsacheninstanz zu verlieren.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem Schlussurteil vorbehalten. Der Ausspruch zur
vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO (vgl. hierzu Zöller/Heßler, a.a.O., § 538 Rn. 59).
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Dresden

Erscheinungsdatum:

25.08.2016

Aktenzeichen:

8 U 1628/15

Rechtsgebiete:

GmbH
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

ZPO §§ 178 Abs. 1, 180, 418 Abs. 2; GmbHG § 8 Abs. 4 Nr. 1