OVG Münster 04. Dezember 2019
15 B 1444/19
KAG NRW § 8; VwGO § 146 Abs. 4 S. 6

Straßeneinstufung und Ausbauermessen der Gemeinde

letzte Aktualisierung: 05.03.2020
OVG NRW, Beschl. v. 4.12.2019 – 15 B 1444/19

KAG NRW § 8; VwGO § 146 Abs. 4 S. 6
Straßeneinstufung und Ausbauermessen der Gemeinde

1. Für die Einstufung einer Straße kommt es auf deren objektive Funktion im gemeindlichen
Verkehrsnetz nach der gemeindlichen Verkehrsplanung, dem aufgrund solcher Planung
verwirklichten Ausbauzustand, der straßenverkehrsrechtlichen Einordnung und den tatsächlichen
Verkehrsverhältnissen an. Entscheidend bei der Qualifizierung als Anliegerstraße ist die Funktion
der Straße. Maßgebend ist, ob die Straße auch dann noch eine Funktion im Verkehrsnetz hätte,
wenn keine Anliegergrundstücke zu erschließen wären.

2. Der Gemeinde steht bezüglich der Art und Weise sowie des Umfangs des Ausbaus ein weites
Ausbauermessen zu. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, im Rahmen der Beitragserhebung zu prüfen,
ob die Gemeinde die sinnvollste und zweckmäßigste Ausbaumaßnahme gewählt hat. Aufgabe des
Gerichts ist nur die Prüfung, ob die konkret vorgenommene Ausbaumaßnahme im Ergebnis noch
das gesetzliche Beitragsmerkmal erfüllt und ob die Maßnahme noch vom Grundsatz der
Erforderlichkeit gedeckt ist, das heißt sich noch im Rahmen des sachlich Vertretbaren bewegt.

G r ü n d e :

Die Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat den im Beschwerdeverfahren weiterverfolgten Antrag,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 17. Februar 2019
gegen den Ausbaubeitragsbescheid der Antragsgegnerin vom 17. Januar 2019
anzuordnen,
zu Recht abgelehnt.

Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat
gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen nicht zu einer Änderung der
angefochtenen Entscheidung.

In entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO kommt die Aussetzung bei
der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten nur in Betracht, wenn ernstliche
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn
die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch
überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an
der Rechtmäßigkeit im Sinne von § 80 Abs. 4 Satz 3 Alt. 1 VwGO rechtfertigen die
Anordnung der aufschiebenden Wirkung nur dann, wenn bei summarischer Prüfung der
Sach- und Rechtslage ein Erfolg des Rechtsmittelführers im Hauptsacheverfahren
wahrscheinlicher als sein Unterliegen ist. Mit dem Ausschluss der aufschiebenden
Wirkung bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben bezweckt der Gesetzgeber die
Sicherstellung des stetigen Zuflusses von Finanzmitteln für die öffentlichen Haushalte, aus
deren Aufkommen die Gegenleistung für die umstrittene Abgabe im Zeitpunkt ihrer
Geltendmachung regelmäßig bereits erbracht oder alsbald zu erbringen ist. Er hat damit
für diesen Bereich das öffentliche Interesse an einem Sofortvollzug generell höher
bewertet als das private Interesse an einer vorläufigen Befreiung von der Leistungspflicht.
Dieser gesetzgeberischen Wertung entspricht es, dass Abgaben im Zweifel zunächst zu
erbringen sind und das Risiko, im Ergebnis möglicherweise zu Unrecht in Vorleistung
treten zu müssen, den Zahlungspflichtigen trifft. Unzumutbare, mit dem Gebot der
Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nicht vereinbare Erschwernisse ergeben sich
dadurch nicht. Durch eine vorläufige, zu Unrecht erbrachte Zahlung eintretende
wirtschaftliche Nachteile werden durch die Rückzahlung der Abgabe weitestgehend
ausgeglichen; es werden somit keine irreparablen Verhältnisse geschaffen. Ist im Einzelfall
dennoch eine unbillige Härte zu erwarten, bietet § 80 Abs. 4 Satz 3 Alt. 2 VwGO die
Möglichkeit, die Vollziehung auszusetzen. Im Aussetzungsverfahren richtet sich die
Intensität der gerichtlichen Prüfung des Streitstoffs nach den Gegebenheiten des
vorläufigen Rechtsschutzes. Deshalb können weder aufwendige Tatsachenfeststellungen
getroffen werden noch sind schwierige Rechtsfragen abschließend zu klären.

Vgl. zuletzt OVG NRW, Beschlüsse vom 15. August 2019 - 15 B 884/19 -, juris Rn. 4, und
vom 12. August 2019 - 15 B 815/19 -, juris Rn. 4, jeweils m.w.N.
Ausgehend von diesen Maßgaben ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht, dass
die Rechtmäßigkeit des streitbefangenen Beitragsbescheids ernstlich zweifelhaft ist.
1. Die Beschwerde legt nicht dar, dass die Anlagenbildung durch die Antragsgegnerin zu
beanstanden ist.

Nach § 1 der Satzung über die Erhebung von Beiträgen nach § 8 des
Kommunalabgabengesetzes - KAG - für straßenbauliche Maßnahmen in der Stadt W.
vom 4. Juni 1992 (ABS) erhebt die Antragsgegnerin Beiträge nach § 8 KAG NRW zum
Ersatz des Aufwandes für die Herstellung, Erweiterung und Verbesserung "von
öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen (Erschließungsanlagen)". Mit dieser
Satzungsfassung hat die Antragsgegnerin unstreitig den erschließungsbeitragsrechtlichen
Anlagenbegriff gewählt.

Vgl. insoweit auch OVG NRW, Urteil vom 25. Januar 2005 - 15 A 548/03 -, juris Rn. 23 ff.;
Dietzel/Kallerhoff, Das Straßenbaubeitragsrecht nach § 8 des Kommunalabgabengesetzes
NRW, 8. Aufl. 2013, Rn. 35.

Der Anlagenbegriff des Erschließungsbeitragsrechts stellt darauf ab, welcher Straßenteil
bei natürlicher Betrachtungsweise durch Unterschiede im Erscheinungsbild (z.B.
Straßenführung, Straßenbreite, Straßenlänge, Straßenausstattung) zu einem augenfällig
abgegrenzten Element des öffentlichen Straßennetzes gemacht wird. Danach ist für die
Frage, ob eine selbständige Erschließungsanlage vorliegt, davon auszugehen, dass
miteinander verbundene selbständige Straßen (Haupt-, Neben-, Querstraßen)
grundsätzlich unabhängig von ihrer Erschließungsfunktion voneinander getrennte und
jeweils gesondert abzurechnende Erschließungsanlagen sind. Dabei kommt es nicht auf
eine einheitliche Straßenbezeichnung an.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. Januar 2005 - 15 A 548/03 -, juris Rn. 23;
Dietzel/Kallerhoff, Das Straßenbaubeitragsrecht nach § 8 des Kommunalabgabengesetzes
NRW, 8. Aufl. 2013, Rn. 36, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts.

Gemessen daran legt die Beschwerde nicht dar, dass die I. -M. -Straße und die
Straße Am C. als eine - der Verteilung des Aufwands zugrunde zu legende -
einheitliche Erschließungsanlage anzusehen sind. Das Verwaltungsgericht hat im
Einzelnen ausgeführt, dass die beiden genannten Straßen anhand der besagten Kriterien
bei summarischer Prüfung ein unterschiedliches Erscheinungsbild haben. Dem setzt die
Beschwerde nichts Substantiiertes entgegen. Der insoweit einzig angesprochene
Umstand, dass im zeitlichen Zusammenhang mit dem Ausbau der I. -M. -Straße
auch in der Straße Am C. Kanal- und Pflasterarbeiten durchgeführt worden seien, ist
für die Bestimmung des Anlagenzuschnitts unerheblich.

2. Die Beschwerde legt ferner nicht dar, dass hinsichtlich der Fahrbahn der
Beitragstatbestand der Verbesserung nicht erfüllt bzw. insofern kein wirtschaftlicher Vorteil
gegeben ist, weil diesbezüglich eine Kompensationslage anzunehmen ist.

Eine Kompensation der Verbesserung durch eine Verschlechterung ist in Betracht zu
ziehen, wenn die Ausbaumaßnahme die Funktionsfähigkeit einer (Teil-)Anlage aufhebt
oder nicht unerheblich beeinträchtigt. Ein Fall absoluter Verschlechterung liegt vor, wenn
die neue Anlage so umgestaltet wird, dass sie ihre Funktion im Vergleich zu dem früheren
Zustand überhaupt nicht mehr erfüllen kann. Funktionsunfähig ist eine (Teil-)Einrichtung
erst dann, wenn sie im Ganzen absolut ungeeignet ist, die ihr in verkehrstechnischer
Hinsicht zugedachte Funktion in der konkreten örtlichen Situation tatsächlich zu erfüllen.
Vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Juni 2018 ‑ 15 A 299/18 -, juris Rn. 13, vom 17.
August 2016 ‑ 15 B 652/16 -, juris Rn. 35, und vom 1. September 2009 - 15 A 1102/09 -,
juris Rn. 10.

Legt man dies zugrunde, lösen die von der Beschwerde angeführte Freigabe der I.
-M. -Straße für den beidseitigen Fahrradverkehr und die damit einhergehenden
verkehrstechnischen Einrichtungen wie Fahrradampeln, Beschilderung und Ausweisung
von Halteverboten zur Absicherung entsprechender Schleppkurven im Kreuzungsbereich
bei summarischer Prüfung keine Kompensationslage aus. Zwar mögen die räumlichen
Verhältnisse bei Begegnungsverkehr zwischen Fahrrädern und Kraftfahrzeugen
infolgedessen beengt sein. Eine erhebliche Beeinträchtigung der verkehrstechnischen
Funktionsfähigkeit der I. -M. -Straße ist damit aber noch nicht gegeben. Das
Verwaltungsgericht hat zutreffend hervorgehoben, dass die I. -M. -Straße sowohl vor
als auch nach der Baumaßnahme mit einer 7,2 m breiten Fahrbahn und beidseitigen
Gehwegen ausgestattet ist und dass sich an der funktionellen Aufteilung des
Straßenkörpers nichts geändert hat.

3. Die Einordnung der I. -M. -Straße als Anliegerstraße ist bei summarischer Prüfung
nicht ernstlich zweifelhaft.

Gemäß § 4 Abs. 6 Satz 1 a) ABS gelten als Anliegerstraße Straßen, die überwiegend der
Erschließung der angrenzenden oder durch private Zuwegung mit ihnen verbundenen
Grundstücke dienen.

Für die Einstufung kommt es auf die objektive Funktion der Straße im gemeindlichen
Verkehrsnetz nach der gemeindlichen Verkehrsplanung, dem aufgrund solcher Planung
verwirklichten Ausbauzustand, der straßenverkehrsrechtlichen Einordnung und den
tatsächlichen Verkehrsverhältnissen an. Entscheidend bei der Qualifizierung als
Anliegerstraße ist die Funktion der Straße. Maßgebend ist, ob die Straße auch dann noch
eine Funktion im Verkehrsnetz hätte, wenn keine Anliegergrundstücke zu erschließen
wären.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 17. Mai 2018 ‑ 15 A 243/17 -, juris Rn. 18, vom 23.
November 2016 - 15 A 2582/15 -, juris Rn. 54, vom 3. September 2008 - 15 E 1125/08 -,
juris Rn. 7, und vom 12. Juni 2006 - 15 B 803/06 -, juris Rn. 5.
Nicht erheblich ist, ob der Ziel- und Quellverkehr auf der Straße - einschließlich des Radund
Fußgängerverkehrs - überwiegt, also mehr als 50 % beträgt.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 2. April 2014 - 15 A 571/11 -, juris Rn. 24, vom 3.
September 2008 - 15 E 1125/08 -, juris Rn. 7, und vom 12. Juni 2006 - 15 B 803/06 -, juris
Rn. 5.

Demgegenüber gelten nach § 4 Abs. 6 Satz 1 b) ABS als Haupterschließungsstraße
Straßen, die der Erschließung von Grundstücken und gleichzeitig dem Verkehr innerhalb
von Baugebieten oder innerhalb von im Zusammenhang bebauten Ortsteilen dienen,
soweit sie nicht Hauptverkehrsstraße nach Buchstabe c) sind.

Dies trifft etwa auf Straßenzüge zu, von denen Anliegerstraßen abzweigen,
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3. September 2008 ‑ 15 E 1125/08 -, juris Rn. 9,
die den Verkehr mithin weiterführen bzw. verteilen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. November 2016 - 15 A 2582/15 -, juris Rn. 56.
Hiernach dürfte die I. -M. -Straße bei summarischer Betrachtung die Merkmale einer
Anliegerstraße aufweisen. Nach dem Inhalt der Akten kommt ihr über die Erschließung der
angrenzenden Grundstücke hinaus keine besondere Funktion innerhalb des
Verkehrsnetzes der Antragsgegnerin zu. Der C. E. ist nicht nur über die I. -M.
-Straße, sondern - wie die Antragsgegnerin in ihrer Beschwerdeerwiderung bekräftigt -
auch über die N. -M1. -Straße in Verbindung mit der N1.-------straße und der Straße
Am C. zu erreichen, mag auch hierüber keine Zufahrt mit Pkw unmittelbar bis zum
C. möglich sein. Rückwärtig kann an den C. über die I1.-------straße und die
F. Straße, an deren Ende sich ein "Park-and-Ride-Parkplatz" mit Bushaltestelle und
Fahrradabstellplätzen befindet, herangefahren werden. Dass die Straße F1. nur über
die I. -M. -Straße - und nicht auch über die N. -M1. -Straße - angefahren
werden kann, liegt daran, dass sie als Einbahnstraße eingerichtet ist und aus diesem
Grund lediglich über die I. -M. -Straße befahren werden kann. Allerdings macht allein
dieser Umstand die I. -M. -Straße noch nicht zu einer Haupterschließungsstraße.
Wie das Verwaltungsgericht herausgestellt hat, werden durch die relativ kurze Straße
F1. nur wenige Grundstücke erschlossen, so dass der von dieser Straße ausgehende
Verkehr, der die I. -M. -Straße nur über ein kurzes Teilstück von ca. 50 m befahren
muss, gering ist. Weitere Straßen sind hinsichtlich ihrer Erreichbarkeit nicht auf die I.
-M. -Straße angewiesen. Auch sonst deuten der Ausbauzustand der I. -M.
-Straße und ihre straßenverkehrsrechtliche Einordnung nicht auf eine Klassifikation als
Haupterschließungsstraße hin. Auf ihr gilt ausweislich der Beschwerdeerwiderung der
Antragsgegnerin Tempo 30. Auf ihrer Fahrbahn dürfen Autos sowohl rechts als auch links
parken, wobei es einen separaten Parkstreifen nicht gibt. Busverkehr wird über die I.
-M. -Straße nicht geleitet. Radfahrer dürfen gegen die Einbahnstraße auf der Fahrbahn
fahren. Diese Merkmale können als weitere Belege dafür angeführt werden, dass die
verkehrliche Funktion der I. -M. -Straße nicht über diejenige einer Anliegerstraße
hinausreicht. Die von der Beschwerde behaupteten Verkehrsanteile, die zu mindestens 80
% dem Zu- und Abfahrtverkehr zum C. zuzuordnen seien, sind für diese nach den
besagten objektiven Kriterien vorzunehmende Bewertung nicht von entscheidendem
Belang, weil die Verteilung der Ziel- und Quellverkehre je nach Lage der Dinge allenfalls
einen von mehreren zu berücksichtigenden Aspekten bilden kann. Nicht ausschlaggebend
ist dabei angesichts der übrigen Umstände auch der Gesichtspunkt, dass die
Antragsgegnerin die I. -M. -Straße in der Vergangenheit als Sammelstraße nach der
RASt qualifiziert hat, wie die Beschwerde vorträgt, und dass der Ausbau der Fahrbahn
nach der Belastungsklasse Bk 3,2 der RStO 12, die typischerweise für
Verbindungsstraßen angesetzt wird, stattgefunden hat.

4. Die Beschwerde dringt nicht mit dem Einwand durch, die Baumaßnahme sei
überdimensioniert und der maßnahmebedingte Aufwand daher unverhältnismäßig.

Der Gemeinde steht bezüglich der Art und Weise sowie des Umfangs des Ausbaus ein
weites Ausbauermessen zu. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, im Rahmen der
Beitragserhebung zu prüfen, ob die Gemeinde die sinnvollste und zweckmäßigste
Ausbaumaßnahme gewählt hat. Aufgabe des Gerichts ist nur die Prüfung, ob die konkret
vorgenommene Ausbaumaßnahme im Ergebnis noch das gesetzliche Beitragsmerkmal
erfüllt und ob die Maßnahme noch vom Grundsatz der Erforderlichkeit gedeckt ist, das
heißt sich noch im Rahmen des sachlich Vertretbaren bewegt.

Vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 10. Oktober 2019 - 15 A 808/17 -, juris Rn. 32, vom
16. Juli 2018 - 15 B 616/18 -, juris Rn. 51, und vom 23. November 2016 - 15 A 2582/15 -,
juris Rn. 25.

An diesem Maßstab gemessen ist bei summarischer Prüfung nicht mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit zu erkennen, dass der Aufwand für die abgerechnete Maßnahme den
Rahmen des sachlich Vertretbaren überschritten hat.
Die bereits erwähnte gewählte Belastungsklasse ist zwar, wie auch das
Verwaltungsgericht ausgeführt hat, recht hoch für eine Anliegerstraße wie die I. -M.
-Straße. Allein daraus lässt sich aber noch nicht ableiten, dass der Ausbau vor dem
Hintergrund des weiten Ausbauermessens der Antragsgegnerin nicht mehr erforderlich ist.

Auch mit Blick auf den Kanal kann dies bei summarischer Betrachtung nicht mit einem die
Schwelle der ernstlichen Zweifel erreichenden Wahrscheinlichkeitsgrad angenommen
werden. Auch wenn es in den Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin heißt "Der
Regenrückhaltekanal stellt das nötige Rückhaltevolumen von ca. 345 m³ bereit, um das
unterhalb liegende Kanalnetz der E1. Innenstadt hydraulisch zu entlasten und die
Innenstadt von Überstauungsereignissen zu entlasten", bedeutet dies für sich genommen
noch nicht, dass sich der Einbau eines solchen Kanals als Ausbaumaßnahme der I.
-M. -Straße als sachlich unvertretbar darstellen muss. Denn auch dieser Kanal kann
den Anliegern der I. -M. -Straße einen Vorteil vermitteln. Dies gilt umso mehr, wenn
man das Vorbringen der Antragsgegnerin berücksichtigt, aufgrund der Verbindung der
Maßnahmen des Straßenausbaus und der Kanalerneuerung habe eine Kostenersparnis
erzielt werden können. Letztendlich kann die Klärung dieser Frage erst im
Hauptsacheverfahren stattfinden.

Vgl. zu den insofern womöglich anzulegenden Maßstäben auch OVG NRW, Beschluss
vom 14. Januar 2008 - 15 A 3372/07 -, juris Rn. 7; Dietzel/Kallerhoff, Das
Straßenbaubeitragsrecht nach § 8 des Kommunalabgabengesetzes NRW, 8. Aufl. 2013,
Rn. 425.

5. Der Verjährungseinwand der Beschwerde hat keinen Erfolg.
Nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 b) KAG NRW i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 1, § 170 Abs. 1 AO beträgt
die Festsetzungsfrist einheitlich vier Jahre. Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in
dem die Beitragspflicht entstanden ist.

Gemäß § 8 Abs. 7 Satz 1 KAG NRW entsteht die Beitragspflicht mit der endgültigen
Herstellung der Einrichtung oder Anlage.

Das Merkmal "endgültige Herstellung der Anlage" bezeichnet den Zeitpunkt, in dem
regelmäßig die vorteilsrelevante Leistung durch Gewährung der Möglichkeit der
Inanspruchnahme erbracht ist. Eine Anlage ist damit i.S.v. § 8 Abs. 7 Satz 1 KAG NRW
endgültig hergestellt und damit beitragsauslösend, wenn das gemeindliche Bauprogramm
vollständig - in rechtlich gesicherter Weise - verwirklicht ist.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. August 2016 ‑ 15 B 652/16 -, juris Rn. 47, m.w.N.
Maßgebend für die endgültige Herstellung ist in der Regel der Zeitpunkt der Abnahme des
Werks durch die Gemeinde nach vollständiger Verwirklichung des Bauprogramms.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Januar 2016 ‑ 15 A 2510/14 -, juris Rn. 8, m.w.N.
Nur dann, wenn der beitragsrechtlich erforderliche wirtschaftliche Vorteil ausnahmsweise
erst zu einem späteren Zeitpunkt gewährt wird, ist dieser maßgeblich.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31. Januar 2000 ‑ 15 A 290/00 -, juris Rn. 6.
Da die förmliche Abnahme am 1. April 2015 erfolgt ist, begann die Verjährungsfrist damit
erst am 1. Januar 2016 und endete mit Ablauf des 31. Dezember 2019, so dass die
streitgegenständliche Beitragsforderung, die die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 17.
Januar 2019 festgesetzt hat, nicht verjährt ist. Ein Ausnahmefall liegt nicht vor. Dieser ist
weder darin zu sehen, dass nach dem Vortrag der Beschwerde die Straße Anfang Oktober
2014 für den öffentlichen Verkehr freigegeben worden sei, noch darin, dass die
Antragsgegnerin ab dem 1. Januar 2015 wieder Straßenreinigungsgebühren abgerechnet
habe. Dessen ungeachtet bietet die Abnahme den einzigen klaren Fixpunkt, ab dem
rechtssicher zu erkennen ist, wann eine bauprogrammgemäße Herstellung eingetreten ist.
Vgl. zu diesem Gedanken auch OVG NRW, Urteil vom 29. April 2008 - 15 A 1809/05 -,
juris Rn. 57.

6. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids ergeben sich
schließlich nicht daraus, dass womöglich noch das Grundstück Gemarkung E. , Flur 68,
Flurstück 506, in das Abrechnungsgebiet einzubeziehen ist. Das Verwaltungsgericht war
nicht verpflichtet, im Eilverfahren der Frage nachzugehen, wie sich eine Einbeziehung
dieses Grundstücks auf die Höhe der Beitragspflicht der Antragstellerin auswirken würde.
Dabei hat das Verwaltungsgericht zu Recht nicht nur darauf abgestellt, dass diese
Auswirkungen wohl eher gering ausfallen würden, sondern auch darauf, dass die genauen
Grundstücksparameter des Flurstücks 506 nicht bekannt sind. Die Klärung dieser Frage
kann dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, zumal die Antragsgegnerin ohnehin
in Aussicht gestellt hat, die Beitragspflicht der Antragstellerin unter dem Aspekt der
Ausnutzbarkeit ihres Grundstücks - mithin der Geschossigkeit - zu ihren Gunsten
nochmals gesondert zu berechnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2
GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3
Satz 3 GKG).

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OVG Münster

Erscheinungsdatum:

04.12.2019

Aktenzeichen:

15 B 1444/19

Rechtsgebiete:

Sonstiges Öffentliches Recht

Normen in Titel:

KAG NRW § 8; VwGO § 146 Abs. 4 S. 6